Entscheidungsstichwort (Thema)
Landessammelstelle. Ausgabenverantwortung. Zweckausgaben. Verwaltungsausgaben. Bundesauftragsverwaltung. Weisung. Bundesaufsicht. Erstattungsanspruch Verwirkung. Verjährung. nichtverfassungsrechtliche Streitigkeit. Kostenerhebung. Prozesszinsen
Leitsatz (amtlich)
Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern sind nichtverfassungsrechtlicher Art, wenn sie den Anspruch auf Erstattung von Zweckausgaben der Höhe nach oder die Begründetheit entsprechender Einreden und Einwendungen betreffen.
Sachliche und personelle Aufwendungen, die der Errichtung und dem Betrieb einer atomrechtlichen Landessammelstelle zuzurechnen sind, sind i.S.d. Art. 104a Abs. 2 GG durch die Aufgabenerfüllung im Auftrag des Bundes entstehende Zweckausgaben des Landes.
Zur Verjährung und zur Verwirkung eines Anspruchs auf Erstattung von Zweckausgaben.
Normenkette
GG Art. 85 Abs. 1, 3-4, Art. 104a Abs. 1-2, 5; AtG § 9a Abs. 3, §§ 21a, 24; VwGO § 50 Abs. 1 Nr. 1; BGB §§ 288, 291; EGBGB Art. 229 § 1 Abs. 1 S. 3
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 798 760,47 € nebst Zinsen in Höhe von jährlich 4 v.H. aus einem Teilbetrag von 747 429,61 € und in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Teilbetrag von 51 330,86 € jeweils ab dem 31. März 2005 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der durch die Anrufung des unzuständigen Verwaltungsgerichts Köln entstandenen Mehrkosten, die der Kläger trägt.
Tatbestand
I
Der Kläger verlangt von der Beklagten die Erstattung von Kosten für die Errichtung und den Betrieb einer atomrechtlichen Landessammelstelle, die in den Jahren 1991 bis 2000 angefallen sind. Im Nachgang zu einer atomrechtlichen Weisung aus dem Jahr 1991 übertrug er die Wahrnehmung der Aufgaben der Landessammelstelle an die Energiewerke Nord GmbH mit Betriebsgebäuden auf dem Gelände des früheren KKW Rheinsberg. Ab 1999 nutzte er gemeinsam mit dem Land Mecklenburg-Vorpommern die im Zwischenlager Nord in Rubenow (Lubmin) errichtete Landessammelstelle.
Ab 1994 forderte die Beklagte die Bundesländer jährlich schriftlich auf, die im abgelaufenen Jahr im Rahmen der atomrechtlichen Auftragsverwaltung angefallenen Ausgaben geltend zu machen. Beigefügt war den Schreiben jeweils ein Anforderungsvordruck, in dem unter Nr. 4.1 die Kosten für “Ganzkörpermessgeräte, mit denen im Falle besonderer Gefährdung auf Anordnung der Aufsichtsbehörde die Aufnahme radioaktiver Stoffe durch den menschlichen Körper festgestellt werden kann”, anzugeben, unter Nr. 4.2 “Zweckausgaben im Zusammenhang mit der Überwachung grenznaher ausländischer Kernanlagen” zu bezeichnen und unter Nr. 4.3 “Sonstige Zweckausgaben” aufzuführen waren. Dem Sozialministerium des Klägers ging ein solches Anforderungsschreiben erstmals im Juni 1994 zu, es betraf die im Haushaltsjahr 1993 angefallenen Kosten.
Die Beklagte vertritt seit den 1980er Jahren die Auffassung, Personalkosten der Landessammelstellen seien Verwaltungskosten und deshalb den Ländern nicht zu erstatten. Nachdem auf der 24. Sitzung der Arbeitsgruppe Landessammelstellen im Mai 1998 – unter Beteiligung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – der Bund und die Länder sich auf Abgrenzungskriterien zur Unterscheidung der von den Ländern zu tragenden Verwaltungsausgaben von den vom Bund zu erstattenden Zweckausgaben verständigt hatten und im November 2001 vom Länderausschuss Atomkernenergie ein neuer Abrechnungsbogen entwickelt worden war, beantragte der Kläger mit Schreiben vom 30. Mai 2002 unter Verwendung des neuen Abrechnungsbogens die Erstattung der im Einzelnen aufgeführten ungedeckten Aufwendungen aus den Jahren 1991 bis 2001.
