Entscheidungsstichwort (Thema)
Redlicher Erwerb. Kauf durch den Bürgermeister als Organ des staatlichen Verwalters. Zuständigkeiten des staatlichen Verwalters einerseits und des Rats des Kreises andererseits. Erkundigungsverpflichtung des staatlichen Verwalters nach dem Vorliegen der Verkaufsvoraussetzungen. verschärfter Redlichkeitsmaßstab für Bürgermeister. ordnungsgemäße Verwaltungspraxis bei rechtswidrigen internen Anweisungen
Leitsatz (amtlich)
1. Eine offensichtlich rechtswidrige, auf internen Anweisungen beruhende Verwaltungsübung, die in bewusster Abkehr vom DDR-Recht und in diskriminierender Absicht den Zugriff auf Vermögenswerte von „Republikflüchtlingen” erleichtern soll – hier bewusster Verzicht auf die gesetzlichen Verkaufsvoraussetzungen nach § 1 Abs. 2 der Verwalter-Verordnung – ist keine ordnungsgemäße Verwaltungspraxis im Sinne von § 4 Abs. 3 Buchst. a VermG.
2. Angesichts der strikten Abgrenzung und Abschottung der Zuständigkeiten des staatlichen Verwalters als eines bloßen Ausführungsorgans und des Rats des Kreises als rechtlicher Prüfungsinstanz bei dem Verkauf zwangsverwalteter Grundstücke trifft einen Erwerber, der zugleich Organ des staatlichen Verwalters ist, keine Verpflichtung, sich danach zu erkundigen, ob die Voraussetzungen der zweiten Alternative des § 1 Abs. 2 der Verwalter-Verordnung – keine anderweitige Befriedigungsmöglichkeit offener Forderungen – tatsächlich vorgelegen haben.
Normenkette
VermG § 4 Abs. 3 Buchst. a; VerwalterVO vom 11. Dezember 1968 § 1 Abs. 2
Verfahrensgang
VG Gera (Entscheidung vom 13.01.1999; Aktenzeichen 2 K 706/95 GE) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Gera vom 13. Januar 1999 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Der Kläger, der im November 1947 das Gebiet der späteren DDR verließ, begehrt die Rückübertragung des Grundstücks H. 124 b in L. nach den Vorschriften des Vermögensgesetzes. Das 838 m² große, mit einem Wohnhaus bebaute Grundstück stand seit 1935 im Eigentum der Eltern des Klägers, die dieser im Jahre 1963 beerbte. Die damals noch unverheiratete Beigeladene bewohnte das Haus seit 1962 zunächst als Mieterin; der Beigeladene war seinerzeit stellvertretender Bürgermeister der Gemeinde. Auf Anregung des Rats der Gemeinde ordnete das zuständige staatliche Notariat im August 1964 eine Nachlasspflegschaft für das streitige Grundstück an; der Kläger stand mit dem Nachlasspfleger im schriftlichen Kontakt und bat ihn, zunächst das Grundstück für ihn weiter zu verwalten. Dabei blieb es bis zur Beendigung der privaten Verwaltung im September 1968 durch den ursprünglich bestellten Nachlasspfleger. Auf Ersuchen des Rats des Kreises N. wurde in der Folgezeit im Juni 1972 im Grundbuch der Vermerk über die staatliche Verwaltung des Grundstücks durch die Gemeinde L. nach der Verwalterverordnung vom 11. Dezember 1968 eingetragen.
Im Dezember 1973 beantragten die seit September 1973 miteinander verheirateten Beigeladenen beim Rat des Kreises den Kauf des Hauses. Dieser befürwortete den Antrag und bat unter Erwähnung der Amtsstellung des Beigeladenen, der inzwischen Bürgermeister der Gemeinde L. geworden war, den Rat des Bezirks im März 1974 um Entscheidung. Dieser stimmte mit Schreiben vom 26. Juni 1974 „ausnahmsweise” zu. Mit Kaufvertrag vom 11. Dezember 1974 erwarben die Beigeladenen das Grundstück für 14 600 M; dieser Preis entsprach der amtlichen Taxe. Der Einheitswert des Grundstücks betrug 8 700 M. Bei dem Verkauf trat für die Gemeinde als den staatlichen Verwalter anstelle des Beigeladenen die stellvertretende Bürgermeisterin auf. Die Grundstücksverkehrsgenehmigung wurde am 10. April 1975 erteilt. Die Beigeladenen sind im Grundbuch eingetragen.
