Entscheidungsstichwort (Thema)
Dienstunfähigkeit. Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit. abstrakt-funktionelles Amt als Maßstab zur Beurteilung der Dienstfähigkeit. Übertragung des abstrakt-funktionellen Amtes. Zuordnung des abstrakt-funktionellen Amtes zu einer Behörde
Leitsatz (amtlich)
Zur Beurteilung der Dienstfähigkeit eines Beamten ist auf die Anforderungen des ihm zuletzt übertragenen abstrakt-funktionellen Amtes abzustellen (stRspr). Die Entscheidung, welcher Behörde das einem Beamten übertragene abstrakt-funktionelle Amt zugeordnet ist, liegt im Organisationsermessen des Dienstherrn. Aus Gründen der Rechtssicherheit ist es erforderlich, dass dem Beamten nicht nur das statusrechtliche Amt, sondern auch das Amt im funktionellen Sinn eindeutig und individuell konkretisiert übertragen wird.
Normenkette
BeamtVG § 36 Abs. 1
Verfahrensgang
OVG der Freien Hansestadt Bremen (Urteil vom 19.12.2002; Aktenzeichen 2 A 496/98) |
VG Bremen (Urteil vom 29.01.1998; Aktenzeichen 2 (6) A 363/93) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 19. Dezember 2002 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Der Kläger begehrt Unfallruhegehalt wegen der Folgen eines 1982 erlittenen Dienstunfalls. Er war bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit Ende Juni 1993 bei der Güterabfertigung … Hauptbahnhof (Ga … Hbf) beschäftigt. Dort sollte er einen ihm mit der Beförderung zum Bundesbahnsekretär übertragenen Dienstposten im Güterbeförderungs- und Zugabfertigungsdienst wahrnehmen. Zu seinen Aufgaben sollte der Ladedienst gehören, bei dem er ein tragbares Dateneingabegerät zu bedienen hatte. Der Kläger sah sich wegen seiner unfallbedingten Bewegungsbeeinträchtigung im rechten Ellenbogen allerdings nicht in der Lage, dieses Gerät ohne Beschwerden zu bedienen. Im September 1992 bestätigte dies der Bahnarzt und schlug – auch wegen anderer Erkrankungen des Klägers – dessen vorzeitige Versetzung in den Ruhestand vor.
Nach der Versetzung des Klägers in den Ruhestand setzte die Bundesbahndirektion Hannover mit dem angefochtenen Bescheid die Versorgungsbezüge des Klägers fest, ohne ein Unfallruhegehalt zu gewähren. Den Widerspruch des Klägers wies sie mit der Begründung zurück, aus der ergänzenden Beurteilung des Bahnarztes vom 15. Juli 1993 ergebe sich, dass der Kläger vom 5. November 1992 bis 23. Januar 1993 wegen verschiedener Krankheiten, u.a. wegen Hypertonie, dienstunfähig gewesen sei. Für seine Versetzung in den Ruhestand habe die unfallbedingte Gesundheitsbeeinträchtigung keine wesentliche Rolle gespielt.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat das Urteil aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, dem Kläger Unfallruhegehalt zu gewähren. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Der Kläger habe Anspruch auf Unfallruhegehalt. Seine bestandskräftig festgestellte Dienstunfähigkeit sei im Sinne einer wesentlichen Mitursache die Folge des Dienstunfalls von 1982. Dies bestätige ein vom Gericht eingeholtes unfallchirurgisches Gutachten. Das Gutachten des Bahnarztes hingegen sei nicht aussagekräftig. Es berücksichtige nicht, dass für die Beurteilung der Dienstfähigkeit des Klägers entscheidend gewesen sei, ob dieser das mobile Dateneingabegerät bedienen konnte.
Mit der Revision rügt die Beklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 19. Dezember 2002 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen vom 29. Januar 1998 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Der Kläger hat Anspruch auf Unfallruhegehalt.
Ein Beamter erhält nach § 36 Abs. 1 BeamtVG Unfallruhegehalt, wenn er infolge eines Dienstunfalls dienstunfähig geworden und in den Ruhestand getreten ist. Der Kläger hat einen Dienstunfall erlitten, der eine Versteifung seines Ellenbogengelenks herbeiführte, und ist wegen dieser Behinderung sowie anderer Erkrankungen als dienstunfähig in den Ruhestand versetzt worden.