Die Beklagte lehnte die Erstattung der für die Jahre 1991 bis 2000 angeforderten Kosten in Höhe von insgesamt 798 760,47 € wegen Verwirkung ab. Die im Jahr 2001 entstandenen Kosten wurden erstattet.
Der Kläger hat am 31. März 2005 beim Verwaltungsgericht Köln Klage erhoben. Das Verwaltungsgericht hat den Rechtsstreit an das Bundesverwaltungsgericht verwiesen. Zur Begründung seiner Klage führt der Kläger aus: Die öffentlich-rechtliche Streitigkeit sei nichtverfassungsrechtlicher Art. Der Erstattungsanspruch habe seinen Rechtsgrund im atomrechtlichen Verwaltungsverfahren. Der Anspruch auf Erstattung der Zweckausgaben sei nach Grund und Höhe begründet. Auf die Einrede der Verjährung könne sich die Beklagte nicht mit Erfolg berufen, weil die dreijährige Verjährungsfrist erst am 1. Januar 2002 in Lauf gesetzt und die Verjährung wegen Verhandlungen über den Anspruch bis zum 18. Januar 2005 gehemmt worden sei. Die geltend gemachten Ansprüche seien auch nicht verwirkt. Die Beklagte habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass der Kläger seine Ansprüche nicht mehr geltend machen würde. Der angeblichen Meldepflicht bis zum Ende des auf die Anspruchsentstehung folgenden Kalenderjahres habe der Kläger nicht entsprechen können, weil es keine belastbaren Kriterien zur Beurteilung von Zweckausgaben gegeben habe.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 798 760,47 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält den Rechtsstreit für verfassungsrechtlicher Art. Verfassungsrechtlicher Art sei insbesondere die Abgrenzung von Zweckausgaben und Verwaltungsausgaben. Im Übrigen seien nicht alle Einnahmen in Abzug gebracht worden. Der Kläger habe nicht dargelegt, dass es in dem in Rede stehenden Zeitraum tatsächlich zu Gebührenausfällen gekommen sei. Verbliebene Forderungen des Klägers seien verwirkt. Der Kläger hätte auf die früheren Anforderungsschreiben reagieren müssen. Es habe kein Anlass bestanden, die Anmeldung insgesamt nur deshalb hinauszuzögern, weil ein geringer Teil des Anspruchs nicht abschließend geklärt gewesen sei. Das Anforderungsschreiben sei eindeutig gewesen. Aus dem Grundsatz der Bundestreue und aus Haushaltsgrundsätzen ergebe sich eine Rechtspflicht zur frühzeitigen Geltendmachung der Ansprüche. Die verfassungsrechtlich angeordnete Jährlichkeit des Haushalts sei zu berücksichtigen. Davon abgesehen seien sämtliche Ansprüche aus den Jahren 1990 bis 2000 mit Ablauf des Jahres 2004 verjährt. Verhandlungen über das Schicksal individueller Ansprüche hätten nicht stattgefunden. Überdies sei die Bestimmung über die Verjährungshemmung im Verfassungsrecht nicht ohne Weiteres anwendbar.
Entscheidungsgründe
II
Die Klage ist zulässig und bis auf einen geringfügigen Teil begründet.
