Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung eines Urteils, Feststellung von Abschiebungshindernissen, Umdeutung, Rechtskraftwirkung, (keine) Rechtskraftbindung bezüglich Vorfragen und Begründungselementen
Leitsatz (amtlich)
Hat das Verwaltungsgericht in einem rechtskräftig gewordenen Urteil die Abschiebungsandrohung teilweise aufgehoben, weil hinsichtlich des Abschiebezielstaats Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1, 2 oder 4 AuslG vorliegen, ohne das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zur Feststellung entsprechender Abschiebungshindernisse zu verpflichten, hindert die Rechtskraft dieser Entscheidung das Bundesamt nicht, später in einem neuen Verfahren festzustellen, dass keine Abschiebungshindernisse hinsichtlich dieses Staates vorliegen.
Normenkette
VwGO § 121; AsylVfG § 73 Abs. 3; AuslG § 53; VwVfG § 47
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Entscheidung vom 20.12.2000; Aktenzeichen 13 S 447/99) |
VG Sigmaringen (Entscheidung vom 12.11.1998; Aktenzeichen A 3 K 12180/98) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 20. Dezember 2000 und der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 12. November 1998 werden hinsichtlich der Kostenentscheidung und insoweit aufgehoben, als sie Ziffer 1 des Bescheids des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 16. Juni 1998 betreffen.
Insoweit wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt zwei Drittel der Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz und die Kosten des Revisionsverfahrens. Die Beklagte trägt ein Drittel der Kosten des Verfahrens erster Instanz, der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten ein Drittel der Kosten des Verfahrens zweiter Instanz.
Tatbestand
I.
Der 1963 geborene Kläger ist togoischer Staatsangehöriger. Er reiste 1993 nach Deutschland ein. Seinen Asylantrag lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 8. September 1994 ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen, und drohte ihm die Abschiebung nach Togo an.
Das Verwaltungsgericht hob mit rechtskräftig gewordenem Gerichtsbescheid vom 8. Mai 1995 den Ablehnungsbescheid des Bundesamts auf, soweit dem Kläger darin die Abschiebung nach Togo angedroht wurde, und wies die Klage im Übrigen ab. Zur Begründung führte es aus, der Kläger müsse im Falle seiner Abschiebung nach Togo eine menschenrechtswidrige Behandlung durch die dortigen Sicherheitskräfte befürchten, weil aus dem Ausland zurückkehrende Flüchtlinge generell als Regimegegner angesehen würden.
Mit Bescheid vom 16. Juni 1998 widerrief das Bundesamt die mit dem Gerichtsbescheid „getroffene Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 4 AuslG” und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Togo an. Den auf § 73 Abs. 3 AsylVfG gestützten Bescheid begründete es damit, dass aufgrund der derzeitigen Asylrechtsprechung sowie neuerer Auskünfte Abschiebungshindernisse für togoische Staatsangehörige allein wegen der Asylantragstellung oder der Mitgliedschaft bzw. einer untergeordneten Funktionärstätigkeit in einer Exilorganisation nicht mehr vorlägen.
Das Verwaltungsgericht hat den Widerrufsbescheid des Bundesamts mit der Begründung aufgehoben, dass nach Togo abgeschobene Asylbewerber nach wie vor eine unmenschliche Behandlung durch die staatlichen Behörden befürchten müssten.
Die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (Bundesbeauftragter) hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Der angefochtene Widerrufsbescheid sei rechtswidrig. Auf § 73 Abs. 3 AsylVfG könne der Widerruf nicht gestützt werden, da das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses rechtskräftig festgestellt habe. Der Widerruf könne auch nicht in eine Feststellung des Bundesamts umgedeutet werden, dass keine Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG hinsichtlich Togos vorliegen. Auch dem stehe die Rechtskraft des Gerichtsbescheids vom 8. Mai 1995 entgegen. Eine wesentliche Veränderung der Sachlage, die zu einer Befreiung von der Rechtskraftbindung führe, habe seitdem nicht stattgefunden. Bereits 1995 hätten togoische Asylbewerber wegen der Stellung eines Asylantrags in der Bundesrepublik Deutschland und ihres Auslandsaufenthalts selbst im Falle ihrer Abschiebung nach Togo eine menschenrechtswidrige Behandlung durch die dortigen Sicherheitskräfte nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten müssen. Daran habe sich seither nichts geändert.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Beklagten ist begründet. Gegenstand der Revision ist nur der Widerruf der Feststellung über das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt). Gegen die Aufhebung der Abschiebungsandrohung in diesem Bescheid hat die Beklagte keine Revision eingelegt.