Den Restitutionsantrag des Klägers lehnte das zuständige Amt zur Regelung offener Vermögensfragen mit Bescheid vom 28. September 1992 ab, weil die Beigeladenen das Grundstück redlich erworben hätten. Mit der gleichen Begründung wurde auch sein Widerspruch zurückgewiesen. Auf die Klage hat das Verwaltungsgericht Gera nach Durchführung einer Beweisaufnahme, bei der frühere Mitarbeiter der Räte des Kreises und des Bezirks sowie die ehemalige stellvertretende Bürgermeisterin der Gemeinde über das Zustandekommen des Kaufvertrages vernommen worden sind, mit Urteil vom 13. Januar 1999 die angefochtenen Bescheide aufgehoben und den Beklagten zur Rückübertragung des Grundstücks an den Kläger verpflichtet. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger sei Berechtigter im Sinne des Vermögensgesetzes. Der Rückübertragung des Grundstücks stehe § 4 Abs. 2 VermG nicht entgegen, denn die Beigeladenen hätten das Grundstück nicht zur Überzeugung des Gerichts redlich erworben; verbleibende Zweifel gingen zu ihren Lasten, weil greifbare Anhaltspunkte für die Unredlichkeit des Erwerbs bestünden. Der Verkauf beruhe auf einem objektiv manipulativen Rechtsverstoß, weil die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 der Verwalterverordnung offensichtlich nicht vorgelegen hätten. Das Grundstück sei weder überschuldet gewesen, noch hätten Forderungen bestanden, die anderweitig nicht zu befriedigen gewesen wären. Die einzige – geringfügige – offene Forderung hätte ohne weiteres aus einem Bankguthaben des Klägers beglichen werden können. Diese Verrechnungsmöglichkeit sei durch die Anweisung Nr. 13/68 vom 11. Dezember 1968 nicht ausgeschlossen gewesen. Soweit nach den glaubhaften Aussagen der Zeugin E. interne gegenteilige Anweisungen bestanden hätten, stelle diese rechtswidrige Verwaltungspraxis als Umgehung der maßgeblichen DDR-Vorschriften keine ordnungsgemäße Verwaltungspraxis im Sinne von § 4 Abs. 3 Buchst. a VermG dar. Daneben bestünden weitere Anhaltspunkte – nämlich die rasche Initiative zum Kauf durch den Beigeladenen, die zügige Abwicklung der Veräußerung, die besondere Herausstellung der Amtsstellung des Beigeladenen in dem Schreiben des Rats des Kreises vom März 1974 und die nur „ausnahmsweise” Zustimmung des Rats des Bezirks – für den objektiv manipulativen Charakter des Erwerbs. Es gebe auch Anhaltspunkte dafür, dass die Beigeladenen die illegitime Bevorzugung hätten erkennen müssen. Der Beigeladene als Hauptfunktionär des staatlichen Verwalters habe exakte Kenntnis der rechtlichen Voraussetzungen für einen Verkauf des verwalteten Grundstücks gehabt; seine Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis sei seiner Ehefrau zuzurechnen. Zwar habe der Beigeladene keinen Einblick in die Vermögensverhältnisse des Klägers gehabt, weil die Vermögensverzeichnisse bei dem Rat des Kreises geführt würden. Für ihn als den mit der Durchführung der Verwalterverordnung betrauten Bürgermeister müsse jedoch anders als für einen „Normalbürger” ein strengerer Redlichkeitsmaßstab gelten. Da er von der fehlenden Überschuldung des Grundstücks positiv gewusst habe, hätte er sich ausdrücklich vergewissern müssen, ob die zweite gesetzliche Verkaufsalternative des § 1 Abs. 2 der Verwalterverordnung eingreife; um eine Aufklärung insoweit habe er sich indessen nicht bemüht.