1. Das Bundesverwaltungsgericht ist für die Entscheidung erstinstanzlich zuständig, da eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vorliegt (§ 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Ob eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit verfassungsrechtlicher Art ist, richtet sich danach, inwieweit das streitige Rechtsverhältnis entscheidend durch Verfassungsrecht geprägt wird (Beschlüsse vom 13. August 1999 – BVerwG 2 VR 1.99 – BVerwGE 109, 258 ≪259≫ m.w.N. = Buchholz 11 Art. 44 GG Nr. 2 und vom 8. Mai 2002 – BVerwG 3 A 1.01 – BVerwGE 116, 234 ≪237 f.≫ = Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 289). Eine entscheidende Prägung durch Verfassungsrecht ist regelmäßig anzunehmen, wenn um föderale Ansprüche, Verbindlichkeiten oder Zuständigkeiten gestritten wird, welche auf Normen des Grundgesetzes gestützt werden, die gerade das verfassungsrechtlich geordnete Verhältnis zwischen Bund und Ländern betreffen (BVerfG, Urteil vom 22. Mai 1990 – 2 BvG 1/88 – BVerfGE 81, 310 ≪319≫ m.w.N.). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Der geltend gemachte, aus Art. 104a Abs. 2 GG abgeleitete Klageanspruch wurzelt nicht im verfassungsrechtlichen Grundverhältnis zwischen dem Bund und einem Land, sondern in einem engeren Rechtsverhältnis, das durch Normen des einfachen Rechts geprägt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Oktober 2003 – 2 BvG 1/02, 2/02 – BVerfGE 109, 1 ≪6≫; BVerwG, Urteil vom 24. Januar 2007 – BVerwG 3 A 2.05 – BVerwGE 128, 99 ≪102≫ = Buchholz 11 Art. 104a GG Nr. 20). Prägend ist hier das auf § 24 Abs. 1 Satz 1 AtG beruhende Auftragsverhältnis zwischen der Beklagten und dem Kläger. Aus dieser Vorschrift geht hervor, dass die Errichtung und der Betrieb eines atomrechtlichen Landessammellagers im Auftrag des Bundes ausgeführt wird (§ 9a Abs. 3 Satz 1 AtG). Der Streit zwischen den Beteiligten betrifft nicht den Rechtsgrund, sondern die Höhe des Erstattungsanspruchs und die Begründetheit von Einwendungen oder Einreden.
Verfassungsrechtlicher Art ist auch nicht der Streit um die Abgrenzung von Zweckausgaben und Verwaltungskosten. Nach der Grundregel des Art. 104a Abs. 1 GG trägt diejenige Körperschaft, die die Verwaltungskompetenz besitzt, auch die Ausgaben. Als Ausnahme von dieser Regel bestimmt Art. 104a Abs. 2 GG, dass der Bund die Ausgaben trägt, die sich aus dem Handeln der Länder im Auftrag des Bundes ergeben (Zweckausgaben). Die Verwaltungsausgaben wiederum tragen nach der gegenüber Absatz 2 speziellen Vorschrift des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 GG die Körperschaften, bei deren Behörden sie entstehen. Verwaltungsausgaben sind die Kosten für die Unterhaltung und den Betrieb des Verwaltungsapparats. Sie stehen im Gegensatz zu den Zweckausgaben, die durch die Erfüllung der Verwaltungsaufgaben anfallen (Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 104a Rn. 9 m.w.N.). Ob projektbezogene Personalkosten zu den Zweckausgaben oder den Verwaltungsausgaben gehören, ist eine Frage der Auslegung des einfachen Rechts. Sie ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dahin geklärt, dass Personalkosten den Zweckausgaben unterfallen, soweit sie der entsprechenden Sachaufgabe zurechenbar sind. Zweckausgaben erfassen nicht nur die zweckgebundenen sächlichen Kosten, sondern auch personelle Kosten, die die Erfüllung der Sachaufgabe erfordert (Urteil vom 2. Februar 1995 – BVerwG 2 A 1.92 – Buchholz 11 Art. 104a GG Nr. 13). Das folgt daraus, dass der Zweck der übertragenen Sachaufgabe nicht ohne Einsatz von Personal erreicht werden kann.
Den dem Senat vorliegenden Akten lässt sich nicht entnehmen, dass der Kläger in seine Erstattungsforderung Personalkosten eingestellt hat, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der ihm übertragenen Aufgabe stehen. Auch die Beklagte behauptet das nicht. Ihre Auffassung, dass personelle Aufwendungen für den Betrieb der Landessammelstelle – z.B. auch die Hausmeisterkosten – generell nicht zu den Zweckausgaben gerechnet werden könnten, trifft nicht zu.
2. Die Einwände, die die Beklagte gegen die Höhe des geltend gemachten Erstattungsanspruchs erhoben hat, sind unbegründet.