Das Urteil des Berufungsgerichts verletzt revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Es misst dem Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts vom 8. Mai 1995 eine Bedeutung zu, die er nicht hat, und verkennt so Umfang und Reichweite seiner Rechtskraft. Das Berufungsgericht hat deshalb zu Unrecht die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (Bundesbeauftragter) gegen die Aufhebung des hier allein noch streitigen Teils des Widerrufsbescheids zurückgewiesen. Der Widerruf, der in die erneute Feststellung des Bundesamts umzudeuten ist, dass keine Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG hinsichtlich Togos vorliegen, erweist sich im Ergebnis als rechtmäßig.
Das Berufungsgericht hat den rechtskräftigen Gerichtsbescheid vom 8. Mai 1995 so verstanden, dass das Verwaltungsgericht damit das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 Satz 1 und Art. 3 EMRK habe ausdrücklich feststellen wollen (UA S. 9). Der Widerruf dieser Feststellung sei von vornherein unzulässig. Auch sei eine Umdeutung in die ein Abschiebungshindernis verneinende Neufeststellung wegen der entgegenstehenden Rechtskraftwirkung des Gerichtsbescheids nicht möglich. Der dieser Auffassung zugrunde liegenden Deutung des Gerichtsbescheids vermag der erkennende Senat nicht zu folgen. Das Berufungsgericht überschreitet damit die Grenzen der zulässigen Auslegung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat im Tenor des Gerichtsbescheids vom 8. Mai 1995 – was das Berufungsgericht auch nicht verkennt – nur die Androhung der Abschiebung nach Togo in dem angefochtenen Bescheid aufgehoben. Ein Abschiebungshindernis hat es dabei nicht festgestellt. Aus den Entscheidungsgründen des Gerichtsbescheids ergibt sich entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch nicht, dass das Verwaltungsgericht eine solche Feststellung hatte treffen wollen. Zwar hat es in den Entscheidungsgründen im Einzelnen ausgeführt, dass nach seiner Auffassung ein Abschiebungshindernis gemäß § 53 Abs. 4 AuslG hinsichtlich Togos zu Gunsten des Klägers bestehe. Dabei handelt es sich jedoch ersichtlich nur um die nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO gebotene Begründung für die Aufhebung der Abschiebungsandrohung. Denn aus diesem zwingenden Abschiebungshindernis folgt, dass die Abschiebungsandrohung insoweit rechtswidrig ist (§ 50 Abs. 3 Satz 3 AuslG). Dem Gerichtsbescheid lässt sich darüber hinaus kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass das Verwaltungsgericht selbst eine ausdrückliche Feststellung dieses Inhalts treffen wollte. Eine solche Deutung des Gerichtsbescheids verbietet sich insbesondere auch deshalb, weil das Verwaltungsgericht seit der Neufassung des § 113 Abs. 2 Satz 1 VwGO zum 1. Januar 1991 zu dieser Feststellung von vornherein nicht befugt gewesen wäre (vgl. Urteil vom 29. März 1996 – BVerwG 9 C 116.95 – Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 3 = DVBl 1996, 1257; Urteil vom 23. November 1999 – BVerwG 9 C 16.99 – BVerwGE 110, 111 ≪113≫). Es geht nicht an, einem Urteil ohne zwingenden Grund eine Bedeutung beizulegen, die zur Überschreitung der Kompetenzen des Gerichts führt. Zwar haben auch das Bundesamt in dem Widerrufsbescheid und das Verwaltungsgericht in dem hier angefochtenem Gerichtsbescheid erster Instanz eine eigene negative Feststellung des Verwaltungsgerichts zu § 53 Abs. 4 AuslG in dem rechtskräftigen Gerichtsbescheid vom 8. Mai 1995 gesehen. Dies ändert indes nichts daran, dass er zulässigerweise so nicht ausgelegt werden durfte.
