Entscheidungsstichwort (Thema)
luftrechtliche Planfeststellung. Fluglärm. Zumutbarkeit. Schutzvorkehrungen. Reichweite eines Übernahmeanspruchs. Wohngrundstück. Betriebsgrundstück. Entschädigung. Entschädigungsverfahren. Bindung der Entschädigungsbehörde. Enteignung
Leitsatz (amtlich)
Wird einem durch Verkehrslärm (hier: Fluglärm) Betroffenen im Planfeststellungsbeschluss dem Grunde nach ein Anspruch auf Übernahme seines Wohngrundstücks nach § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG zugesprochen, ist über die Höhe der Übernahmeentschädigung im nachfolgenden Entschädigungsverfahren zu entscheiden. In diesem Verfahren sind die Rechtsgedanken des Enteignungsrechts heranzuziehen, soweit sich aus der Funktion des Übernahmeanspruchs, den Anspruch auf Schutzvorkehrungen zu ersetzen, nichts anderes ergibt.
Nach den Grundsätzen des Enteignungsrechts richtet sich, ob der Eigentümer die Ausdehnung der Übernahme auf die mit seinem Wohngrundstück zusammenhängenden betrieblich genutzten Flächen sowie eine Entschädigung für betriebliche Folgeschäden verlangen kann. Der Planfeststellungsbeschluss darf die Geltendmachung dieser Ansprüche nicht mit Wirkung für das Entschädigungsverfahren ausschließen.
Normenkette
BauGB §§ 92-93, 96; LuftVG § 9 Abs. 2, § 28 Abs. 2; SächsEntEG § 3; VwVfG § 74 Abs. 2 S. 3
Tenor
Die Regelung des Planfeststellungsbeschlusses vom 4. November 2004 in A II. 4.3.1. Satz 3 wird aufgehoben, soweit sie mit Wirkung für das Entschädigungsverfahren eine Erstreckung des Übernahmeanspruchs für Wohngrundstücke im Sinne des Satzes 1 dieser Regelung oder die Geltendmachung von Folgeschäden bezüglich der Grundstücksteile ausschließt, die die Kläger erwerbsgärtnerisch nutzen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten des Beklagten und der Beigeladenen tragen die Kläger als Gesamtschuldner 3/4. Der Beklagte und die Beigeladene tragen jeweils 1/8 der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Kläger. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.
Tatbestand
I
Die Kläger erstreben die Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses des Regierungspräsidiums Leipzig (im Folgenden: Beklagter) für das Vorhaben “Ausbau des Verkehrsflughafens Leipzig/Halle Start- und Landebahn Süd mit Vorfeld” vom 4. November 2004 um die Verpflichtung der Beigeladenen zur Übernahme der von ihnen betriebenen Gärtnerei. Der Planfeststellungsbeschluss sieht im Kern vor, die seit 1960 vorhandene Start- und Landebahn Süd von derzeit 2 500 m auf 3 600 m zu verlängern und durch Drehung um einen Winkel von 20° parallel zur Start- und Landebahn Nord auszurichten. Zentrales Planungsziel ist der Ausbau des Flughafens zu einem Knotenpunkt für den Luftfrachtverkehr.
Die Betriebsstätte der Gärtnerei befindet sich auf den Flurstücken … und … der Flur 1 in der Gemarkung K…. Auf dem Betriebsgelände, das ca. 1,3 ha groß ist, stehen ein von den Eltern der Kläger genutztes Wohnhaus mit angebauten Sozialräumen, Lager und Garagen sowie mehrere Gewächshäuser. Das Gelände umfasst außerdem Freiflächen zur Pflanzenaufzucht. Die Ortschaft K… wird im Norden und Süden von den beiden Start- und Landebahnen des Flughafens und im Westen und Osten von den beiden Rollbahnen umgeben, die die Start- und Landebahnen miteinander verbinden.