Gegenstand des Klageverfahrens ist die Summe der in der Zusammenstellung des Klägers im Einzelnen bezeichneten Zweckausgaben 1991 bis 2000 in Höhe von 798 760,47 €, die nach dem unwidersprochenen Klagevorbringen Gegenstand des letzten Vergleichsgesprächs der Beteiligten am 18. Januar 2005 war. Der von der Beklagten gegen die Höhe dieses Betrags erhobene Einwand, der Kläger habe nicht dargelegt, dass die Refinanzierung der Kosten der Landessammelstelle an Gebührenausfällen gescheitert sei, greift nicht durch. Aus der Kostenzusammenstellung gehen neben den Ausgaben im Einzelnen auch die in Abzug gebrachten Einnahmen des Klägers hervor. Im Rahmen des Vergleichsgesprächs wurde über einzelne Rechnungspositionen mit dem Ergebnis verhandelt, dass der Kläger die zunächst geltend gemachte Erstattungssumme um einen Betrag aus dem Jahr 1995 verringert hat. Angesichts dessen wäre es Aufgabe der Beklagten gewesen, die aus ihrer Sicht nicht erstattungsfähigen Rechnungspositionen zu substantiieren, um dem Gericht weiterführende Ermittlungen zur Höhe der Forderung zu ermöglichen. Daran fehlt es. Die Beklagte hat die Kostenzusammenstellung des Klägers in keinem Punkt konkret beanstandet. Mit derart unsubstantiierten Einwänden lässt sich ein dargelegter Anspruch nicht bestreiten (BGH, Urteil vom 24. Januar 2008 – VII ZR 280/05 – BGHZ 175, 118 m.w.N.).
Den Gründen, aus denen Aufwendungen des Klägers für die Errichtung und den Betrieb der Landessammelstelle ungedeckt blieben, muss nicht weiter nachgegangen werden. Im Rahmen der Auftragsverwaltung verfügen die Länder nur über eine beschränkte Sachkompetenz, weil sich die Bundesaufsicht sowohl auf die Gesetzmäßigkeit als auch auf die Zweckmäßigkeit der Gesetzesausführung erstreckt (Art. 85 Abs. 4 Satz 1 GG) und die Landesbehörde den Weisungen der zuständigen obersten Bundesbehörde unterliegt (Art. 85 Abs. 3 Satz 1 GG). Den Ländern verbleibt allein die Wahrnehmungskompetenz für den Gesetzesvollzug, die ihrerseits durch die Weisungskompetenz des Bundes beschränkt ist. Für die Benutzung einer Landessammelstelle haben die Länder zwar Kosten zu erheben (§ 21a Abs. 1 AtG). Kommen sie dieser Pflicht nicht hinreichend nach, begründet das aber keine Befugnis des Bundes, die Erstattung der Zweckausgaben entsprechend zu verringern. Das folgt daraus, dass der Bund die Kostenkontrolle und die notwendige Kostenerhebung im Aufsichtsweg sicherstellen kann. Bleibt der Bund trotz seines Weisungsrechts untätig, kann er dieses Versäumnis nicht auf der Stufe des Aufwendungsersatzes nach Art. 104a Abs. 2 GG nachholen und Ansprüche des Landes wegen angeblich unzureichender Kostenerhebung nachträglich kürzen (Papier, in: FS Willi Blümel, 1999, S. 421 ≪429 ff.≫).
Ob die umfassende Ausgabenverantwortung des Bundes dann eine Einschränkung erfährt, wenn Belastungen des Bundes auf einer nicht ordnungsgemäßen Verwaltung des Landes beruhen, bedarf hier keiner Entscheidung. Das Bestehen eines entsprechenden, aus Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 GG herzuleitenden Haftungsanspruchs ist schon zweifelhaft, wenn der Bund im Vorfeld von seinem Weisungsrecht keinen Gebrauch gemacht hat. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat den Haftungsanspruch überdies auf schwerwiegende Verletzungen von Hauptpflichten, also auf den Kernbereich der zugewiesenen Pflichten beschränkt und eine Einstandspflicht für fahrlässiges Handeln ausgeschlossen (Urteil vom 18. Mai 1994 – BVerwG 11 A 1.92 – BVerwGE 96, 45 ≪57 f.≫ = Buchholz 11 Art. 104a GG Nr. 11). Nach diesem Maßstab scheidet eine Inanspruchnahme des Klägers von vornherein aus. Der Kläger macht plausible Gründe dafür geltend, dass es trotz Gebührenerhebung zu einer Unterdeckung der Betriebskosten kommen musste. Ursächlich war nach seinem Vorbringen namentlich der geringe Umfang der Einlagerungen. Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass das Verwaltungshandeln des Klägers im Rahmen der Aufgabenübertragung unzureichend war.