Der Widerruf der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 4 AuslG durch den angefochtenen Bescheid des Bundesamts geht danach mangels einer solchen Feststellung im Gerichtsbescheid vom 8. Mai 1995 ins Leere. Er kann jedoch in die eigene, erneute Feststellung des Bundesamts umgedeutet werden, dass für den Kläger Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG hinsichtlich Togos nicht vorliegen. Ein fehlerhafter Verwaltungsakt kann gemäß § 47 Abs. 1 VwVfG in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden dürfen und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind unter diesen Voraussetzungen auch die Verwaltungsgerichte im Gerichtsverfahren ermächtigt, fehlerhafte Verwaltungsakte umzudeuten. Dies gilt auch im Revisionsverfahren, sofern die das Revisionsgericht bindenden tatrichterlichen Feststellungen (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO) ausreichen, den Beteiligten hierzu rechtliches Gehör gewährt worden ist und sie in ihrer Rechtsverteidigung hierdurch nicht beeinträchtigt sind (zu diesen Grundsätzen vgl. zuletzt BVerwG, Urteil vom 23. November 1999, a.a.O., S. 114 f. m.w.N.). Alle diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Die neuerliche Entscheidung zu § 53 AuslG ist auf das gleiche Ziel wie der fehlerhaft verfügte Widerruf, nämlich darauf gerichtet, mit Bindungswirkung für die zur Durchführung der Abschiebung berufene Ausländerbehörde festzustellen, dass einer etwa notwendig werdenden Vollstreckung der Ausreisepflicht keine zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1, 2, 4 und 6 AuslG (mehr) entgegenstehen. Einen Verwaltungsakt dieses Inhalts hätte das Bundesamt in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig erlassen können; insbesondere war es hierfür auch sachlich zuständig (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. November 1999, a.a.O., S. 115).
Der erneuten negativen Feststellung zu § 53 AuslG steht, anders als das Berufungsgericht meint, auch nicht die Rechtskraft des Gerichtsbescheids vom 8. Mai 1995 entgegen.
Die Rechtskraft eines Urteils verhindert in erster Linie, dass ein Streitgegenstand, über den bereits rechtskräftig entschieden worden ist, in einem weiteren Verfahren zwischen denselben Beteiligten erneut sachlich überprüft wird (Urteil vom 10. Mai 1994 – BVerwG 9 C 501.93 – BVerwGE 96, 24 ≪25≫). Der Anspruch auf Aufhebung der Abschiebungsandrohung, weil Abschiebungshindernisse hinsichtlich Togos bestehen, über den durch den Gerichtsbescheid vom 8. Mai 1995 entschieden wurde, ist aber nicht identisch mit dem hier in Streit stehenden Anspruch auf Aufhebung der durch einen neuen Verwaltungsakt des Bundesamts getroffenen negativen Feststellung zu § 53 AuslG. Ein rechtskräftiges Urteil entfaltet allerdings nach § 121 VwGO Bindungswirkung in Folgeverfahren auch bei fehlender Identität des Streitgegenstandes. Danach tritt eine Bindung auch in den Fällen ein, in denen die rechtskräftige Zuerkennung oder Aberkennung eines prozessualen Anspruchs für einen anderen zwischen denselben Beteiligten streitigen prozessualen Anspruch vorgreiflich ist (stRspr; für Anfechtungsklagen Urteil vom 30. August 1962 – BVerwG 1 C 162.58 – BVerwGE 14, 359 ≪362 f.≫; Urteil vom 16. Juli 1963 – BVerwG 7 C 96.62 – BVerwGE 16, 224 ≪226≫; Urteil vom 8. Dezember 1992 – BVerwG 1 C 12.92 – BVerwGE 91, 256 ≪258≫; Urteil vom 10. Mai 1994, a.a.O., S. 26; vgl. auch Clausing, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 121 Rn. 26, 59, 81; entsprechend zur Verpflichtungsklage Urteil vom 24. November 1998 – BVerwG 9 C 53.97 – BVerwGE 108, 30 ≪33≫ und zur Feststellungsklage Urteil vom 23. November 1999 – BVerwG 9 C 16.99 – BVerwGE 110, 111 ≪116≫).
