Entscheidungsstichwort (Thema)
Bebauungsplan. Normenkontrolle. Prüfung von Anregungen. Satzungsbeschluß. Abwägungsfehler. Verfahrensfehler nach Landesrecht. Fehlerbehebung durch ergänzendes Verfahren. Feststellung der Nichtwirksamkeit des Plans
Leitsatz (amtlich)
Auch ein Mangel der Satzung, der auf der Verletzung von Vorschriften des Landesrechts beruht und nach Landesrecht (noch) beachtlich ist, aber durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann, führt nach § 215 a Abs. 1 BauGB nicht zur Nichtigkeit der Satzung, sondern zur Unwirksamkeit bis zur Behebung des Mangels.
§ 215 a Abs. 1 BauGB und § 47 Abs. 5 Satz 4 VwGO sind zwingendes Recht. Ein Ermessen des Normenkontrollgerichts, die Vorschriften anzuwenden, ist auch dann ausgeschlossen, wenn der Mangel der Satzung auf der Verletzung von Landesrecht beruht.
Bundesrecht verlangt nicht, daß das Ergebnis der Prüfung der fristgemäß eingegangenen Anregungen zum Entwurf eines Bebauungsplans (§ 3 Abs. 2 Satz 4 BauGB) von der Gemeinde durch besonderen Beschluß festgestellt wird.
Die Prüfung der zum Entwurf eines Bebauungsplans eingegangenen Anregungen ist Bestandteil der Abwägung gemäß § 1 Abs. 6 BauGB. Die abschließende Entscheidung darüber ist dem Satzungsbeschluß vorbehalten (§ 10 Abs. 1, § 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB).
Normenkette
BauGB § 3 Abs. 2 S. 4, § 215a; VwGO § 47 Abs. 5 S. 4
Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Entscheidung vom 22.10.1998; Aktenzeichen 1 K 2132/96) |
Tenor
Die Revision der Antragsgegnerin gegen das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 22. April 1998 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Entscheidungsformel dieses Urteils wie folgt neu gefaßt wird:
– Der Bebauungsplan Nr. 133 „Findorffstraße” der Stadt Osterholz-Scharmbeck vom 21. September 1995 ist nicht wirksam (§ 47 Abs. 5 Satz 4 VwGO). –
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen den Bebauungsplan Nr. 133 „Findorffstraße” der Antragsgegnerin, der einen rückwärtigen Teil ihres Grundstücks als Fläche für Gemeinbedarf „Schule” ausweist und auf diesem und dem Nachbargrundstück, das im Miteigentum der Antragstellerin steht, einen Geh- und Radweg festsetzt.
Der Entwurf des Bebauungsplans lag im Sommer 1994 öffentlich aus. Im September 1995 beschloß der Verwaltungsausschuß der Antragsgegnerin abschließend über die eingegangenen Bedenken und Anregungen. Danach faßte der Rat der Antragsgegnerin den Satzungsbeschluß. Die Antragsgegnerin teilte den Bürgern, die Anregungen und Bedenken erhoben hatten, „das Ergebnis der Prüfung durch den Verwaltungsausschuß” mit. Nach Durchführung des Anzeigeverfahrens wurde der Bebauungsplan im März 1996 bekanntgemacht.
