Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattungsanspruch, Verzugs(Schadens-)zinsen. Verzugszinsen. Verzugsschaden (Zinsen)
Leitsatz (amtlich)
Der Anspruch eines Sozialhilfeträgers auf Erstattung überhöhter Zahlungen, die aufgrund einer Kostenverpflichtungserklärung an einen Heimträger erbracht wurden, schließt Verzugszinsen nicht ein; ein Anspruch auf Verzugszinsen lässt sich insoweit auch nicht aus einer analogen Anwendung des § 61 Satz 2 SGB X i.V.m. § 288 Abs. 2 BGB herleiten.
Normenkette
SGB X § 61 S. 2; BGB § 288 Abs. 2
Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Entscheidung vom 15.03.1999; Aktenzeichen 4 L 353/99) |
VG Hannover (Entscheidung vom 07.10.1997; Aktenzeichen 3 A 1053/93) |
Tenor
Der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 15. März 1999 wird aufgehoben, soweit der Klägerin Zinsen über 4 % hinaus zugesprochen worden sind.
Insoweit wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Der Beklagte ist als Heimträger durch das Berufungsgericht verurteilt worden, der Klägerin als örtlicher Sozialhilfeträgerin Leistungen in Höhe von 2 446,80 DM nebst 6,74 % Zinsen seit dem 29. September 1992 für die Heimunterbringung eines Hilfebedürftigen im Zeitraum vom 1. Januar 1984 bis 31. Dezember 1985 zu erstatten; Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch die Frage, ob die Klägerin auf den rechtskräftig zuerkannten Erstattungsanspruch Zinsen über 4 % hinaus verlangen kann.
Die Klägerin war gegenüber dem Beklagten durch schriftliche Erklärung vom 14. August 1981 eine „Kostenverpflichtung” des Inhalts eingegangen, die Kosten für den Hilfeempfänger L. für die Dauer des Heimaufenthaltes mit täglich 52 DM aus Mitteln der Sozialhilfe zu übernehmen. Nach mehrjährigen Leistungen machte die Klägerin geltend, die Kosten seien im Verhältnis zu den als maßgeblich zugrunde zulegenden Pflegesatzvereinbarungen zu hoch, und forderte die Erstattung überhöhten Heimentgelts u.a. für den im Ausgangsverfahren streitig gewesenen Zeitraum. Das Verwaltungsgericht hat die Klage als unbegründet angesehen, das Oberverwaltungsgericht hingegen hat ihr stattgegeben und der Klägerin den geltend gemachten Erstattungsanspruch nebst 6,74 % Zinsen seit dem 29. September 1992 zugesprochen. Zur Begründung des Zinsanspruches hat es unter Bezugnahme auf sein den übrigen Erstattungszeitraum betreffendes Urteil vom 19. Januar 1999 – 4 L 5305/98 – (FEVS 51, 175) im Wesentlichen ausgeführt:
In Höhe von 4 % stünden der Klägerin die beantragten Zinsen als Prozesszinsen seit Rechtshängigkeit zu. Zinsen in Höhe des darüber hinaus begehrten Zinssatzes könne sie als Verzugszinsen beanspruchen. Für die Nichterfüllung öffentlicher Geldforderungen des Staates gelte nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der Grundsatz, dass Zinsen nur aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Grundlage verlangt werden könnten; eine solche gesetzliche Grundlage ergebe sich hier aus § 61 Satz 2 SGB X i.V.m. § 288 Abs. 2 BGB. Für den Fall, dass Ansprüche auf Geldforderungen auf öffentlich-rechtlichen Verträgen beruhten, halte das Bundesverwaltungsgericht auch einen Anspruch auf Verzugszinsen mit einem höheren Zinssatz als 4 % für möglich. Dieser Rechtsprechung liege die Auffassung zu Grunde, dass „die als öffentlich-rechtliche Verträge zu beurteilenden Vertragsbeziehungen” von der Interessenlage der Beteiligten her so stark privatrechtlichen Verträgen zwischen gleichgeordneten Parteien entsprächen, dass sie auch hinsichtlich der Rechtsfolgen des Verzugs in gleicher Weise behandelt werden müssten. Die vorliegende Situation, in der ein Sozialhilfeträger durch die Gestaltung einer Kostenübernahmeerklärung unmittelbare Rechtsbeziehungen zwischen sich und einem Einrichtungsträger im Hinblick auf eine privatrechtliche Beziehung zwischen dem Einrichtungsträger und einem Bewohner der Einrichtung schaffe, sei mit der Situation vergleichbar, dass Zahlungsansprüche sich aus öffentlich-rechtlichen Vertragsbeziehungen ergäben. Deshalb könnten vorliegend gemäß § 61 SGB X, § 288 Abs. 2 BGB analog Verzugszinsen verlangt werden. § 44 Abs. 1 SGB I, wonach die Verzinsung von Ansprüchen auf Sozialleistungen auf 4 % beschränkt sei, stehe nicht entgegen, da es nicht um Ansprüche auf Sozialleistungen im Sinne des SGB I gehe, sondern um privatrechtliche Rechtsbeziehungen zwischen dem Beklagten und dem Hilfeempfänger, welche die Klägerin aufgrund ihrer Kostenübernahmeerklärung vom 14. August 1981 unter Berücksichtigung der sozialhilferechtlichen Akzessorietät teilweise auch unmittelbar verpflichteten bzw. Kostenerstattungsansprüche begründeten. Die Voraussetzungen der § 288 Abs. 2, §§ 284, 285 BGB lägen vor; der erforderliche Verzugsschaden liege in den Aufwendungen der Klägerin für Kreditzinsen.
