Entscheidungsstichwort (Thema)
S-Bahn. S-Bahn in West-Berlin. Bundeseisenbahnen. Aufwendungsersatz für Betriebsinvestitionen. S-Bahn als Nahverkehrsmittel
Leitsatz (amtlich)
1. Mit dem Betrieb der S-Bahn in West-Berlin nahm das Land Berlin von 1984 bis 1993 keine Bundesaufgabe, sondern eine eigene Aufgabe wahr, da die S-Bahn in dieser Zeit nur die Funktion eines Nahverkehrsmittels hatte.
2. In entsprechender Anwendung von Art. 26 Abs. 2 EV gingen mit dem S-Bahn-Betrieb in West-Berlin am 1. Januar 1994 die zu diesem Zeitpunkt bestehenden Verpflichtungen aus den vom Land Berlin getätigten Betriebsinvestitionen auf das Bundeseisenbahnvermögen über.
Normenkette
GG Art. 87 Abs. 1 a.F.; EV Art. 26 Abs. 1-2; EV Anl. I Kap. XI Sachgebiet A Abschn. III 3 b; StVertrag Art. 26 Abs. 2; GVFG § 1
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen erststelligen Betrag von 10 149 124,34 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen und den Kläger von der Rückzahlung eines erststelligen Darlehensbetrages gegenüber der Bundesrepublik Deutschland in Höhe von 39 245 815,42 DM freizustellen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger ein Drittel und dem Beklagten zwei Drittel auferlegt.
Tatbestand
I.
Der Kläger begehrt vom Beklagten die Erstattung der Kosten, die ihm durch Investitionen in den Betrieb der Berliner S-Bahn in den Jahren 1984 bis 1995 entstanden sind, sowie die Freistellung von noch nicht getilgten Bundesdarlehen, die zur Finanzierung dieser Investitionen aufgenommen wurden.
Die Berliner S-Bahn wurde bis Anfang 1984 auch in West-Berlin durch die Reichsbahndirektion in Ost-Berlin betrieben. Nach dem Mauerbau im August 1961 wurde die S-Bahn im Westteil der Stadt weitgehend boykottiert. Investitionen wurden in dieser Zeit nicht getätigt. Dies führte dazu, daß der Betrieb in der Folgezeit auf ein nur aus drei Strecken bestehendes Netz mit der Hälfte der ursprünglichen Streckenlänge reduziert wurde.
Auf den Wunsch des Senats, die in West-Berlin gelegenen S-Bahn-Strecken in das dortige öffentliche Nahverkehrsnetz zu integrieren, wurde in einem Ministergespräch unter Vorsitz des Bundeskanzlers am 2. Februar 1983, an dem auch der Regierende Bürgermeister von Berlin teilnahm, beschlossen, daß nach Möglichkeiten für eine einvernehmliche Lösung mit der DDR gesucht und in den Beratungen über den Bundeshaushalt 1984 und über die mittelfristige Finanzplanung die haushaltspolitischen Voraussetzungen dafür geschaffen werden sollten.
Am 1. Juni 1983 beschloß das Bundeskabinett, die Planungen des Landes Berlin für den Ausbau des Nahverkehrsnetzes unter Einbeziehung der S-Bahn zustimmend zur Kenntnis zu nehmen. Es wurde festgelegt, daß die Kosten der Baumaßnahmen für S- und U-Bahn auf 160 Millionen DM jährlich zu begrenzen seien. Die Kosten für Betrieb, Fahrzeugbeschaffung und Konservierung der S-Bahn seien aus dem Haushalt des Landes Berlin aufzubringen, sollten aber bei der Bundeshilfe für Berlin in Höhe der zusätzlichen Haushaltsbelastung unter Beachtung bestimmter Höchstbeträge in Ansatz gebracht werden.
Auf der Grundlage der daraufhin erfolgten Konsultationen mit den Alliierten und Sondierungen mit der DDR erteilte die Alliierte Kommandantura mit der Anordnung BK/O (83) 7 vom 27. Oktober 1983 (GVBl S. 1424) die Ermächtigung zur Aufnahme von Gesprächen zwischen dem Senat und der Deutschen Reichsbahn über Maßnahmen zwecks Einstellung von S-Bahn-Strecken durch die Deutsche Reichsbahn und machte den Abschluß einer aus den Verhandlungen hervorgehenden Vereinbarung von der ausdrücklichen Ermächtigung der Alliierten Kommandantura abhängig.
Mit Anordnung BK/O (83) 9 vom 28. Dezember 1983 (GVBl 1984 S. 56) erteilte die Alliierte Kommandantura nach Prüfung des in den Gesprächen zwischen dem Senat und der Reichsbahn ausgearbeiteten Entwurfs einer Vereinbarung über die Voraussetzungen der Integration der S-Bahn-Linien in das öffentliche Nahverkehrsnetz die nach der Anordnung BK/O (83) 7 erforderliche Ermächtigung.
Aufgrund der daraufhin zwischen dem Senat von Berlin und der Deutschen Reichsbahn am 30. Dezember 1983 unterzeichneten Vereinbarung vom 29. Dezember 1983 stellte die Deutsche Reichsbahn – Reichsbahndirektion Berlin – den Betrieb der S-Bahn in West-Berlin am 9. Januar 1984 um 3.00 Uhr ein. Von diesem Zeitpunkt an wurde der Betrieb der S-Bahn auf dem Gebiet von West-Berlin durch die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) durchgeführt.
