Entscheidungsstichwort (Thema)
Schädigung während NS-Zeit. NS-Zeit, Schädigung während der –. Zwangsverkauf. Vermutung. Erfahrungssatz. Einheitswert. Verkehrswert. angemessener Kaufpreis. Kaufpreis, angemessener –. Thüringer Wiedergutmachungsgesetz. Wiedergutmachungsgesetz von Thüringen. Vergleich über Wiedergutmachung. Wiedergutmachung, Vergleich über –. Rückerstattung nach dem Recht der alliierten Mächte. Alliierte, Rückerstattung nach den Gesetzen der -n. Wiedergutmachung, dauerhafte und nachhaltige –. Verzicht auf Wiedergutmachung. Wiedergutmachung, Verzicht auf –. jüdisches Eigentum. Eigentum, jüdisches –
Leitsatz (amtlich)
Der nach § 1 Abs. 6 VermG beanspruchten Rückübertragung eines durch “Zwangsverkauf” veräußerten Grundstücks steht regelmäßig eine zur Zeit der Geltung und unter dem Einfluß des Thüringer Wiedergutmachungsgesetzes (1945) getroffene Vereinbarung über eine Nach- oder Ausgleichszahlung nicht entgegen.
Die Unangemessenheit eines für ein Grundstück entrichteten Kaufpreises im Sinne des § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 2 REAO ergibt sich im Regelfall bereits aus dem Umstand, daß er den zum Zeitpunkt der Veräußerung geltenden Einheitswert des Grundstücks unterschritt.
Normenkette
VermG § 1 Abs. 6 (i.V.m. Art. 3 REAO), § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1
Verfahrensgang
VG Weimar (Urteil vom 29.04.1996; Aktenzeichen 6 K 20/95) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 29. April 1996 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Die Klägerin begehrt die Feststellung, daß sie Berechtigte hinsichtlich eines in E… gelegenen und mit einer Villa bebauten Grundstücks ist, welches an die Beigeladene nach Maßgabe der Vorschriften des Investitionsvorranggesetzes (InVorG) zu einem Kaufpreis von 686 000 DM veräußert worden ist.
Seit 1933 war Eigentümer des Grundstücks ein in E… tätiger jüdischer Rechtsanwalt. Im Juli 1936 veräußerte er das Hausgrundstück an einen Rechtsanwalt sowie dessen Ehefrau zu einem Kaufpreis von 38 500 RM. In Anrechnung auf den Kaufpreis übernahmen die Käufer eine eingetragene Hypothek in Höhe von 20 000 RM; der Restbetrag war in bar auszuzahlen. Die Eintragung der Erwerber in das Grundbuch erfolgte im April 1937. Der Veräußerer, der Ende der dreißiger Jahre nach England emigriert war, kehrte nach dem Krieg nach E… zurück. Sein ehemaliges Grundstück wurde im März 1946 nach Maßgabe des Thüringer Wiedergutmachungsgesetzes (ThWGG) vom 14. September 1945 (RegBl I S. 24) vorläufig beschlagnahmt, und es wurde ein staatlicher Verwalter eingesetzt. In einem Schreiben an das Finanzministerium erklärte der frühere Eigentümer im Jahre 1951, daß er sich mit der – seit 1948 verwitweten – Erwerberin in der Wiedergutmachungssache geeinigt habe und die Beschlagnahme aufgehoben werden könne, was daraufhin geschah. Der Einigung waren seit 1946 schriftlich geführte Verhandlungen zwischen dem Veräußerer und den Erwerbern vorausgegangen. Sie führten 1949 zu dem Ergebnis, daß der frühere Eigentümer bis ins Jahr 1952 hinein aus Mieterträgen einen Gesamtbetrag von 10 240 M erhalten sollte; ausgezahlt wurden ihm 6 930 M. Weil die Erwerberin 1949 nach W… verzogen war, wurde das beanspruchte Grundstück auf der Grundlage der Verordnung vom 17. Juli 1952 im Jahre 1953 in Volkseigentum überführt.
