Entscheidungsstichwort (Thema)
verwaltungsrechtliche Rehabilitierung. Beschluss der Rehabilitierung;. Willkürakt im Einzelfall
Leitsatz (amtlich)
1. Eine hoheitliche Maßnahme der DDR-Behörden, die allein als zielgerichteter Zugriff auf einen Vermögensgegenstand und nicht als Nebenfolge eines grob rechtsstaatswidrigen Eingriffs in die Persönlichkeitssphäre zu beurteilen ist, wird im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 2 VwRehaG vom Vermögensgesetz erfasst und schließt die Anwendung des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes aus.
2. Der Begriff der „Willkür im Einzelfall” im Sinne von § 1 Abs. 2 VwRehaG setzt voraus, dass die diskriminierende hoheitliche Maßnahme von der Tendenz und Absicht getragen war, ihre Adressaten bewusst zu benachteiligen.
Normenkette
VwRehaG § 1 Abs. 1 S. 2, Abs. 2; VermG § 1 Abs. 3
Verfahrensgang
VG Berlin (Urteil vom 04.10.1999; Aktenzeichen 26 A 79.97) |
Tenor
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 4. Oktober 1999 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Die Kläger sind die Erben einer früheren Gesellschafterin einer offenen Handelsgesellschaft (OHG). Zum Gesellschaftsvermögen gehörte u.a. das im Jahre 1952 unter staatliche Verwaltung der DDR gestellte und 1987 enteignete Grundstück, dessen Rückgabe sie begehren.
Ihr bei der Behörde zur Regelung offener Vermögensfragen gestellter Antrag auf Rückübertragung nach dem Vermögensgesetz wurde durch Bescheid vom 21. Januar 1999 abgelehnt; über die hiergegen erhobene Klage ist noch nicht entschieden.
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der beim Landesamt für zentrale Soziale Aufgaben des Beklagten gestellte Antrag der Kläger auf verwaltungsrechtliche Rehabilitierung, der durch Bescheid vom 11. April 1996 mit der Begründung abgelehnt wurde, eine rechtsstaatswidrige Maßnahme im Sinne des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes liege nicht vor. Die hiergegen nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 4. Oktober 1999 abgewiesen.
Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen für eine Rehabilitierung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 VwRehaG seien nicht gegeben. Die nach dem Baulandgesetz der DDR vom 25. Juni 1984 (GVBl I S. 201) vorgenommene Enteignung sei nicht schlechthin mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates unvereinbar gewesen. Die Vorschriften des Baulandgesetzes hätten jedenfalls nicht der politischen Verfolgung gedient und stellten auch keinen Willkürakt im Einzelfall dar (§ 1 Abs. 2 VwRehaG). Vielmehr habe die Baulandgesetzgebung der DDR vorrangig die Sicherung der in Volkswirtschaftsplänen festgelegten Baumaßnahmen im Blick gehabt. Einen Willkürakt im Einzelfall stellten die herangezogenen Enteignungsvorschriften der DDR schon deswegen nicht dar, weil sie gleichermaßen für alle DDR-Bürger galten.
Die Enteignung des streitbefangenen Grundstücks als Einzelfallentscheidung sei – unabhängig davon, wie weit sie im Einzelnen den Vorschriften des DDR-Rechts entsprochen habe und inwiefern die von den Klägern geltend gemachten Rechtsverstöße vor und während des Enteignungsverfahrens und auch danach tatsächlich vorgelegen hätten – nicht rehabilitierungsfähig. Politische Verfolgung der Kläger habe für die Frage der Inanspruchnahme des Grundstücks keine Rolle gespielt. Ebenfalls komme das alternative Tatbestandsmerkmal des „Willkürakts im Einzelfall” nicht in Betracht, denn dieses erfordere ein bewusstes und gewolltes Verdrängen des Rechts zum Zwecke der Benachteiligung Einzelner; dies liege im Falle der Kläger nicht vor.
Der Einwand, zunächst das Ergebnis des Verfahrens nach dem Vermögensgesetz abzuwarten, sei nicht stichhaltig, weil es sich bei den Ansprüchen nach jenem Gesetz und dem Rehabilitierungsanspruch um eine Konkurrenz materiellrechtlicher Ansprüche handele.
Auf die Frage, ob die Kläger im Rehabilitierungsverfahren überhaupt antragsberechtigt im Sinne des § 9 Abs. 1 VwRehaG seien, komme es nicht mehr an. Soweit die Klage sich hilfsweise gegen die Festsetzung der von den Klägern als unzureichend empfundenen Enteignungsentschädigung durch die DDR-Behörden richte, fehle es an einem unmittelbaren, schweren und unzumutbaren Fortwirken dieser Maßnahmen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 VwRehaG).
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Revision. Die Kläger wenden ein, das Verwaltungsgericht habe die Wegnahme des Grundstücks zu Unrecht als legale Enteignung nach dem Baulandgesetz behandelt. Dabei sei der Zusammenhang mit der Zwangsverwaltung seit 1952 nicht berücksichtigt worden. Dieser Verdrängungsvorgang, der im Lastenausgleichsrecht als Wegnahme anerkannt sei, habe nur das formale, juristische Eigentum bestehen lassen, dessen Beseitigung dann lediglich ein verwaltungsinterner Entzug des Eigentums gewesen sei, der nur vordergründig als Anwendung des Baulandgesetzes bemäntelt worden sei. Dabei handele es sich um einen Akt der Verfahrenswillkür.