Nach dem Wirksamwerden des Beitritts der DDR wurde die S-Bahn in West-Berlin aufgrund von Anlage I Kapitel XI Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 3 Buchst. b im Anschluß an die Vereinbarung vom 29. Dezember 1983 bis zum 31. Dezember 1993 durch die BVG weiter betrieben. Seit 1994 erfolgte der Betrieb der Berliner S-Bahn zunächst durch die Deutsche Bahn AG, später durch die am 1. Januar 1995 als Tochterunternehmen der Deutschen Bahn AG gegründete S-Bahn Berlin GmbH.
Bereits 1990 machte der Kläger gegenüber dem Bundesfinanz- und dem Bundesverkehrsministerium geltend, Investitionen in Anlagen und Wagenpark der S-Bahn ab dem 3. Oktober 1990 könnten nicht entschädigungslos erfolgen, weil der Kläger insoweit lediglich als Treuhänder für die Deutsche Reichsbahn handele. Das Bundesfinanzministerium vertrat demgegenüber die Auffassung, der Kläger habe auch nach dem 3. Oktober 1990 keinen Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen gegenüber der Deutschen Reichsbahn.
In den anschließenden Verhandlungen über die Finanzierung der S-Bahn strebte der Kläger eine Regelung an, nach der der Bund den Kläger ab 1. Januar 1994 von den Verpflichtungen aus den für S-Bahn-Maßnahmen aufgenommenen Bundesdarlehen freistellen und dem Kläger die in der Zeit vom 3. Oktober 1990 bis zum 31. Dezember 1993 für den S-Bahn-Ausbau eingesetzten Eigenmittel sowie den Zeitwert für die der Deutschen Reichsbahn zu übergebenden S-Bahn-Wagen der Baureihe 480 zum 1. Januar 1994 erstatten sollte. Es kam jedoch zu keiner Einigung.
Nachdem zum 1. Januar 1994 die Übergabe von Betrieb und Anlagen der S-Bahn in West-Berlin an die Deutsche Bahn AG erfolgt war, wandte sich der Kläger mit der Bitte um Erstattung der bis dahin für die S-Bahn aufgewendeten Mittel in Höhe von ca. 720 Millionen DM an den Präsidenten des Bundeseisenbahnvermögens.
Grundlage für die geltend gemachten Ansprüche sei die Vereinbarung zwischen der Deutschen Reichsbahn und dem Berliner Senat vom 29. Dezember 1983, die einen Treuhandvertrag darstelle. Die Treuhandabrede sei als Auftragsverhältnis im Sinne der §§ 662 ff. BGB ausgestaltet, da zwischen der Reichsbahn und dem Land Berlin keine Gegenleistungen für die Übertragung der Betriebsrechte an der S-Bahn vereinbart gewesen seien.
Aufgrund der finanziellen Lage des Klägers und aus Gründen der Gleichbehandlung der Länder sei es nicht hinnehmbar, daß der Kläger im Gegensatz zu anderen Ländern finanzielle Lasten für die Bundesaufgabe „Eisenbahn” tragen solle. Die Aufwendungen zur Grundinstandsetzung der maroden S-Bahn, die in keinem anderen Bundesland jemals den Haushalt belastet hätten, seien mit der Übergabe der S-Bahn an die Deutsche Bahn AG dieser in vollem Umfang zugute gekommen.
Diesen Forderungen hielt der Bund entgegen, die Aufwendungen des Klägers seien vollständig über die Bundeshilfe finanziert.
Am 23. April 1997 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main Klage gegen das Bundeseisenbahnvermögen erhoben. Das Verwaltungsgericht hat den Rechtsstreit durch Beschluß vom 12. Februar 1999 an das Bundesverwaltungsgericht verwiesen.
Der Kläger begehrt die Übernahme der Kosten der S-Bahn-Sanierung in den Jahren 1984 bis 1994 durch Erstattung seiner Aufwendungen von 352 461 110,03 DM und Freistellung von den hierfür außerdem übernommenen Darlehensverpflichtungen in Höhe von 392 458 154,22 DM, jeweils beschränkt auf einen erststelligen Betrag von 10 %.
Im einzelnen wird ein Anspruch auf Erstattung der für Tilgung und Zinsen im Rahmen der Komplementärfinanzierung nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz aufgenommenen Bundesdarlehen eingesetzten Mittel in Höhe von 116 123 827,10 DM geltend gemacht. Aus den Bundesdarlehensmitteln der Jahre 1984 bis 1992 seien unter anderem Investitionsausgaben für die S-Bahn finanziert worden. Die Komplementärmittel seien Bestandteil des S-Bahn-Vermögens geworden, das auf den Bund übergegangen sei. Die Ratenzahlungen und Zinsleistungen müßten wirtschaftlich dem S-Bahn-Treuhandvermögen zugerechnet und deshalb erstattet werden.
Außerdem müsse der Kläger für die Zukunft von allen Verpflichtungen aus Bundesdarlehen freigestellt werden, die er als Komplementärfinanzierung für durch das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz geförderte S-Bahn-Maßnahmen erhalten habe. Die Restschuld der Bundesdarlehen aus den Jahren 1984 bis 1992 betrage zum 31. Dezember 1996 392 458 154,22 DM.
Der Kläger verlangt darüber hinaus Erstattung der vom 3. Oktober 1990 bis zum 31. Dezember 1993 eingesetzten Komplementärmittel nach dem Strukturhilfegesetz in Höhe von 89 448 802,70 DM.
Außerdem begehrt der Kläger die Erstattung der Mittel, die er für die Entwicklung eines Prototyps eines S-Bahn-Zugs und die Anschaffung von 41 Doppeltriebwagen der Baureihe 480 eingesetzt hat, in Höhe von 109 434 212,83 DM.
Schließlich verlangt der Kläger Erstattung von 37 454 267,40 DM, die aufgrund früher eingegangener Verpflichtungen für den Ausbau des Südrings in den Jahren 1994 und 1995 gezahlt worden sind.