Nachdem in den siebziger Jahren von Veräußerer- wie Erwerberseite lastenausgleichsrechtliche Verfahren durchgeführt worden waren, begehrten nach dem Beitritt der DDR sowohl die Erben der Erwerber als auch die Klägerin die Rückübereignung des Grundstücks; die Erben der Erwerber haben ihre Rückübertragungsansprüche an die Beigeladene als Miterbin abgetreten. Den Antrag der Klägerin lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 28. Juli 1992 mit der Begründung ab, die nach dem Kriege getroffene Vereinbarung schließe Vermögensansprüche aus. Der Widerspruchsbescheid vom 6. Dezember 1994 hob ergänzend darauf ab, daß der damalige Kaufpreis wegen erforderlicher Instandsetzungsarbeiten mit einem Aufwand von etwa 10 000 RM angemessen gewesen sei. Außerdem sei davon auszugehen, daß das Rechtsgeschäft auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus abgeschlossen worden wäre; der Veräußerer habe sich damals belegbar geäußert, er habe das viel zu große Haus nur bis zum Tode der Mutter halten wollen.
Der zuletzt auf Feststellung der Berechtigung zielenden Klage hat das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Urteil stattgegeben und zur Begründung ausgeführt:
Der jüdische Voreigentümer des Hausgrundstücks sei in bezug auf diesen Vermögenswert einer Maßnahme nach § 1 Abs. 6 VermG ausgesetzt gewesen. Die Vermutung für die Verfolgungsbedingtheit sei nicht widerlegt worden. Ob das Rechtsgeschäft auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus abgeschlossen worden wäre – wofür angesichts einiger Bekundungen manches spreche –, könne offenbleiben; der Kaufpreis sei nicht angemessen gewesen. Weil der damalige Verkehrswert, auf den vorrangig abzustellen sei, heute nicht oder nur schwer bestimmt werden könne, könne auch ein Kaufpreis angemessen sein, der den Einheitswert um 20 % übersteige. Hingegen sei eine Gegenleistung, die noch nicht einmal den Einheitswert eines in einer Großstadt gelegenen Grundstücks erreiche, regelmäßig nicht angemessen; so aber verhalte es sich im vorliegenden Fall. Entgegen der Meinung der Beigeladenen ergebe sich ein Einheitswert von 39 000 RM aus noch vorhandenen Unterlagen, und auch die danach durchgeführte Hausrenovierung habe den Einheitswert allenfalls erhöht, nicht aber vermindert. Zu einem angemessenen Kaufpreis gelange man selbst dann nicht, wenn man die nach dem Kriege gezahlte Entschädigung zum Kaufpreis addiere.
Die nachträglichen Vereinbarungen ließen die Berechtigtenstellung nicht entfallen. Privatrechtliche Vergleiche auf der Grundlage des Thüringer Wiedergutmachungsgesetzes schlössen Rückübertragungsansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht aus. Insbesondere seien die Grundsätze der Verwirkung nicht anwendbar. Geflossene Zahlungen hätten allenfalls Bedeutung im Zusammenhang mit § 7a Abs. 2 Satz 1 VermG.
Die vom Senat zugelassene Revision begründet die Beigeladene unter Wiederholung und Vertiefung ihres früheren Vorbringens im Schwerpunkt mit der Behauptung, der frühere Eigentümer habe sich unter dem Einfluß der Bestimmungen des Thüringischen Wiedergutmachungsgesetzes, welches nach seinen Regelungen und deren Durchführung dem Wiedergutmachungsrecht in den Westzonen entsprochen habe, für die Entgegennahme einer Nachzahlung zum Kaufpreis entschieden und damit auf Rückerstattungsansprüche verzichtet. Im übrigen habe das Gericht die Angemessenheit des Kaufpreises fehlerhaft beurteilt; es habe sich seiner Verpflichtung zur Ermittlung des Verkehrswerts entzogen und sei zudem bei der Ermittlung des Einheitswerts von unzutreffenden Grundlagen ausgegangen. Schließlich sei auch hinreichend belegt, daß der frühere Eigentümer das Grundstück aus freien Stücken und damit unbeeinflußt von der nationalsozialistischen Herrschaft veräußert habe.
Die Klägerin wiederholt ihren Standpunkt, daß ein Anspruch nach § 1 Abs. 6 VermG nur durch eine – nicht erfolgte – Rückgabe des Grundstücks aufgrund der Thüringischen Wiedergutmachungsregeln entfallen könne.
