Entscheidungsstichwort (Thema)
Abwasserabgabe. Einhaltensfiktion (sog. 4-aus-5-Regelung). Einhaltung des Überwachungswertes. Erhöhung der Zahl der Schadeinheiten. Erklärungswert. Jährlichkeitsprinzip. Kalenderjahr. Nichteinhaltung des Überwachungswertes. Schadeinheiten. Überwachungswert. Veranlagungszeitraum. allgemein anerkannte Regeln der Technik. Bedeutung von Verwaltungsvorschriften. norminterpretierende/normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift. Rechtsqualität der Rahmen-AbwasserVwV. Revisibilität von Verwaltungsvorschriften. richterliche Kontrolldichte, Stand der Technik. unbestimmter Rechtsbegriff. Verwaltungsvorschrift
Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen und zur Bedeutung normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften.
Die Allgemeine Rahmen-Verwaltungsvorschrift über Mindestanforderungen an das Einleiten von Abwasser in Gewässer (Rahmen-AbwasserVwV) konkretisiert die allgemein anerkannten Regeln der Technik und den Stand der Technik im Sinne des § 7 a Abs. 1 WHG.
Ist ein Wert nach dem Ergebnis einer Überprüfung im Rahmen der staatlichen Gewässerüberwachung nicht eingehalten, gilt er gemäß Ziff. 2.2.4 der Rahmen-AbwasserVwV als eingehalten, wenn die Ergebnisse der vier vorausgegangenen Überprüfungen diesen Wert nicht überschreiten und kein Ergebnis den Wert um mehr als 100 v.H. übersteigt.
Ob bei den vorausgegangenen Überprüfungen die im damaligen Zeitpunkt maßgebenden Grenzwerte eingehalten wurden, ist dabei ohne Bedeutung.
Bei der Erhebung der Abwasserabgabe können insoweit auch Überprüfungen aus dem Vorjahr berücksichtigt werden.
Normenkette
AbwAG 1991 § 4 Abs. 4 S. 2, § 11 Abs. 1; WHG 1987 § 7a Abs. 1 Sätze 1, 3; Rahmen-AbwasserVwV 1989 Nr. 2.2.4
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 14.05.1996; Aktenzeichen 2 S 1198/95) |
VG Freiburg i. Br. (Urteil vom 17.03.1995; Aktenzeichen 9 K 1299/94) |
Tenor
Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Parteien den Rechtsstreit hinsichtlich eines Betrages von 17 625 DM übereinstimmend für erledigt erklärt haben. Insoweit und hinsichtlich der Kostenentscheidungen sind die Urteile des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Würtemberg vom 14. Mai 1996 und des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 17. März 1995 unwirksam.
Im übrigen wird die Revision des Klägers zurückgewiesen.
Von den Kosten des Revisionsverfahrens tragen der Kläger ein Viertel und der Beklagte drei Viertel, von denen der vorinstanzlichen Verfahren der Kläger drei Fünftel und der Beklagte zwei Fünftel.
Tatbestand
I.