Der Kläger vertritt die Auffassung, der geltend gemachte Anspruch ergebe sich aus einer öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag in entsprechender Anwendung der §§ 677, 683, 670 BGB.
Mit der Sanierung der S-Bahn in West-Berlin habe der Kläger ein Geschäft ausgeführt, das zumindest auch dem Beklagten oblegen habe. Der Bund habe es 1983 trotz seiner grundgesetzlich geregelten Aufgaben- und Finanzierungsverantwortung für das Eisenbahnwesen abgelehnt, den Betrieb der S-Bahn oder wenigstens die dafür erforderlichen Investitionskosten entsprechend der Situation in anderen Bundesländern zu übernehmen. Nur wegen der finanziellen und politischen Abhängigkeit vom Bund habe sich der Kläger mit der Finanzierung nach dem – dafür an sich nicht einschlägigen – Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz einverstanden erklärt.
Die S-Bahn-Anlagen in Berlin (West) hätten zu keinem Zeitpunkt im Eigentum des Landes Berlin gestanden. Der Kläger sei daher hinsichtlich seiner Investitionstätigkeit für einen fremden Eigentümer tätig geworden. Über seine Verpflichtungen aus der Vereinbarung zur Durchführung des S-Bahn-Verkehrs in Berlin (West) vom 29. Dezember 1983 sei dies weit hinausgegangen. Diese beziehe sich nur auf den laufenden Betrieb und schließe nur insoweit Erstattungsansprüche aus.
Der Kläger sei daher auch durch die S-Bahn-Vereinbarung nicht zu den Investitionen, für die er Aufwendungsersatz begehre, verpflichtet gewesen. Ebensowenig ergebe sich eine solche Verpflichtung aus einer gesetzlichen Kostentragungsregelung.
Da auch keine weitere Finanzausgleichsregelung ersichtlich sei, greife das sogenannte Ausgleichsprinzip ein, wonach im Grundsatz der an sich zuständige Verwaltungsträger dem statt seiner Handelnden die bei der Wahrnehmung der Verwaltungsaufgabe anfallenden Kosten zu ersetzen habe und nur in gesetzlich zu normierenden Ausnahmefällen etwas anderes gelten könne.
Der Kläger habe schließlich auch mit Fremdgeschäftsführungswillen gehandelt. Es hätten das Bewußtsein und der Wille bestanden, zumindest auch im Interesse eines fremden Rechtskreises tätig zu werden. Dieser Wille sei nach außen erkennbar gewesen und werde vermutet, weil es sich um ein objektiv fremdes Geschäft gehandelt habe.
Der Klageanspruch könne daneben auf einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gestützt werden. Die Investitionen des Klägers in die S-Bahn hätten sich infolge der Wiedervereinigung in einer Vermögensverschiebung zugunsten des Beklagten ausgewirkt. Der Kläger habe dadurch Leistungen erbracht, die zu einer Mehrung fremden Vermögens geführt hätten.
Die Vermögensverschiebung sei ohne rechtlichen Grund erfolgt, weil der Kläger zu den über die übernommene Verpflichtung zur Betriebsdurchführung hinausgehenden Investitionen nicht verpflichtet gewesen sei.
Ferner lasse sich der geltend gemachte Anspruch aus Art. 26 Abs. 2 EV herleiten, der Ausdruck des allgemeinen Rechtsgedankens sei, daß derjenige, der ein Vermögen übernehme, für dem Vermögen zuzurechnende Verbindlichkeiten hafte und daß derjenige, der ein fremdes Vermögen in Besitz habe und es durch Einsatz eigener Mittel vermehrt habe, bei Rückgabe des Vermögens einen Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen haben solle.
Art. 26 Abs. 2 EV sei als Ausgleichsregelung zu begreifen, die für Verbindlichkeiten und Aufwendungen, die mit dem S-Bahn-Vermögen in Verbindung stünden, einen Ausgleichsanspruch vermittele. Seine Rechtfertigung finde dies dadurch, daß das Deutsche Reich als Anspruchsgegner nicht mehr zur Verfügung stehe.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger einen erststelligen Teilbetrag in Höhe von 35 246 111 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen und den Kläger von der Rückzahlung eines erststelligen Teilbetrages in Höhe von 39 245 815,42 DM freizustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er vertritt die Auffassung, die Klage sei unbegründet, weil der Beklagte nicht passivlegitimiert sei. Der Kläger stütze den geltend gemachten Anspruch darauf, daß er eine dem Bund obliegende Aufgabe erfüllt habe. Sowohl in bezug auf einen Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag als auch im Hinblick auf einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch, der auf einer rechtsgrundlosen Bereicherung beruhe, könne nur derjenige passivlegitimiert sein, dessen Aufgabe der Kläger erfüllt habe. Dies sei jedoch nicht das nicht rechtsfähige Bundeseisenbahnvermögen, sondern der Bund.
Voraussetzung eines Anspruchs auf der Grundlage einer öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag sei, daß der Geschäftsführer ein fremdes Geschäft besorge. Dies sei hier jedoch nicht geschehen, weil die Übernahme der S-Bahn durch den Kläger ausschließlich dem Ausbau des innerstädtischen Nahverkehrs gedient habe, der keine Aufgabe des Bundes nach Art. 87 Abs. 1 GG a.F. gewesen sei. Bundeseisenbahnen im Sinne dieser Vorschrift seien S-Bahnen jedenfalls nur dann, wenn sie zumindest auch einer überörtlichen Zwecksetzung dienten. Seit dem Mauerbau habe die Berliner S-Bahn aber de facto nahezu ausschließlich dem innerstädtischen Nahverkehr in West-Berlin gedient.
