Entscheidungsstichwort (Thema)
Restitution. Bodenreformgrundstücke. unzulässige Rechtsausübung
Leitsatz (amtlich)
Rechtsstaatswidrig erlangte Vermögensgegenstände unterfallen nicht der öffentlichen Restitution (Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung). Dieser Ausschlussgrund trifft nicht auf ehemalige Bodenreformgrundstücke zu, welche die restitutionsbegehrende Körperschaft rechtsgeschäftlich gegen angemessene Gegenleistung erworben hatte.
Normenkette
Einigungsvertrag (EV) Art. 21 Abs. 3 i.V.m, Art. 22 Abs. 1 S. 7
Verfahrensgang
VG Chemnitz (Urteil vom 27.11.2001; Aktenzeichen 6 K 1479/99) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 27. November 2001 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe
Die Beteiligten streiten darüber, ob das in der Gemeinde Niederlungwitz gelegene Flurstück 940/1 vor dessen Veräußerung der klagenden Stadt zurück zu übertragen gewesen wäre.
Das streitgegenständliche Flurstück ist aus den Flurstücken mit den Nrn. 939 und 940 hervorgegangen. Mit Vertrag vom 20. Mai 1948 tauschte die Rechtsvorgängerin der Klägerin ihr gehörende Parzellen gegen die beiden im Rahmen der Bodenreform einem Neubauern (Flurstück 940) bzw. der Gemeinde Niederlungwitz (Flurstück 939) zugeteilten Flurstücke. Die Auflassung erfolgte am selben Tage. Die Klägerin wurde am 20. September 1948 im Grundbuch als Eigentümerin des Flurstücks 939 eingetragen. Ein Eintragungsnachweis für das andere Flurstück fehlt bisher. Die Grundstücke wurden später in Eigentum des Volkes – Rechtsträger: Rat der Gemeinde Glauchau – überführt. Die Klägerin veräußerte das Grundstück im Jahre 1993.
Mit Bescheid vom 30. Juni 1999 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Zuordnung ab und stellte fest, dass die Beigeladene am 3. Oktober 1990 Eigentümerin geworden sei. Da es sich um Bodenreformgrundstücke gehandelt habe, sei eine Restitution ausgeschlossen. Die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 27. November 2001 abgewiesen. Das Urteil ist wie folgt begründet:
Zugunsten der Klägerin komme allenfalls ein Rückübertragungsanspruch gemäß Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 Satz 7 Einigungsvertrag (EV) in Betracht. Es könne offen bleiben, ob dieser Anspruch schon daran scheitere, dass sich der Eigentumsübergang hinsichtlich des Altflurstückes 940 auf die Klägerin im Grundbuch nicht lückenlos nachweisen lasse. Diese Bestimmungen seien nämlich schon deshalb nicht anwendbar, weil die von der Klägerin erworbenen Grundstücke aus der Bodenreform stammten und deshalb nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht der Restitution unterlägen. Die Enteignung der ursprünglichen Grundstückseigentümer sei rechtswidrig gewesen. Dieser Makel sei nicht dadurch entfallen, dass die Klägerin die Grundstücke im Zuge eines Tauschgeschäftes erworben habe. Der Erwerb von Grundstücken aus der Bodenreform könne unter keinen Umständen als rechtmäßig bezeichnet werden.
Zur Begründung der vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision trägt die Klägerin u.a. vor: Das Verwaltungsgericht berufe sich zu Unrecht auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts im Fall ‘Hoppegarten’ (BVerwG 7 C 42.94 – BVerwGE 100, 62). Die für diese Entscheidung maßgeblichen Erwägungen lägen jedenfalls dann nicht vor, wenn die restitutionsbegehrende Körperschaft das betreffende Grundstück im Tausch gegen “vollwertige” – d.h. mit der Bodenreform nicht im Zusammenhang stehende – Grundstücke erlangt habe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 27. November 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 30. Juni 1999 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass das Eigentum an dem in der Gemarkung Niederlungwitz gelegenen Flurstück Nr. 940/1 der Klägerin zurück zu übertragen war.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Zur Begründung führt sie aus: Da das von der Klägerin hergegebene Tauschgrundstück nicht der Entschädigung des ursprünglich enteigneten Eigentümers gedient habe, bestehe die Rechtswidrigkeit der Enteignung fort. Ob das Verhalten der Rechtsvorgängerin der Klägerin als redlich bezeichnet werden könne, sei fraglich, weil sie die Herkunft der eingetauschten Bodenreformgrundstücke gekannt habe. Selbst wenn von ihrer Redlichkeit auszugehen wäre, würde dadurch die Rechtswidrigkeit der Enteignung nicht geheilt.
Die Beigeladene verteidigt ebenfalls das angefochtene Urteil und argumentiert im Sinne der Beklagten.
II.