Mit ihrem Normenkontrollantrag hat die Antragstellerin im wesentlichen geltend gemacht, der Bebauungsplan verhindere eine Wohnbebauung im rückwärtigen Gartenbereich; die Festsetzung des Geh- und Radweges führe zu einer Zerstückelung ihres Gartens. Das Normenkontrollgericht hat den Bebauungsplan für nichtig erklärt und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt:
Der Plan sei nichtig, weil der Verwaltungsausschuß anstelle des Rates über die vorgebrachten Anregungen und Bedenken abschließend entschieden habe. Nach § 40 Abs. 1 Nr. 5 der bis zum 1. November 1996 gültigen Fassung der Niedersächsischen Gemeindeordnung hätte ausschließlich der Rat über die Aufstellung, Änderung, Ergänzung und Aufhebung von Bauleitplänen zu beschließen gehabt. Nach dem erklärten Willen des (Landes-)Gesetzgebers habe diese Vorschrift nicht nur den abschließenden Satzungsbeschluß erfaßt, sondern alle Entscheidungen der Gemeinde, die für das Zustandekommen eines Bebauungsplans erforderlich seien, vom Aufstellungsbeschluß über den Auslegungsbeschluß bis zum Beschluß über Anregungen und Bedenken. Damit habe sich bereits aus dem seinerzeit geltenden Landesrecht ergeben, daß der Verwaltungsausschuß den Beschluß über Anregungen und Bedenken nach § 3 Abs. 2 Satz 4 BauGB habe vorbereiten dürfen, dieser Beschluß vom Rat aber abschließend zu fassen gewesen sei. Im Hinblick auf die Neufassung der Gemeindeordnung von 1996, die dem Rat nur noch die abschließende Entscheidung über die Aufstellung, Änderung, Ergänzung und Aufhebung von Bauleitplänen vorbehalte, sei aber darauf hinzuweisen, daß sich die Zuständigkeit des Rates für die abschließende Prüfung der Anregungen auch aus dem Bundesrecht ergebe. Der Beschluß über die Anregungen sei als Teil der Abwägung inhaltlich so eng mit dem Satzungsbeschluß verbunden, daß er nur von dem für den Satzungsbeschluß zuständigen Organ getroffen werden dürfe. Der Verwaltungsausschuß habe ganz bewußt abschließend über die Bedenken und Anregungen entschieden und den Rat insoweit entlasten wollen. Es sei daher ausgeschlossen, dem Rat eine Entscheidung „unterzuschieben”, die er tatsächlich weder getroffen habe noch habe treffen wollen. Da der Beschluß des Rates über die Anregungen und der darauf aufbauende Satzungsbeschluß nachgeholt werden könnten, sei es angezeigt, auch auf die materiellen Rügen der Antragstellerin einzugehen. Die Festsetzung einer Fläche für Gemeinbedarf „Schule” im hinteren Bereich ihres Grundstücks sei rechtswidrig, weil die kommunalpolitische Entscheidung für die Erweiterung für die benachbarte Schule noch nicht gefallen und die Erweiterung auch nicht aus anderen Gründen unausweichlich sei. Die rückwärtige Baugrenze auf dem Grundstück sei geringfügig zu korrigieren. Die Festsetzung des Geh- und Radweges sei nicht unproblematisch. Das Normenkontrollgericht habe die Anwendung von § 215 a BauGB erwogen und davon abgesehen, weil ein erheblicher Unterschied zwischen der Fehlerbehebung nach Nichtigerklärung des Plans und nach der Erklärung des Plans „für nicht wirksam” im Sinne von § 47 Abs. 5 Satz 4 VwGO nicht auszumachen sei. Auch nach Nichtigerklärung eines Plans könne die Gemeinde ihn nach Behebung des Fehlers durch Wiederholung des nachfolgenden Verfahrens erneut in Kraft setzen.
Zur Begründung ihrer Revision führt die Antragsgegnerin aus: Der Plan sei nicht deshalb nichtig, weil der Verwaltungsausschuß anstelle des Rats über die Anregungen der Bürger abschließend entschieden habe. Nach irrevisiblem Landesrecht liege hierin zwar ein Verfahrensfehler. Die Nichtigerklärung verletze jedoch Bundesrecht. Zweifelhaft sei schon die Annahme des Normenkontrollgerichts, § 3 Abs. 2 Satz 4 BauGB verlange eine förmliche Entscheidung über Bedenken und Anregungen. Sollte gleichwohl nach Bundesrecht neben dem Satzungsbeschluß ein Beschluß über Bedenken und Anregungen erforderlich und ein Verstoß gegen dieses Erfordernis nach § 214 Abs. 1 BauGB beachtlich sein, müsse jedenfalls § 215 Abs. 1 Nr. 1 BauGB angewandt werden mit der Folge, daß der Verfahrensfehler im vorliegenden Fall mangels Rüge innerhalb der Jahresfrist unbeachtlich geworden sei. Dies habe das Normenkontrollgericht verkannt. Sein Urteil verletze ferner § 215 a Abs. 1 BauGB. Der festgestellte landesrechtliche Verfahrensfehler könne nämlich durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden. § 215 a Abs. 1 BauGB erfasse auch landesrechtliche Satzungsmängel. Seien die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt, dürfe das Normenkontrollgericht den Plan nur für nicht wirksam, nicht hingegen für nichtig erklären. Insoweit bestehe kein Ermessen. Wegen des festgestellten Verfahrensfehlers hätte das Normenkontrollgericht den Bebauungsplan deshalb allenfalls für nicht wirksam erklären dürfen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
das angefochtene Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 22. April 1998 aufzuheben und den Normenkontrollantrag abzulehnen.