3. Ohne Erfolg erhebt die Beklagte gegen die Forderung die Einrede der Verjährung.
Das Rechtsinstitut der Verjährung findet nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich auch im öffentlichen Recht Anwendung (Urteile vom 27. November 1986 – BVerwG 5 C 74.85 – BVerwGE 75, 173 ≪179≫ = Buchholz 436.0 § 11 BSHG Nr. 11 und vom 25. November 1982 – BVerwG 2 C 14.81 – BVerwGE 66, 251 ≪252 f.≫ = Buchholz 235 § 12 BBesG Nr. 3). Der Zweck der Verjährung, tatsächliche Umstände, die längere Zeit unangefochten Bestand hatten, im Interesse des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit als zu Recht bestehend anzuerkennen, hat seine Berechtigung gleichermaßen im Privatrecht wie im öffentlichen Recht (Urteil vom 4. Oktober 1994 – BVerwG 1 C 41.92 – BVerwGE 97, 1 ≪6≫ = Buchholz 437.1 BetrAVG Nr. 11). Für Erstattungsansprüche nach Art. 104a Abs. 2 GG gilt nichts anderes. Dabei ist nach dem Gesamtzusammenhang der für den jeweiligen Anspruch geltenden Rechtsvorschriften und der Interessenlage zu beurteilen, welche Verjährungsregelungen als die “sachnächsten” entsprechend heranzuziehen sind (Urteil vom 18. April 1986 – BVerwG 8 A 1.83 – Buchholz 454.4 § 19 Abs. 2 WoBauG Nr. 1). Die in Rede stehenden Ansprüche, die strukturell mit dem bürgerlichrechtlichen Auftragsrecht vergleichbar sind, entsprechen öffentlich-rechtlichen Erstattungsansprüchen zwischen Hoheitsträgern, die der Rückabwicklung rechtsgrundlos erbrachter Leistungen oder sonstiger Vermögensverschiebungen dienen und im Zivilrecht ihre Ausprägung in den §§ 812 ff. BGB finden (Beschluss vom 16. November 2007 – BVerwG 9 B 36.07 – NJW 2008, 601). Ebenso wie für diese ist deshalb auch für Erstattungsansprüche nach Art. 104a Abs. 2 GG bei Fehlen sondergesetzlicher Regelungen auf die Verjährungsvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs zurückzugreifen. Das führte nach der früheren Rechtslage regelmäßig zur Anwendung der 30-jährigen Verjährungsregelung des § 195 BGB a.F.
Ob nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes nunmehr die Regelverjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB n.F.) auf öffentlich-rechtliche Erstattungsansprüche entsprechend anzuwenden ist oder ob weiterhin eine Maximalfrist von 30 Jahren gelten soll (F. Kirchhof, in: FS Selmer, 2004, S. 725 ≪727≫), kann offen bleiben. Da die Neuregelung eine Verkürzung der vorherigen Verjährungsfrist zur Folge hätte, wäre die kürzere Frist erst am 1. Januar 2002 in Lauf gesetzt worden (Art. 229 § 6 Abs. 4 Satz 1 EGBGB). Diese Frist wäre bei Klageerhebung noch nicht abgelaufen gewesen, weil entgegen der Auffassung der Beklagten die Regelung über die Verjährungshemmung (§ 203 BGB) auch im Zusammenhang mit einer Verjährung von Erstattungsansprüchen nach Art. 104a Abs. 2 GG nicht unberücksichtigt bleiben darf. Hiernach ist, wenn zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger einer Forderung Verhandlungen über den Anspruch oder die den Anspruch begründenden Umstände schweben, die Verjährung gehemmt, bis eine Vertragspartei die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert. Nach den hier gegebenen Umständen war eine Verjährungshemmung eingetreten. Die Beteiligten hatten sich im Herbst 2004 auf eine Unterredung über die streitigen Erstattungsansprüche verständigt. Der Termin wurde auf Vorschlag der Beklagten auf den 18. Januar 2005 verschoben. Entsprechend einer Aufforderung der Beklagten legte der Kläger zu diesem Termin die einschlägigen Verwaltungsunterlagen vor. Angesichts dessen durfte der Kläger davon ausgehen, dass die Beklagte zu ernsthaften Verhandlungen über die geltend gemachte Forderung bereit war. Nachdem eine Einigung in diesem Termin gescheitert war und die Beklagte eine Fortsetzung der Verhandlungen verweigerte, konnte die Verjährung frühestens drei Monate nach dem Ende der Hemmung, also am 18. April 2005, eintreten. Ihr Eintritt wurde jedoch durch die Klageerhebung am 31. März 2005 erneut gehemmt (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB).