Auch müsse der im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag erforderliche Fremdgeschäftsführungswille bereits im Zeitpunkt der betreffenden Aufwendungen vorhanden gewesen sein. Der Kläger selbst gehe jedoch davon aus, daß die Aufwendungen zunächst eigennützig gewesen seien, weil sie zur Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs im Rahmen der Verpflichtung des Klägers zur Daseinsvorsorge erfolgt seien.
Ein Aufwendungsersatzanspruch auf der Grundlage der Regelungen über die öffentlich-rechtliche Geschäftsführung ohne Auftrag sei darüber hinaus ausgeschlossen, wenn zwischen den betroffenen Trägern öffentlicher Verwaltung vorrangige Finanzausgleichsregelungen bestünden. Die zwischen dem Kläger und dem Bund übereinstimmend festgelegte Finanzierung des S-Bahn-Betriebs über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz und die Bundeshilfe könne daher nicht durch den vom Kläger geltend gemachten Anspruch aus öffentlich-rechtlicher Geschäftsführung ohne Auftrag oder einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch ausgehebelt werden.
Die Anwendung der §§ 677 ff. BGB setze ferner voraus, daß der Geschäftsführer weder vom Geschäftsherrn beauftragt noch ihm gegenüber aus anderen Gründen zur Geschäftsführung berechtigt gewesen sei. Der Kläger habe den Betrieb der S-Bahn in West-Berlin aber aufgrund der Vereinbarung vom 29. Dezember 1983 übernommen, die davon ausgehe, daß jeder Vertragspartner die Kosten für den von ihm übernommenen und betriebenen S-Bahn-Bereich selbst trage. Darüber hinaus seien auch mit dem Bund abschließende Regelungen über die Finanzierung der durch die Übernahme des S-Bahn-Betriebs verursachten Kosten getroffen worden, die der Bund vollständig eingehalten habe.
Der vom Kläger geltend gemachte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch bestehe ebenfalls nicht. Es fehle bereits an der erforderlichen Vermögensverschiebung.
Überdies habe für den Betrieb der S-Bahn durch das Land ein Rechtsgrund bestanden, weil die Übernahme des S-Bahn-Betriebs durch den Kläger auf der Vereinbarung zwischen ihm und der Deutschen Reichsbahn vom 29. Dezember 1983 und den Vereinbarungen zwischen dem Kläger und dem Bund über die Finanzierung der durch den S-Bahn-Betrieb verursachten Kosten beruht habe.
Schließlich bestehe auch kein Anspruch des Klägers aufgrund von Art. 26 EV, der keine Anspruchsgrundlage darstelle. Der Wortlaut dieser Regelung enthalte keinen Anhaltspunkt dafür, daß damit Ansprüche des Klägers hätten begründet werden sollen.
Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich am Verfahren. Er hält die Klage aus den vom Beklagten vorgetragenen Gründen für unbegründet.
Entscheidungsgründe
II.
Die Klage, über die zu entscheiden das Bundesverwaltungsgericht zuständig ist (1.), ist überwiegend begründet. Zwar kann der Kläger nicht verlangen, daß der Beklagte im Wege des Aufwendungsersatzes alle Kosten übernimmt, die dem Kläger in den Jahren von 1984 bis 1995 durch Investitionen in den Betrieb der S-Bahn in West-Berlin entstanden sind (2.). Er hat jedoch einen Anspruch auf Freistellung von den Schulden, mit denen er infolge der getätigten Investitionen noch belastet ist (3.). Darüber hinaus steht ihm die Erstattung der Zins- und Tilgungsleistungen zu, die er nach dem 1. Januar 1994 auf diese Schulden noch erbracht hat (4.).
1. Das Bundesverwaltungsgericht hat im ersten und letzten Rechtszug über den Rechtsstreit zu entscheiden. Zwar ist zweifelhaft, ob sich dies, wie das Verwaltungsgericht in seinem Verweisungsbeschluß angenommen hat, aus § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ergibt. Danach entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in erster Instanz über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nicht-verfassungsrechtlicher Art zwischen dem Bund und den Ländern und zwischen verschiedenen Ländern. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt, daß sich die Klage entsprechend der ausdrücklichen Angabe in der Klageschrift gegen das Bundeseisenbahnvermögen als nicht rechtsfähiges Sondervermögen des Bundes richtet. Ob auf dieses nach § 4 des Bundeseisenbahn-Neugliederungsgesetzes parteifähige Sondervermögen § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO anzuwenden ist, wird in der Literatur unterschiedlich beurteilt (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 11. Aufl., § 50 Rn. 3; Bier in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 50 Rn. 8; offen gelassen in: BVerwG, Urteil vom 15. März 1988 – BVerwG 1 A 23.85 – BVerwGE 79, 110 ≪112≫). Diese Frage bedarf hier aber keiner Klärung, da der Verweisungsbeschluß des Verwaltungsgerichts nach § 83 VwGO i.V.m. § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG das Bundesverwaltungsgericht bindet (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 1988, a.a.O.).
2. Die Klage hat keinen Erfolg, soweit der Kläger den Beklagten auf Zahlung des Betrages in Anspruch nimmt, den er von 1984 bis 1995 für Investitionen in den S-Bahn-Betrieb aufgewendet hat. Für dieses Begehren fehlt eine Anspruchsgrundlage.