Mit der Revision rügen die Beigeladenen die Verletzung materiellen Rechts und berufen sich insbesondere auf die durch die Beweisaufnahme erwiesene, von § 1 Abs. 2 der Verwalterverordnung abweichende Verwaltungspraxis.
Die Beigeladenen beantragen,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Gera vom 13. Januar 1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Der Beklagte und der Oberbundesanwalt treten den Revisionsführern bei.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Beigeladenen ist begründet. Das angegriffene Urteil steht nicht im Einklang mit Bundesrecht. Da mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen eine abschließende Entscheidung nicht möglich ist, muss die Sache an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen werden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Streitgegenstand der Revision ist allein die Frage, ob die Rückübertragung gemäß § 4 Abs. 2 und 3 VermG ausgeschlossen ist. Das Verwaltungsgericht hat dies unter Verletzung von Bundesrecht verneint. Zwar haben die Beigeladenen das streitige Grundstück unter Verstoß gegen die Rechtsordnung der DDR erworben (1.). Die getroffenen Feststellungen tragen jedoch nicht die Annahme des Verwaltungsgerichts, dieser Rechtsverstoß sei den Beigeladenen bekannt oder fahrlässig unbekannt gewesen; die Voraussetzungen für eine Beweislastentscheidung zu ihren Lasten lagen ebenfalls nicht vor (2.). Das Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen gemäß § 144 Abs. 4 VwGO als im Ergebnis richtig (3.).
1. Ohne Rechtsverstoß ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Verkauf des Grundstücks gegen § 1 Abs. 2 der Verordnung über die Rechte und Pflichten des Verwalters des Vermögens von Eigentümern, die die Deutsche Demokratische Republik ungesetzlich verlassen haben …, vom 11. Dezember 1968 (GBl-DDR 1969 II, S. 1) – VerwalterVO – verstoßen hat. Der Rechtserwerb stand damit objektiv nicht in Einklang mit der DDR-Rechtsordnung (§ 4 Abs. 3 Buchst. a VermG).
a) Nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts lagen weder die erste noch die zweite Verkaufsalternative des § 1 Abs. 2 VerwalterVO vor. Das Grundstück mit einem Einheitswert von 8 700 M war nicht mit dinglichen Rechten belastet, so dass die Überschuldung als Rechtfertigung für den Verkauf ausschied. Es gab auch keine offenen Forderungen, die auf andere Weise als durch den Verkauf des Grundstücks nicht zu befriedigen waren. Das Verwaltungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise unter Auslegung des DDR-Rechts dargelegt, dass die relativ geringe Forderung der Beigeladenen zu 2 aus dem erheblich höheren Bankguthaben des Klägers hätte beglichen werden können und dies durch die Anweisung Nr. 13/68 des DDR-Ministeriums der Finanzen über die Führung von Vermögensverzeichnissen für das durch staatliche Treuhänder verwaltete Vermögen … nicht ausgeschlossen war.