Der Kläger, ein als Körperschaft des öffentlichen Rechts verfaßter Abwasserverband, erklärte nach § 6 Abs. 1 AbwAG die für die Ermittlung der Schadeinheiten maßgebenden Überwachungswerte hinsichtlich der von ihm betriebenen Kläranlage in B. für das Veranlagungsjahr 1991. Als Wert für den Schadstoff CSB (Chemischer Sauerstoffbedarf) gab er dabei eine Konzentration von 92 mg/l an. Für das Veranlagungsjahr 1990 hatte er einen Wert von 103 mg/l (CSB) erklärt. Von der staatlichen Gewässeraufsicht wurden im Jahr 1990 mehrere Messungen vorgenommen. Der Wert von 103 mg/l (CSB) wurde bei den letzten 4 Messungen nicht überschritten. Der Wert von 92 mg/l (CSB) wurde bei der viertletzten Messung überschritten. 1991 wurden 6 weitere Messungen durchgeführt. Der Überwachungswert von 92 mg/l (CSB) wurde bei der ersten Messung um 4 mg/l (CSB) überschritten. Bei allen weiteren Messungen wurde er unterschritten. Mit Bescheid vom 7. März 1994 zog das Regierungspräsidium F. den Kläger für das Veranlagungsjahr 1991 zu einer Abwasserabgabe in Höhe von 58 800 DM für Schmutzwassereinleitungen aus dem Klärwerk in B. heran. Zur Begründung führte es aus: Die Überwachungswerte für CSB und AOX (organische Halogenverbindungen als adsorbierbare organisch gebundene Halogene) seien im Veranlagungsjahr 1991 überschritten worden. Während im übrigen aufgrund der Verrechnung von Investitionen des Klägers mit der Abwasserabgabe gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG keine Abgabe zu entrichten sei, sei wegen der Überschreitungen eine Abgabe gemäß § 4 Abs. 4 AbwAG zu erheben. Eine Verrechnung mit Investitionen komme hier gemäß § 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG nicht in Betracht. Für den Schadstoff CSB ergäbe sich dabei eine Abgabe von 23 500 DM (50 DM mal 470), für den Parameter AOX eine Abgabe von 35 300 DM. Eine Ermäßigung des Abgabesatzes nach § 9 Abs. 5 AbwAG komme für den Schadstoff CSB nicht in Betracht; denn der erklärte Überwachungswert von 92 mg/l (CSB) habe über der vom Kläger einzuhaltenden Mindestanforderung von 75 mg/l (CSB) nach Anhang 1 der Rahmen-Abwasserverwaltungsvorschrift (Rahmen-AbwasserVwV) vom 8. September 1989 (GMBl 518) gelegen.
Nachdem die Beteiligten im Hinblick auf eine beim Umweltministerium des Beklagten anhängige Anfrage das „Ruhen des Widerspruchsverfahrens” bezüglich der Frage der CSB-Mindestanforderungen vereinbart hatten, wies das Regierungspräsidium F. den gegen den Abgabebescheid eingelegten Widerspruch des Klägers im übrigen mit Bescheid vom 17. Juni 1994 zurück.
Mit der daraufhin erhobenen Klage hat der Kläger die Aufhebung des Bescheids vom 7. März 1994 begehrt, soweit darin eine Abgabe für den Schadstoff CSB und eine Abgabe für den Schadstoff AOX von mehr als 17 650 DM festgesetzt worden ist. Mit Urteil vom 17. März 1995 hat das Verwaltungsgericht der Klage teilweise stattgegeben. Soweit wegen der Überschreitung des Überwachungswerts beim Schadstoff CSB eine Abwasserabgabe von mehr als 35 000 DM festgesetzt worden ist, hat es den angefochtenen Bescheid aufgehoben. Die Klage im übrigen hat es abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die „4-aus-5-Regelung” der Rahmen-AbwasserVwV (Ziff. 2.2.4), die über die Fiktion des § 4 Abs. 2 Satz 2 AbwAG „… als eingehalten gilt”) anwendbar sei, beziehe sich zwar auf die Messung, bei der der Überwachungswert überschritten worden sei, und die vier vorausgegangenen Messungen. Deshalb seien auch Messungen aus dem vorangegangenen Veranlagungszeitraum heranzuziehen. Jedoch sei nur der zum Zeitpunkt der jeweiligen Messung geltende Überwachungswert für die Feststellung der Überschreitung maßgebend. Allein dies entspreche dem Zweck der Fiktion, die Abwasserqualität durch das „belohnte” oder „bestrafte” Einleitungsverhalten, das an den jeweils erklärten Jahreswerten zu messen sei, zu verbessern. Da bei den vier im Jahre 1990 durchgeführten Messungen der insoweit zu beachtende Wert von 103 mg/l (CSB) nicht überschritten worden sei, gelte der Überwachungswert von 92 mg/l (CSB) trotz der Überschreitung bei der ersten Messung im Jahre 1991 als eingehalten. Die Erhebung der Abgabe hinsichtlich des Schadstoffs AOX sei dagegen rechtmäßig.
Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts haben der Beklagte Berufung und der Kläger selbständige Anschlußberufung eingelegt. Mit Urteil vom 14. Mai 1996 hat der Verwaltungsgerichtshof der Berufung des Beklagten stattgegeben und die Anschlußberufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat er u.a. ausgeführt: Der angefochtene Bescheid sei insgesamt rechtmäßig. Soweit Überwachungswerte im Veranlagungszeitraum nicht eingehalten worden seien und auch nicht als eingehalten im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 2 AbwAG gelten könnten, müsse eine Abwasserabgabe entrichtet werden. Hinsichtlich der Voraussetzungen für die Einhaltung der Werte und insbesondere die der Einhaltensfiktion nehme das Abwasserabgabengesetz mangels eigener Vorgaben uneingeschränkt auf die wasserrechtlichen Regelungen Bezug. Das führe zur Anwendung der auf Grundlage von § 7 a Abs. 1 Satz 3 WHG erlassenen Rahmen-AbwasserVwV des Bundes. Nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck von deren Ziff. 2.2.4 gelte ein festgesetzter Wert als eingehalten, wenn die Ergebnisse der letzten fünf im Rahmen der staatlichen Gewässeraufsicht durchgeführten Überprüfungen in vier Fällen diesen Wert – und nicht etwa den jeweils geltenden Wert – nicht überschritten hätten (sog. 4-aus-5-Regelung). Es seien die Messung, bei der der Überwachungswert überschritten worden sei, und die vorausgegangenen vier Messungen heranzuziehen, auch wenn diese aus einem früheren Veranlagungsjahr stammten. Da die Zahl der Kontrollmessungen weder gesetzlich noch durch Verwaltungsvorschrift fixiert sei, führten – die gegenteilige Auffassung des Klägers zugrunde gelegt – weniger als fünf Messungen in einem Jahr zur Unanwendbarkeit der Einhaltensfiktion, was dem Wortlaut sowie dem Sinn und Zweck des § 4 Abs. 4 AbwAG widerspreche. Auch der Grundsatz der kalenderjährlichen Veranlagung gemäß § 11 Abs. 1 AbwAG stehe der Auslegung nicht entgegen, denn im Rahmen der „4-aus-5-Regelung” komme es trotz der Heranziehung der Vorjahresergebnisse schon deshalb nicht zu einer systemwidrigen Berücksichtigung des Einleitungsverhaltens früherer Veranlagungszeiträume, weil der überhöhte Wert, der die Betrachtung der früheren Werte erst veranlasse, stets aus dem Veranlagungsjahr stamme. Daß Anknüpfungspunkt allein der Überwachungswert des Veranlagungszeitraums sei, sei keine Sanktion. An der Beurteilung des Einleitungsverhaltens im vorangegangenen Veranlagungsjahr ändere sich nämlich nichts. Versagt werde lediglich der Genuß der Fiktion.
Gegen dieses Urteil richtete sich die vom Verwaltungsgerichtshof zugelassene Revision des Klägers, der die Verletzung materiellen Rechts bei der Festsetzung der Abgabe für den Schadstoff CSB rügt und beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 14. Mai 1996 die angefochtenen Bescheide, so weit sie sich nicht erledigt haben, insoweit aufzuheben, als darin eine Abgabe von mehr als DM 35 300 festgesetzt worden ist.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Oberbundesanwalt beteiligt sich am Verfahren.
Während des Revisionsverfahrens hat das Regierungspräsidium F. mit Bescheid vom 16. März 1998 die Abgabe für den Schadstoff CSB um 17 625 DM auf 5 875 DM reduziert. Zur Begründung hat es angeführt, der Abgabesatz sei gemäß § 9 Abs. 5 AbwAG um 75 v.H. zu ermäßigen, weil der Kläger nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik lediglich einen Wert von 100 mg/l (CSB) einzuhalten habe. Dieser sei im Veranlagungszeitraum eingehalten worden. In der mündlichen Verhandlung haben die Parteien daraufhin den Rechtsstreit hinsichtlich des Betrages von 17 625 DM für erledigt erklärt.
Entscheidungsgründe
II.
Da die Parteien den Rechtsstreit hinsichtlich eines Teilbetrags der Abwasserabgabe für den Schadstoff CSB in Höhe von 17 625 DM für erledigt erklärt haben, ist insoweit das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen und sind die Urteile der Vorinstanzen gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 ZPO für unwirksam zu erklären.