2.1 Zu Unrecht hat der Kläger sich in den vorprozessualen Verhandlungen darauf berufen, die Vereinbarung mit der Deutschen Reichsbahn vom 29. Dezember 1983 stelle ein auftragsähnliches Rechtsverhältnis dar, das den Beklagten nach § 670 BGB zum Aufwendungsersatz verpflichte. Diese Bewertung wird dem Inhalt der seinerzeit geschlossenen Vereinbarung nicht gerecht.
In der grundlegenden Regelung der Ziffer I der Vereinbarung wird lediglich festgelegt, daß die Deutsche Reichsbahn den Betrieb der S-Bahn in West-Berlin am 9. Januar 1984 um 3.00 Uhr einstellt und daß vom gleichen Zeitpunkt an die Betriebsdurchführung von einer vom Senat zu bestimmenden Stelle wahrgenommen wird. In den weiteren Vorschriften werden die Modalitäten bestimmt, nach denen bei einer Überschneidung der beiderseitigen Betriebssphären künftig zu verfahren ist. Der Vertrag eröffnete dem Kläger mithin lediglich die Betriebsmöglichkeit auf den bis dahin von der Deutschen Reichsbahn verwalteten Strecken bei gleichzeitigem Rückzug der Deutschen Reichsbahn aus diesem Bereich. Er enthielt dagegen keine Bestimmung, daß die Reichsbahn weiterhin Herr des Betriebs sein sollte, der Kläger mithin deren Geschäft zu besorgen habe.
Dieser in den Vertragsbestimmungen zum Ausdruck kommende Regelungsgehalt korrespondiert mit den Vorgaben, die die Alliierte Kommandantura in Wahrnehmung ihrer besatzungshoheitlichen Befugnisse den Vertragsparteien verbindlich auferlegt hatte. In der Anordnung BK/O (83) 7 vom 27. Oktober 1983 erklärt die Alliierte Kommandantura, sie habe von dem Wunsch des Senats nach Integration von S-Bahn-Strecken in das öffentliche Nahverkehrsnetz Kenntnis genommen, und erteilt die Ermächtigung zur Aufnahme von Gesprächen über technische Maßnahmen zwecks Einstellung des Betriebs von S-Bahn-Strecken durch die Deutsche Reichsbahn. Dabei wird ausdrücklich betont, die Gespräche dürften alliierte Rechte und Verantwortlichkeiten nicht berühren. Die Alliierten gingen mithin davon aus, daß sich die Vereinbarung auf den Betriebsbereich zu beschränken habe und den vollständigen Rückzug der Deutschen Reichsbahn aus diesem Bereich bringen solle. Dementsprechend ist in der Anordnung BK/O (83) 9 vom 28. Dezember 1983, die die Ermächtigung zum Abschluß der Vereinbarung enthält, vom Entwurf einer Vereinbarung über die Voraussetzungen der Integration der S-Bahn-Linien in das öffentliche Nahverkehrsnetz die Rede. Es wird hervorgehoben, daß diese Vereinbarung lediglich technischer Natur sei und den Status der betroffenen Einrichtungen und des Vermögens sowie die Rechte und Verantwortlichkeiten der Alliierten auf dem Gebiet der Kontrolle nicht berühren dürfe. Eine fortbestehende Verantwortlichkeit der Deutschen Reichsbahn für den Betrieb der S-Bahn-Strecken in West-Berlin ist auch hier nicht vorgesehen.
Hiernach ist für die Annahme, dem Kläger könne aus einem auftragsähnlichen Rechtsverhältnis ein vertraglicher Aufwendungsersatzanspruch zustehen, kein Raum.
2.2 Der vom Kläger geltend gemachte Erstattungsanspruch ergibt sich auch nicht aus einer öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag in entsprechender Anwendung der §§ 677, 683, 670 BGB. Mit den Investitionen in den S-Bahn-Betrieb in West-Berlin hat der Kläger kein fremdes Geschäft im Sinne des § 677 BGB besorgt. Er ist objektiv ausschließlich in eigenem und nicht in fremdem Interesse tätig geworden. Die Auffassung des Klägers, mit dem Betrieb der S-Bahn habe er eine Aufgabe erfüllt, die nach Art. 87 a.F. GG dem Bund oblegen habe, geht fehl. Dazu bedarf es keines Eingehens auf die Frage, inwieweit Art. 87 a.F. GG, wonach die Bundeseisenbahnen in bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau geführt wurden, überhaupt in West-Berlin anwendbar war und ob die Vorschrift, wie der Kläger meint, dort wenigstens im Sinne einer Finanzierungsverantwortung des Bundes Geltung beanspruchte. Darauf kommt es nicht an, weil es sich bei der in West-Berlin betriebenen S-Bahn nicht mehr um eine Bundes- oder Reichseisenbahn handelte, die gesamtstaatlicher Verantwortung unterlag.
Richtig ist allerdings, daß der Betrieb von S-Bahnen von je her Angelegenheit der Deutschen Reichsbahn war und nach Art. 87 a.F. GG zum Bereich der Bundeseisenbahnen gehörte, die in ausschließlicher Bundesverwaltung betrieben werden sollten. Dabei darf aber nicht übersehen werden, daß diese Zuordnung begrifflich stets problematisch war, weil Bundeseisenbahnen prinzipiell den überörtlichen Verkehr zu bedienen haben, während S-Bahnen eine gewichtige Funktion im Nahverkehr erfüllen. Im Ergebnis bestand gleichwohl Einigkeit über ihre Zuordnung zu den Bundeseisenbahnen, weil dies zum einen der historischen Entwicklung entsprach und der S-Bahn zum anderen jedenfalls die Aufgabe der Verknüpfung des überörtlichen Verkehrs zukam (vgl. Schmidt-Aßmann/Fromm, Aufgaben und Organisation der Deutschen Bundesbahn in verfassungsrechtlicher Sicht, 1986, S. 79; Lerche in: Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz, Stand Dezember 1992, Art. 87 Fußn. 90). Diese Aufgabe hatte insbesondere für die Berliner S-Bahn stets eine große Bedeutung, weil sie die Stadt mit dem Umland sowie die teilweise als Kopfbahnhöfe errichteten Fernbahnhöfe untereinander verband.
