Entscheidungsstichwort (Thema)
Öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis. Kopftuch. Lehrer. staatliches Ausbildungsmonopol. religiöse und weltanschauliche Neutralität. Schulfrieden. überragend wichtiges Gemeinschaftsgut. subjektive Berufszulassungsschranke. Berufsfreiheit. Berufswahlfreiheit
Leitsatz (amtlich)
Einer Referendarin, die sich aus religiösen Gründen verpflichtet sieht, auch beim Unterrichten ein Kopftuch zu tragen, kann der Zugang zur Lehrerausbildung im öffentlichen Schulwesen nicht allein deshalb verweigert werden, um einer abstrakten Gefährdung des religiös-weltanschaulichen Schulfriedens vorzubeugen.
Normenkette
GG Art. 4 Abs. 1-2, Art. 6 Abs. 2, Art. 12 Abs. 1, Art. 140; WRV Art. 136 Abs. 1, Art. 137 Abs. 1; BremSchulG § 59b Abs. 4-5; BremLV § 12 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
OVG der Freien Hansestadt Bremen (Urteil vom 21.02.2007; Aktenzeichen 2 A 279/06) |
VG Bremen (Urteil vom 21.06.2006; Aktenzeichen 6 K 2036/05) |
Tenor
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 21. Februar 2007 wird aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 21. Juni 2006 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verpflichtet wird, über den Antrag der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts neu zu entscheiden.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I
Die Klägerin, die deutsche Staatsangehörige islamischer Religionszugehörigkeit ist, begehrt die Zulassung zum Vorbereitungsdienst für das Lehramt (Sekundarstufe II in den Fächern Deutsch und Religionskunde) außerhalb eines Beamtenverhältnisses. In diesen Fächern hat sie im Jahre 2005 die erste Staatsprüfung bestanden. Sie trägt ein Kopftuch, um die von ihr als bindend empfundene Bekleidungsregel ihrer Religion einzuhalten.
Die Beklagte lehnte den Zulassungsantrag mit Bescheid vom 21. April 2005 ab, weil sich die Klägerin geweigert hatte, schriftlich zu erklären, das Fach Biblische Geschichte ohne Kopftuch zu unterrichten. Aufgrund einer einstweiligen Anordnung des Verwaltungsgerichts wurde sie vorläufig zur Ausbildung zugelassen.
Am 29. Juni 2005 trat der neue § 59b des Bremischen Schulgesetzes in Kraft, dessen Absatz 4 Satz 5 Lehrkräften in der Schule ein Erscheinungsbild verbietet, das aufgrund seines religiösen oder weltanschaulichen Aussagegehalts geeignet ist, den Schulfrieden zu gefährden. Nach Absatz 5 der Vorschrift gilt dies auch für Referendare, soweit sie Unterricht erteilen. Da die Klägerin weiterhin nicht bereit war, ohne Kopftuch zu unterrichten, wurde ihr Widerspruch gegen die Ablehnung der Zulassung zum Vorbereitungsdienst zurückgewiesen. Auf die Beschwerde der Beklagten hob das Oberverwaltungsgericht die einstweilige Anordnung auf.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte verpflichtet, über den Zulassungsantrag erneut zu entscheiden; hinsichtlich des Antrags, die Beklagte zur Zulassung zu verpflichten, hat es die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht die Klage insgesamt abgewiesen. In dem Berufungsurteil heißt es:
Die Klägerin sei wegen ihrer generellen und kompromisslosen Weigerung, ohne Kopftuch zu unterrichten, für den Vorbereitungsdienst an öffentlichen Schulen ungeeignet. Denn sie habe deutlich gemacht, dass sie die gesetzliche Verpflichtung, ihre religiöse Überzeugung im Unterricht nicht durch ein Kopftuch zu manifestieren, nicht beachten werde. Der Beklagten sei es nicht zuzumuten, ein Ausbildungsverhältnis einzugehen, das sie wegen der sicher zu erwartenden Gesetzesverstöße jederzeit fristlos kündigen könne.