Die Antragstellerin hat im Revisionsverfahren weder einen Antrag gestellt noch sich zur Sache geäußert.
Der Oberbundesanwalt beteiligt sich am Verfahren. Er ist der Ansicht, es liege nicht im Ermessen des Normenkontrollgerichts, einen Bebauungsplan für nichtig zu erklären, wenn die Voraussetzungen des § 215 a Abs. 1 BauGB erfüllt seien.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet.
1. Soweit die Antragsgegnerin die Aufhebung des Normenkontrollurteils und die Ablehnung des Normenkontrollantrags erstrebt, muß die Revision erfolglos bleiben, weil sie auf eine materiellrechtliche Überprüfung des Bebauungsplans zielt, die dem Revisionsgericht in diesem Verfahren verwehrt ist. Das folgt aus der beschränkten Tragweite des Normenkontrollurteils, die sich nach der Entscheidungsformel und den die Entscheidung tragenden Gründen bestimmt. Das Erstgericht hat den Bebauungsplan nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern wegen eines Verfahrensfehlers für nichtig erklärt. Soweit das Urteil auf die materiell-rechtlichen Rügen der Antragstellerin eingeht, geschieht dies in Form von Hinweisen und Empfehlungen für ein erneutes Satzungsverfahren, die nicht entscheidungstragend sind. Außerdem fehlt es an einer sicheren tatsächlichen Grundlage für eine revisionsgerichtliche Entscheidung über die materielle Rechtmäßigkeit des Bebauungsplans. Weder der Tatbestand des vorinstanzlichen Urteils noch die es tragenden Gründe enthalten die hierfür erforderlichen tatsächlichen Feststellungen.
Der Senat kann das angefochtene Urteil auch nicht aufheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Normenkontrollgericht zurückverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Es läßt sich abschließend beurteilen, daß das Erstgericht den angegriffenen Bebauungsplan für nicht wirksam hätte erklären müssen (§ 47 Abs. 5 Satz 4 VwGO). Das Normenkontrollurteil verletzt insoweit § 215 a Abs. 1 BauGB. Die Revision der Antragsgegnerin ist daher mit der aus der Urteilsformel ersichtlichen Maßgabe zurückzuweisen.
Nach § 215 a Abs. 1 BauGB führen Mängel der Satzung, die nicht nach den §§ 214 und 215 BauGB unbeachtlich sind und die durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden können, nicht zur Nichtigkeit. Bis zur Behebung der Mängel entfaltet die Satzung keine Rechtswirkungen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind hier erfüllt.
1.1 Das Normenkontrollgericht hat den Bebauungsplan für nichtig erklärt, weil nicht der Rat der Antragsgegnerin, sondern deren Verwaltungsausschuß über die Anregungen der Bürger abschließend entschieden habe. Nach niedersächsischem Gemeinderecht sei der Rat nicht nur für den abschließenden Satzungsbeschluß, sondern auch für den (abschließenden) Beschluß über Anregungen und Bedenken zuständig. Diese Rechtsauffassung ist für das Revisionsgericht verbindlich, da sie auf der Auslegung und Anwendung irrevisiblen Landesrechts beruht.
1.2 Der festgestellte landesrechtliche Verfahrensfehler fällt in den Anwendungsbereich von § 215 a Abs. 1 BauGB. Der Gesetzgeber hat zwar die Satzungsmängel, die er mit dieser Norm erfassen wollte, nicht positiv, sondern negativ umschrieben („Mängel der Satzung, die nicht nach den §§ 214 und 215 unbeachtlich sind …”). Diese Wortwahl steht der Einbeziehung von Verfahrens- und Formfehlern nach Landesrecht jedoch nicht entgegen: Mängel der Satzung, die nicht nach den §§ 214 und 215 BauGB unbeachtlich sind, können auch landesrechtliche Verfahrens- oder Formfehler sein. Nur diese Auslegung wird Sinn und Zweck der Vorschrift und ihrem systematischen Zusammenhang mit § 215 a Abs. 2 BauGB gerecht.