Mit der Übernahme der S-Bahn in West-Berlin durch den Kläger hat diese ihre Funktion und damit auch ihren Rechtscharakter grundlegend gewandelt. Einerseits entfiel die Funktion der überörtlichen Verkehrsbedienung, weil alle Übergänge ins Umland bis auf einen gekappt waren. Andererseits erfolgte die Übernahme erklärtermaßen mit dem Ziel, die S-Bahn in das Westberliner Nahverkehrsnetz zu integrieren. Alle Verhandlungen mit der Bundesregierung und mit den Alliierten erfolgten unter diesem Stichwort. Die Anordnung der Alliierten Kommandantura vom 28. Dezember 1983 hält dementsprechend ausdrücklich fest, die zu schließende Vereinbarung betreffe die Voraussetzung der Integration der S-Bahn-Linien in das öffentliche Nahverkehrsnetz. Auch wenn die eigentumsrechtliche Zuordnung zum Reichseisenbahnvermögen und die Alliierten Kontrollrechte davon unberührt blieben, kam darin der eindeutige Wille zum Ausdruck, der S-Bahn in West-Berlin ebenso wie etwa der U-Bahn nur noch die Rolle eines Nahverkehrsbetriebs zuzugestehen.
In allen Verhandlungen mit dem Bund ist folgerichtig der weitere Ausbau der U-Bahn und der S-Bahn in West-Berlin als Einheit behandelt worden. Für beide Maßnahmen wurde ein einheitlicher Finanzierungsrahmen gesteckt, innerhalb dessen Berlin ein Verkehrskonzept zu entwickeln hatte. Einigkeit bestand schließlich – wenn auch erst nach längeren Verhandlungen – zwischen dem Senat und der Bundesregierung über die Finanzierung des S-Bahn-Ausbaus mit Mitteln des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes. Dieses regelt nach seinem § 1 Finanzhilfen für Investitionen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden. Die einvernehmliche Anwendung dieser Bestimmungen ist Zeichen der übereinstimmenden Einschätzung der Funktion der S-Bahn in West-Berlin.
Nach ihrer objektiven Funktion und aus der Sicht aller Beteiligten war die S-Bahn in West-Berlin damit ab 1984 der Sache nach ein Nahverkehrsmittel. Ihr Betrieb unterlag damit nicht mehr der gesamtstaatlichen Verantwortung, wie sie Art. 87 a.F. GG für die Bundeseisenbahnen vorschrieb.
Mit dem Ausbau des Nahverkehrsmittels erfüllte West-Berlin mithin ausschließlich eine eigene Aufgabe. Schon aus diesem Grund entfällt ein Anspruch auf Aufwendungsersatz aus Geschäftsführung ohne Auftrag für die Zeit von 1984 bis 1990.
In der Anlage I zum Einigungsvertrag ist diese Funktion über den 3. Oktober 1990 hinaus bis zum 31. Dezember 1993 festgeschrieben worden. In Kapitel XI Sachgebiet A Abschnitt III 3 b der genannten Anlage heißt es unter Buchstabe aa, das dem S-Bahn-Verkehr dienende Reichsbahnvermögen in Berlin (West) werde im Anschluß an die Vereinbarung zwischen dem Senat von Berlin und der Deutschen Reichsbahn vom 29. Dezember 1983 bis zum 31. Dezember 1993 vom Land Berlin verwaltet. Bis zu diesem Zeitpunkt sollte mithin die Betriebszuständigkeit weiterhin beim Kläger liegen. Eine Kollision mit Art. 87 a.F. GG ergab sich daraus schon deshalb nicht, weil es sich um ein Nahverkehrsmittel handelte und damit die die Bundeseisenbahnen regelnde Bestimmung nicht eingriff.
2.3 Das vom Kläger geltend gemachte umfassende Erstattungsbegehren kann auch nicht auf das Rechtsinstitut des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs gestützt werden. Zum einen fehlt es schon an einer Vermögensverschiebung durch Wahrnehmung einer an sich vom Beklagten oder seinen Rechtsvorgängern zu erfüllenden Aufgabe. Wie ausgeführt, war die S-Bahn seit 1984 ein Nahverkehrsmittel, dessen Betrieb die eigene Aufgabe des Klägers war. Der Beklagte ist mithin nicht dadurch bereichert worden, daß der Kläger Investitionen zur Wahrnehmung einer fremden öffentlichen Aufgabe erbracht hat.
Im übrigen fehlt es auch an der Voraussetzung des fehlenden Rechtsgrundes. Grundlage für die Betätigung des Klägers im S-Bahn-Bereich war die Alliierte Ermächtigung vom 28. Dezember 1983. Diese Ermächtigung verschaffte dem Kläger die Befugnis, das S-Bahn-Vermögen in West-Berlin zu verwalten, wozu auch die Unterhaltung und Instandsetzung der S-Bahn-Anlagen gehörte.