Die Revision ist begründet. Der klagenden Stadt stand zur maßgeblichen Zeit – jedenfalls also am 3. Oktober 1990 – ein Rechtsanspruch auf Rückgabe des streitgegenständlichen Grundstücks zu, falls ihre Rechtsvorgängerin im Gefolge des Tauschvertrages von 1948 dessen Eigentümerin geworden war. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, hat das Verwaltungsgericht offen gelassen. Dies führt zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz. Die entscheidungstragende Annahme des Verwaltungsgerichts, die dem Tauschvertrag vorausgegangene entschädigungslose Enteignung der Alteigentümer schließe einen etwaigen Restitutionsanspruch der Klägerin aus, verstößt gegen Bundesrecht.
Im Ansatz zutreffend hat das Verwaltungsgericht das Rückgabebegehren der Klägerin an Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 Satz 7 Einigungsvertrag (EV) gemessen. Anhaltspunkte für eine aus der Art der Nutzung des Grundstücks abzuleitende anderweitige Anspruchsgrundlage sind nicht ersichtlich. Dass im Falle der Klägerin die in dieser Regelung aufgeführten Tatbestandsmerkmale erfüllt sind, ist – abgesehen von dem noch aufzuklärenden Eigentumsübergang im Jahre 1948 – unstreitig und bedarf keiner weiteren Erörterung. Die Entscheidung des Revisionsverfahrens hängt somit nur davon ab, ob die Herkunft des beanspruchten Grundstücks aus der Bodenreform einen ungeschriebenen Restitutionsausschlussgrund darstellt. Dies ist nach der Überzeugung des Senats nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht beruft sich für seine gegenteilige Ansicht auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. November 1995 – BVerwG 7 C 42.94 – (BVerwGE 100, 62; Fall “Hoppegarten”). Danach unterliegt der öffentlichen Restitution kein Vermögen, das ein Land oder sein Rechtsvorgänger “durch entschädigungslose Enteignung Privater im Rahmen der Bodenreform erlangt hatte”; der Wiedergutmachungsgedanke schließt die Restitution aus, wenn der öffentlich-rechtlichen Körperschaft Vermögenswerte entzogen wurden, die sie selbst auf rechtsstaatswidrige Weise erlangt hatte. Der erkennende Senat, der nunmehr für das Vermögenszuordnungsgesetz zuständig ist, hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (vgl. Urteil vom 18. Februar 1999 – BVerwG 3 C 2.98 – Buchholz 111 Art. 21 EV Nr. 32) und hält an ihr nach erneuter Prüfung fest. Der vorliegende Rechtsstreit weist jedoch wesentliche Unterschiede zum Fall “Hoppegarten” auf. Die Erwägungen, auf denen die Nichtrestituierbarkeit von Bodenreformgrundstücken beruht, treffen auf die Situation der Klägerin nicht zu.
Einzuräumen ist, dass gemeinsame Grundlage beider Fallgestaltungen die Rechtswidrigkeit der im Zuge der Bodenreform erfolgten Enteignungen ist. Der in Rede stehende Restitutionsausschlussgrund setzt u.a. voraus, dass der zurückverlangte Vermögensgegenstand seinem früheren Eigentümer entschädigungslos und damit in rechtsstaatswidriger Weise entzogen worden war, bevor er in das Eigentum der restitutionsbegehrenden Körperschaft gelangte. Dies trifft auf Bodenreformgrundstücke in der Regel, wenn auch nicht in allen Fällen (vgl. Senatsbeschluss vom 3. März 1999 – BVerwG 3 B 10.99 – Buchholz 111 Art. 21 EV Nr. 33) zu. Auch das Verwaltungsgericht geht stillschweigend von einer entschädigungslosen Enteignung der Alteigentümer aus, so dass ein Restitutionsausschluss insoweit in Betracht kommen könnte.
Die Rechtswidrigkeit einer Bodenreformenteignung führt aber noch nicht ohne weiteres zur Restitutionsfestigkeit des betreffenden Vermögensgegenstandes. Die Rückgabe begehrende Körperschaft geht ihres Anspruchs nur dann verlustig, wenn sie selbst in das Unrechtsgeschehen dergestalt involviert war, dass sie sich den enteigneten Gegenstand in vorwerfbarer Weise verschafft, sich an ihm ohne Rechtsgrund oder Gegenleistung bereichert oder aus ihm in sonstiger unredlicher Weise Nutzen gezogen hat. Für diese Einschränkung sprechen folgende Gründe:
Bei einer im Zuge richterlicher Rechtsfortbildung zu erwägenden Versagung eines gesetzlichen Anspruchs (hier: auf Rückgabe früheren Eigentums) ist Zurückhaltung geboten (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG). Die Versagung muss sich auf anerkannte Rechtsgrundsätze oder Auslegungsregeln stützen lassen. Die Nichtrestituierbarkeit von Bodenreformgrundstücken stellt sich mangels einer in diesem Sinne auslegbaren Rechtsnorm als Ausfluss des Instituts der unzulässigen Rechtsausübung dar und findet in ihm ihre Grenzen. Deshalb kann nur derjenige, der durch sein Verhalten mit den guten Sitten und den Grundsätzen von Treu und Glauben in Konflikt geraten ist, mit einer für den erfolgten Rechtsverstoß (hier: die entschädigungslose Enteignung) eventuell zu verhängenden Sanktion belegt werden.