Die Bundesbahndirektion Hannover hat die Dienstunfähigkeit zwar mit mehreren gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers begründet. Dennoch ist die auf dem Dienstunfall beruhende körperliche Behinderung im Sinne des im Dienstunfallrecht geltenden Kausalitätsbegriffs als objektiv wesentlich mitwirkende Ursache der Dienstunfähigkeit anzusehen, weil sie für die Beurteilung der Dienstfähigkeit neben den beim Kläger festgestellten weiteren körperlichen Beeinträchtigungen jedenfalls annähernd die gleiche Bedeutung hatte (vgl. u.a. Urteil vom 18. April 2002 – BVerwG 2 C 22.01 – Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 12 m.w.N.). Die diese Würdigung rechtfertigenden Tatsachen hat das Berufungsgericht mit für den Senat bindender Wirkung festgestellt, weil die Verfahrensrügen der Beklagten unbegründet sind (§ 137 Abs. 2 VwGO).
Zur Beurteilung der Dienstfähigkeit eines Beamten ist auf das ihm zuletzt übertragene abstrakt-funktionelle Amt abzustellen. Nicht entscheidend ist, dass der Beamte die Aufgaben bewältigen kann, die ihm das konkret-funktionelle Amt, d.h. der Dienstposten, stellt (vgl. etwa Urteil vom 28. Juni 1990 – BVerwG 2 C 18.89 – Buchholz 237.6 § 56 NdsLBG Nr. 1 m.w.N., stRspr). Dem Kläger war zuletzt das abstrakt-funktionelle Amt eines Bundesbahnsekretärs bei der Ga … Hbf übertragen.
Mit der Übertragung des Statusamtes an den Beamten steht im Allgemeinen zwar fest, welche Aufgaben der Beamte zu erfüllen hat, etwa – wie hier – die Aufgaben eines Beamten des mittleren Dienstes, nicht entschieden ist aber, welches abstrakt-funktionelle Amt der Beamte innehaben soll. Das abstrakt-funktionelle Amt wird dem Beamten vielmehr durch einen weiteren Einzelakt des Dienstherrn übertragen. Die Übertragungsverfügung benennt das übertragene, einer bestimmten Behörde zugeordnete Amt. Die Zuordnung dieses Amtes zu dieser Behörde liegt – unbeschadet gesetzlicher Regelungen – im Organisationsermessen des Dienstherrn und erfolgt durch Organisationsentscheidung der hierfür zuständigen Stelle.
Dementsprechend ist die Beklagte vorgegangen. Sie hat dem Kläger mit zwei gesonderten Verfügungen das Statusamt eines Bundesbahnsekretärs und das abstrakt-funktionelle Amt eines Bundesbahnsekretärs bei der Ga … Hbf übertragen. Die Übertragung dieses abstrakt-funktionellen Amtes entspricht der damaligen Rechtslage. Denn die Ga … Hbf war Dienststelle der Deutschen Bundesbahn und als solche Bundesbehörde (vgl. § 6 Abs. 2 des Bundesbahngesetzes in der Fassung vom 19. Dezember 1990 – BGBl I S. 2909 – i.V.m. §§ 5 und 6 der Verwaltungsordnung der Deutschen Bundesbahn).
Dass dem Kläger ein abstrakt-funktionelles Amt bei der Ga … Hbf und nicht – wie die Beklagte meint – bei der Bundesbahndirektion Hannover übertragen wurde, ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut der Begleitverfügung des Präsidenten der Bundesbahndirektion Hannover zur Beförderung des Klägers vom 22. April 1992 (“… übertrage ich Ihnen das Amt eines Bundesbahnsekretärs bei der Ga … Hbf …”). Diese Verfügung kann auch nicht als die Übertragung beider Ämter im funktionellen Sinn, also zusätzlich auch des konkret-funktionellen Amtes, verstanden werden. Denn die Übertragung des konkret-funktionellen Amtes erfolgte – gesondert – durch die dienstliche Anordnung der Bundesbahndirektion Hannover vom 30. Juli 1992, deren eindeutiger Wortlaut (“… wir übertragen Ihnen einen M… (Ld)-Dienstposten ‘Zugvorbereitungsdienst … Hbf’ bei der Ga … Hbf …”) ebenfalls keine andere Deutung zulässt.