Der Oberbundesanwalt vertritt gleichfalls die Auffassung, daß ein unter Geltung des Thüringer Wiedergutmachungsgesetzes geschlossener privatrechtlicher Vergleich mit einer Verpflichtung zu einer Nachzahlung die Rückübertragung des betroffenen Vermögenswerts nicht ausschließe; Ansprüche nach dem Vermögensgesetz seien nicht Gegenstand des zwischen dem früheren Veräußerer und den früheren Erwerbern geschlossenen Vergleichs geworden.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Die vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen ermöglichen nicht die von der Klägerin begehrte Feststellung ihrer Berechtigung (§ 16 Abs. 1 InVorG i.V.m. § 2 Abs. 1 Sätze 1 und 2 VermG). Da über den mit der Klage verfolgten Anspruch abschließend erst auf der Grundlage weiterer tatsächlicher Ermittlungen entschieden werden kann, ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
1. Allerdings ist dem Verwaltungsgericht darin beizupflichten, daß die Ende der vierziger Jahre zur Zeit der Geltung und unter dem Einfluß des Thüringer Wiedergutmachungsgesetzes vom 14. September 1945 – ThWGG – (RegBl I S. 24; vgl. hierzu Schwarz, Rückerstattung nach den Gesetzen der Alliierten Mächte, 1974, S. 325 ff.) getroffene Vereinbarung zwischen dem früheren Eigentümer des Grundstücks und dessen Erwerbern der auf der Grundlage des § 1 Abs. 6 VermG beanspruchten Rückübertragung nicht entgegensteht.
a) § 1 Abs. 6 Satz 1 VermG begründet Rückübertragungsansprüche für Bürger und Vereinigungen, denen durch NS-Verfolgungsmaßnahmen auf dem Gebiet der späteren DDR und des sowjetischen Sektors von Berlin Vermögen entzogen wurde. Insoweit ist Zweck des Vermögensgesetzes die Wiedergutmachung von Unrechtsmaßnahmen des NS-Staates in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945, zu der sich der Gesetzgeber der Bundesrepublik Deutschland mit Blick auf den Rechts- und Sozialstaatsgedanken des Grundgesetzes verpflichtet hat. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, daß es in der sowjetischen Besatzungszone ebenso wie später in der DDR und im sowjetischen Sektor Berlins bis zum Erlaß des Vermögensgesetzes keine Wiedergutmachungsgesetzgebung gegeben hat, die den in den westlichen Besatzungszonen und Sektoren Berlins und später in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Wiedergutmachungsgesetzen gleichwertig gewesen wäre (vgl. BVerwGE 98, 137 ≪143≫; 98, 261 ≪265≫).
Freilich versteht es sich von selbst, daß derjenige, der die zurückverlangte Rechtsposition bereits innehat, keiner Wiedergutmachung durch Rückgabe bedarf. Daraus folgt, daß die Restitution eines in § 1 Abs. 1 ThWGG aufgeführten Vermögenswerts, die nicht durch besatzungsrechtliche oder besatzungshoheitliche Enteignung wieder rückgängig gemacht worden ist (vgl. § 1 Abs. 8a, 2. Halbsatz VermG), zum Ausschluß der Anwendbarkeit des § 1 Abs. 6 VermG führt.
