Entscheidungsstichwort (Thema)
Erbausschlagung wegen Überschuldung. Altschulden. ursächlicher Zusammenhang zwischen Überschuldung und Niedrigmietenpolitik der DDR
Leitsatz (amtlich)
Die Vermutung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Überschuldung und Niedrigmietenpolitik der DDR ist nicht von vornherein widerlegt, wenn zwar die bei Gründung der DDR bestehenden Belastungen des Grundstücks den Einheitswert überstiegen, der Eigentümer in der Folgezeit aber die Belastungen in erheblichem Umfang reduziert und die Mietwohnungen noch über lange Zeit in gebrauchsfähigem Zustand erhalten hat.
Leitsatz (redaktionell)
Zur Vermutung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Überschuldung von Grundstücken und der nichtkostendeckenden Niedrigmietenpolitik der DDR.
Normenkette
VermG § 1 Abs. 2
Verfahrensgang
VG Weimar (Urteil vom 14.02.2001; Aktenzeichen K 2135/98) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 14. Februar 2001 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Die Klägerin begehrt die Rückübertragung der in E. gelegenen Hausgrundstücke H.-Straße 98 und 101 wegen einer Schädigung im Sinne des § 1 Abs. 2 VermG.
Ursprünglicher Eigentümer der beiden Grundstücke war seit 1938 Herr Kurt W., der Pflegevater der Klägerin. Die Grundstücke wurden in den Jahren 1939/1940 mit Mehrfamilienhäusern (jeweils neun Wohneinheiten) bebaut. Der Einheitswert des Grundstücks H.-Straße 98 betrug 51 200 M. 1941 wurde es mit Hypotheken in Höhe von insgesamt 56 000 RM belastet. Diese wurden 1948 gelöscht und neue Hypotheken in einer Höhe von insgesamt 61 000 RM eingetragen. Im Jahre 1973 valutierte nur noch eine Hypothek in Höhe von ca. 26 500 M.
Das Grundstück H.-Straße 101 hatte einen Einheitswert von 42 300 M. Bis 1940 wurden Hypotheken in Höhe von 32 000 GM und weiteren insgesamt 18 000 RM eingetragen. Diese Hypotheken valutierten im Jahre 1973 noch in Höhe von insgesamt ca. 37 700 M.
Kurt W. verstarb am 10. März 1973. Nachdem seine an erster Stelle zur Erbin berufene Ehefrau Rosa Käthe W. und seine Schwester die Erbschaft ausgeschlagen hatten, stellte das Staatliche Notariat mit Beschluss vom 4. Juli 1973 fest, dass der Staat Erbe geworden war. Am 11. September 1973 wurde für beide Grundstücke im Grundbuch als Eigentümer Eigentum des Volkes, Rechtsträger: VEB Kommunale Wohnungsverwaltung E., eingetragen. Die grundbuchlich gesicherten Verbindlichkeiten wurden gelöscht.
Erbin der am 16. März 1980 verstorbenen Rosa Käthe W. wurde die Klägerin. Ihren Antrag auf Rückübertragung der Grundstücke lehnte das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen mit Bescheid vom 23. April 1992 ab, weil die Klägerin nicht Rechtsnachfolgerin der Letztausschlagenden und damit keine Berechtigte im Sinne des Vermögensgesetzes sei. Dem hiergegen eingelegten Widerspruch half das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen mit der Begründung nicht ab, dass zwar entgegen der Begründung im Bescheid nicht der letztausschlagende, sondern der erstausschlagende Erbe der von einer Schädigungsmaßnahme betroffene Berechtigte sei, die Grundstücke seien jedoch nicht überschuldet gewesen und eine Überschuldung habe auch nicht unmittelbar bevorgestanden. Mit Widerspruchsbescheid vom 7. Juli 1998 wies das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte es aus, beide Grundstücke seien nicht überschuldet gewesen. Die auf den Grundstücken lastenden Verbindlichkeiten aus der Zeit vor Gründung der DDR seien mangels Kausalzusammenhangs nicht berücksichtigungsfähig, da sie nicht infolge der staatlich angeordneten Niedrigmieten in der DDR entstanden seien. Eine Ü-berschuldung habe auch nicht unmittelbar bevorgestanden.