§ 59b Abs. 4 Satz 4 und 5, Abs. 5 BremSchulG sei verfassungskonform. Der Landesgesetzgeber dürfe religiös-weltanschauliche Konflikte an öffentlichen Schulen, die durch Manifestationen von Lehrkräften entstehen könnten, bereits im Vorfeld vermeiden. Dies gelte wegen der identischen Interessenlage auch für Referendare, wenn sie Unterricht erteilten.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts und beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 21. Februar 2007 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 21. Juni 2006 mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Beklagte verpflichtet wird, über den Antrag der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts neu zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt Bundesverfassungsrecht, nämlich das Grundrecht der Klägerin auf freie Berufswahl gemäß Art. 12 Abs. 1 GG (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Dieses vermittelt der Klägerin einen Anspruch auf erneute Bescheidung ihres Antrages auf Zulassung zum Vorbereitungsdienst für das Lehramt (Sekundarstufe II mit den Fächern Deutsch und Religionskunde) in einem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis außerhalb eines Beamtenverhältnisses. Das vor dem Verwaltungsgericht vorrangig geltend gemachte Verpflichtungsbegehren der Klägerin auf Zulassung zum Vorbereitungsdienst ist nicht Streitgegenstand des Revisionsverfahrens, weil das die Klage insoweit abweisende erstinstanzliche Urteil rechtskräftig geworden ist.
Gemäß § 59b Abs. 4 Bremisches Schulgesetz (BremSchulG) i.d.F. der Neubekanntmachung vom 28. Juni 2005 (Brem.GBl S. 260) haben die öffentlichen Schulen religiöse und weltanschauliche Neutralität zu wahren (Satz 1). Dieser Verpflichtung muss das Verhalten der Lehr- und Betreuungskräfte in der Schule gerecht werden (Satz 2). Die Lehrkräfte und das betreuende Personal müssen in jedem Fach auf die religiösen und weltanschaulichen Empfindungen aller Schülerinnen und Schüler sowie auf das Recht der Erziehungsberechtigten Rücksicht nehmen, ihren Kindern in Glaubens- und Weltanschauungsfragen Überzeugungen zu vermitteln (Satz 3). Diese Pflichten der Lehrkräfte und des betreuenden Personals erstrecken sich auf die Art und Weise einer Kundgabe des eigenen Bekenntnisses (Satz 4). Auch das äußere Erscheinungsbild der Lehrkräfte und des betreuenden Personals darf in der Schule nicht dazu geeignet sein, die religiösen und weltanschaulichen Empfindungen der Schülerinnen und Schüler und der Erziehungsberechtigten zu stören oder Spannungen, die den Schulfrieden durch Verletzung der religiösen und weltanschaulichen Neutralität gefährden, in die Schule zu tragen (Satz 5). Gemäß § 59b Abs. 5 BremSchulG gilt Absatz 4 für Referendare, soweit sie Unterricht erteilen.
Nach der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts verbietet § 59b Abs. 4 Satz 5, Abs. 5 BremSchulG Referendaren, die an öffentlichen Schulen für den Lehrerberuf ausgebildet werden, beim Unterrichten jedes äußere Erscheinungsbild, das für sich genommen womöglich eine Gefährdung des Schulfriedens in religiös-weltanschaulicher Hinsicht hervorrufen kann. Hierunter fällt das Kopftuch als Bekundung einer religiösen Überzeugung. Das Oberverwaltungsgericht hat gebilligt, dass an Referendare beim Unterrichten dieselben Anforderungen gestellt werden wie an dauerhaft beschäftigte Lehrkräfte. Diese Gleichstellung wird Art. 12 Abs. 1 GG nicht gerecht, weil sie Bewerber ohne zureichenden Grund von der Lehrerausbildung und damit vom Zugang zu dem von ihnen gewählten Lehrerberuf ausschließt.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts, die den Senat binden (§ 137 Abs. 2 VwGO), trägt die Klägerin ein Kopftuch, weil sie dies aus religiösen Gründen als für sich bindend ansieht. Diese Bekleidung ist für sie Ausdruck ihres religiösen Bekenntnisses. Ihr Verhalten fällt daher in den Schutzbereich des Grundrechts der Glaubensfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 GG. Dieses umfasst das Recht, seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln, wenn die religiöse Motivation des Verhaltens nach dem Selbstverständnis der jeweiligen Religionsgemeinschaft plausibel erscheint (BVerfG, Urteil vom 24. September 2003 – 2 BvR 1436/02 – BVerfGE 108, 282 ≪298 f.≫).