Hingegen konnte in den hier in Rede stehenden Fällen eines sog. Zwangsverkaufs die von § 1 Abs. 6 VermG beabsichtigte “dauerhafte und nachhaltige Wiedergutmachung des während der NS-Zeit erlittenen Vermögensverlusts” (vgl. BTDrucks 12/2480, S. 39; BVerfGE 94, 12 ≪45≫) durch eine nach der Zeit der NS-Herrschaft getroffene privatrechtliche Vereinbarung zwischen Geschädigten und Erwerbern in bezug auf einen in der damaligen sowjetischen Besatzungszone befindlichen Vermögenswert nicht vorweggenommen werden. Das Vermögensgesetz sieht grundsätzlich – wie schon das alliierte Rückerstattungsrecht (vgl. hierzu Schwarz, a.a.O., S. 175 ff.) – die Wiedergutmachung in der Form der Rückübertragung des entzogenen Vermögenswertes vor (vgl. BVerwGE 98, 137 ≪143≫); eine Ausnahme bildet insoweit allein die Vorschrift des § 1 Abs. 8 Buchst. b VermG (vgl. hierzu BVerwGE 99, 276). Hieraus erhellt, daß ein nach § 1 Abs. 6 VermG Berechtigter sich mit früher vereinbarten und gewährten Ausgleichsleistungen nicht soll begnügen müssen, weil der zugrundeliegenden Vereinbarung die zur Wiedergutmachung ausreichende gesetzliche Grundlage fehlte. Solche Leistungen sind nur nach Maßgabe des § 7a Abs. 2 und 3 VermG zu berücksichtigen (vgl. BVerwGE 98, 137 ≪146≫). Das gilt auch und gerade für Vereinbarungen unter der Geltung des Thüringer Wiedergutmachungsgesetzes. Dieses Gesetz enthielt keine der Regelung im II. Abschnitt der Anordnung BK/O (49) 180 der Alliierten Kommandantur Berlin vom 26. Juni 1949 – REAO – vergleichbare Vermutung und schloß daher beispielsweise nicht aus, daß bei Veräußerungen in der Zeit vom 15. September 1935 bis zum 8. Mai 1945 bereits ein zur freien Verfügung des Veräußerers verbliebener angemessener Kaufpreis einem Wiedergutmachungsbegehren entgegenstand. Dagegen ist nach Art. 3 Abs. 3 REAO die Vermutung ungerechtfertigter Entziehung in diesen Fällen nur widerlegt, wenn zusätzlich eine der in Buchst. a und b dieser Vorschrift angeführten Voraussetzungen erfüllt ist.
In der dargelegten Auslegung ist § 1 Abs. 6 VermG auch verfassungsgemäß. Der Gesetzgeber durfte sich für den Grundsatz entscheiden, verfolgungsbedingt entzogene Vermögenswerte seien in Natur zurückzugeben, obwohl bei Zustimmung zum Einigungsvertrag die durch § 1 Abs. 6 VermG erfaßten Vorgänge zum Teil über 50 Jahre zurücklagen. Für die Bundesrepublik Deutschland ist die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts, insbesondere an den Juden, stets ein Anliegen von herausragender Bedeutung gewesen. Der Gesetzgeber durfte daher die erste sich ihm bietende Gelegenheit nutzen, um bisher unterbliebene Wiedergutmachungen auch im Gebiet der ehemaligen DDR nachzuholen. Er hat hierbei auch berechtigte Interessen von Erwerbern nicht unangemessen zurückgestellt, weil derjenige gegen eine Rückgabepflicht geschützt ist, der – anders als im Streitfall die Erwerber – nach dem 8. Mai 1945 redlich an verfolgungsbedingt entzogenen Vermögenswerten Eigentum erworben hat (vgl. BVerfG, Beschluß vom 3. März 1995 – 1 BvR 236/95 – KPS § 1 VI VermG 1/95). In diesem Zusammenhang versteht es sich von selbst, daß ein redlicher Erwerb im Sinne des § 4 Abs. 2 VermG einen Erwerbsvorgang voraussetzt und nicht allein schon dann angenommen werden kann, wenn sich in Fällen der hier in Rede stehenden Art ein Veräußerer und ein Erwerber nach dem Krieg darin einig waren, daß letzterer für die überschaubare Zukunft Eigentümer bleiben sollte.
b) Eine andere Beurteilung ist dann in Betracht zu ziehen, wenn im Zusammenhang mit Wiedergutmachungsleistungen Erklärungen vom Geschädigten abgegeben worden sind, die als unwiderruflicher Verzicht auf alle bestehenden und künftigen Ansprüche wegen des erlittenen Vermögensverlusts auszulegen sind (vgl. BVerwGE 14, 93 ≪95≫; 38, 160 ≪162≫; 84, 209 ≪211 f.≫; vgl. auch BGHZ 40, 326 ≪330≫). Läßt sich ein insoweit klarer Verzichtswillen des Berechtigten belegen, kann die Beurteilung gerechtfertigt sein, daß wegen des Verzichts in der Person des Berechtigten ein materieller Anspruch im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG nicht entstanden ist.