Den im Planfeststellungsverfahren gestellten Antrag der Kläger, der Beigeladenen die Ablösung des Betriebes und die Bereitstellung wertgleichen Ersatzlandes aufzugeben, lehnte der Beklagte im Planfeststellungsbeschluss ab. Die Kläger haben daraufhin fristgerecht Klage erhoben, zu deren Begründung sie vortragen:
Ihr Betrieb produziere jährlich 350 000 Einheiten Blumen und Zierpflanzen. Diese würden vorwiegend indirekt, d.h. über den Zwischenhandel abgesetzt. Ein maßgebliches Standbein sei daneben aber auch der Direktabsatz “ab Hof”. Sie müssten befürchten, dass dieses Standbein, das zu einem Drittel zum Erfolg der Gärtnerei beitrage, mit der Folge der akuten Existenzgefährdung wegbreche, weil der für den Direktabsatz maßgebliche Markt in Kursdorf und Schkeuditz-Nord nach der im Planfeststellungsbeschluss vorgesehenen Teilabsiedlung nicht mehr existieren werde.
Der Betrieb sei ferner wegen der zu erwartenden Schadstoffbelastung in seiner Existenz gefährdet. Er leite das anfallende Regenwasser von den Dachflächen der Gärtnereigebäude ab, sammle es und verwende es zum Gießen. Die durch den Flugverkehr ausgestoßenen Schadstoffe lagerten sich auf den Dächern ab und würden mit den periodisch auftretenden Regenfällen in die Zisterne gespült. Untersuchungen aus den Niederlanden betreffend den Flughafen Schiphol hätten ergeben, dass die Pflanzenschäden durch verunreinigtes Regenwasser signifikant seien.
Die Existenzgefährdung des Betriebes ergebe sich schließlich aus der durch den Planfeststellungsbeschluss hervorgerufenen Trennung von Wohn- und Betriebsstätte. Da das Betriebsgelände im Entschädigungsgebiet “Übernahmeanspruch” liege, greife die Regelung in A II. 4.3.1. Satz 1 des Planfeststellungsbeschlusses ein. Danach habe die Beigeladene auf Antrag des Eigentümers eines innerhalb des Entschädigungsgebietes “Übernahmeanspruch” gelegenen Grundstücks, das am 21. November 2003 mit Wohngebäuden bebaut oder bebaubar gewesen sei, eine Entschädigung nach den Regelungen des Enteignungsrechts gegen Übereignung des Grundstücks zu leisten. Machten sie von dem Übernahmeanspruch Gebrauch, so führe dies zu einer Trennung des Wohngebäudes von der Betriebsstätte, weil nach Satz 3 der Regelung in A II. 4.3.1. von dem Übernahmeanspruch solche Grundstücksteile ausgenommen seien, die überwiegend gewerblich, landwirtschaftlich oder erwerbsgärtnerisch genutzt würden. Die gegenwärtig kurzen Wege zwischen Wohn- und Arbeitsstätte, die für die Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig seien, entfielen. Die Erforderlichkeit des Wohnens auf dem Betriebsgelände ergebe sich daraus, dass in jeder Gärtnerei witterungs- oder störungsbedingt kulturtechnische Arbeiten anfielen, die zur Vermeidung des Risikos eines Produktionsverlustes keinen Aufschub duldeten.
Die Kläger beantragen,
den Beklagten zu verpflichten, den Planfeststellungsbeschluss vom 4. November 2004 dahingehend zu ergänzen, dass die Beigeladene verpflichtet wird, den auf dem Anwesen F… … Straße … in S… … betriebenen Gärtnereibetrieb abzulösen und hierfür eine Entschädigung in Geld zu leisten,
hilfsweise,
den Beklagten zu verpflichten, den Planfeststellungsbeschluss vom 4. November 2004 dahingehend zu ergänzen, dass zugunsten des Betriebes der Kläger eine Entschädigung in Geld festgesetzt wird, die sie in die Lage versetzt, durch technische Hilfsmaßnahmen und Einrichtungen den Gärtnereibetrieb auch dann fortzuführen, wenn sie ihr Wohneigentum an die Beigeladene veräußern oder von ihrem planfeststellungsrechtlichen Übernahmeanspruch Gebrauch machen und infolge dessen das bisherige Nebeneinander von Wohnen und Gewerbe auf ihrem Anwesen aufgegeben wird.