Im übrigen ist die zulässige Revision unbegründet. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf der Verletzung von Bundesrecht (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Der Bescheid der Beklagten vom 7. März 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Juni 1994 ist, soweit er noch angefochten ist und sich nicht erledigt hat, rechtmäßig.
Ermächtigungsgrundlage für die Erhebung der Abwasserabgabe für das Veranlagungsjahr 1991 ist das Abwasserabgabengesetz (AbwAG) in der Fassung vom 6. November 1990 (BGBl I S. 2432). Die Zahl der der Berechnung der Abwasserabgabe zugrunde zu legenden Schadeinheiten war hinsichtlich des Schadstoffs CSB wie geschehen zu erhöhen: Der der Abgabeerhebung zugrunde zu legende Überwachungswert ist hier gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AbwAG der von der Klägerin für das Jahr 1991 erklärte Wert von 92 mg/l (CSB). Die Gewässerüberwachung nach den wasserrechtlichen Vorschriften durch staatliche Stellen (vgl. § 4 Abs. 4 Satz 1 AbwAG) ergab – wie unten dargelegt wird –, daß dieser Wert im Jahre 1991 als dem Veranlagungszeitraum (vgl. § 11 Abs. 1 AbwAG) nicht eingehalten ist und auch nicht als eingehalten gilt (§ 4 Abs. 4 Satz 2 AbwAG). Der für das Jahr 1991 gemäß § 9 Abs. 4 AbwAG grundsätzlich geltende Abgabesatz von 50 DM mit dem die Zahl der Schadeinheiten in dem angefochtenen Bescheid zunächst multipliziert wurde, wurde mit Änderungsbescheid vom 16. März 1998 gemäß § 9 Abs. 5 AbwAG um 75 v.H. ermäßigt. Ein zu hoher Abgabesatz kann daher der Berechnung der Abgabe nicht zugrunde liegen. Auch konnte die Abgabe für die gemäß § 4 Abs. 4 AbwAG erhöhte Zahl der Schadeinheiten nicht mit Aufwendungen für die Errichtung oder Erweiterung der Abwasserbehandlungsanlage der Klägerin verrechnet werden (§ 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG).
Das Abwasserabgabengesetz regelt nicht, wann ein Überwachungswert eingehalten ist oder als eingehalten gilt. Dies beurteilt sich nach den einschlägigen wasserrechtlichen Bestimmungen. Denn § 4 Abs. 4 Satz 1 AbwAG schreibt vor, daß die Einhaltung des auch den abgaberechtlichen Überwachungswert festlegenden Bescheids (vgl. § 4 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AbwAG) nach den wasserrechtlichen Vorschriften zu überwachen ist. Für Erklärungswerte nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG gilt dies entsprechend (§ 6 Abs. 2 AbwAG). Im Veranlagungsjahr 1991 fand das Wasserhaushaltsgesetz (WHG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. September 1986 (BGBl I S. 1529) Anwendung. Nach § 7 a Abs. 1 Satz 3 WHG erließ die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats die Allgemeine Rahmen-Verwaltungsvorschrift über Mindestanforderungen an das Einleiten von Abwasser in Gewässer – Rahmen-AbwasserVwV – vom 8. September 1989 (GMBl S. 518). Nach Ziff. 2.2.4 dieser Verwaltungsvorschrift gilt ein wasserrechtlicher Wert „als eingehalten, wenn die Ergebnisse der letzten fünf im Rahmen der staatlichen Gewässeraufsicht durchgeführten Überprüfungen in vier Fällen diesen Wert nicht überschreiten und kein Ergebnis diesen Wert um mehr als 100 v.H. übersteigt”. Überprüfungen, die länger als drei Jahre zurückliegen, bleiben dabei unberücksichtigt.