Mit der vom Bundesverwaltungsgericht nur für die Verurteilung zu über 4 % hinausgehenden Zinsen zugelassenen Revision macht der Beklagte geltend, die bei öffentlich-rechtlichen Vertragsverhältnissen zu bejahende Annäherung an entsprechende zivilrechtliche Konstruktionen sei bei dem hier zu beurteilenden sozialrechtlichen Rückforderungsanspruch, bei dem es sich um einen einseitig hoheitlich ausgestalteten gesetzlichen Anspruch handle, zu verneinen.
Die Klägerin verteidigt den angefochtenen Beschluss.
II.
Die Revision des Beklagten ist begründet. Die vorinstanzliche Entscheidung, durch welche der Klägerin ein über 4 % hinausgehender Zinsanspruch zuerkannt worden ist, ist mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) nicht vereinbar, so dass sie auf die Revision des Beklagten aufzuheben und die Berufung gegen das klagabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts insoweit zurückzuweisen ist.
In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geht das Oberverwaltungsgericht von dem Grundsatz aus, dass für die Nichterfüllung öffentlich-rechtlicher Geldforderungen Verzugszinsen nur aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Grundlage verlangt werden können (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 17. Februar 1971 – BVerwG 4 C 17.69 – ≪BVerwGE 37, 239, 241≫; Urteil vom 3. November 1988 – BVerwG 5 C 38.84 – ≪BVerwGE 80, 334, 335≫ und Urteil vom 22. Februar 2001 – BVerwG 5 C 34.00 – ≪NVwZ 2001, 1057, 1058≫ m.w.N.); zu Unrecht ist die Vorinstanz jedoch der Auffassung, hier in einer analogen Anwendung des § 61 Satz 2 SGB X i.V.m. § 288 Abs. 2 BGB eine gesetzliche Grundlage für über 4 % hinausgehende Zinsen unter dem Gesichtspunkt des Verzugsschadens gefunden zu haben.
Der Begründung eines Anspruchs auf Verzugszinsen im Wege der Gesetzesanalogie zu § 61 Satz 2 SGB X steht entgegen, dass eine ausreichende Analogiebasis im Verhältnis von vertraglich begründeten Ansprüchen einerseits und gesetzlichen Erstattungsansprüchen aufgrund von Überzahlungen im Zusammenhang mit einer einseitigen Kostenübernahmeerklärung eines Sozialhilfeträgers andererseits nicht zu erkennen ist. Die Auffassung der Vorinstanz, das Bestehen privatrechtlicher vertraglicher Beziehungen zwischen Heimträger und sozialhilfebedürftigem Bewohner rechtfertige es, die mit der Kostenübernahmeerklärung des Sozialhilfeträgers begründeten Rechtsbeziehungen zwischen Einrichtungsträger und Sozialhilfeträger als von der Interessenlage her einer durch öffentlich-rechtliche Vertragsbeziehungen begründeten Zahlungsverpflichtung gleichzustellen, ist nicht überzeugend. Der Umstand, dass die „Kostenverpflichtung” der Klägerin vom 14. August 1981 sich auf Kosten aus einem Heimvertrag und damit auf einen Gegenstand einer privatrechtlichen Vertragsbeziehung bezog, rückte die dem öffentlichen Recht (Sozialhilferecht) zuzuordnende Kostenübernahme weder rechtlich noch von der Interessenlage her in die Nähe einer vertraglichen Regelung des bürgerlichen Rechts. Es ging für die Klägerin nicht um einen Vertragsbeitritt oder eine bürgerlich-rechtliche Schuld(mit)übernahme; die von ihr verfolgten „Interessen” sozialhilferechtlicher Art waren nicht auf eine einem gegenseitigen Vertrag vergleichbare Leistungsbeziehung gerichtet.