Der Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie treten dem Vorbringen der Kläger im Einzelnen entgegen. Namentlich bestreiten sie, dass zur Aufrechterhaltung des geordneten Betriebes der Gärtnerei die ständige Präsenz einer Aufsichtsperson notwendig sei, die auf dem Betriebsgelände wohne. Der Beklagte hält die Ausdehnung des Übernahmeanspruchs von dem zu Wohnzwecken genutzten Teil des klägerischen Grundstücks auf die betrieblich genutzten Flächen auch aus Rechtsgründen für nicht geboten. Die Gewährung eines Übernahmeanspruchs zwinge die Kläger nicht zur Umsiedlung. Sie könnten auch das Wohnhaus behalten und den erforderlichen passiven Schallschutz verlangen. Hierauf müssten sie sich verweisen lassen, wenn sie meinten, dass auf dem Betriebsgelände weiter gewohnt werden müsse.
Entscheidungsgründe
II
Die Klage ist nur im Umfang des Urteilsausspruchs begründet. Im Übrigen unterliegt sie der Abweisung.
1. Die Kläger können nicht verlangen, dass ihnen der Beklagte im Planfeststellungsbeschuss einen Anspruch gegen die Beigeladene auf Übernahme des Gärtnereibetriebes zuerkennt. Als Rechtsgrundlage eines solchen Anspruchs kommt nur § 1 SächsVwVfG i.V.m. § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG in Betracht. Danach hat der Betroffene Anspruch auf angemessene Entschädigung in Geld, wenn Vorkehrungen oder Anlagen, die nach § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG zum Wohl der Allgemeinheit oder zur Vermeidung nachteiliger Wirkungen auf Rechte anderer erforderlich sind, untunlich oder mit dem Vorhaben unvereinbar sind. Die Vorschrift ist nach ihrer Rechtsfolge anwendbar, obwohl in ihr von einem Übernahmeanspruch nicht die Rede ist (vgl. Urteil vom 6. Juni 2002 – BVerwG 4 A 44.00 – NVwZ 2003, 209 ≪210≫). Der Übernahmeanspruch ist nämlich eine besondere Art des Entschädigungsanspruchs und die Hingabe eine seiner Voraussetzungen, sodass es sich bei ihm nicht um einen Enteignungsantrag handelt, sondern um einen Antrag auf Entschädigung, in dessen Rahmen über die Eigentumsübertragung zu erkennen ist.
§ 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG hat Surrogatcharakter. Sein Anwendungsbereich reicht nicht weiter als die Primärregelung des § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG, die für den Anspruch Betroffener auf Schutzvorkehrungen Auswirkungen auf deren Rechte voraussetzt. Keine Schutzvorkehrungen und demgemäß auch keine Entschädigung können wegen einer Beeinträchtigung von rechtlich nicht geschützten wirtschaftlichen oder sonstigen Belangen verlangt werden, auch wenn diese bei der Abwägung grundsätzlich zu berücksichtigen sind (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Aufl., § 74 Rn. 14; Hofmann/Grabherr, LuftVG, § 9 Rn. 37). § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG eröffnet keinen Anspruch auf einen Ausgleich aller Vermögensnachteile, die ein Planvorhaben auslöst (vgl. Urteil vom 29. Januar 1991 – BVerwG 4 C 51.89 – BVerwGE 87, 332 ≪377 ff.≫; Urteil vom 24. Mai 1996 – BVerwG 4 A 39.95 – Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 39).
a) Der erwartete Verlust des Stammes an Direktkunden begründet keinen Übernahmeanspruch.
