Entscheidungsstichwort (Thema)
Erteilung des Vertriebenenausweises an den nichtdeutschen Ehegatten. zur Erstreckung der Bindung an bestandskräftige Ablehnung bzw. Rechtskraft eines klageabweisenden verwaltungsgerichtlichen Urteils gegen den anderen Ehegatten
Leitsatz (amtlich)
Der Statuserwerb eines nichtdeutschen Ehegatten nach § 1 Abs. 3 BVFG ist von einem nach § 1 Abs. 1, 2 BVFG entstandenen Vertriebenenstatus des anderen Ehegatten abhängig und setzt die deutsche Volkszugehörigkeit und Vertreibung des anderen Ehegatten voraus (im Anschluss an BVerwGE 84, 23).
Normenkette
BVFG (F. 1991) § 1 Abs. 2 Nr. 3; BVFG (F. 1991) § 1 Abs. 3; BVFG (F. 1991) § 7
Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 07.05.2001; Aktenzeichen 24 B 99.2599) |
VG München (Entscheidung vom 09.07.1999; Aktenzeichen 28 K 98.3684 u.a.) |
Tenor
Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. Mai 2001 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Der Kläger begehrt die Erteilung eines Vertriebenenausweises A gemäß § 1 Abs. 3 BVFG a.F.
Der Kläger ist litauischer Volkszugehöriger. Seit 1981 ist er mit der am 13. März 1962 in Kaunas geborenen J.…Z.…, geborene P.…, verheiratet. Die Eheleute sind am 17. Dezember 1992 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und haben am 30. Dezember 1992 Anträge auf Ausstellung eines Vertriebenenausweises gestellt, der Kläger als Ehemann einer Vertriebenen auf einen Vertriebenenausweis A nach § 1 Abs. 3 BVFG a.F.
Die Ehefrau des Klägers gab in ihrem Antrag an, ihr Vater sei litauischer Volkszugehöriger, ihre Mutter deutsche Volkszugehörige mit Deutsch als Muttersprache; sie selbst habe Deutsch als Muttersprache gesprochen, die Umgangssprache in der Familie sei Litauisch gewesen. Bei Volkszählungen habe sie ihre Nationalität mit litauisch angegeben. Die Mutter der Ehefrau gab an, sie habe bis 1944 ihren ständigen Aufenthalt in Ostpreußen gehabt und bis 1945 die deutsche Staatsbürgerschaft besessen. Im Sommer 1944 sei sie vor den Russen nach Tilsit geflüchtet, von dort nach Litauen verschleppt und im Herbst 1944 nach Friedland (Schlesien) ausgesiedelt worden. Kurz vor Einmarsch der Russen sei sie zurück nach Wilkischken (der Ort liegt in dem nach dem ersten Weltkrieg litauisch gewordenen Memelland, welches zwischen 1939 und 1945 wieder deutsch war) gegangen und 1961 nach Kaunas gezogen. Die Mutter hat einen im Jahre 1988 ausgestellten Vertriebenenausweis A.
Nach Ablehnung des Antrages der Ehefrau durch das Landratsamt (Bescheid vom 28. März 1994) stellte die Regierung von Oberbayern fest, dass die Ehefrau als Nachgeborene einer Umsiedlerin gemäß § 7 BVFG a.F. einen Anspruch auf Ausstellung eines Vertriebenenausweises habe; der weitergehende Widerspruch, soweit damit die Anerkennung als Aussiedlerin nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG a.F. begehrt wurde, wurde zurückgewiesen, da die Ehefrau des Klägers keine deutsche Volkszugehörige sei. Sie erhielt am 6. August 1998 einen Vertriebenenausweis A mit dem Vermerk “Ausweisinhaberin ist Vertriebene gemäß § 7 BVFG a.F. als nach der Vertreibung geborenes Kind mit nichtdeutscher Volkszugehörigkeit”.
Die Klage der Ehefrau mit dem Antrag, ihr einen Vertriebenenausweis A als Aussiedlerin gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG a.F. auszustellen, wurde vom Verwaltungsgericht als unzulässig abgewiesen, weil ihr der Vertriebenenausweis A bereits nach § 7 i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 2 BVFG a.F. ausgestellt worden sei; ein Rechtsschutzbedürfnis für das weitergehende Begehren, einen Vertriebenenausweis als Aussiedlerin gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG a.F. zu erhalten, bestehe nicht, weil das Gesetz bezüglich der Ausstellung des Ausweises A nicht nach der dafür maßgeblichen Rechtsgrundlage unterscheide (Urteil vom 9. Juli 1999). Das Urteil ist, soweit es die Ehefrau des Klägers betrifft, rechtskräftig geworden.