Die Rahmen-AbwasserVwV, die ab dem 1. Januar 1990 galt und im Jahre 1997 aufgrund von § 7 a WHG in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. November 1996 (BGBl I S. 1695) durch Rechtsverordnungen ersetzt wurde, konkretisierte die allgemein anerkannten Regeln der Technik im Sinne des § 7 a Abs. 1 Satz 1 WHG bzw. – bei gefährlichen Stoffen im Sinne des § 7 a Abs. 1 Satz 3 WHG – den Stand der Technik. Grundsätzlich sind Verwaltungsvorschriften Gegenstand und nicht Maßstab gerichtlicher Kontrolle. Die Gerichte sind bei ihrer Kontrolltätigkeit gegenüber der Verwaltung an Verwaltungsvorschriften grundsätzlich nicht gebunden. Sie dürfen ihren Entscheidungen vielmehr nur materielles Recht, zu dem Verwaltungsvorschriften nicht gehören, zugrunde legen und sind lediglich befugt, sich einer Gesetzesauslegung, die in einer Verwaltungsvorschrift vertreten wird, aus eigener Überzeugung anzuschließen (vgl. BVerfGE 78, 214 ≪227≫). Dies alles gilt grundsätzlich auch im Umwelt- und Technikrecht. Auch hier haben die Gerichte regelmäßig im Einzelfall festzustellen, was beispielsweise eine allgemein anerkannte Regel der Technik oder der Stand der Technik ist (vgl. BVerfGE 49, 89 ≪135≫ „Kalkar”).
Im Umwelt- und Technikrecht bestehen aber Ausnahmen von diesen Grundsätzen. Einigen Verwaltungsvorschriften kommt hier eine normkonkretisierende Wirkung zu mit der Folge, daß sie unter bestimmten Voraussetzungen auch für Gerichte verbindlich und dann wie Normen auszulegen sind. Eine derartige Normkonkretisierung wird in ständiger Rechtsprechung insbesondere bejaht für die nach § 48 BImSchG von der Bundesregierung nach Anhörung der beteiligten Kreise (§ 51 BImSchG) mit Zustimmung des Bundesrats erlassenen Verwaltungsvorschriften der TA-Luft und der TA-Lärm (vgl. Beschlüsse vom 15. Februar 1988 – BVerwG 7 B 219.87 – Buchholz 406.25 § 48 BImSchG Nr. 2, S. 1≫, vom 10. Januar 1995 – BVerwG 7 B 112.94 – Buchholz 406.25 § 48 BImSchG Nr. 4, S. 1 und vom 21. März 1996 – BVerwG 7 B 164.95 – Buchholz 406.251 § 22 UVPG Nr. 4, S. 2) sowie für bestimmte atomrechtliche Verwaltungsvorschriften (vgl. Urteil vom 19. Dezember 1985 – BVerwG 7 C 65.82 – BVerwGE 72, 300 ≪320 f.≫). Diese Verwaltungsvorschriften dienen nämlich der Ausfüllung eines der Verwaltung eingeräumten Beurteilungsspielraums. Mit ihnen wird die Ausübung dieses Beurteilungsspielraums von der Einzelentscheidung im jeweiligen Verwaltungsakt in eine abstrakt generalisierende Regelung vorverlagert, um so die Einheitlichkeit des Verwaltungshandelns sicherzustellen (vgl. Sendler, UPR 1993, 321 ≪324≫).