Im Streitfalle lassen die vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen sowie der herangezogene und verwertete Akteninhalt nicht die Beurteilung zu, der frühere Eigentümer habe sich Ende der vierziger Jahre dauerhaft mit den ihm versprochenen Zahlungen als Ersatz für das Grundstück begnügen und endgültig auf dessen Rückerstattung verzichten wollen. Zwar hat er – aus welchen Gründen auch immer – etwaige Ansprüche auf Rückgewähr nach dem Thüringer Wiedergutmachungsgesetz nicht weiterverfolgt; darin liegt aber kein rechtlich bedeutsames Verhalten im Blick auf zukünftige Ansprüche, insbesondere auf solche, die sich nach einer Wiedervereinigung Deutschlands ergeben könnten (vgl. auch BGH, Beschluß vom 3. August 1995 – IX ZB 80/94 – ZOV 1995, 460 = VIZ 1995, 644). Gegen einen solchen weitreichenden Erklärungsinhalt spricht bereits der Umstand, daß es dem Verfolgten noch nicht einmal möglich war, gegenüber der Erwerberin seine nach den noch vorhandenen und ins gerichtliche Verfahren eingeführten Unterlagen ursprünglich bestehende Absicht durchzusetzen, die an ihn gezahlten Geldleistungen dauerhaft vor einer Rückforderung unter veränderten Wiedergutmachungsregeln zu schützen; ein entsprechendes Ansinnen hat die Erwerberin schriftlich zurückgewiesen.
2. Das Verwaltungsgericht hätte gleichwohl der Klage nicht stattgeben und dabei die Frage dahinstehen lassen dürfen, ob das im Jahre 1936 vorgenommene Rechtsgeschäft seinem wesentlichen Inhalt nach auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus abgeschlossen worden wäre (§ 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 3 Buchst. a REAO ≪VOBl für Groß-Berlin I S. 221≫). Es hat nämlich nicht auf ordnungsgemäße Weise die Behauptung der Beigeladenen widerlegt, der Veräußerer habe einen angemessenen Kaufpreis erhalten (Art. 3 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Buchst. b und Abs. 2 REAO).
Wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat und zwischen den Verfahrensbeteiligten auch nicht im Streit ist, unterfiel das Veräußerungsgeschäft des Jahres 1936 zugleich den Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 1 Buchst. b sowie Abs. 3 REAO. Der Veräußerer gehörte als jüdischer Bürger zu einem Personenkreis, den in seiner Gesamtheit die deutsche Regierung durch ihre Maßnahmen aus politischen Gründen vom kulturellen und wirtschaftlichen Leben Deutschlands auszuschließen beabsichtigte, und der Grundstücksverkauf wurde in der Zeit vom 15. September 1935 bis zum 8. Mai 1945 vorgenommen. Daher kann die Vermutung des Art. 3 Abs. 1 REAO, wonach es sich um eine ungerechtfertigte Entziehung handelte, nur dadurch widerlegt werden, daß die freie Verfügbarkeit über einen angemessenen Kaufpreis (Art. 3 Abs. 2 REAO) und darüber hinaus ein Abschluß des Rechtsgeschäfts auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus (Art. 3 Abs. 3 Buchst. a REAO) nachgewiesen werden. Das Verwaltungsgericht hat gemeint, bereits die Angemessenheit des gezahlten Kaufpreises verneinen zu können; es hat den Standpunkt eingenommen, daß es der Ermittlung des Verkehrswerts des veräußerten Grundstücks nicht bedürfe, weil der gezahlte Kaufpreis noch nicht einmal den damaligen Einheitswert erreicht habe und selbst unter Hinzurechnung der nach dem Kriege geflossenen Geldleistungen zum Kaufpreis die anzunehmende Untergrenze von 120 % des Einheitswerts nicht erreicht werde. Indessen hat das Gericht den Einheitswert nicht ordnungsgemäß ermittelt.