Die vom Kläger nach Ablehnung seines Antrages und erfolglosem Widerspruch (Bescheid vom 28. April 1994, Widerspruchsbescheid vom 29. Mai 1998) erhobene Klage mit dem Antrag, den Beklagten zur Erteilung eines Vertriebenenausweises A gemäß § 1 Abs. 3 BVFG a.F. zu verpflichten, hat vor dem Verwaltungsgericht Erfolg gehabt. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 BVFG a.F. seien erfüllt, da die Ehefrau des Klägers nach §§ 7, 1 Abs. 2 Nr. 2 BVFG a.F. als Vertriebene anerkannt sei und der Kläger seinen Wohnsitz im Vertreibungsgebiet verloren habe. Dass die Ehefrau den Vertriebenenstatus nicht als deutsche Staatsangehörige oder deutsche Volkszugehörige, sondern im Wege der Überleitung von ihrer Mutter erworben habe, stehe dem Anspruch nicht entgegen.
Der Verwaltungsgerichtshof dagegen hat die Klage auf die Berufung des Beklagten unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils abgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt:
Gemäß § 100 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BVFG sei das Bundesvertriebenengesetz in der Fassung vom 3. September 1971 anzuwenden, da der Kläger den Antrag auf Ausstellung eines Ausweises nach § 15 BVFG a.F. vor dem 1. Januar 1993 gestellt habe. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 BVFG a.F. lägen nicht vor, da die Ehefrau des Klägers kein Vertreibungsschicksal erlitten habe und demzufolge auch der Kläger von keiner Vertreibung seiner Ehefrau betroffen gewesen sei. Nach rechtskräftiger Abweisung der Klage der Ehefrau sei ihr Status bestandskräftig mit Bescheid vom 28. März 1994 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 1998 geklärt; danach sei sie keine Aussiedlerin im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG a.F. aus eigenem Recht, sondern habe – ohne selbst deutsche Staatsangehörige oder deutsche Volkszugehörige zu sein – seit ihrer Geburt aufgrund von § 7 BVFG a.F. die Vertriebeneneigenschaft der Mutter erworben. § 1 Abs. 3 BVFG a.F. knüpfe, wie sich bereits aus der systematischen Stellung ergebe, an die Vertriebeneneigenschaft des Ehegatten nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 bis 6 BVFG a.F. und damit daran an, dass der Ehegatte deutscher Staatsangehöriger oder deutscher Volkszugehöriger sei; gerade diese Voraussetzung erfülle die Ehefrau des Klägers jedoch nicht. Dementsprechend habe sie auch kein eigenes Verfolgungsschicksal erlitten, das der Kläger geteilt habe und das den inneren Grund für die Regelung in § 1 Abs. 3 BVFG a.F. darstelle. Diese Bestimmung verlange nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein eigenes – tatsächliches – Vertreibungsschicksal des deutschen Ehegatten und sei daher nicht auf Vertriebene anwendbar, die ihren Status ohne eigenes Vertreibungsschicksal nach § 1 Abs. 2 Nr. 2, § 7 BVFG a.F. erworben hätten. Der Vertriebenenstatus der Bezugsperson müsse originär erworben sein; denn § 1 Abs. 3 BVFG a.F. knüpfe nicht allein an den Status der Bezugsperson des Ausweisbewerbers an, sondern an das Vertreibungsschicksal dieser Bezugsperson. Eine Auslegung, welche lediglich den formalen Vertriebenenstatus der Bezugsperson genügen lasse, ließe unberücksichtigt, dass ein sachlicher Grund für die an den Vertriebenenstatus geknüpfte gesetzliche Vergünstigung fehle, wenn weder bei der Bezugsperson noch bei dessen Ehegatten bei der Ausreise ein Vertreibungsdruck vorgelegen habe. Bei der Entscheidung, 1992 ins Bundesgebiet überzusiedeln, könne die Ehefrau des Klägers als litauische Staatsangehörige und Volkszugehörige unter keinem Vertreibungsdruck gestanden haben. Infolge dessen habe es auch beim Kläger keinen Gewissenskonflikt gegeben, weil er 1992 ein Vertreibungsschicksal seiner Ehefrau hätte teilen müssen.
Der Ausschluss des streitgegenständlichen Anspruchs ergebe sich unmittelbar aus §§ 7, 8 BVFG a.F. Die Ehefrau des Klägers habe als “nach der Vertreibung geborenes Kind” ihre Vertriebeneneigenschaft im Zeitpunkt der Geburt erworben (§ 7 Satz 1 BVFG a.F.) Damit habe der Gesetzgeber eindeutig klargestellt, dass es sich bei der Vertreibung um einen vor der Geburt des Begünstigten liegenden Vorgang gehandelt habe. Ergänzend bestimme § 8 BVFG a.F., dass durch Heirat oder Annahme an Kindes statt “nach der Vertreibung” die Eigenschaft als Vertriebener nicht erworben werden könne. Der Begriff “nach der Vertreibung” sei in beiden Bestimmungen identisch. Da die Ehefrau des Klägers ihren abgeleiteten Status erst “nach der Vertreibung” im Zeitpunkt ihrer Geburt (1962) erworben habe und die Eheschließung erst 1981 erfolgt sei, sei der Anspruch des Klägers ausgeschlossen.
Mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 1 Abs. 3 BVFG a.F. und macht geltend, das Berufungsgericht hätte – anders als auf der Grundlage seiner anderen Rechtsansicht zu § 1 Abs. 3 BVFG a.F. das Verwaltungsgericht – die unter Beweisantritten geltend gemachte deutsche Volkszugehörigkeit der Ehefrau des Klägers prüfen müssen und insoweit nicht bloß auf die Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils betreffend die Ehefrau verweisen dürfen, in welchem diese Frage gerade nicht geklärt worden sei.
Der Beklagte unterstützt die Auffassung des Berufungsgerichts.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Klägers ist begründet. Das angefochtene Berufungsurteil verletzt Bundesrecht. Das führt zur Aufhebung der Entscheidung und mangels Entscheidungsreife zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass für den vor dem 1. Januar 1993 gestellten Antrag des Klägers auf Ausstellung eines Ausweises nach § 15 BVFG a.F. gemäß § 100 Abs. 1 und 2 Satz 1 BVFG das Bundesvertriebenengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. September 1971 (BGBl I S. 1565, ber. S. 1807), zuletzt geändert durch Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes vom 20. Dezember 1991 ≪BGBl I S. 2317≫) anzuwenden ist.
Zutreffend ist auch die Auslegung des § 1 Abs. 3 BVFG a.F. durch die Vorinstanz. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts setzt ein Statuserwerb nach dieser Vorschrift ein Vertreibungsschicksal des Ehegatten des nicht deutschen Volkszugehörigen voraus (vgl. Urteil vom 10. November 1976 – BVerwG 8 C 92.75 – BVerwGE 51, 298 ≪302≫) und ist damit in dessen Person vom Vorliegen eines nach § 1 Abs. 1 und 2 BVFG entstandenen Vertriebenenstatus abhängig (Urteil vom 17. Oktober 1989 – BVerwG 9 C 26.89 – BVerwGE 84, 23 ≪25 f.≫). Der nichtdeutsche Ehegatte muss als Ehegatte eines vertriebenen Volksdeutschen Aufnahme gefunden haben, der im Zustand der Vertreibung in die Bundesrepublik Deutschland gelangt ist (Urteil vom 12. Mai 1992 – BVerwG 1 C 37.90 – BVerwGE 90, 181 ≪183≫), und die Vertreibung muss eine wesentliche Ursache für die Aufnahme gewesen sein (ebd. S. 184); bei dem nichtdeutschen Ehegatten erfordert der kausale Zusammenhang zwischen seiner Eigenschaft als Ehegatte eines “vertriebenen Volksdeutschen” und seiner Aufnahme in Deutschland, dass er im “Konflikt zwischen Heimat und Ehe” letzterer den Vorrang eingeräumt hat (ebd. S. 185).
Fehlerhaft ist jedoch – ebenfalls auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – die Ansicht des Berufungsgerichts, der Kläger müsse sich entgegenhalten lassen, dass der Status seiner Ehefrau nach rechtskräftiger Abweisung ihrer Klage bestandskäftig in dem Sinne geklärt sei, dass sie keine Aussiedlerin aus eigenem Recht nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG sei. Während § 1 Abs. 3 BVFG a.F. die Feststellungswirkung einer Statusanerkennung im Wege der Erteilung eines Vertriebenenausweises kraft Gesetzes auf den nichtdeutschen Ehegatten erstreckt (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 1987 – BVerwG 9 C 255.86 – ≪Buchholz 412.3 § 18 BVFG Nr. 11 m.w.N.≫), besteht eine negative Feststellungswirkung einer ablehnenden Entscheidung betreffend den (angeblich deutschen) Ehegatten auf das Verfahren des nichtdeutschen Ehegatten nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht, da dies zu einer Beeinträchtigung der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG im Verfahren des den Vertriebenenausweis nach § 1 Abs. 3 BVFG begehrenden Ehegatten führen würde; die Vertriebeneneigenschaft des (angeblich deutschen) Ehegatten erweist sich damit im Verfahren des nichtdeutschen Ehegatten lediglich als eine präjudizielle Vorfrage, deren rechtskräftige Entscheidung nur in einem – weiteren – Verfahren zwischen denselben Beteiligten bindend sein kann (vgl. Urteile vom 13. Mai 1993 – BVerwG 9 C 44.92 – ≪Buchholz 412.3 § 1 BVFG Nr. 49≫ und vom 12. Dezember 1995 – BVerwG 9 C 113.95 – ≪BVerwGE 100 ≪139≫). Zu Recht macht daher die Revision geltend, dass das Berufungsgericht die deutsche Volkszugehörigkeit der Ehefrau des Klägers, auf die es nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts nicht ankam, und deren Vertreibung auf der Grundlage seiner entgegengesetzten Rechtsauffassung zu § 1 Abs. 3 BVFG a.F. hätte klären müssen. Insoweit müssen die notwendigen tatsächlichen Feststellungen noch getroffen werden.
Dies führt zur Aufhebung und mangels Entscheidungsreife zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an die Vorinstanz (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Unterschriften
Dr. Säcker, Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke, Prof. Dr. Berlit
Fundstellen