Die Ermächtigung der Alliierten Kommandantura verlor zwar mit der Wiedervereinigung ihre Wirksamkeit. Von diesem Zeitpunkt an ergab sich die Rechtsgrundlage für Investitionen in den S-Bahn-Betrieb aber aus dem Einigungsvertrag. Dieser bestimmte, wie bereits ausgeführt, die Fortdauer der Verwaltung des S-Bahn-Vermögens in West-Berlin durch den Kläger. Daß dazu auch Investitionsmaßnahmen gehörten, ergibt sich aus dem Zusatz, daß Investitionsentscheidungen, die finanziell über den 31. Dezember 1993 hinauswirkten, im Einvernehmen mit der Deutschen Reichsbahn zu treffen seien. Damit setzt der Einigungsvertrag prinzipiell voraus, daß bis zu dem genannten Zeitpunkt Investitionsmaßnahmen vom Kläger durchzuführen waren. Etwa eintretende Wertsteigerungen des Reichsbahnvermögens durch diese Investitionen hatten hierin ihre Rechtsgrundlage.
3. Die Klage ist dagegen begründet, soweit der Kläger die Freistellung von noch nicht getilgten Schulden begehrt, die er zur Finanzierung seiner Investitionen in den S-Bahn-Betrieb aufgenommen hat. Der Anspruch hierauf ergibt sich aus Anlage I Kapitel XI Sachgebiet A Abschnitt III 3 b zum Einigungsvertrag i.V.m. einer entsprechenden Anwendung des Art. 26 Abs. 2 EV.
3.1 Unmittelbar läßt sich Art. 26 Abs. 2 EV auf die in Rede stehenden Schulden nicht anwenden. Die Vorschrift bestimmt, daß mit den in Art. 26 Abs. 1 EV erfaßten Vermögensrechten gleichzeitig die mit ihnen im Zusammenhang stehenden Verbindlichkeiten und Forderungen auf das Sondervermögen Deutsche Reichsbahn übergehen. Unmittelbar ist diese Bestimmung schon deshalb nicht einschlägig, weil das dem S-Bahn-Betrieb dienende Reichsbahnvermögen in Berlin-West von Art. 26 Abs. 1 EV zunächst nicht erfaßt wird. Danach sind das Eigentum und alle sonstigen Vermögensrechte der Deutschen Demokratischen Republik sowie das Reichsvermögen in Berlin (West), die zum Sondervermögen Deutsche Reichsbahn im Sinne des Art. 26 Abs. 2 des Vertrages für die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18. Mai 1990 gehören, mit Wirksamwerden des Beitritts als Sondervermögen Deutsche Reichsbahn Vermögen der Bundesrepublik Deutschland. Der damit in Bezug genommene Art. 26 Abs. 2 des Vertrages vom 18. Mai 1990 bestimmt, daß die Führung der Deutschen Reichsbahn als Sondervermögen aus dem Staatshaushalt der DDR ausgegliedert wird. Die S-Bahn in West-Berlin unterlag aber im Mai 1990 nicht der Führung der Deutschen Reichsbahn; der Betrieb oblag dem Kläger. Darüber hinaus unterlag das S-Bahn-Vermögen in West-Berlin zu diesem Zeitpunkt noch den alliierten Vorbehaltsrechten, die durch einen einfachen Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik nicht ausgeräumt werden konnten.
Die Geltung des Art. 26 Abs. 1 EV für das S-Bahn-Vermögen in West-Berlin ergibt sich aber aus § 2 Abs. 3 des Sechsten Überleitungsgesetzes vom 25. September 1990 (BGBl I S. 2106). Danach gelten die Eisenbahnvorschriften des Bundesrechts in Berlin (West) nach Maßgabe der Anlage I Kapitel XI Sachgebiet A des Einigungsvertrages. Abschnitt III Ziff. 2 der damit in Bezug genommenen Regelung schreibt vor, daß Art. 26 Abs. 1 und 2 EV für § 1 des Gesetzes über die vermögensrechtlichen Verhältnisse der Deutschen Bundesbahn gilt. Damit erstreckt sich Art. 26 EV auch auf das S-Bahn-Vermögen in West-Berlin.
Auch das rechtfertigt indes noch nicht die Annahme, Art. 26 Abs. 2 EV könne unmittelbar auf die hier in Rede stehenden Schulden angewandt werden. Das ergibt sich aus folgenden Überlegungen: Aus der bereits mehrfach erwähnten Anlage I des Einigungsvertrages ist zu entnehmen, daß der S-Bahn-Betrieb in West-Berlin bis zum 31. Dezember 1993 beim Kläger verbleiben sollte. Der Übergang des S-Bahn-Vermögens nach Art. 26 Abs. 1 EV am 3. Oktober 1990 konnte daher nur die eigentumsmäßige Zuordnung des Westberliner S-Bahn-Vermögens zum Gegenstand haben. Dementsprechend kann Art. 26 Abs. 2 EV auch nur Verbindlichkeiten und Forderungen erfassen, die gerade mit diesem Vermögensrecht, also dem Eigentum, im Zusammenhang stehen. Das trifft für die vom Kläger getätigten Investitionen nicht zu. Sie kamen zwar auch dem Eigentum als wertsteigernde Maßnahmen zugute, bezogen sich aber unmittelbar auf die Betriebssphäre. Diese war seit 1984 dem Kläger zugeordnet, während das Eigentum rechtlich beim Deutschen Reich verblieben war und der alliierten Kontrolle unterlag.
Außerdem würde ein Verständnis des Art. 26 Abs. 2 EV, das den Schuldübergang ausschließlich an den Übergang des S-Bahn-Vermögens zum 3. Oktober 1990 knüpfen würde, eine sachlich nicht zu rechtfertigende Zäsur zwischen den vom Kläger zur Finanzierung seiner Investitionen aufgenommenen Schuldverpflichtungen bringen. Da Art. 26 Abs. 2 EV ausdrücklich auf den Beitrittszeitpunkt Bezug nimmt, wären Schuldverpflichtungen, die der Kläger nach diesem Zeitpunkt übernommen hat, nicht erfaßt. Da dem Kläger aber durch die Anlage zum Einigungsvertrag auch nach diesem Zeitpunkt noch die Investitionsverantwortung übertragen war, wäre nicht nachvollziehbar, warum der Schuldübergang die in diesem Rahmen entstandenen Verpflichtungen nicht erfassen sollte.