a) Art. 3 Abs. 2 REAO definiert als angemessenen Kaufpreis denjenigen, den ein Kauflustiger zu zahlen und ein Verkaufslustiger anzunehmen bereit wäre. Damit ist der Sache nach der Verkehrswert angesprochen (vgl. Schwarz, a.a.O., S. 160 f.). Dieser ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch maßgeblich zugrunde zu legen bei der Angemessenheitsprüfung nach der Vorschrift des § 2 Abs. 2 der 7. FeststellungsDV (i.d.F. vom 17. November 1962, BGBl I S. 676), die einen ähnlichen Inhalt wie die hier in Rede stehende Vorschrift des Art. 3 Abs. 2 REAO hat; er wird durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Verkehr nach der Beschaffenheit des zu veräußernden Gegenstandes zu erzielen gewesen wäre, wenn er keinem Verfolgten gehört hätte. Dabei sind alle Umstände, die den Preis beeinflussen, zu berücksichtigen. Außer Betracht bleiben ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse. Der Verkehrswert kann im Wege der freien Beweiswürdigung insbesondere anhand eines Sachverständigengutachtens ermittelt werden (vgl. BVerwGE 48, 362 ≪365 ff.≫ m.w.N.). Allerdings war das Verwaltungsgericht nicht gehindert, bei der Bestimmung des angemessenen Kaufpreises aus Gründen der Vereinfachung auf den damaligen Einheitswert des Grundstücks abzustellen. Diese Möglichkeit kommt vor allem dann in Betracht, wenn sich der Verkehrswert nicht mehr ermitteln läßt (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. April 1991 – BVerwG 3 C 18.89 – Buchholz 427.207 § 2 Nr. 48 ≪S. 8≫. Darüber hinaus kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts von einem Erfahrungssatz ausgegangen werden, daß der Einheitswert die unterste Grenze des Verkehrswerts bildet (Urteil vom 16. Dezember 1965 – BVerwG 3 C 220.64 – RzW 1966, 382; Urteil vom 19. März 1970 – BVerwG 3 C 20.69 – IFLA 1971, 27; vgl. auch Beschlüsse vom 2. Juli 1970 – BVerwG 3 B 44.70 – Buchholz 427.207 § 2 Nr. 11 und vom 30. Oktober 1972 – BVerwG 3 C 41.69 – ZLA 1972, 198); diese Rechtsprechung hat das Verwaltungsgericht im vorliegenden Falle zutreffend zugrunde gelegt.
Unsubstantiiert und daher vom Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen worden ist die sinngemäß vorgetragene Behauptung der Beigeladenen, zur Zeit des Verkaufs hätten wegen eines erheblichen Reparaturstaus die Voraussetzungen einer Neubewertung im Sinne des § 22 des Reichsbewertungsgesetzes vom 16. Oktober 1934 – RBewG – (RGBl I S. 1035) vorgelegen. Abgesehen davon, daß eine solche Neubewertung nur auf Antrag erfolgte (§ 22 Abs. 3 RBewG) und daher zumindest erklärungsbedürftig wäre, daß die damaligen Erwerber einen solchen Antrag, der nach Lage der Dinge zu für sie vorteilhaften Folgen geführt hätte, gerade nicht gestellt haben, hat die Beigeladene der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgetragenen Behauptung der Klägerin nicht widersprochen, der Einheitswert sei vor der Veräußerung zuletzt für den 1. Januar 1935, den ersten Hauptfeststellungszeitpunkt nach dem Reichsbewertungsgesetz (vgl. § 79 RBewG), festgesetzt worden; daher müßten die von der Beigeladenen behaupteten Wertminderungen bereits bei dieser Hauptfeststellung (§ 21 RBewG) berücksichtigt worden sein. Angesichts dessen können die in Rede stehenden Reparaturkosten in Höhe von ca. 10 000 RM den Wert allenfalls erhöht, aber – bezogen auf den Erwerbszeitpunkt – nicht vermindert haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 1967 – BVerwG 3 C 108.65 – Buchholz 427.207 § 2 Nr. 4).
Schließlich wird die aus der Unterschreitung des Einheitswerts folgende Unangemessenheit des Kaufpreises nicht dadurch beseitigt, daß der Veräußerer nach dem Krieg weitere Zahlungen erhalten hat. Maßgeblich für die Beurteilung der Angemessenheit des Kaufpreises ist allein der Veräußerungszeitpunkt; eine nach der Zeit der Verfolgung vereinbarte Erhöhung des Kaufpreises zu Wiedergutmachungszwecken läßt den Entziehungstatbestand, der mit der Feststellung der Unangemessenheit des Kaufpreises zum Veräußerungszeitpunkt und damit des Ursachenzusammenhangs zwischen Verfolgung und Veräußerung feststeht, nicht entfallen.