In der Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des Bau- und Raumordnungsgesetzes 1998 (BTDrucks 13/6392, S. 38, 74) heißt es, daß die in § 215 a BauGB nunmehr vorgesehene Möglichkeit der Mängelbehebung durch ein ergänzendes Verfahren die „Bestandskraft” von städtebaulichen Satzungen erhöhen und damit der Planerhaltung dienen solle. Insbesondere die in der Erarbeitung sehr zeit- und personalaufwendigen Bebauungspläne sollen danach, soweit sie nicht an einem grundlegenden Mangel leiden, sondern unter Ausnutzung der geleisteten Vorarbeiten nachgebessert werden können, auf diese Weise „in ihrem Bestand erhalten werden” (vgl. BTDrucks a.a.O. S. 38). Diese Zielsetzung verbindet § 215 a BauGB mit § 215 Abs. 3 BauGB a.F., der die Heilung beachtlicher Verfahrens- und Formfehler nach Bundes- oder Landesrecht in der Weise vorsah, daß die Gemeinde das Verfahren von dem Verfahrensschritt an wiederholte, bei dem ihr der Fehler unterlaufen war. Wie aus den Gesetzesmaterialien deutlich zu ersehen ist, war es das gesetzgeberische Anliegen, über die Regelung in § 215 Abs. 3 BauGB a.F. hinaus dem Gedanken der Planerhaltung verstärkt Geltung zu verschaffen. Der Kreis der in einem ergänzenden Verfahren behebbaren Mängel sollte im Vergleich mit dem früheren Rechtszustand nicht enger gezogen, sondern erweitert werden (vgl. BTDrucks a.a.O. S. 74 mit Hinweis auf die Vorschläge der Expertenkommission zur Novellierung des Baugesetzbuchs). Mit der Absicht des Gesetzgebers, den Gedanken der Planerhaltung fortzuentwickeln, wäre es nicht vereinbar, Verfahrens- und Formfehler nach Landesrecht, die durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden können, aus dem Anwendungsbereich von § 215 a Abs. 1 BauGB auszuschließen.
Der systematische Zusammenhang, der zwischen den beiden Absätzen von § 215 a BauGB offenkundig besteht, bestätigt die Richtigkeit dieser Auslegung. Der zweite Absatz knüpft erkennbar an die im ersten Absatz getroffene Regelung an: Rückwirkend in Kraft gesetzt werden kann nur ein Bebauungsplan, der an einem behebbaren Mangel leidet. Absatz 2 enthält daher eine Anschlußregelung zu Absatz 1. Da er ausdrücklich auch „Verfahrens- und Formfehler nach Landesrecht” einschließt, muß sich Absatz 1 voraussetzungsgemäß ebenfalls auf solche Fehler erstrecken; insoweit wirkt der zweite Absatz auf den ersten Absatz klarstellend zurück.
Dieses Ergebnis begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Ansicht, Verstöße gegen Verfahrens- und Formvorschriften des Landesrechts würden von § 215 a Abs. 1 BauGB nicht erfaßt, weil es Sache des Landesrechts sei, die Sanktionen für die Verletzung von Landesrecht festzulegen (so Schmaltz in: Schrödter ≪Hrsg.≫, BauGB, 6. Auflage 1998, Rn. 4 zu § 215 a), überzeugt nicht. Der Bundesgesetzgeber greift hier nicht in unzulässiger Weise in die Gesetzgebungskompetenz der Länder ein. Er nimmt zur Kenntnis und respektiert, daß Verstöße gegen landesrechtliche Vorschriften beachtlich sein und zur Unwirksamkeit eines Bebauungsplans führen können. Die bundesrechtliche Regelung erschöpft sich darin, einen verfahrensrechtlichen Weg zur Bewältigung der Rechtsfolgen bestimmter Satzungsmängel aufzuzeigen. Sie räumt der Gemeinde die Option ein, Mängel der Satzung durch ein ergänzendes Verfahren zu beheben. Bis zur Behebung des Mangels entfaltet die Satzung keine Rechtswirkungen; sie ist wie eine nichtige Satzung nicht wirksam. Dabei bleibt es, wenn die Gemeinde von einem ergänzenden Verfahren zur Fehlerbehebung absieht oder ihr Nachbesserungsversuch scheitert. Damit hält sich § 215 a Abs. 1 BauGB in den durch Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG gezogenen Grenzen; denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umfaßt die Materie des Bodenrechts auch Vorschriften über die Aufstellung von Bebauungsplänen (vgl. BVerfGE 3, 407 ≪424 f.≫).