b) Der darin liegende objektive Rechtsverstoß wird auch nicht dadurch beseitigt, dass nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts eine auf internen Anweisungen beruhende ständige Praxis bestanden hat, derartige Verrechnungsmöglichkeiten bei Republikfluchtfällen nicht in Anspruch zu nehmen und den Grundstücksverkauf dadurch nicht abzuwenden. Eine derartig gegen Rechtsvorschriften der DDR verstoßende Verwaltungspraxis ist keine ordnungsgemäße Verwaltungspraxis im Sinne von § 4 Abs. 3 Buchst. a VermG. Sie kann damit kein objektivrechtlicher Maßstab für die Redlichkeitsbeurteilung gemäß § 4 Abs. 3 Buchst. a VermG sein. Zwar ist bei der Beurteilung der DDR-Rechtsordnung maßgeblich auf die Rechtswirklichkeit abzustellen. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedoch im Zusammenhang mit schädigenden Maßnahmen gegen „Westeigentümer” im Rahmen von § 1 Abs. 3 VermG entschieden, dass „eine in bewusster Abkehr vom Gesetzesrecht und in diskriminierender Absicht erfolgte ständige Praxis nicht als ein Teil der gelebten Rechtswirklichkeit begriffen werden darf, auf die abzustellen ist, wenn die Abweichung einer Maßnahme von der DDR-Rechtsordnung in Frage steht” (Urteil vom 5. März 1998 – BVerwG 7 C 30.97 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 142 S. 432 ≪436≫). Für Fälle, in denen zu einer solchen ständigen Praxis sogar durch Richtlinien angeleitet wurde, gilt – so hat das Bundesverwaltungsgericht weiter ausgeführt – nichts anderes, weil deren Befolgung allein nicht die Beurteilung rechtfertige, bei der Maßnahme sei alles mit rechten Dingen zugegangen. Entscheidend ist vielmehr, ob der manipulative staatliche Vermögenszugriff in bewusster Abweichung von der durch die DDR selbst gesetzten, nach außen aufrechterhaltenen Rechtsordnung mit dem Ziel „gruppengerichteter Diskriminierung” erfolgt ist (Urteil vom 5. März 1998, a.a.O.). Dasselbe hat das Bundesverwaltungsgericht auch für so genannte Ausreisefälle und die dortige Verwaltungspraxis bekräftigt (Urteil vom 29. Februar 1996 – BVerwG 7 C 59.94 – BVerwGE 100, 310 ≪313 f.≫). Diese zu § 1 Abs. 3 VermG aufgestellten Grundsätze sind entsprechend auch für die Beurteilung der Redlichkeit des Erwerbs im Hinblick auf objektive Verstöße gegen das DDR-Recht gemäß § 4 Abs. 3 Buchst. a VermG anzuwenden. Denn die Regelbeispiele in § 4 Abs. 3 VermG sind – was die objektive Tatbestandsseite anbelangt – den in § 1 Abs. 3 VermG enthaltenen Tatbestandsmerkmalen angenähert (Holst/Liedtke in Fieberg/Reichenbach/Messerschmidt/Neuhaus, VermG, § 4 Rn. 147), so dass insoweit die entsprechende Übertragung der zu § 1 Abs. 3 VermG entwickelten Grundsätze gerechtfertigt ist.
Für den Begriff der „ordnungsgemäßen Verwaltungspraxis” kann nichts anderes gelten als für Verstöße gegen Rechtsvorschriften oder Verfahrensgrundsätze. Alle drei Begriffe sind Elemente der „DDR-Rechtsordnung”, für die ohnehin ein fließender Übergang zwischen Rechtsnormen und Verwaltungsanordnungen kennzeichnend ist. Für alle drei in § 4 Abs. 3 Buchst. a VermG aufgeführten Unterbegriffe der DDR-Rechtsordnung gilt somit die Maßgeblichkeit der Rechtswirklichkeit in gleicher Weise, also die vorrangige Beachtlichkeit der praktischen Anwendung. Das bedeutet einerseits, dass ingesamt nur Verstöße relevant sind, die den zielgerichteten Zugriff auf das Eigentum ermöglichen sollen, also objektiv manipulativen Charakter tragen. Andrerseits bedeutet die Qualifizierung der Verwaltungspraxis als Teil der DDR-Rechtsordnung, dass jedenfalls eine Praxis, die in bewusster Abkehr von Gesetzesrecht und in diskriminierender Absicht erfolgte, nicht als ein Teil der gelebten Rechtswirklichkeit begriffen und deshalb für die Beurteilung eines Verstoßes gegen die DDR-Rechtsordnung nicht als die Unredlichkeit ausschließender Maßstab herangezogen werden darf. Die von der Zeugin E. im Rahmen der Beweisaufnahme geschilderte, § 1 Abs. 2 VerwalterVO zu Lasten der „Republikflüchtlinge” schlichtweg ignorierende angebliche Praxis – die zudem auf interne, geheimzuhaltende Anweisungen zurückzuführen sein soll – stellte eine im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts „gruppengerichtete Diskriminierung” dar und hätte deshalb die Unbeachtlichkeit dieser behaupteten ständigen Praxis im Rahmen von § 4 Abs. 3 Buchst. a VermG zu Folge. Das Verwaltungsgericht hat deshalb zu Recht die angebliche Verwaltungspraxis als ungeeigneten Maßstab für die Übereinstimmung des Grundstücksverkaufs mit der DDR-Rechtsordnung angesehen.