Soweit die Kläger den Verlust darauf zurückführen, dass Teile von K… … und Schkeuditz-Nord abgesiedelt und die in der Umgebung des Betriebsgrundstücks zu errichtenden Büro- und Logistikgebäude auf Kunden eine abschreckende Wirkung ausüben werden, fehlt es bereits an einer Rechtsbeeinträchtigung. Art. 14 Abs. 1 GG, auf den sich die Kläger berufen, schützt nicht bloße Umsatz- und Gewinnchancen und tatsächliche Gegebenheiten, auch wenn diese für das Unternehmen von erheblicher Bedeutung sind (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 6. Oktober 1987 – 1 BvR 1086, 1468, 1623/82 u.a. – BVerfGE 77, 84 ≪118≫ und vom 15. Mai 2002 – 2 BvR 2292/00 – BVerfGE 105, 239 ≪278≫). Ein Eigentümer muss es grundsätzlich hinnehmen, wenn sich eine Veränderung der tatsächlichen Gegebenheiten und der damit verbundene Verlust der Lagegunst auf den Bestand des Kundenkreises – wie vorliegend beklagt – negativ auswirkt (BGH, Urteil vom 8. Februar 1971 – III ZR 33/68 – BGHZ 55, 261 ≪263≫). Ein Recht darauf, dass der bisherige Kundenstamm in der Nähe des Betriebes wohnen bleibt, gibt es ebenso wenig wie ein Recht auf eine optisch ansprechende Umgebungsbebauung.
Dass die klägerische Gärtnerei tagsüber einem flughafenbedingten Verkehrslärm ausgesetzt wird, der die Grenze des einer Verkaufsstätte Zumutbaren überschreitet, und die Kunden deshalb ausbleiben, ist nicht zu erwarten, weil sich die prognostizierte Zunahme des Luftverkehrs infolge des planfestgestellten Vorhabens auf die Nacht konzentriert. Auch die Kläger behaupten nicht, dass das Ausbauvorhaben mit einer Erhöhung der Luftbewegungen am Tage einhergeht. Sie führen psychologische Gründe ins Feld, aus denen Kunden ihren Betrieb künftig meiden werden, nämlich deren Furcht vor unzumutbarem Lärm. Dem entgegenzuwirken, ist nicht Aufgabe des § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG. Die Vorschrift dient dem Schutz vor tatsächlichen, nicht vor vermeintlichen Lärmbelastungen. Da ihr Anwendungsbereich nicht eröffnet ist, kommen auch Entschädigungsansprüche nach § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG nicht in Betracht.
b) Dass eine Schädigung der Pflanzenkulturen droht, wenn diese im bisherigen Umfang mit gesammeltem Regenwasser bewässert werden, haben die Kläger nicht substantiiert geltend gemacht. Jedenfalls bislang hat der vorhabenbedingte Schadstoffeintrag die Brauchbarkeit des Oberflächenwassers offenbar nicht beeinträchtigt. Die Kläger enthalten sich auch jeden Vortrags dazu, in welchem Umfang ihr Betrieb auf Oberflächenwasser angewiesen ist. Sie erwecken in ihrer Klageschrift den Eindruck, dass das gesamte Brauchwasser für die Pflanzenkulturen aus dem Auffangbecken mit einem Fassungsvermögen von 1 000 l stammt. Aus dem von ihnen vorgelegten Sachverständigengutachten des Dr. S… … ergibt sich jedoch, dass der Betrieb neben dem Stadtwasseranschluss auch über eine eigene Brunnenanlage mit einer Förderleistung von 40 m(3)/h verfügt. Die Tatsache, dass die Wasserversorgung auf mehrere Grundlagen gestellt worden ist, spricht dafür, dass die Pflanzen nur zum Teil mit Wasser aus der Zisterne versorgt werden. Selbst wenn eine Schädigung der Pflanzenkulturen zu befürchten sein sollte, hätten die Kläger darlegen müssen, dass das Wasser nicht mit zumutbarem Aufwand gereinigt werden kann und der Betrieb ohne den Einsatz von Oberflächenwasser in seiner Existenz gefährdet wäre.