Kleidungsstücke oder Symbole, die religiöse oder weltanschauliche Bekundungen ausdrücken, müssen Lehrkräften an öffentlichen Schulen nicht von Verfassungs wegen ohne Rücksicht auf die Folgen untersagt werden. Denn darin liegt für sich genommen noch keine Verletzung der Pflicht des Staates zur religiös-weltanschaulichen Neutralität, wie sie durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 1, Art. 137 Abs. 1 der Weimarer Reichsverfassung vorgegeben ist. Diese Neutralitätspflicht verlangt keine von jeglichen religiösen Symbolen und Bezügen freigehaltene Schule. Religiöse Bezüge sind in der öffentlichen Schule nicht schlechthin verboten; die Schule muss aber auch für andere weltanschauliche und religiöse Werte offen sein und auf gegenseitigen Respekt und Toleranz hinwirken. Der Staat kann sich darauf zurückziehen, tätig zu werden, wenn das Erscheinungsbild der Lehrkräfte im Einzelfall zu Konflikten mit Schülern oder deren Eltern führt. Diese können sich in ihrer Ablehnung bestimmter religiöser oder weltanschaulicher Bekundungen ihrerseits auf die Grundrechte gemäß Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 GG berufen. Insbesondere ist das grundrechtlich geschützte Recht der Eltern, die Erziehung ihrer Kinder auch in religiös-weltanschaulicher Hinsicht grundsätzlich nach ihren Vorstellungen zu gestalten, auch in der Schule von Bedeutung (BVerfG, a.a.O. S. 301 ff.). Die staatliche Neutralitätspflicht im schulischen Bereich verlangt hiernach keine “Sterilität” im Sinne eines Fernhaltens jeglicher weltanschaulicher oder religiöser Zusammenhänge, sondern eine die gesellschaftlichen Realitäten nicht ausblendende Vermittlung dieser Zusammenhänge, ohne sie in der einen oder anderen Richtung einseitig zu werten. Es kann dahingestellt bleiben, ob Art. 32 und 33 der Bremischen Landesverfassung einen vom Grundgesetz abweichenden Inhalt der staatlichen Neutralitätspflicht für das öffentliche Schulwesen festlegen. Denn in diesem Fall käme ihnen wegen des sich aus Art. 31 GG ergebenden Vorrangs des Grundgesetzes keine praktische Bedeutung zu.
Wegen möglicher Konflikte mit widerstreitenden Grundrechtspositionen von Schülern und Eltern vermittelt Art. 4 Abs. 1 GG verbeamteten Lehrkräften keinen Anspruch, ihre religiöse oder weltanschauliche Überzeugung durch entsprechende Kleidungsstücke oder Symbole im Bereich der öffentlichen Schule, insbesondere im Unterricht, zum Ausdruck zu bringen. Vielmehr sind die für das Schulwesen zuständigen Landesgesetzgeber berechtigt, den sich aus möglichen Konflikten ergebenden Gefährdungen des Schulfriedens dadurch vorzubeugen, dass sie untersagen, religiös-weltanschaulich motivierte Kleidungsstücke oder Symbole in der Schule zu tragen. Der Verzicht auf ein solches Erscheinungsbild kann vom Landesgesetzgeber als Merkmal der beamtenrechtlichen Eignung im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG ausgestaltet und damit zur gesetzlichen Voraussetzung für die Übernahme in ein Beamtenverhältnis gemacht werden (BVerfG, a.a.O. S. 309 f.; BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2004 – BVerwG 2 C 45.03 – BVerwGE 121, 140 ≪147 ff.≫ = Buchholz 237.0 § 9 BaWüLBG Nr. 1).