3.2 Diese Erwägungen können jedoch nicht zur Folge haben, daß die vom Kläger zur Finanzierung der Betriebsinvestitionen aufgenommenen Verbindlichkeiten aus dem Schuldübergang nach Art. 26 Abs. 2 EV gänzlich ausscheiden. Vielmehr erfaßt dieser Übergang in entsprechender Anwendung des Art. 26 Abs. 2 EV alle am 31. Dezember 1993 bestehenden Verbindlichkeiten des Klägers aus Investitionen in den S-Bahn-Betrieb. Das folgt insbesondere aus der Bestimmung in der Anlage zum Einigungsvertrag, daß Investitionsentscheidungen des Klägers, die finanziell über den 31. Dezember 1993 hinauswirken, im Einvernehmen mit der Deutschen Reichsbahn zu treffen seien. Die gravierendste Auswirkung einer Investitionsentscheidung, die über den Investitionszeitpunkt hinauswirkt, ist die Notwendigkeit ihrer Finanzierung. Die Einräumung eines Mitspracherechts der Reichsbahn bei Investitionsentscheidungen, die über den 31. Dezember 1993 finanziell hinauswirkten, muß sich daher insbesondere auf die Finanzierungsverantwortung für derartige Entscheidungen erstrecken. Das Mitspracherecht setzt daher voraus, daß die Finanzierungsverantwortung nach dem Stichtag des 31. Dezember 1993 auf den Beklagten übergehen sollte.
Vor diesem Hintergrund ist dem Art. 26 Abs. 2 EV der allgemeine Rechtsgedanke zu entnehmen, daß zugleich mit den Werten des Eisenbahnvermögens auch die daran anknüpfenden Belastungen übergehen sollten. Mit dem Übergang des Betriebsvermögens am 31. Dezember 1993 sollten demnach gleichzeitig die zu diesem Zeitpunkt bestehenden Schulden aufgrund der Investitionsmaßnahmen übergehen. Es wäre mit dem Gerechtigkeitsgedanken in der Tat schwer zu vereinbaren, daß der Nutzen der vom Kläger getätigten Betriebsinvestitionen mit dem 1. Januar 1994 auf den Beklagten übergehen, der Kläger aber gleichwohl mit den zur Durchführung dieser Investitionen aufgenommenen Verbindlichkeiten belastet bleiben sollte.
Art. 26 Abs. 2 EV ordnet zwar einen gesetzlichen Schuldübergang an. Da die Beklagte sich aber bisher geweigert hat, die sich daraus ergebende Verpflichtung anzuerkennen, ist das Freistellungsbegehren des Klägers durch die einigungsvertragliche Regelung gedeckt.
Die Höhe der den Kläger belastenden Darlehensverpflichtungen aus den Investitionsmaßnahmen ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten. Entsprechend dem Klagebegehren ist daher die Freistellungsverpflichtung in bezug auf 10 % der bei Klageerhebung noch offenen Darlehensschuld von 392 458 154,20 DM auszusprechen.
4. Darüber hinaus steht dem Kläger ein Zahlungsanspruch in Höhe der Beträge zu, die er nach dem 31. Dezember 1993 an Zinsen und Tilgung auf die Verbindlichkeiten erbracht hat, die zu dem genannten Zeitpunkt auf den Beklagten übergegangen waren. Grundlage hierfür ist das Institut des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs. Mit dem zuvor erörterten Schuldübergang in entsprechender Anwendung des Art. 26 Abs. 2 EV war die Verpflichtung zur Bedienung dieser Verbindlichkeiten auf den Beklagten übergegangen. Leistungen, die der Kläger danach noch erbrachte, befreiten den Beklagten in entsprechender Höhe von seiner Verpflichtung, ohne daß hierfür ein Rechtsgrund gegeben war. In entsprechender Höhe ist der Beklagte zur Erstattung verpflichtet.
Den vom Kläger vorgelegten Unterlagen, denen der Beklagte nicht widersprochen hat, ist zu entnehmen, daß der Kläger nach dem 31. Dezember 1993 auf die zur Investitionsfinanzierung aufgenommenen Bundesdarlehen 64 036 976 DM gezahlt hat. Darüber hinaus hat er für den Ausbau des Südrings in den Jahren 1994 und 1995 37 454 267,40 DM aufgewendet, obwohl auch diese Verbindlichkeit am 1. Januar 1994 auf den Beklagten in entsprechender Anwendung des Art. 26 Abs. 2 EV übergegangen war. Insgesamt ergibt sich daraus ein Erstattungsanspruch von 101 491 243,40 DM, von dem dem Kläger antragsgemäß ein erststelliger Teilbetrag von 10 % zuzusprechen ist.
Der Zinsanspruch des Klägers in Höhe von 4 % des Zahlungsbetrages ab Rechtshängigkeit ergibt sich aus § 291 BGB.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO.
Unterschriften
Prof. Dr. Driehaus, van Schewick, Dr. Borgs-Maciejewski, Kimmel, Dr. Brunn
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 16.12.1999 durch Riebe Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
BVerwGE, 180 |
NVwZ 2000, 915 |
VIZ 2000, 145 |
JA 2000, 647 |
LKV 2000, 109 |
LKV 2000, 302 |
NJ 2000, 329 |
NZV 2000, 477 |
VRS 2000, 298 |
DVBl. 2000, 1450 |