c) Schließlich vermag die von den Klägern behauptete Existenzgefährdung wegen der Trennung von Wohn- und Betriebsstätte in diesem Verfahren keinen Anspruch auf Übernahme des Gartenbaubetriebes zu begründen. Die geltend gemachte Existenzgefährdung resultiert aus der Beeinträchtigung der Wohn-, nicht aus der Beeinträchtigung der betrieblichen Nutzung des Grundstücks. Die Folgen der Übereignung des zu Wohnzwecken genutzten Grundstücksteils für den Gartenbaubetrieb sind im Rahmen der Entschädigung für das Wohngrundstück zu berücksichtigen und können nicht zusätzlich als eigene Rechtsverletzung geltend gemacht werden. Über einen Anspruch auf Ausdehnung der Übernahme auf ein mit dem Wohngrundstück zusammenhängendes Betriebsgrundstück ist erst im Entschädigungsverfahren zu entscheiden. Insoweit gilt nichts anderes als im Falle des Zugriffs auf ein Grundstück im Wege der Enteignung. Der Übernahmeberechtigte muss verfahrensrechtlich nicht besser gestellt sein als ein Enteignungsbetroffener. Über die etwaige Ausdehnung der Enteignung auf ein Restgrundstück ist ausschließlich durch die Enteignungsbehörde im Enteignungsverfahren zu entscheiden, wenn der Planfeststellungsbeschluss den unmittelbaren Zugriff auf das Grundeigentum ermöglicht; eine verbindliche Entscheidung hierüber auch nur dem Grunde nach ist der Planfeststellungsbehörde verwehrt (Urteil vom 22. September 2004 – BVerwG 9 A 72.03 – juris).
2. Der Hilfsantrag, den Klägern im Planfeststellungsbeschluss einen Anspruch auf Entschädigung für Vermögensnachteile zu gewähren, die nach dem Vortrag der Kläger entstünden, wenn sie die Gärtnerei ohne die Wohnnutzung weiter betreiben müssten, ist ebenfalls unbegründet. Auch über die Entschädigung für Folgewirkungen der Übernahme eines Wohngrundstücks auf einen mit dem übernommenen Grundstück zusammenhängenden Betrieb ist – nicht anders als im Falle der Enteignung (Urteil vom 7. Juli 2004 – BVerwG 9 A 21.03 – NVwZ 2004, 1358 ≪1359≫) – erst im Entschädigungsverfahren zu entscheiden.
3. Der Planfeststellungsbeschluss ist allerdings rechtswidrig, soweit er mit Wirkung für das Entschädigungsverfahren eine Erstreckung des Übernahmeanspruchs für Wohngrundstücke oder die Geltendmachung von Folgeschäden bezüglich der Grundstücksteile ausschließt, die die Kläger erwerbsgärtnerisch nutzen. Die Beseitigung dieser Sperrwirkung des Planfeststellungsbeschlusses ist von dem Klagebegehren der Kläger umfasst.