Von dieser ihm bundesverfassungsrechtlich eröffneten Möglichkeit hat der bremische Landesgesetzgeber durch die Einführung des § 59b Abs. 4 und 5 BremSchulG Gebrauch gemacht. Damit steht fest, dass die Klägerin nicht als Beamtin in den Dienst des Landes Bremen übernommen werden kann, wenn sie daran festhält, mit Kopftuch zu unterrichten.
Daraus folgt jedoch nicht, dass die Beklagte unter Berufung auf § 59b Abs. 4 Satz 5 und Abs. 5 BremSchulG der Klägerin auch ohne Weiteres den Zugang zu ihren öffentlichen Schulen als Ausbildungsstätte im Sinne von Art. 12 Abs. 1 GG für den Lehrerberuf verweigern kann. Die grundrechtlichen Erwägungen, die das Verbot eines religiös oder weltanschaulich motivierten Erscheinungsbildes bei Lehrkräften rechtfertigen, können nicht unbesehen auf den staatlichen Vorbereitungsdienst übertragen werden, weil der Zugang zu diesem unerlässlich ist, um dem Grundrecht der freien Berufswahl gemäß Art. 12 Abs. 1 GG Rechnung zu tragen. Davon ausgehend führt die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, § 59b Abs. 4 Satz 5 und Abs. 5 BremSchulG käme für öffentlich-rechtliche Ausbildungsverhältnisse im Sinne von § 12 Abs. 1 Satz 2 der Bremischen Laufbahnverordnung – BremLV – der gleiche Bedeutungsgehalt zu wie für Beamtenverhältnisse, zu einer unverhältnismäßigen und daher unzulässigen Einschränkung des Grundrechts der Berufswahlfreiheit der Klägerin.
Das gesetzliche Verbot eines bestimmten äußeren Erscheinungsbildes im Unterricht hindert Bewerber wie die Klägerin, die ein solches Auftreten aus religiöser Überzeugung als für sich verbindlich empfinden, daran, ihre Berufsausbildung fortzusetzen und abzuschließen. Ihnen wird die Möglichkeit genommen, den gewählten Lehrerberuf nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung außerhalb des öffentlichen Dienstes auszuüben.
Das Grundrecht der freien Berufswahl gemäß Art. 12 Abs. 1 GG vermittelt Bewerberinnen und Bewerbern, die die allgemeinen Zulassungsvoraussetzungen erfüllen, im Rahmen der Kapazität einen Anspruch auf Zulassung zu der staatlichen Ausbildung, wenn der Staat ein rechtliches oder faktisches Ausbildungsmonopol inne hat. Dies ist anzunehmen, wenn der erfolgreiche Abschluss der staatlichen Ausbildung für die Berufsausübung außerhalb des Staatsdienstes rechtlich erforderlich ist oder nach der Verkehrsanschauung zu einer abgeschlossenen Berufsausbildung gehört und von Arbeitgebern erwartet wird (BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1975 – 2 BvL 13/73 – BVerfGE 39, 334, ≪371 ff.≫). Das ist hinsichtlich des staatlichen Vorbereitungsdienstes für das Lehramt der Fall:
Art. 7 Abs. 4 Satz 2 GG macht die Genehmigung privater Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen davon abhängig, dass die wissenschaftliche Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurücksteht. Die Anforderungen der staatlichen Ausbildung stellen somit den Maßstab für die berufliche Qualifikation dar, die von Lehrern an Privatschulen verlangt wird (vgl. hierzu Beschlüsse vom 13. April 1988 – BVerwG 7 B 135.87 – Buchholz 11 Art. 7 Abs. 