c) Im Hinblick auf die Einwände der Beigeladenen stellt der Senat in diesem Zusammenhang klar, dass sich aus den genannten Umständen der erforderliche objektiv manipulative Charakter des Zugriffs auf den streitigen Vermögenswert ergibt.
2. Zu Unrecht und unter Verletzung von § 4 Abs. 3 Buchst. a VermG hat das Verwaltungsgericht jedoch angenommen, die Beigeladenen hätten diesen Rechtsverstoß gekannt oder kennen müssen bzw. es bestünden insoweit – mangels endgültiger Aufklärbarkeit – greifbare Anhaltspunkte zu ihren Lasten.
a) Soweit das Verwaltungsgericht hierzu auf die „exakte Kenntnis” des Beigeladenen zu 1 als „Hauptfunktionär” des staatlichen Verwalters und damit auf die Erkennbarkeit des Verstoßes gegen § 1 Abs. 2 VerwalterVO abstellt, hat es ersichtlich nur die Kenntnis der rechtlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift im Auge, trifft aber keine den Senat bindenden Feststellungen hinsichtlich der allein maßgeblichen Kenntnis des konkreten Rechtsverstoßes. Die bloße Kenntnis der Rechtsvorschrift allein reicht für § 4 Abs. 3 Buchst. a VermG schon nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift nicht aus (Beschluss vom 22. April 1994 – BVerwG 7 B 188.93 – Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 8 S. 11). Es genügt auch nicht, dass der Beigeladene das Fehlen der ersten gesetzlichen Verkaufsalternative in § 1 Abs. 2 VerwalterVO – wie das Verwaltungsgericht festgestellt hat – positiv gekannt hat; denn allein die mangelnde Überschuldung des Grundstücks macht den Verkauf noch nicht rechtswidrig.
b) Zu der somit maßgeblichen zweiten Verkaufsalternative des § 1 Abs. 2 VerwalterVO ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, der Beigeladene habe fahrlässig nicht gewusst, dass die offene Forderung in Höhe von maximal 657 M aus vorhandenen Bankguthaben des Klägers, die bei dem Rat des Kreises geführt worden seien, hätte beglichen werden können. Den Pflichtverstoß und damit den Fahrlässigkeitsvorwurf hat das Verwaltungsgericht damit begründet, der Beigeladene zu 1 hätte sich als Bürgermeister der das Grundstück verwaltenden Gemeinde vergewissern müssen, ob die zweite rechtliche Möglichkeit für die Veräußerung staatlich verwalteter Grundstücke vorgelegen habe. Der so begründete strengere Redlichkeitsmaßstab verletzt Bundesrecht.