Der Beklagte hat den Klägern im Planfeststellungsbeschluss (A II. 4.3.1. Satz 1) einen Anspruch gegen die Beigeladene auf Übernahme des Wohnzwecken dienenden Teils der Flurstücke … und … zuerkannt. Ein Übernahmeanspruch ist gegeben, wenn die Beeinträchtigungen faktisch ein derartiges Gewicht haben, dass eine weitere Nutzung des Grundstücks als unzumutbar erscheint. Lärmbelästigungen sind unzumutbar, wenn ein Wohngrundstück so massiv verlärmt wird, dass es seine Wohnqualität einbüßt und unbewohnbar wird (Urteil vom 16. März 2006 – BVerwG 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116 ≪Rn. 376≫). Maßgebend ist die sog. verfassungsrechtliche Zumutbarkeitsschwelle, die den Übergang zu einer Gefährdung verfassungsrechtlich geschützter Rechtsgüter markiert (Urteile vom 29. Januar 1991 – BVerwG 4 C 51.89 – BVerwGE 87, 332 ≪383≫, vom 6. Juni 2002 a.a.O. und vom 16. März 2006 a.a.O. Rn. 375). Nach Einschätzung des Beklagten wird die verfassungsrechtliche Zumutbarkeitsgrenze überschritten, wenn der Summenpegel von Fluglärm und flughafeninduziertem Bodenlärm während der Nachtstunden (22.00 Uhr bis 6.00 Uhr) einen äquivalenten Dauerschallpegel von 58,7 dB(A)(außen) erreicht (PFB S. 446 ff.). Die Grundstücke der Kläger liegen innerhalb des auf diese Weise abgegrenzten Entschädigungsgebiets “Übernahmeanspruch”; auf ihnen wird der genannte Dauerschallpegel erreicht.
Die im Planfeststellungsbeschluss getroffene Entscheidung, dass dem Grunde nach ein Anspruch auf Übernahme besteht, schließt es aus, den Klägern entgegenzuhalten, es sei ihnen zum erstrebten Erhalt des Verbundes von Wohn- und Betriebsstätte zuzumuten, auf die Geltendmachung des Übernahmeanspruchs zu verzichten und sich mit Maßnahmen des passiven Schallschutzes vor unzumutbarem Nachtlärm zu schützen; die Entscheidung ist für das Entschädigungsverfahren bindend. Für den Fall der Enteignung ergibt sich die Bindung der Enteignungsbehörde an den festgestellten Plan aus § 28 Abs. 2 LuftVG. Für den Übernahmeanspruch kann insoweit nichts anderes gelten. Wird der Übernahmeberechtigte wegen der Höhe der Entschädigung auf das Entschädigungsverfahren verwiesen, so hat diese Verfahrensstufung nur einen Sinn, wenn im Verfahren zur Festlegung der Höhe der Entschädigung die Grundentscheidung über das Bestehen des Übernahmeanspruchs nicht mehr in Frage gestellt werden kann. Ausgeschlossen ist damit auch, dem Eigentümer im Streit um die Höhe der Entschädigung entgegen zu halten, es sei ihm zuzumuten, das Wohngrundstück zu behalten und passiven Schallschutz zu verlangen.
Gemäß § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG hat der Übernahmeberechtigte gegen Übereignung des Grundstücks einen Anspruch auf angemessene Entschädigung in Geld. Der in § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG begründete Entschädigungsanspruch ist nicht an Art. 14 Abs. 3 Satz 3 GG zu messen (Urteil vom 16. März 2006 a.a.O. Rn. 412), denn er ist verfassungsrechtlich nicht Art. 14 Abs. 3 GG, sondern Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zugeordnet (Urteil vom 29. Januar 1991 a.a.O. S. 383). Das gilt auch, soweit der Eigentümer die Übernahme seines Grundstücks verlangen kann (Urteil vom 6. Juni 2002 a.a.O.). Trotz dieser Unterschiede zwischen Enteignung und Übernahme sind für die Beurteilung der Angemessenheit der Übernahmeentschädigung die Rechtsgedanken des Enteignungsrechts heranzuziehen, soweit sich – wie z.B. beim maßgebenden Zeitpunkt für die Ermittlung des Verkehrswertes (vgl. Urteil vom 16. März 2006 a.a.O. Rn. 408 ff.) – aus der Funktion des Übernahmeanspruchs, den Anspruch auf Schutzvorkehrungen zu ersetzen, nichts anderes ergibt. Die Berücksichtigung der für die Enteignungsentschädigung entwickelten Grundsätze ist geboten, da auch ein Übernahmeanspruch nur entsteht, wenn die Einwirkungen auf das Grundstück die verfassungsrechtliche Zumutbarkeitsschwelle überschreiten, und der Betroffene, wenn er den Übernahmeanspruch ausübt, das Eigentum an dem Grundstück verliert. Folgerichtig hat der Beklagte die Beigeladene im Planfeststellungsbeschluss (A II. 4.3.1 Satz 1) verpflichtet, gegen Übereignung des Grundstücks eine Entschädigung “nach den Regelungen des Enteignungsrechts” zu zahlen.