b) Das Verwaltungsgericht durfte jedoch nicht mit der dafür im Urteil gegebenen Begründung die schlüssige Behauptung der Beigeladenen zurückweisen, der von der Klägerin vorgetragene Einheitswert in Höhe von 39 000 RM habe zum Verkaufszeitpunkt auch noch eine Parzelle (“Gartenparzelle”) miterfaßt, die der Verfolgte im Mai 1936 an einen Dritten veräußert hatte; die diesbezüglich von der Revision erhobene Verfahrensrüge greift durch, weil das Gericht in Ansehung seines zutreffenden rechtlichen Ansatzes die genaue Höhe des Einheitswerts zum Veräußerungszeitpunkt hätte weiter aufklären müssen (§ 86 Abs. 1 VwGO).
Angesichts der plausiblen Behauptung der Klägerin, der letzte Einheitswert sei zum Stichtag 1. Januar 1935 festgesetzt worden, und der mit dem Akteninhalt übereinstimmenden Annahme des Gerichts, die beiden in Rede stehenden Parzellen hätten damals ein Grundstück im grundbuchrechtlichen Sinne gebildet, durfte sich das Verwaltungsgericht zur Ermittlung des Einheitswerts im Veränderungszeitpunkt nicht schon mit dem Hinweis begnügen, daß in einer Bescheinigung aus dem Jahre 1958 für das “Einfamilienhaus” ein Einheitswert von 39 000 RM zum 1. Januar 1937 festgestellt worden sei, sondern hätte den Versuch unternehmen müssen, durch Beiziehung hierüber geführter Steuerakten den genauen Einheitswert des veräußerten Grundstücks zu ermitteln. Von dieser Pflicht war es auch nicht im Hinblick auf die übrigen von ihm angeführten Umstände entbunden: So trifft es nicht zu, daß sich zu Beginn des Jahres 1937 die beiden Parzellen “schon lange in der Hand verschiedener Eigentümer” befunden hätten, wie das Gericht dargelegt hat; die Erwerber des streitbefangenen Grundstücks sind erst im Jahre 1937 eingetragen worden und der Erwerb der “Gartenparzelle” hat erst im Mai 1936 grundbuchrechtlich seinen Niederschlag durch ihre rechtliche Verselbständigung gefunden. Unergiebig für die Verhältnisse zum Erwerbszeitpunkt ist des weiteren die vom Gericht herangezogene Bescheinigung, die nach der Überführung in Volkseigentum erstellt wurde. Daß bei einem aus mehreren Parzellen bestehenden Grundstück auch schon früher getrennte Parzellen im Grundbuch aufgeführt gewesen sein können – worauf das Verwaltungsgericht weiterhin abhebt –, versteht sich von selbst. Schließlich kann auch mit einem Nachweis, daß sich im Grundbuch für die Zeit kurz nach der Jahrhundertwende hinsichtlich der beiden Parzellen verschiedene grundsteuerrechtlich bedeutsame Eintragungen ausmachen lassen, nicht die naheliegende Möglichkeit ausgeschlossen werden, daß zum 1. Januar 1935 eine einheitliche steuerliche Bewertung der zu diesem Zeitpunkt in der Hand eines Eigentümers befindlichen gesamten “Grundstücksfläche” im Sinne des § 22 RBewG vorgenommen worden ist.
Da bislang der seinerzeitige Einheitswert nicht feststeht, bedarf es keines Eingehens auf die vom Verwaltungsgericht bejahte Frage, ob im Streitfalle auch ein Wert von 120 % des Einheitswerts unterschritten worden ist und welche rechtlichen Auswirkungen dies gehabt haben könnte; allerdings bemerkt der Senat insoweit, daß das Verwaltungsgericht im Urteil keine Erfahrungstatsachen dargelegt hat, die die Herausbildung des von ihm angenommenen Erfahrungssatzes über das Verhältnis zwischen Einheitswert und Verkehrswert (vgl. BVerwGE 89, 110 ≪117≫ m.w.N.) ermöglichen könnten.
Unterschriften
Dr. Franßen, Dr. Paetow, Dr. Bardenhewer, Kley, Dr. Brunn
Fundstellen
ZIP 1997, 1392 |
DÖV 1997, 1013 |