Das Verwaltungsgericht hat selbst zutreffend festgestellt, dass der staatliche Verwalter und damit auch der Beigeladene „keinen exakten Einblick in die Vermögensverhältnisse des zwangsverwalteten Vermögens” hatte (UA S. 12 und 16), weil die Verzeichnisse und Unterlagen, die Aufschluss über die Vermögenslage der Eigentümer zwangsverwalteter Grundstücke gaben, allein bei den Räten der Kreise geführt wurden (vgl. Ordnung zur Führung von Akten, die mit der Verordnung vom 11. Dezember 1969 im Zusammenhang stehen ≪Schriftenreihe BARoV, Heft 11, Dok. 41, S. 363 ff.≫). Nur die Räte der Kreise hatten ein Einsichtsrecht, prüften und beurteilten die Verkaufsvoraussetzungen (Winkler VIZ 1997, 69 ≪72≫); der staatliche Verwalter hingegen beschränkte sich „auf die körperliche Verwaltung des Vermögenswerts” (UA S. 16). Bezieht man in diese Aufgabenbeschreibung – worauf der Oberbundesanwalt zutreffend hinweist – ein, dass diese abgegrenzten Zuständigkeiten in lediglich intern herausgegebenen Verfahrensgrundsätzen geregelt und nur auf Kreisebene zugänglich waren (vgl. Hinweise vom 20. März 1969 zur Durchführung der Verordnung vom 11. Dezember 1968 ≪Schriftenreihe BARoV, Heft 11, Dok. 13≫) und dass die Auskunftserteilung – auch gegenüber den Treuhändern – beschränkt war (vgl. 1. Information vom 5. Februar 1969 in Verbindung mit den Hinweisen zur Führung der Gespräche mit privaten Gläubigern in der DDR vom 23. Juni 1969 ≪Schriftenreihe BARoV, Heft 11, Dok. 9 S. 62 und Dok. 21≫), so entbehrt die Annahme des Verwaltungsgerichts, den Beigeladenen habe in seiner Eigenschaft als Organ des staatlichen Verwalters eine Erkundigungspflicht getroffen, einer hinreichenden tatsächlichen und DDR-rechtlichen Grundlage. Die Begründung verschärfter Informationsverpflichtungen verkennt die rigorose Abschottung der Zuständigkeitsbereiche des staatlichen Verwalters als bloßem ausführenden Organ einerseits und des Rats des Kreises als rechtlicher Prüfungsinstanz andererseits.
Dass der Beigeladene gleichwohl positive Kenntnisse von dem Fehlen (auch) der zweiten Verkaufsalternative des § 1 Abs. 2 VerwalterVO gehabt hätte, hat das Verwaltungsgericht weder festgestellt noch ausgeschlossen. Es hat insoweit vielmehr keine Ermittlungen durchgeführt. Zwar heißt es auf Seite 16 des angefochtenen Urteils, dass der Beigeladene keinen Einblick in die exakten Vermögensverhältnisse gehabt habe. Damit steht jedoch noch nicht fest, dass der Beigeladene – etwa über persönliche Kontakte zu seinerzeit einsichtsbefugten Personen – tatsächlich keine näheren Kenntnisse erlangt hätte. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr den damit verbundenen Fragenbereich von vornherein aus seiner Sachverhaltsaufklärung ausgeklammert, weil es rechtsirrig von der verschärften Pflichtenlage des Beigeladenen und dem daraus resultierenden Fahrlässigkeitsvorwurf ausgegangen ist. Diese Verengung der Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen wird dadurch belegt, dass das Verwaltungsgericht im Verhandlungstermin vom 13. Januar 1999 einen Beweisantrag mit der Begründung abgelehnt hatte, es könne als wahr unterstellt werden, dass der Beigeladene keinen Einblick in die Vermögensverhältnisse des Klägers gehabt habe; vielmehr komme es maßgeblich darauf an, ob er hätte erkennen müssen, dass die Verkaufsvoraussetzungen nicht vorgelegen hätten.