4 GG Nr. 29 und vom 6. April 1990 – BVerwG 7 B 44.90 – Buchholz 11 Art. 7 Abs. 4 GG Nr. 33). Dementsprechend gehört der staatliche Vorbereitungsdienst für das Lehramt zu den allgemeinen Standards, die die Konferenz der Kultusminister der Länder – KMK – für die Lehrerbildung beschlossen hat (vgl. Ziffer 2.1 des KMK-Beschlusses vom 16. Dezember 2004). Mangels anderweitiger Ausbildungsmöglichkeiten sind auch solche Bewerber auf die staatliche Ausbildung angewiesen, die den Beruf nicht im Staatsdienst ausüben wollen. Mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG ist es daher erforderlich, Bewerbern, die nicht sämtliche für ein Beamtenverhältnis geforderten Eignungsvoraussetzungen erfüllen, den Zugang zur Ausbildung nicht wegen eines für sie – bezogen auf den angestrebten Beruf – bedeutungslosen Eignungsmangels zu verwehren (vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Juli 1972 – 1 BvL 32/70 und 25/71 – BVerfGE 33, 303 ≪338≫, Beschluss vom 22. Mai 1975 a.a.O. S. 373 f.). Daher fordert Art. 12 Abs. 1 GG für Bewerber, die wegen beamtenrechtlicher Eignungsmängel nicht in das für die Ausbildung üblicherweise vorgesehene Beamtenverhältnis auf Widerruf übernommen werden können, die Schaffung eines auch ihnen zugänglichen besonderen Ausbildungsverhältnisses, das öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich ausgestaltet sein kann (BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1975 a.a.O. S. 371 ff.; BVerwG, Urteile vom 23. Juli 1963 – BVerwG 2 C 158.62 – BVerwGE 16, 241 ≪247≫ = Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 37 und vom 9. Juni 1981 – BVerwG 2 C 48.78 – BVerwGE 62, 267 ≪270≫ = Buchholz 237.1 Art. 43 BayBG Nr. 4; BAG, Urteil vom 1. Oktober 1986 – 7 AZR 383/85 – BAGE 53, 137 ≪144≫ und Beschluss vom 15. Mai 1987 – 7 AZR 664/85 – BAGE 54, 340 ≪347 ff.≫). Dieser verfassungsrechtlichen Lage trägt § 12 Abs. 1 Satz 2 BremLV Rechnung, der ein öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis außerhalb eines Beamtenverhältnisses vorsieht.
Die Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG kann aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden, das durch Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt ist und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Der Grundrechtseingriff muss zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich sein sowie bei der Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Belange noch die Grenze der Zumutbarkeit wahren (Urteil vom 24. November 2005 – BVerwG 2 C 32.04 – BVerwGE 124, 347 ≪353≫ = Buchholz 230 § 42 BRRG Nr. 3 m.N. zur Rspr des Bundesverfassungsgerichts). Beschränkungen der Berufswahlfreiheit sind nur zulässig, soweit sie zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter zwingend erforderlich sind. Sind diese Voraussetzungen gegeben, ist stets diejenige Regelung zu wählen, die den geringsten Eingriff in die Freiheit der Berufswahl mit sich bringt (BVerfG, Urteil vom 11. Juni 1958 – 1 BvR 596/56 – BVerfGE 7, 377 ≪405, 408≫ und Beschluss vom 29. Oktober 1997 – 1 BvR 780/87 – BVerfGE 97, 12 ≪26≫).