Wird das Eigentum an einem (Teil-)Grundstück im Wege der Enteignung entzogen, kann der Betroffene nach den gemäß § 3 Sächsisches Enteignungs- und Entschädigungsgesetz (SächsEntEG) vom 18. Juli 2001 (SächsGVBl 2001, 453) anwendbaren Vorschriften des Baugesetzbuchs die Ausdehnung der Enteignung auf ein Restgrundstück oder einen Restbesitz (§ 92 Abs. 3 BauGB) und Entschädigung für sog. Folgeschäden (§ 93 Abs. 2 Nr. 2, § 96 BauGB) verlangen. Im Einzelnen gilt Folgendes:
Soll ein Grundstück oder ein räumlich oder wirtschaftlich zusammenhängender Grundbesitz nur zu einem Teil enteignet werden, kann der Eigentümer die Ausdehnung der Enteignung auf das Restgrundstück oder den Restbesitz insoweit verlangen, als das Restgrundstück oder der Restbesitz nicht mehr in angemessenem Umfang baulich oder wirtschaftlich genutzt werden kann (§ 3 SächsEntEG i.V.m. § 92 Abs. 3 BauGB). Die Entschädigung wird zudem nicht nur für den durch die Enteignung eintretenden Rechtsverlust, sondern auch für andere durch die Enteignung eintretende Vermögensnachteile gewährt (§ 4 SächsEntEG i.V.m. § 93 Abs. 2 Nr. 2 BauGB). Wegen dieser Vermögensnachteile ist eine Entschädigung nur zu gewähren, wenn und soweit sie nicht bei der Bemessung der Entschädigung für den Rechtsverlust berücksichtigt sind (§ 96 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten festzusetzen. Sie ist insbesondere zu gewähren für den vorübergehenden oder dauernden Verlust, den der bisherige Eigentümer in seiner Erwerbstätigkeit erleidet, jedoch nur bis zu dem Betrag des Aufwands, der erforderlich ist, um ein anderes Grundstück in der gleichen Weise wie das zu entschädigende zu nutzen (§ 96 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BauGB), für die Wertminderung, die durch die Enteignung eines Grundstücksteils oder eines Teils eines räumlich oder wirtschaftlich zusammenhängenden Grundbesitzes bei dem anderen Teil entsteht, soweit die Wertminderung nicht schon bei der Festsetzung der Entschädigung nach Nr. 1 berücksichtigt sind (§ 96 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BauGB) und für die notwendigen Aufwendungen für einen durch die Enteignung erforderlich werdenden Umzug (§ 96 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 BauGB).
Nach diesen Grundsätzen muss auch ein Übernahmeberechtigter, der ohne das zu übernehmende Wohngrundstück einen räumlich und wirtschaftlich damit zusammenhängenden Betrieb vernünftigerweise nicht mehr führen kann, im Entschädigungsverfahren verlangen können, dass die Übernahme auf die Betriebsgrundstücke ausgedehnt wird, wenn diese nicht zu einem anderen Zweck genutzt werden können, und dass ihm – jeweils nach Prüfung der Angemessenheit im Einzelfall – die notwendigen Aufwendungen für einen Umzug des Betriebes oder, wenn eine Verlagerung des Betriebes durch Einsatz zusätzlicher technischer Einrichtungen vermieden werden kann, die notwendigen Aufwendungen für derartige Einrichtungen ersetzt werden. Bliebe die Funktion des Wohngrundstücks, die Führung eines mit ihm zusammenhängenden Betriebs zu ermöglichen, bei der Bemessung der Entschädigung zu Lasten des Eigentümers und zugunsten des Vorhabenträgers unberücksichtigt, würde die Entschädigungsregelung nicht – wie durch Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG gefordert – zu einem adäquaten Ausgleich der gegenläufigen Interessen der Beteiligten führen. Die Entschädigung wäre nicht angemessen im Sinne des § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG.