1.3 Das Normenkontrollgericht ist in Anwendung des nicht revisiblen Gemeinderechts davon ausgegangen, daß der festgestellte Verfahrensfehler landesrechtlich beachtlich ist. Es hat dies zwar nicht ausdrücklich festgestellt, aber durch die Nichtigerklärung des Bebauungsplans zum Ausdruck gebracht. Die Revision hat die darin liegende Sachverhaltswürdigung nicht mit Verfahrensrügen angegriffen, so daß auch im Revisionsverfahren die landesrechtliche Beachtlichkeit des Verfahrensfehlers zugrundezulegen ist (§ 137 Abs. 2 VwGO). Dieser Verfahrensfehler kann seiner Art nach unzweifelhaft durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden. Das sieht auch das Normenkontrollgericht so.
1.4 Zu Unrecht geht das Normenkontrollgericht allerdings davon aus, daß es in seinem Ermessen liege, ob es von § 215 a Abs. 1 BauGB „Gebrauch machen soll”. Die durch das Bau- und Raumordnungsgesetz 1998 (BauROG) vom 18. August 1997 (BGBl I S. 2081) geschaffene Vorschrift ist auch auf Satzungen anzuwenden, die auf der Grundlage bisheriger Fassungen des Baugesetzbuchs in Kraft getreten sind (vgl. § 233 Abs. 2 BauGB i.d.F. des BauROG). Können (beachtliche) Mängel einer Satzung, die nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs erlassen worden sind, durch ein ergänzendes Verfahren im Sinne des § 215 a BauGB behoben werden, so erklärt das Normenkontrollgericht die Satzung nach § 47 Abs. 5 Satz 4 VwGO bis zur Behebung der Mängel für nicht wirksam. Diese Vorschrift läßt dem Normenkontrollgericht nicht die Wahl zwischen Nichtigerklärung und Erklärung der Nichtwirksamkeit. Das gilt auch für Mängel der Satzung, die auf der Verletzung von Landesrecht beruhen. Weder der Gesetzeswortlaut noch der Gesetzeszweck, der auf den Gedanken der Planerhaltung zurückführt, bieten Anhaltspunkte für ein derartiges „Tenorierungsermessen”. § 47 Abs. 5 Satz 4 VwGO ist ebenso wie § 215 a Abs. 1 BauGB striktes Recht. Das bedarf keiner weiteren Begründung. Aufgrund des von ihm festgestellten Verfahrensfehlers nach Landesrecht hätte das Normenkontrollgericht deshalb den angegriffenen Bebauungsplan für nicht wirksam erklären müssen.