Es liegt im Ermessen des Dienstherrn, die abstrakt-sowie die konkret-funktionellen Ämter im Rahmen der durch die Übertragung des Statusamtes bedingten Vorgaben inhaltlich zu bestimmen, ihr Verhältnis zueinander festzulegen sowie sie den einzelnen Behörden zuzuordnen. Wegen dieses dem Dienstherrn eingeräumten Organisationsermessens ist es aus Gründen der Rechtssicherheit erforderlich, dass dem Beamten nicht nur das statusrechtliche Amt, sondern auch das Amt im funktionellen Sinn in ausdrücklicher und unmissverständlicher Form übertragen wird. Führt der Dienstherr in seinen Behörden organisatorische Veränderungen durch, die die übertragenen Ämter betreffen, ist der Beamte in unterschiedlichem Grad rechtlich geschützt. Gegen die Entziehung des konkret-funktionellen Amtes steht ihm Rechtsschutz in nur geringerem Maße zur Verfügung als gegen die Entziehung des abstrakt-funktionellen Amtes. Er hat zwar Anspruch auf Übertragung eines seinem Amt im statusrechtlichen Sinn entsprechenden funktionellen Amtes, d.h. eines “amtsgemäßen Aufgabenbereiches”. Zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums gemäß Art. 33 Abs. 5 GG gehört jedoch nicht das Recht des Beamten auf unveränderte und ungeschmälerte Ausübung des ihm übertragenen konkret-funktionellen Amtes. Der Beamte muss vielmehr eine Änderung seines dienstlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe seines Amtes im statusrechtlichen Sinn hinnehmen (vgl. Urteil vom 22. Mai 1980 – BVerwG 2 C 30.78 – BVerwGE 60, 144 ≪150≫ m.w.N.). Das abstrakt-funktionelle Amt aber kann nur durch eine Versetzungsverfügung verändert werden.
Da das einer bestimmten Behörde zugeordnete abstrakt-funktionelle Amt durch Einzelakt auf einen Beamten übertragen werden muss, kommt es zur Bestimmung der Zuordnung dieses Amtes zu einer bestimmten Behörde weder auf den von der Beklagten ins Feld geführten Begriff der Beschäftigungsbehörde noch darauf an, dass die Bundesbahndirektion Hannover die personalführende Stelle des Klägers gewesen ist. Auch lässt sich aus der Vorschrift des § 42 Abs. 3 BBG in der Fassung vom 18. Dezember 1989 (BGBl I S. 2218) nicht ableiten, dass das abstrakt-funktionelle Amt der personalführenden Stelle als Beschäftigungsbehörde des Beamten zugeordnet war. Weder enthält die Vorschrift den Begriff der Beschäftigungsstelle, noch hat sich an der bis zu ihrer Neufassung geltenden Rechtslage, dass die Dienstfähigkeit eines Beamten an den Anforderungen des abstrakt-funktionellen Amtes gemessen wird, etwas geändert.
Unbegründet sind auch die Verfahrensrügen der Beklagten. Auf die Klärung der Frage, ob bei anderen der Bundesbahndirektion Hannover nachgeordneten Behörden “leidensgerechte” Dienstposten vorhanden waren, die der Kläger trotz seiner Behinderung hätte ausfüllen können, kommt es nicht an, weil dem Kläger ein abstrakt-funktionelles Amt bei der Ga … Hbf und nicht bei der Bundesbahndirektion Hannover übertragen war. Von den ihr durch die Neufassung des § 42 Abs. 3 BBG eingeräumten Möglichkeiten, den Kläger anderweitig zu verwenden und erforderlichenfalls sogar zu versetzen, hätte die Beklagte von der Versetzung des Klägers in den Ruhestand Gebrauch machen können. Das hat sie aber nicht getan. Ebenso wenig ist entscheidungserheblich, ob sich aus dem vom Berufungsgericht eingeholten unfallchirurgischen Gutachten zwingend ergibt, dass die auf dem Dienstunfall beruhende Behinderung des Klägers als wesentlich mitwirkende Teilursache gewertet werden darf. Denn aus dem Gutachten ergibt sich eindeutig, dass der Kläger nicht in der Lage war, das mobile Dateneingabegerät zu bedienen. Da in der Ga … Hbf unstreitig kein anderer leidensgerechter Dienstposten zur Verfügung stand, der dem abstrakt-funktionellen Amt entsprach, das dem Kläger übertragen war, durfte das Berufungsgericht ohne weitere Sachaufklärung davon ausgehen, dass der Kläger wegen seiner auf dem Dienstunfall beruhenden Körperbehinderung dienstunfähig war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Albers, Prof. Dawin, Dr. Kugele, Groepper, Dr. Heitz
Fundstellen
BVerwGE 2005, 53 |
ZTR 2005, 384 |
NPA 2005, 0 |
Städtetag 2005, 42 |