Die Rechtskraft des Gerichtsbescheids vom 8. Mai 1995 hindert deshalb das Bundesamt, bei unveränderter Sachlage eine neue Androhung der Abschiebung nach Togo zu erlassen. Nicht rechtskräftig entschieden durch den Gerichtsbescheid ist hingegen die für den hier zur Entscheidung stehenden Streit vorgreifliche Frage, ob Abschiebungshindernisse der Abschiebung des Klägers nach Togo entgegenstehen. Dass zu Gunsten des Klägers ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG hinsichtlich Togos vorliegt, ist nämlich nicht Gegenstand des prozessualen Anspruchs, über den durch den Gerichtsbescheid rechtskräftig entschieden worden ist, sondern lediglich Begründungselement und Vorfrage der Entscheidung über den Anspruch auf Aufhebung der Abschiebungsandrohung. Auf solche einzelnen Urteilselemente erstreckt sich die Rechtskraftwirkung des § 121 VwGO nicht. Sie erfasst also nicht die tatsächlichen Feststellungen, die Feststellungen einzelner Tatbestandsmerkmale, die der Entscheidung zugrunde liegenden vorgreiflichen Rechtsverhältnisse, sonstige Vorfragen sowie die Schlussfolgerungen, auch wenn diese für die Entscheidung tragend gewesen sind (stRspr; vgl. insbesondere das Urteil des 9. Senats des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Mai 1994, a.a.O., S. 26 f. mit Nachweisen zur entsprechenden zivilprozessualen Rechtsprechung; ferner Urteil vom 13. Mai 1993 – BVerwG 9 C 44.92 – DÖV 1993, 1094; Beschluss vom 15. Dezember 1977 – BVerwG 3 B 91.76 – Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 40; Beschluss vom 18. September 1973 – BVerwG 4 B 136.73 – Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 38 sowie Rennert, in: Eyermann, VwGO, 11. Aufl. 2000, § 121 Rn. 12, 20; Clausing, a.a.O., § 121 Rn. 24 ff.; vgl. allerdings auch zu Besonderheiten im Baurecht Urteil vom 6. Juni 1975 – BVerwG 4 C 15.73 – BVerwGE 48, 271 ≪275 f.≫; Beschluss vom 1. April 1971 – BVerwG 4 B 95.69 – Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 33 sowie zum Vermögensrecht Beschluss vom 11. November 1998 – BVerwG 8 B 218.98 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 164).
Der Senat verkennt nicht, dass es sich bei der Entscheidung des Verwaltungsgerichts über das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG für den stattgebenden Teil des Gerichtsbescheids vom 8. Mai 1995 um die zentrale Begründung in Form eines umfassenden Subsumtionsschlusses unter den festgestellten Lebenssachverhalt und nicht etwa nur um eine punktuelle Aussage zur Auslegung einer einzelnen Rechtsfrage handelt. Dies ändert jedoch nichts daran, dass sie nur ein vorgreifliches Rechtsverhältnis für den streitgegenständlichen Anspruch auf Aufhebung der Abschiebungsandrohung betrifft. Das Gesetz lässt es nicht zu, die Rechtskraft des Gerichtsbescheids auch hierauf zu erstrecken. Die Rechtskraftwirkung ist in § 121 VwGO in ihrer sachlichen Reichweite bewusst eng auf die Entscheidung über den Streitgegenstand begrenzt (zum entsprechend ausgestalteten § 322 ZPO vgl. Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl. 1998, § 322 Rn. 74 ff., insbesondere Rn. 80 a; Gottwald, in: Münchner Kommentar zur ZPO, 2. Aufl. 2000 § 322 Rn. 48 f.). Nur in diesem Umfang soll sie die Beteiligten des Vorprozesses auch in Folgeverfahren binden und so im Interesse des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit ≪wie auch zur Wahrung der Autorität der getroffenen Gerichtsentscheidung≫ unterschiedliche Ergebnisse zu der aus einem festgestellten Tatbestand hergeleiteten Rechtsfolge vermeiden (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 1998, a.a.O., S. 33). Eine Ausdehnung der Rechtskraftwirkung auf vorgreifliche Rechtsverhältnisse brächte für die Beteiligten des Vorprozesses die Gefahr einer unvorhergesehenen Rechtskraftbindung an die einzelnen Entscheidungselemente mit sich und erhöhte die ohnehin bestehenden Schwierigkeiten der Abgrenzung zwischen dem rechtskräftig entschiedenen Streitgegenstand und der nicht präjudizierten Vorfrage, insbesondere auch bei Mehrfachbegründungen für die rechtskräftig gewordene Entscheidung (vgl. hierzu Clausing, a.a.O., § 121 Rn. 24; Rennert, a.a.O., § 121 Rn. 12; ders., VBlBW 1993, 281 ≪283 f.