Mit der am 4. August 1998 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, die Mieteinnahmen der beiden Grundstücke hätten nicht ausgereicht, die Kosten zu decken. Kleine Instandsetzungsarbeiten und die teilweise Tilgung der Hypotheken seien nur aus dem Privatvermögen des Eigentümers möglich gewesen. Größere notwendige Reparaturen hätten unterbleiben müssen. Im Jahre 1972 habe die Bank einen größeren Kredit für notwendige Sanierungsarbeiten abgelehnt. Aus diesem Grunde habe die Rechtsvorgängerin der Klägerin die kurz danach angefallene Erbschaft ausschlagen müssen. Im Zeitpunkt der Erbausschlagung hätten die Kosten für die erforderlichen Reparaturarbeiten den Einheitswert der Grundstücke bei weitem überstiegen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 14. Februar 2001 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es könne dahinstehen, ob eine Kostenunterdeckung vorgelegen habe und ob die Grundstücke aufgrund unmittelbar bevorstehender notwendiger Instandsetzungsmaßnahmen überschuldet gewesen seien. Es fehle in jedem Fall an der Kausalität zwischen einer – unterstellten – Überschuldung und den – unterstellten – nicht kostendeckenden Mieten. Der erforderliche ursächliche Zusammenhang zwischen der Überschuldung und den nicht kostendeckenden Mieten scheide in den Fällen aus, in denen ein Grundstück bereits seit Gründung der DDR überschuldet gewesen sei, denn unter diesen Voraussetzungen sei es ausgeschlossen, dass die Überschuldung auf der Niedrigmietenpolitik der DDR beruhe. Beide Grundstücke seien bereits vor Gründung der DDR über ihren Einheitswert hinaus mit „Altschulden” belastet gewesen. An diesem Ergebnis könne es nichts ändern, dass Kurt W. die auf den Grundstücken lastenden Hypotheken bis zu seinem Tode um fast 30 000 M verringert habe.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 14. Februar 2001 sowie den Bescheid des Oberbürgermeisters der Landeshauptstadt Erfurt vom 23. April 1992 und den Widerspruchsbescheid des Thüringer Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 7. Juli 1998 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die in E. gelegenen Grundstücke H.-Straße 98 und 101 an die Klägerin zurückzuübertragen.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Die Beigeladenen stellen keine Anträge. Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich nicht am Verfahren.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verstößt gegen Bundesrecht. Da die bisherigen Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht ausreichen, um in der Sache abschließend zu entscheiden, muss der Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen werden.
Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts lassen die bisherigen Feststellungen nicht den Schluss zu, dass die streitbefangenen Grundstücke nicht von einer schädigenden Maßnahme im Sinne des § 1 Abs. 2 VermG betroffen waren.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts setzt der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 2 VermG dreierlei voraus: Erstens müssen für das bebaute Grundstück oder Gebäude in der Zeit vor dem Eigentumsverlust nicht kostendeckende Mieten erzielt worden sein. Diese Kostenunterdeckung muss zweitens zu einer bereits eingetretenen oder unmittelbar bevorstehenden Überschuldung geführt haben. Drittens muss die Überschuldung wesentliche Ursache für den Eigentumsverlust gewesen sein (vgl. u.a. Urteil vom 2. Februar 2000 – BVerwG 8 C 25.99 – Buchholz 428 § 1 Abs. 2 VermG Nr. 7 S. 14 ≪17≫ m.w.N.).