2. Entscheidet der Verwaltungsausschuß einer Gemeinde anstelle des Rates abschließend über die nach § 3 Abs. 2 Satz 4 BauGB vorgebrachten Anregungen der Bürger und sieht sich der Rat an diese Entscheidung gebunden, ist das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 6 BauGB verletzt. Die Ausführungen des Normenkontrollgerichts zu § 3 Abs. 2 Satz 4 BauGB, die es als Hinweis im Hinblick auf die Neufassung der niedersächsischen Gemeindeordnung im Jahr 1996 versteht, sowie das hieran anknüpfende Revisionsvorbringen geben Anlaß zu den folgenden Klarstellungen:
2.1 Nach § 3 Abs. 2 Satz 4 BauGB sind die fristgemäß vorgebrachten Anregungen der Bürger zu prüfen; das Ergebnis ist mitzuteilen. Das Erfordernis, über die Anregungen förmlich durch Beschluß zu entscheiden, wird damit nicht statuiert. Nach Bundesrecht sind zwischen dem Auslegungsbeschluß (§ 2 Abs. 1 BauGB) und dem Satzungsbeschluß (§ 10 Abs. 1 BauGB) für das Zustandekommen eines Bebauungsplans keine weiteren Beschlüsse der Gemeinde erforderlich (vgl. hierzu Senatsbeschluß vom 15. April 1988 – BVerwG 4 N 4.87 – BVerwGE 79, 200 ≪206≫). § 3 Abs. 2 Satz 4 BauGB verlangt nur, daß die Anregungen der Bürger geprüft werden. Daß das Ergebnis dieser Prüfung durch einen vor oder neben dem Satzungsbeschluß (§ 10 Abs. 1 BauGB) ergehenden Beschluß festzustellen wäre, ergibt sich aus Bundesrecht nicht. Bundesrecht schließt allerdings auch nicht aus, daß Landesrecht dies bestimmt und auch regelt, welches Gemeindeorgan diesen Beschluß gegebenenfalls zu fassen hat.
2.2 Die Prüfung der vorgebrachten Bedenken und Anregungen ist untrennbar mit dem Abwägungsgebot des § 1 Abs. 6 BauGB verbunden. Sie hat zunächst den Zweck, notwendiges Abwägungsmaterial zu beschaffen und zu vervollständigen. Die vorgebrachten Anregungen sind daraufhin zu überprüfen, ob und in welcher Weise sie in dem Plan berücksichtigt werden können und sollen. Ihre abschließende Prüfung ist somit Bestandteil des Abwägungsvorgangs und geht in das Abwägungsergebnis ein: Die abschließende Entscheidung über Anregungen ist daher dem Satzungsbeschluß vorbehalten (§ 10 Abs. 1, § 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB). Sie obliegt dem Gemeindeorgan, das den Satzungsbeschluß zu fassen hat, d.h. in aller Regel dem Gemeinderat (Gemeindevertretung). Das schließt nicht aus, daß ein Ausschuß die Beschlußfassung des Rates als des für den Satzungsbeschluß zuständigen Gemeindeorgans vorbereitet. Werden die vorgebrachten Anregungen jedoch dem Rat vorenthalten oder stellt dieser sie aus anderen Gründen nicht in seine Abwägung ein, liegt ein Ermittlungsfehler und – je nach den Umständen des Einzelfalls – auch ein Gewichtungsfehler im Vorgang der planerischen Abwägung vor; die Abwägungsfehler werden regelmäßig in einem ergänzenden Verfahren zu beheben sein.
2.3 Ob diese Abwägungsfehler erheblich und beachtlich sind, beurteilt sich nach § 214 Abs. 3 und § 215 Abs. 1 Nr. 2 BauGB. Mängel im Abwägungsvorgang sind nach § 214 Abs. 3 BauGB nur erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluß gewesen sind. Das Normenkontrollgericht hat im Streitfall hierzu keine tatsächlichen Feststellungen getroffen. Dem Senat ist es verwehrt, den Sachverhalt insoweit aufzuklären und zu würdigen. Er kann deshalb nicht feststellen, ob das Normenkontrollgericht den angegriffenen Bebauungsplan auch wegen eines bundesrechtlichen Abwägungsfehlers nach § 47 Abs. 5 Satz 4 VwGO i.V.m. § 215 a Abs. 1 BauGB für nicht wirksam hätte erklären müssen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Gaentzsch, Berkemann, Heeren, Halama, Rojahn
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 25.11.1999 durch Kurowski Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 558287 |
BVerwGE, 118 |
BauR 2000, 845 |
NVwZ 2000, 676 |
DÖV 2000, 469 |
NuR 2000, 684 |
ZfBR 2000, 197 |
BRS 2000, 249 |
DVBl. 2000, 798 |
GV/RP 2001, 25 |
UPR 2000, 191 |
FSt 2000, 728 |
FuBW 2000, 698 |
LL 2000, 739 |
SächsVBl. 2000, 137 |