c) Traf den Beigeladenen jedoch in Wahrheit keine Pflicht zur Erkundigung nach den Vermögensverhältnissen des Klägers, so wird damit zugleich einer abschließenden Entscheidung durch den Senat der Boden entzogen. Das Verwaltungsgericht hat nämlich daneben keine weiteren tragfähigen Feststellungen getroffen, die die Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis des Beigeladenen begründen könnten. Das angefochtene Urteil ergibt im gegenwärtigen Verfahrensstadium auch keine tragfähige Basis für eine Beweislastentscheidung zugunsten des Klägers und zu Ungunsten der Beigeladenen. Eine Beweislastentscheidung setzt voraus, dass der entscheidungserhebliche Sachverhalt umfassend aufgeklärt worden ist und danach die Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 Abs. 3 Buchst. a VermG nicht mit hinreichender Sicherheit zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Eine derartige Unerweislichkeit des redlichen Erwerbs wirkt sich (nur) dann zu Ungunsten des Erwerbers – hier also der Beigeladenen – aus, wenn greifbare tatsächliche Anhaltspunkte für die Unredlichkeit vorlagen (Beschluss vom 16. Oktober 1995 – BVerwG 7 B 163.95 – Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 22 S. 51 f.). Da das Verwaltungsgericht – wie dargelegt – den subjektiven Tatbestand des § 4 Abs. 3 Buchst. a VermG aufgrund der irrigen Annahme eines Fahrlässigkeitsvorwurfs nicht abschließend aufgeklärt hat, scheidet im gegenwärtigen Zeitpunkt eine Beweislastentscheidung aus. Dies zwingt zur Zurückverweisung der Sache an das Verwaltungsgericht.
3. Die Zurückverweisung ist auch nicht deswegen entbehrlich, weil sich das angefochtene Urteil aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig erweist (§ 144 Abs. 4 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat zwar angedeutet – aber letztlich offen gelassen (vgl. UA S. 10 f.) –, dass ein weiterer Rechtsverstoß bereits in der Anwendung der Verwalter-Verordnung vom 11. Dezember 1968 als solcher liegen könne, weil der Kläger in Wahrheit die sowjetisch besetzte Zone im Jahre 1947 möglicherweise nicht illegal verlassen habe. Es kann dahinstehen, ob der Beigeladene diesen – unterstellten – Rechtsverstoß bei der Anwendung der Verwalter-Verordnung hätte erkennen können. Denn die Bestellung des staatlichen Verwalters auf der Grundlage der Verwalter-Verordnung ist ein für das vorliegende Verfahren gemäß Art. 19 EV mangels offenkundiger schwerwiegender rechtsstaatlicher Mängel als wirksam hinzunehmender Verwaltungsakt der DDR, der nicht nur die Anordnung der staatlichen Verwaltung als solche, sondern auch ihre Rechtsgrundlage mit den daraus folgenden Rechten und Pflichten bestandskräftig abdeckt.
4. Bei der somit gebotenen erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das Verwaltungsgericht aufzuklären haben, ob der Beigeladene nicht nur die fehlende Überschuldung des Grundstücks, sondern auch die anderweitige Befriedigungsmöglichkeit offener Forderungen kannte oder hätte kennen müssen. Erst wenn die Ermittlungsbemühungen weder in der einen noch in der anderen Richtung eine hinreichend sichere Überzeugung verschaffen können, wird das Verwaltungsgericht auf die Grundsätze einer Beweislastentscheidung zurückgreifen dürfen. Dabei wird dem von ihm herangezogenen Umstand der vermeintlich „raschen Initiative” des Beigeladenen zum Kauf des Grundstücks im Hinblick auf die bereits viele Jahre als Mieterin in dem Haus wohnende Ehefrau des Beigeladenen nur geringe Bedeutung zukommen. Bei der im Vordergrund stehenden Bewertung des Aussagegehalts der nur „ausnahmsweisen” Zustimmung des Rats des Bezirks im Schreiben vom 26. Juni 1974 wird das Verwaltungsgericht auch berücksichtigen (und gegebenenfalls ermitteln) müssen, weshalb es überhaupt zu der Einschaltung des Rats des Bezirks in die an sich allein dem Rat des Kreises obliegende Verkaufsangelegenheit gekommen ist; denn dieser Hintergrund kann für die im Rahmen der Beweislastentscheidung möglicherweise ausschlaggebende Bedeutung dieser mehrdeutigen Formulierung und ihre Qualifizierung als greifbarer Anhaltspunkt zu Lasten der Beigeladenen erheblich sein.
Unterschriften
Dr. Pagenkopf, Sailer, Krauß, Golze, Postier
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 19.07.2000 durch Sieber Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
BVerwGE, 322 |
ZAP-Ost 2000, 591 |
NJ 2000, 663 |
ThürVBl. 2001, 15 |