Der Planfeststellungsbeschluss schließt die Geltendmachung der genannten Ansprüche mit Wirkung für das Entschädigungsverfahren aus. Nach A II. 4.3.1. Satz 3 umfasst der auf Übernahme von Wohngrundstücken gerichtete Anspruch nach Satz 1 nicht Grundstücksteile, die überwiegend gewerblich, landwirtschaftlich oder erwerbsgärtnerisch genutzt werden. Soweit diese Regelung einen selbständigen Anspruch auf Übernahme von gewerblich, landwirtschaftlich oder erwerbsgärtnerisch genutzten Grundstücken ausschließt, ist sie nicht zu beanstanden. Der Planfeststellungsbeschluss zielt jedoch darauf, einen Anspruch auf Übernahme von Flächen, die für diese Zwecke genutzt werden, grundsätzlich auszuschließen, also auch dann, wenn die bisherige Nutzung dieser Flächen ohne ein im Übernahmegebiet gelegenes Wohngrundstück nicht fortgesetzt werden kann. Die Verpflichtung der Beigeladenen, etwaige Anpassungskosten zu entschädigen (Satz 4), ist vor diesem Hintergrund ebenfalls auf Vermögensnachteile beschränkt, die auch dann entstehen würden, wenn das zu übernehmende Wohngrundstück nicht Teil eines Betriebs wäre.
Die Kläger werden, soweit es um die erwerbsgärtnerisch genutzten Grundstücksflächen geht, durch die dargelegte Sperrwirkung der Entschädigung in ihren Rechten verletzt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie im Entschädigungsverfahren die Ausdehnung der Übernahme auf das Betriebsgrundstück und Entschädigung für Folgeschäden am Betrieb verlangen können. Sie haben substantiiert und plausibel dargelegt, dass ihre Gärtnerei nur betrieben werden kann, wenn auf dem Betriebsgelände auch gewohnt wird. Sie haben ihr Vorbringen durch das Gutachten Dr. S… … und die Stellungnahme des Staatlichen Amts für Landwirtschaft und Gartenbau Rötha vom 17. August 2004 untermauert. Diese Gutachten reichen aus, um dem Senat die Überzeugung zu vermitteln, dass Anlass besteht, im Entschädigungsverfahren die Notwendigkeit eines Verbundes von Wohn- und Betriebsstätte zu prüfen. Ob im Falle der Ausübung des Übernahmeanspruchs durch die Kläger für das Wohngrundstück die Existenz des gärtnerischen Betriebes tatsächlich gefährdet wird oder nicht, ist für das Planfeststellungsverfahren nicht erheblich. Hierüber ist erst im Entschädigungsverfahren zu entscheiden. Dem Antrag des Beklagten, zum Beweis dafür, dass die Existenz des Betriebes nicht gefährdet ist, ein Sachverständigengutachten einzuholen, brauchte der Senat deshalb nicht zu folgen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Unterschriften
Dr. Paetow, Gatz, Dr. Philipp
RiBVerwG Dr. Jannasch ist wegen Urlaubs verhindert zu unterschreiben.
Dr. Paetow
RiBVerwG Dr. Hofherr ist verstorben.
Dr. Paetow
Fundstellen
Haufe-Index 1802978 |
BVerwGE 2008, 83 |
BauR 2007, 1937 |
VR 2007, 429 |
UPR 2007, 446 |