Davon ist auch das Verwaltungsgericht ausgegangen. Es hat aber zu Unrecht angenommen, der erforderliche ursächliche Zusammenhang zwischen der Überschuldung und den nicht kostendeckenden Mieten komme von vornherein schon deswegen nicht in Betracht, weil die Grundstücke bei Gründung der DDR über ihren jeweiligen Einheitswert hinaus mit Grundpfandrechten belastet gewesen seien. Diese Ansicht verstößt gegen Bundesrecht. Abgesehen davon, dass das Verwaltungsgericht keine Feststellungen zu der Frage getroffen hat, in welcher Höhe die den Hypotheken zugrunde liegenden Darlehen seinerzeit valutierten, hat es insbesondere zu Unrecht unberücksichtigt gelassen, dass der Rechtsvorgänger der Klägerin die Mietwohnungen bis zum Jahre 1973 in gebrauchsfähigem Zustand erhalten hat und dass er in diesem Zeitraum in erheblichem Umfang die grundbuchlich gesicherten Darlehen abgetragen hat.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts besteht eine Vermutung dafür, dass eine festgestellte Überschuldungslage auf nicht kostendeckenden Mieten beruhte (vgl. Urteile vom 11. Februar 1999 – BVerwG 7 C 4.98 – BVerwGE
108, 281 ≪283≫ = Buchholz 428 § 1 Abs. 2 VermG Nr. 1 S. 1 ≪3≫ m.w.N. und vom 2. Februar 2000 – BVerwG 8 C 25.99 – a.a.O.). Diese Vermutung kann zwar etwa dann erschüttert sein, wenn das Grundstück bereits vor Gründung der DDR überschuldet war, wenn der Eigentumsverlust so frühzeitig erfolgt ist, dass die Niedrigmietenpolitik der DDR darauf keinen erheblichen Einfluss mehr nehmen konnte, oder wenn die zu DDR-Zeiten aufgenommenen Fremdbelastungen nicht objektbezogen waren (Urteil vom 11. Februar 1999 – BVerwG 7 C 4.98 – a.a.O. S. 288 bzw. S. 6 f.). Derartige Zweifel sind aber dann nicht berechtigt, wenn das Grundstück trotz dieser Umstände noch lange Zeit im gebrauchsfähigen Zustand erhalten werden konnte (vgl. insbesondere Urteil vom 24. Oktober 2001 – BVerwG 8 C 31.00 – ZOV 2002, 96 ≪98≫ zur Veröffentlichung in Buchholz unter 428 § 1 Abs. 2 VermG vorgesehen).
Diese Rechtsprechung, an der festzuhalten ist, beruht darauf, dass der Eigentümer bei nicht kostendeckenden Mieten die Nutzbarkeit der Wohnungen nur dadurch erhalten konnte, dass er erhebliche private Mittel investierte. Ob dies durch die Finanzierung entsprechender Instandsetzungsmaßnahmen oder – wie hier – durch die Ablösung bestehender Altschulden in erheblichem Umfang geschah, ist entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ohne Bedeutung; denn in letzterem Falle wurde durch die Minderung der Schuldenlast die Kreditgrundlage verbessert und damit die Möglichkeit geschaffen, neue Kredite für die Behebung baulicher Mängel aufzunehmen.
Ist daher im vorliegenden Fall die Vermutung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Überschuldung und Niedrigmietenpolitik der DDR nicht von vornherein widerlegt, hätte das Verwaltungsgericht prüfen müssen, ob es Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Tilgung der Darlehen aus den laufenden Mieteinnahmen erbracht wurde und es sich daher nicht um die Zuführung privater Mittel handelte. Weiter wären ggf. unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. dazu außer den bereits zitierten Entscheidungen aus jüngster Zeit auch die Urteile vom 26. September 2001 – BVerwG 8 C 24.00 – Buchholz 428 § 1 Abs. 2 VermG Nr. 19 und vom 25. Oktober 2001 – BVerwG 7 C 3.01 – Buchholz a.a.O. Nr. 20) Feststellungen hinsichtlich der übrigen Voraussetzungen für den Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 2 VermG zu treffen, und zwar getrennt für die beiden streitbefangenen Grundstücke (vgl. dazu Urteile vom 24. Oktober 2001 – BVerwG 8 C 32.00 – Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 31 S. 88 ≪94≫ und – BVerwG 8 C 23.00 – ZOV 2002, 98 ≪100≫ – zur Veröffentlichung in Buchholz unter 428 § 1 Abs. 2 VermG vorgesehen). Da dies bisher nicht erfolgt ist, die Beteiligten aber sowohl über die Frage der Kostenunterdeckung – auch unter diesem Gesichtspunkt könnte die Frage von Bedeutung sein, aus welchen Mitteln die Tilgungsleistungen erbracht wurden – als auch über den Umfang der im Zeitpunkt der Erbausschlagung erforderlichen Instandsetzungsarbeiten streiten, kann der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden. Gegebenenfalls wird das Verwaltungsgericht auch zu prüfen haben, ob eine fiktive Rücklage anzusetzen ist (vgl. dazu Urteil vom 30. Mai 1996 – BVerwG 7 C 47.94 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 78 S. 225 ≪230≫ und Beschluss vom 3. Mai 2000 – BVerwG 8 B 57.00 – Buchholz 428 § 1 Abs. 2 VermG Nr. 8 S. 23 ≪24 f.≫).
Unterschriften
Dr. Müller, Dr. Pagenkopf, Sailer, Richter am Bundesverwaltungsgericht Krauß ist wegen Urlaubs an der Beifügung seiner Unterschrift verhindert. Dr. Müller, Golze
Fundstellen
VIZ 2002, 624 |
ZfIR 2003, 264 |