Zwar stellt die Vermeidung religiös-weltanschaulicher Konflikte in öffentlichen Schulen, insbesondere im Unterricht, ein gewichtiges Gemeinschaftsgut dar (BVerfG, Urteil vom 24. September 2003 – 2 BvR 1436/02 – BVerfGE 108, 282 ≪299, 302 f., 309 f.≫; BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2004 a.a.O. S. 148). Insoweit bestehen jedoch erhebliche Unterschiede zwischen dauerhaft tätigen Lehrkräften und Referendaren: Lehrkräfte im staatlichen Dienst müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie aufgrund der Bindung des öffentlichen Schulwesens an die Grundwerte der Verfassung dauerhaft besonderen Bindungen unterliegen. Demgegenüber sind Referendare aufgrund des staatlichen Ausbildungsmonopols nur vorübergehend im öffentlichen Schulwesen tätig. Bei ihnen steht nicht das eigenverantwortliche Unterrichten, d.h. der pädagogische Auftrag im Mittelpunkt, sondern die Berufsausbildung. Wollen sie ihren Berufswunsch nicht aufgeben, so müssen sie die staatliche Ausbildung auch dann absolvieren, wenn sie mit bestimmten Grundlagen des öffentlichen Schulwesens nicht einverstanden sind.
Aufgrund dieser Unterschiede ist es im Hinblick auf den Stellenwert der Berufswahlfreiheit unverhältnismäßig, Referendaren in religiös-weltanschaulicher Hinsicht die gleichen Verhaltenspflichten aufzuerlegen wie dauerhaft tätigen Lehrkräften. Es ist nicht gerechtfertigt, ihnen den Zugang zur Ausbildung durch Übernahme in ein öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis unabhängig von den Umständen des Einzelfalles schon bei einer abstrakten, nicht durch greifbare tatsächliche Anhaltspunkte belegten Gefährdung des religiös-weltanschaulichen Schulfriedens zu versagen. Denn es bestehen hinreichende Möglichkeiten, den Schulfrieden trotz eines religiös-weltanschaulich motivierten Erscheinungsbildes des Referendars zu bewahren und konkreten Gefährdungen im Einzelfall angemessen zu begegnen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Erscheinungsbild nicht derart aus dem Rahmen der gesellschaftlichen Anschauungen fällt, dass es als schlechthin inakzeptabel angesehen werden muss. Dies ist der Fall, wenn weite Kreise der Bevölkerung den so auftretenden Personen mit Vorbehalten und Misstrauen begegnen. Hier kann angenommen werden, dass mit Sicherheit erhebliche Konflikte in der Schule auftreten, weil diese Personen bei der Wahrnehmung ihrer schulischen Aufgaben nicht ernst genommen werden oder das dafür erforderliche Vertrauen von vornherein nicht gewinnen können. Davon kann bei einem Kopftuch, wie es die Klägerin trägt, noch nicht ausgegangen werden.
Hier kann einer Gefährdung des Schulfriedens dadurch begegnet werden, dass gegenüber Schülern und Eltern auf die Rechtsstellung als Referendarin (Auszubildende) hingewiesen wird. Zudem können Konflikte durch die Auswahl einer bestimmten Schule vermieden werden. Schließlich können Konflikte dadurch vermieden werden, dass die Klägerin Schülern und Eltern besonders vorgestellt und sie beim Unterrichten mehr als üblich begleitet oder beaufsichtigt wird. Auch darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Schulverwaltung bei Referendarinnen und Referendaren rascher und effektiver auf sich anbahnende Unzuträglichkeiten reagieren kann als bei dauerhaft tätigen Lehrkräften. Die Schulverwaltung ist nicht darauf beschränkt, eine abwägende Entscheidung allein auf der Grundlage einer einmaligen Prognose zu treffen. Für die Frage einer konkreten Gefährdung des Schulfriedens kann im Übrigen eine Rolle spielen, in welchen Fächern der Unterricht erteilt werden soll und in welchen Jahrgangsstufen, also welcher Reifegrad und Verständnishorizont der Schüler vorausgesetzt werden kann.