4. Der Erstattungsanspruch des Klägers für die Jahre 1993 bis 1996 ist nicht verwirkt. Andere Gründe als die Verwirkung sind mangels einer entsprechenden gesetzlichen Regelung von vornherein ungeeignet, den Anspruch des Klägers zu Fall zu bringen. Das gilt namentlich für die von der Beklagten angeführten Praktikabilitätserwägungen (Jährlichkeit des Haushalts, Planbarkeit der Finanzwirtschaft) und für die sinngemäß geltend gemachte Präklusion.
Die Voraussetzungen einer Anspruchsverwirkung sind nicht gegeben. Für sie sind ein Zeitmoment und ein Umstandsmoment kennzeichnend. Beide Kriterien hängen entscheidend von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Öffentlich-rechtliche Ansprüche werden verwirkt, wenn ihre verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt. Dabei führt allein die Tatsache, dass sich der Berechtigte verspätet auf sein Recht beruft, noch nicht zur Verwirkung. Hinzukommen muss, dass der Berechtigte unter Verhältnissen untätig bleibt, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt. Erst durch dieses Umstandsmoment wird eine Situation geschaffen, auf die der jeweilige Gegner vertrauen, sich einstellen und einrichten darf (BVerfG, Entscheidung vom 26. Januar 1972 – 2 BvR 255/67 – BVerfGE 32, 305 ≪308≫; BVerwG, Beschluss vom 4. Dezember 1998 – BVerwG 2 B 152.97 – Buchholz 232 § 31 BBG Nr. 59).
Bei der nach objektiven Gesichtspunkten vorzunehmenden Beurteilung des Verhaltens des Klägers einerseits und der von der Beklagten geschaffenen Umstände andererseits kann keine Rede davon sein, dass die Beklagte sich darauf einrichten durfte, der Kläger werde einen ihm zustehenden Aufwendungsersatzanspruch nicht mehr geltend machen. Für ein solches Vertrauen fehlt es sowohl an der Grundlage als auch an dem Tatbestand, dass die Beklagte auf die Nichtausübung des Forderungsrechts vertraut hat:
Der wiederholte Einwand der Beklagten, die Praxis des jährlichen Anmeldeverfahrens habe sich seit den 1980er Jahren eingespielt und bewährt, kann dem erst 1990 der Bundesrepublik Deutschland beigetretenen Kläger nicht entgegengehalten werden. Der Kläger sah sich frühestens 1994 den Abrechnungsmodalitäten für Ansprüche nach Art. 104a Abs. 2 GG gegenübergestellt. Die ab 1994 von der Beklagten für die jeweils zurückliegenden Haushaltsjahre an die Länder übersandten Abrechnungsbögen waren zu unbestimmt, um die mehrjährige Unterlassung ihrer Rücksendung durch den Kläger als illoyal erscheinen zu lassen. Das jeweilige Anforderungsschreiben bezog sich zwar auf “Zweckausgaben nach Art. 104a Abs. 2 GG im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung”. Der jeweilige Abrechnungsbogen führte insoweit aber nur Kosten für “Ganzkörpermessgeräte” (Nr. 4.1) und Kosten im “Zusammenhang mit der Überwachung grenznaher ausländischer Kernanlagen” (Nr. 4.2) auf. Da Kosten für die im Vergleich hierzu erheblich aufwändigere Errichtung von Landessammelstellen nicht aufgeführt waren, konnte der Kläger nicht sicher erkennen, dass diese den “Sonstigen Zweckausgaben” zuzuordnen waren.