Diese Sichtweise – dass also die Versagung des Restitutionsanspruchs die Folge eines ungerechtfertigten Erwerbs gerade durch den Antragsteller ist – findet auch in der bisher hierzu ergangenen Rechtsprechung ihren Ausdruck. Danach schließt der der Restitution zugrunde liegende Wiedergutmachungsgedanke die Rückgabe solcher Vermögensgegenstände aus, die “sie” (d.h. die öffentlich-rechtliche Körperschaft) “selbst auf rechtsstaatswidrige Weise erlangt hatte” (BVerwGE 100, 62, 69). Mithin kommt es maßgeblich auf die konkreten Umstände bei der Erlangung des Vermögensgegenstandes durch den Restitutionsprätendenten an. Nur wenn diese aus rechtsstaatlicher Sicht zu missbilligen sind, entfällt die Wiedergutmachungswürdigkeit des Vermögensverlustes und damit der Rückgabeanspruch. In diesem Sinne ist auch der weitere Begründungszusatz zu verstehen: “… die öffentliche Restitution dient nicht der Wiederherstellung eines rechtsstaatswidrigen Zustands” bzw. “der Wiedereinräumung einer rechtsstaatswidrig erlangten Eigentumsposition”. Würde durch eine Rückgabe ein rechtsstaatswidriger Zustand “wiederhergestellt”, so muss sich die Rechtsstaatswidrigkeit hier auf die Art und Weise der Vermögenserlangung durch den Antragsteller beziehen und nicht auf die von einer Rückgabe unberührt bleibende vorausgegangene Enteignung.
Für die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Makel der rechtsstaatswidrigen Enteignung schließe eine Restitution generell aus, fehlt es demgegenüber an durchgreifenden Argumenten: Wer diesen Makel als ein dem Vermögensgegenstand als solchem anhaftendes (Rück-)Erwerbshindernis ähnlich wie bei abhanden gekommenen Sachen behandelt sehen will, verkennt zum einen, dass es hier an einer dem § 935 BGB entsprechenden Regelung mangelt. Zum anderen würde sich eine solche generelle Einschränkung nicht vereinbaren lassen mit den ansonsten geltenden Regelungen für die Rückgabe oder das Behaltendürfen von Bodenreformgrundstücken. So kann etwa der Erwerber eines solchen Grundstücks den aufgrund strafrechtlicher Rehabilitation entstandenen Rückgabeanspruch des enteigneten Alteigentümers abwehren, wenn der Neubauer bei Zuteilung des Grundstücks redlich (im Sinne von § 4 Abs. 3 VermG) war (vgl. Urteil vom 17. Mai 2000 – BVerwG 8 C 16.99 – BVerwGE 111, 182 = Buchholz 428 § 1 Abs. 7 VermG Nr. 4). Der Rechtsverlust (des derzeitigen Eigentümers) wird somit auch hier abhängig gemacht von einem zu missbilligenden Verhalten beim Erwerb des Bodenreformgrundstücks und nicht einmal in solchen Fällen mit der Rechtswidrigkeit der entschädigungslosen Enteignung verknüpft, in denen letztere durch Restitution des Grundstücks an den Alteigentümer rückgängig gemacht werden könnte.
Die Voraussetzungen, unter denen – wie zuvor ausgeführt – eine öffentliche Restitution von Bodenreformgrundstücken ausgeschlossen ist, liegen im Falle der Klägerin nicht vor. Sie hat die beiden Teilgrundstücke auf redliche Art und Weise erlangt, indem sie sich nach den Regeln des allgemeinen Geschäftsverkehrs mit Immobilien verhalten und eine angemessene Gegenleistung erbracht hat. Von einer ungerechtfertigten Bereicherung kann insoweit keine Rede sein. Die bloße Kenntnis der Klägerin von der Herkunft dieser Parzellen reicht nicht aus, den Tausch als unlauter zu qualifizieren. Seine Vornahme hat niemandem geschadet, seine Unterlassung hätte niemandem – auch nicht den Enteignungsopfern – genützt. Es ist daher nicht unbillig, dass die Klägerin das Grundstück zurückerhält, falls das Verwaltungsgericht zur Feststellung ihrer früheren Eigentümerstellung gelangt.
Unterschriften
Prof. Dr. Driehaus, van Schewick, Dr. Borgs-Maciejewski, Dr. Brunn, Vormeier
Fundstellen
VIZ 2003, 522 |
DÖV 2004, 81 |