Damit aber hat das Oberverwaltungsgericht der Regelung des § 59b Abs. 4 und 5 BremSchulG für öffentlich-rechtliche Ausbildungsverhältnisse eine verfassungswidrige Auslegung gegeben, die gegen Bundesrecht, nämlich Art. 12 Abs. 1 GG verstößt, indem es bereits eine abstrakte Gefährdung des Schulfriedens durch das Kopftuch der Klägerin hat ausreichen lassen, um ihr den Zugang zur Ausbildung und damit zu dem von ihr angestrebten Lehrerberuf zu verweigern. Verfassungsrechtlich geboten ist es vielmehr, den Zugang zur Ausbildung nur dann zu verwehren, wenn die Schulbehörde eine konkrete Gefahr für den Schulfrieden feststellt und keine anderen, das Grundrecht der Klägerin aus Art. 12 Abs. 1 GG weniger einschränkenden Maßnahmen zur Verfügung stehen, um dieser Gefahr entgegenzuwirken.
Die Regelung des § 59b Abs. 4 Satz 5 und Abs. 5 BremSchulG ist einer solchen verfassungskonformen Auslegung für öffentlich-rechtliche Ausbildungsverhältnisse zugänglich. Sie widerspricht weder dem Wortlaut des Gesetzes noch dem Willen des Gesetzgebers (BVerfG, Beschlüsse vom 24. Mai 1995 – 2 BvF 1/92 – BVerfGE 93, 37 ≪81≫ und vom 15. Oktober 1996 – 1 BvL 44, 48/92 – BVerfGE 95, 64 ≪93≫; BVerwG, Urteil vom 28. April 2005 – BVerwG 2 C 1.04 – BVerwGE 123, 308 ≪316≫ = Buchholz 240 § 72a BBesG Nr. 1). Aus dem Wortlaut des § 59b Abs. 4 Satz 5 BremSchulG (“geeignet”) ergibt sich, dass im Regelfall eine abstrakte Gefährdung ausreichen soll. Andererseits lässt es die Verwendung des Begriffs “geeignet” zu, im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob am Kopftuch der Referendarin ernsthaft und begründet Anstoß genommen wird, der Schulfrieden also handgreiflich gefährdet ist und dieser Gefährdung nicht durch andere geeignete Maßnahmen entgegengewirkt werden kann. Auch der Normzweck des § 59b Abs. 4 Satz 5 und Abs. 5 BremSchulG steht der verfassungsrechtlich gebotenen Auslegung nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers (vgl. Änderungsantrag der Mehrheitsfraktionen vom 21. Juni 2005, Bürgerschafts-Drucks 16/662) nicht entgegen. Im Gegenteil war es Absicht des Gesetzgebers, auf eine konkrete Gefahr im Rahmen einer Einzelfallwürdigung abzustellen und der Schulbehörde dabei einen weiten Einschätzungsspielraum zu überlassen. Von den beiden danach möglichen Auslegungen des Gesetzes ist der verfassungskonformen der Vorzug zu geben (Urteile vom 23. Mai 1995 – BVerwG 1 C 32.92 – BVerwGE 98, 280 ≪293 f.≫ = Buchholz 437.1 BetrAVG Nr. 13 und vom 2. März 2000 – BVerwG 2 C 1.99 – BVerwGE 110, 363 = Buchholz 237.5 § 85c HeLBG Nr. 1).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Unterschriften
Dr. Heitz, Thomsen, Dr. Burmeister, Buchheister
VRiBVerwG Albers ist wegen Eintritts in den Ruhestand verhindert zu unterschreiben.
Dr. Heitz
Fundstellen
Haufe-Index 2039657 |
BVerwGE 2009, 242 |
ZBR 2009, 53 |
ZTR 2009, 46 |
DÖV 2009, 171 |
PersV 2009, 34 |
VR 2009, 69 |
DVBl. 2008, 1462 |
RÜ 2009, 39 |
SchuR 2008, 117 |
Kirche & Recht 2008, 277 |