Der Beklagte tritt dem entgegen und verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Kläger ist unbegründet.
Das angegriffene Urteil verletzt kein Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche finden im Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz keine Grundlage.
Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 VwRehaG findet das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz (u.a.) keine Anwendung auf Maßnahmen, die vom Vermögensgesetz erfasst werden. Dieser Ausschluss-tatbestand liegt im Fall der Kläger vor.
Ob das eine oder das andere Gesetz anzuwenden ist, richtet sich nach dem Zweck und Ziel der Maßnahme, die zum Verlust des jetzt zurückverlangten Vermögensgegenstandes geführt hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts setzen Ansprüche nach dem Vermögensgesetz Maßnahmen voraus, die zielgerichtet den Verlust des zurückgeforderten Vermögenswertes bezweckt haben (vgl. u.a. Urteil vom 27. Juli 1995 – BVerwG 7 C 12.94 – BVerwGE 99, 82, 85). Demgegenüber zielten die in § 1 VwRehaG vorausgesetzten Unrechtsmaßnahmen auf andere Zwecke und sind durch grob rechtsstaatswidrige Eingriffe in die Persönlichkeitssphäre des Geschädigten gekennzeichnet (vgl. Urteil vom 26. September 1996 – BVerwG 7 C 61.94 – BVerwGE 102, 89, 93). Solche Eingriffe führten zwar nicht selten auch zu Vermögensentziehungen, jedoch stellen diese gleichsam nur die Nebenfolge des primär bezweckten Zugriffs auf die Persönlichkeitssphäre des Betroffenen dar (vgl. Urteil vom 5. März 1998 – BVerwG 7 C 30.97 – Buchholz 428 § 1 Nr. 142 S. 432, 436).
In Verfolg dieser Unterscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht Ansprüche nach dem Vermögensgesetz stets verneint, wenn sich die inkriminierte Maßnahme nicht als zielgerichteter Zugriff auf den Vermögenswert, sondern als primär personenbezogener Unrechtsakt erwies (vgl. u.a. Urteil vom 26. September 1996 – BVerwG 7 C 61.94 – BVerwGE 102, 89, 90). Entsprechendes muss aber auch für den umgekehrten Fall gelten: Maßnahmen, deren vorrangiger Zweck das Ansichbringen eines Vermögensgegenstandes war, unterfallen allein dem Vermögensgesetz und schließen die Anwendung des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes aus (vgl. v. Schlieffen, VIZ 98, 600, 601; VG Potsdam, Urteil vom 22. März 2000, ZOV 01, 69, 70). Dies gilt selbst dann, wenn der auf das Vermögensgesetz gestützte Anspruch aus anderen Gründen nicht zum Erfolg führt, etwa wegen Verneinung unlauterer Machenschaften (§ 1 Abs. 3 VermG). Schon deshalb geht die Annahme der Revision fehl, im vorliegenden Fall hätte zunächst der Ausgang des von den Klägern parallel zum vorliegenden Verfahren eingeleiteten Verfahrens bei der Behörde zur Regelung offener Vermögensfragen abgewartet werden müssen. Die Erfolgsaussichten im Rehabilitierungsverfahren sind unabhängig vom Verlauf eines etwaigen Parallelverfahrens nach dem Vermögensgesetz.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils ist davon auszugehen, dass der Zugriff auf das Grundstück im Vordergrund des Interesses der DDR-Behörden stand. Dafür spricht eine ganze Reihe von Umständen wie z.B. das Interesse, einen Hotelbetrieb auf dem Grundstück zu errichten, die Berufung auf das Baulandgesetz für ein Enteignungsverfahren und die Auskehrung einer – wenn auch niedrigen – Entschädigung. Für die Anwendbarkeit des Verwaltungsgerichtlichen Rehabilitierungsgesetzes ist somit kein Raum.
Selbst wenn aber den gegenteiligen Vermutungen der Kläger zur Motivationslage der Behörden zu folgen und ein vorrangig personaler Bezug erkennbar wäre, würde dies nicht zum Erfolg der Revision führen. Das Verwaltungsgericht hat nämlich zu Recht angenommen, dass die gegen die Kläger gerichteten Maßnahmen nicht als „Willkürakte im Einzelfall” (§ 1 Abs. 2 VwRehaG) gewertet werden können.
Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass das Merkmal „Willkürakt im Einzelfall” ein finales Element enthält und somit ein bewusstes und gewolltes Verdrängen des Rechts zum Zwecke der Benachteiligung Einzelner voraussetzt. Wie der Senat in seinem Beschluss vom 25. Juli 2000 (– BVerwG 3 B 7.00 –) ausgeführt hat, ist „Willkür im Einzelfall” nur bei Maßnahmen zu bejahen, die von der Tendenz und Absicht getragen sind, ihre Adressaten bewusst zu benachteiligen. Dies wird durch die Gesetzesmaterialien bestätigt (vgl. BTDrucks 12/4994 S. 25 Nr. 18). Eine solche Schädigungsabsicht lässt sich im Fall der Kläger nicht belegen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Prof. Dr. Driehaus, van Schewick, Dr. Borgs-Maciejewski, Kimmel, Dr. Brunn
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 23.08.2001 durch Riebe Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 643147 |
NJ 2001, 666 |