Schließlich trifft auch die – von der Vorinstanz nicht weiter problematisierte – Grundannahme nicht zu, eine Gesetzesanalogie zu § 61 Satz 2 SGB X mit der Folge einer ergänzenden Anwendung der Vorschriften des BGB einschließlich der Regelung in § 288 Abs. 2 BGB betreffend die Geltendmachung von Zinsen unter dem Gesichtspunkt des Verzugsschadens rechtfertige es, nicht nur vertragliche Leistungsansprüche, sondern auch gesetzliche Ansprüche im Zusammenhang mit einem öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis der für vertragliche Verpflichtungen geltenden höheren Verzinsung zu unterwerfen. Es handelt sich bei dem Erstattungsanspruch der Klägerin nicht um einen vertraglichen (Haupt-)Leistungsanspruch, bzw. um eine vertraglich im Vorhinein festgelegte Rückzahlungspflicht, sondern um einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch als gesetzlichen Anspruch. Anders als bei vertraglichen Ansprüchen (vgl. dazu die von der Vorinstanz angeführten Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. August 1978 – BVerwG 2 C 23.77 – ≪Buchholz 238.4 § 31 SG Nr. 12≫ betr. Rückforderung von der Bundeswehr aufgrund Vereinbarung gewährter Studienbeihilfen; vom 25. Oktober 1979 – BVerwG 2 C 37.74 – ≪Buchholz 232 § 30 BBG Nr. 11≫: Vereinbarung über Rückzahlung von Studienförderungsmitteln wegen vorzeitigen Ausscheidens aufgrund eines „Vertrages für Fernmeldeaspiranten”; vom 7. Mai 1981 – BVerwG 2 C 25.80 – ≪Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 32≫ betr. Rückforderung einer aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Vertrags gewährten Studienbeihilfe; vom 21. März 1986 – BVerwG 7 C 70.83 – ≪NVwZ 1986, 554≫: Geltendmachung von Verzugszinsen als Verzugsschaden denkbar bei Verletzung der vertraglichen Hauptleistungspflicht; vom 15. März 1989 – BVerwG 7 C 42.87 – ≪BVerwGE 81, 312, 317 f.≫ betr. Verzug mit einer Geldleistung, die in einem Austauschverhältnis zur Gegenleistung des anderen Partners eines öffentlich-rechtlichen Vertrages steht) hat die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei gesetzlichen Ansprüchen die Anerkennung von Ansprüchen auf Verzugszinsen regelmäßig verneint (vgl. die von der Vorinstanz angeführten Urteile vom 24. November 1977 – BVerwG 3 C 72.96 – ≪DVBl 1978, 608, 609≫; vom 24. September 1987 – BVerwG 2 C 3.84 – ≪NVwZ 1988, 440≫ und 3. November 1988 – BVerwG 5 C 38.84 – ≪BVerwGE 80, 334, 335≫; ferner Urteil vom 22. April 1982 – BVerwG 3 C 71.81 – ≪Buchholz 427.3 § 350 a LAG Nr. 43≫; Beschluss vom 24. Januar 1991 – BVerwG 8 B 164.90 – ≪Buchholz 316 § 54 VwVfG Nr. 6≫: § 62 VwVfG beziehe sich nicht auf „gesetzliche Ansprüche im Umfeld von Verträgen”). Da der hier streitgegenständliche Erstattungsanspruch ein gesetzlicher, nicht aber ein auf einem öffentlich-rechtlichen Vertrag beruhender Rückzahlungsanspruch ist, besteht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kein rechtlicher Ansatz für Schadenszinsen nach den für vertragliche Ansprüche geltenden Regeln der § 61 Satz 2 SGB X i.V.m. § 288 Abs. 2 BGB.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit aus § 188 Satz 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Säcker, Prof. Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke
Fundstellen
BVerwGE, 139 |
FamRZ 2002, 456 |
NVwZ 2002, 486 |
DÖV 2002, 340 |
FEVS 2002, 201 |
NDV-RD 2002, 19 |
ZfF 2003, 236 |
ZfSH/SGB 2002, 151 |
DVBl. 2002, 348 |
GV/RP 2002, 234 |
KomVerw 2003, 56 |
FuBW 2002, 892 |
FuHe 2003, 21 |
FuNds 2003, 214 |
info-also 2002, 137 |