≫). Zudem wird die Begrenzung der Rechtskraftwirkung auf den entschiedenen Streitgegenstand dem gerade im öffentlichen Recht vielfach in besonderem Maße bestehenden Bedürfnis gerecht, flexibel auf sich ändernde Verhältnisse, aber auch bei als unrichtig erkannten Vorentscheidungen reagieren zu können. Wollen sich die Beteiligten hingegen das Ergebnis der gerichtlichen Entscheidung über eine Vorfrage sichern, steht ihnen dafür die Zwischenfeststellungsklage (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 256 Abs. 2 ZPO) zur Verfügung. Dieses Bedürfnis dürfte allerdings bei Asylklagen in Bezug auf das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG ohnehin nicht mehr entstehen, seitdem höchstrichterlich geklärt ist, dass Gegenstand der Klage des beim Bundesamt erfolglosen Asylbewerbers regelmäßig nachrangig auch der Anspruch auf Verpflichtung des Bundesamts zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 1, 2 und 4 AuslG (und auf teilweise Aufhebung der Abschiebungsandrohung) sowie weiter hilfsweise auf Verpflichtung zur Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG ist (stRspr; vgl. Beschluss vom 12. August 1999 – BVerwG 9 B 268.99 – Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 19 und Urteil vom 28. April 1998 – BVerwG 9 C 2.98 – ≪juris≫).
Auch die inhaltlichen Voraussetzungen für den in die negative Feststellung über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG hinsichtlich Togos umgedeuteten Bescheid des Bundesamts liegen vor. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, die weder von der Beklagten mit Revisionsgründen noch vom Kläger mit einer Gegenrüge (vgl. dazu Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 16. März 1976 – GmS-OGB 1.75 – BVerwGE 50, 369 ≪375≫; Urteil vom 15. Dezember 1983 – BVerwG 5 C 26.83 – BVerwGE 68, 290 ≪296 f.≫) angegriffen und damit für den Senat bindend sind (§ 137 Abs. 2 VwGO), drohte dem Kläger zu dem nach § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht im Falle seiner Abschiebung nach Togo nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Behandlung, die Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1, 2, 4 und 6 AuslG begründet (UA S. 13, 15, 30 bis 53). Die dieser Annahme des Berufungsgerichts zugrunde liegende tatrichterliche Würdigung der festgestellten Verhältnisse in Togo und die rechtliche Subsumtion unter § 53 AuslG sind aus revisionsgerichtlicher Sicht nicht zu beanstanden und werden von den Beteiligten auch nicht angegriffen. Dass das Berufungsgericht die hierfür maßgeblichen Feststellungen und seine dazu vorgenommene tatrichterliche Würdigung zur Begründung seiner Auffassung getroffen hat, die maßgeblichen Verhältnisse in Togo hätten sich seit Ergehen des rechtskräftigen Gerichtsbescheids vom 8. Mai 1995 nicht wesentlich geändert, hindert den Senat nicht, sie als Grundlage einer negativen Feststellung zu § 53 AuslG heranzuziehen, denn sie tragen diese Feststellung in vollem Umfang.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 83 b Abs. 2 AsylVfG.
Unterschriften
Dr. Paetow, Dr. Mallmann, Richter, Beck, Dr. Eichberger
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 18.09.2001 durch Battiege Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
BVerwGE, 111 |
ZAR 2002, 35 |
DVBl. 2002, 340 |