Überdies berief sich der Kläger schon im frühen Stadium des Verwaltungsverfahrens zu Recht darauf, er habe vor 1998 keine prüffähigen Erstattungsansprüche geltend machen können, weil unklar gewesen sei, ob zu den erstattungsfähigen Zweckausgaben auch die beim Betrieb der Landessammelstelle angefallenen Personalkosten gehörten, ob Investitionskosten nur vorzufinanzieren und ob Betriebsdefizite durch kostendeckende Gebühren auszuschließen waren. An den vom Kläger dargestellten Abläufen und Klärungsbemühungen in der Arbeitsgruppe Landessammelstelle, im Länderausschuss für Atomkernenergie und in dessen Fachausschuss Recht zu zweifeln, sieht der Senat keinen Anlass. Angesichts dessen hätte sich der Beklagten schon Mitte der 1990er Jahre die Annahme aufdrängen müssen, dass diejenigen Länder, die keine Erstattungsansprüche angemeldet hatten, zunächst eine Klärung der Rechtslage zu erreichen suchten, bevor sie sich durch eine jährlich wiederkehrende Anmeldung umstrittener Forderungen einer Vielzahl möglicher Rechtsstreitigkeiten mit dem Bund aussetzten. Nach dem Inhalt der Verwaltungsakten sollte bereits im Sommer 1995 wegen der ungeklärten Rechtslage ein Tagesordnungspunkt “Abgrenzung von Zweck- und Verwaltungsausgaben bei Errichtung und Betrieb von Landessammelstellen nach Art. 104a Abs. 2, Abs. 5 GG” Gegenstand der Beratungen der Sitzung des Fachausschusses Recht des Länderausschusses für Atomkernenergie sein. Das konnte der Beklagten nicht verborgen geblieben sein, da der Länderausschuss unter der Federführung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit getagt und die Beklagte selbst Vorschläge zur sachlichen Verständigung und zur Vermeidung gerichtlicher Auseinandersetzungen zwischen dem Bund und den Ländern unterbreitet hat (Schreiben vom 6. November 1996). Nachdem ab 1998 Klarheit über die Aufschlüsselung der verschiedenen Kostenarten geschaffen worden war, wurde erst 2001 ein im Länderausschuss erarbeiteter neuer Abrechnungsbogen “für Erstattungen von Zweckausgaben nach Art. 104a Abs. 2 GG bei Landessammelstellen” eingeführt. Unter Würdigung aller Umstände ergibt sich, dass sich bei der Beklagten kein schutzwürdiges Vertrauen dahin bilden konnte, der Kläger werde zurückliegende Ersatzansprüche nicht mehr geltend machen.
Im Übrigen lässt der Einwand der Beklagten, sie habe keine Kenntnis von dem erst jetzt geltend gemachten Anspruch des Klägers gehabt, die tatbestandlichen Voraussetzungen der Verwirkung aus einem weiteren Grund entfallen. Den Schutz vor unbekannten Forderungen hat das Verjährungsrecht zu gewährleisten, nicht aber der Grundsatz von Treu und Glauben (BAG, Beschluss vom 28. März 2001 – 7 ABR 21/00 – BAGE 97, 236); denn wer von einem möglichen Anspruch eines Dritten keine Kenntnis hat, kann grundsätzlich auch nicht darauf vertrauen, dass ein solcher nicht mehr geltend gemacht werde. Ein Sachverhalt dieser Art liegt hier vor, soweit die Beklagte sich darauf beruft, sie habe angenommen, dem Kläger seien keine durch Gebühren nicht gedeckte Kosten im Zusammenhang mit der Landessammelstelle entstanden.
5. Hiernach ist die Klage in Höhe von 798 760,47 € begründet. Hinsichtlich der Höhe der geforderten Prozesszinsen ist sie zum Teil abzuweisen. Der Anspruch auf Prozesszinsen für den bis zum 30. April 2000 fällig gewordenen Teilbetrag von 747 429,61 € besteht nur in Höhe von 4 v.H. Das folgt aus den §§ 291, 288 BGB in der bis zum 30. April 2000 geltenden Fassung; diese Vorschriften sind auf die öffentlich-rechtliche Leistungsklage entsprechend anzuwenden (Urteil vom 28. Juni 1995 – BVerwG 11 C 22.94 – BVerwGE 99, 53 = Buchholz 310 § 90 VwGO Nr. 6). Nur für den Restbetrag (vier nach dem 30. April 2000 datierende Rechnungen über insgesamt 51 330,86 €) erfolgt eine jährliche Verzinsung in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz. Für diese Forderungen sind die §§ 291, 288 BGB in der ab 1. Mai 2000 geltenden Fassung anwendbar, da sie nach diesem Zeitpunkt fällig geworden sind (Art. 229 § 1 Abs. 1 Satz 3 EGBGB).
6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO i.V.m. § 17b Abs. 2 Satz 2 GVG.
Unterschriften
Sailer, Herbert, Krauß, Neumann, Guttenberger
Fundstellen