Eine derartige normkonkretisierende Wirkung kommt auch der Rahmen-AbwasserVwV zu. Wie die genannten Verwaltungsvorschriften dient sie der einheitlichen Auslegung und Anwendung sowie Weiterentwicklung naturwissenschaftlich-technischer Begriffe. Für den begrenzten in der Vergangenheit liegenden Zeitraum ihrer Geltung genügte sie noch den weiteren an eine Normkonkretisierung zu stellenden strengen Anforderungen. Normkonkretisierende Wirkung kann nämlich einer Verwaltungsvorschrift nur dann zukommen, wenn die Exekutive bei ihrem Erlaß höherrangigen Geboten und dem für deren Konkretisierung wesentlichen Erkenntnis- und Erfahrungsstand Rechnung getragen hat (vgl. BVerfGE 54, 173 ≪197≫ allgemein für Wertungen der Verwaltung, zur Anwendbarkeit dieser Rechtsprechung auf normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften im Umweltrecht vgl. Sendler in UPR 1993, 321 ≪328≫) bzw. wenn die vom Gesetz getroffenen Wertungen beachtet werden (vgl. Beschluß vom 15. Februar 1988 – BVerwG 7 B 219.87 – a.a.O.). Auch darf die Verwaltungsvorschrift nicht durch Erkenntisfortschritte in Wissenschaft und Technik überholt sein (vgl. Beschlüsse vom 15. Februar 1988 – BVerwG 7 B 219.87 – und vom 21. März 1996 – BVerwG 7 B 164.95 – a.a.O.). Schließlich kann einer Verwaltungsvorschrift nur dann ausnahmsweise normkonkretisierende Wirkung zukommen, wenn dem Erlaß ein umfangreiches Beteiligungsverfahren vorangeht, dessen Zweck es ist, vorhandene Erfahrungen und den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis auszuschöpfen (vgl. Beschluß vom 15. Februar 1988 – BVerwG 7 B 219.87 – a.a.O.). Nur dann verkörpert sie nämlich in hohem Maße wissenschaftlich-technischen Sachverstand (vgl. Beschluß vom 10. Januar 1995 – BVerwG 7 B 112.94 – a.a.O.). Diesen Anforderungen genügt das Verfahren zum Erlaß der Rahmen-Abwasserverwaltungsvorschrift (noch). Sie wurde von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats erlassen und im Gemeinsamen Ministerialblatt veröffentlicht. Anders als beispielsweise das Bundesimmissionsschutzgesetz (vgl. insbesondere §§ 48 und 51) schreibt das Wasserhaushaltsgesetz allerdings für den Erlaß der Verwaltungsvorschrift ein umfangreiches Beteiligungsverfahren nicht ausdrücklich vor. Die Rahmen-AbwasserVwV wurde jedoch dennoch aufgrund eines solchen Verfahrens erlassen, das von der Bundesregierung mit den Bundesländern abgestimmt wurde. Einzelheiten wurden in Gesprächskreisen bzw. Arbeitsgruppen erarbeitet, an denen mehrheitlich Behördenvertreter mitwirkten, die vom Bundesumweltministerium in Abstimmung mit den für Wasserwirtschaft und Wasserrecht zuständigen obersten Landesbehörden berufen wurden, an denen aber auch Sachverständige beteiligt waren, die auf Vorschlag einschlägiger Fachvereinigungen berufen wurden. Auch erfolgte eine Anhörung der zu beteiligenden Kreise. Dabei wurden insbesondere auch Umweltverbände in die Willensbildung einbezogen (vgl. Antwort der Bundesregierung auf eine diesbezügliche Kleine Anfrage, BTDrucks 11/6106 vom 14. Dezember 1989).
Die demnach zulässige und gebotene Auslegung von Ziff. 2.2.4 der Rahmen-AbwasserVwV ergibt, daß ein Wert als eingehalten gilt, wenn er zwar nach dem Ergebnis einer Prüfung nicht eingehalten ist, wenn aber die Ergebnisse dieser und der vier vorangegangenen – gegebenenfalls im Vorjahr liegenden – Überprüfungen in vier Fällen diesen Wert nicht überschreiten. Zwar legt die Rahmen-AbwasserVwV nicht ausdrücklich fest, von welchem Zeitpunkt oder Ereignis bei der Ermittlung der „letzten fünf … Überprüfungen” auszugehen ist. Es fehlt aber schon jeder Anhaltspunkt in der Verwaltungsvorschrift dafür, daß von einem anderen Zeitpunkt oder Ereignis auszugehen sein könnte. Die Verwaltungsvorschrift läßt nach ihrem insoweit eindeutigen Wortlaut ggf. auch einen Rückgriff auf im Vorjahr durchgeführte Messungen ausdrücklich zu und verbietet lediglich, Überprüfungen zu berücksichtigen, die länger als drei Jahre zurückliegen (vgl. 2.2.4 Satz 3 Rahmen-AbwasserVwV). Im übrigen erfordern Sinn und Zweck der Verwaltungsvorschrift, von dem überhöhten Wert als letztem Wert auszugehen. Die Rahmen-AbwasserVwV konkretisiert wasserrechtliche Bestimmungen und soll den Wasserrechtsbehörden die Entscheidung ermöglichen, ob die einer Einleitung vorgeschaltete Abwasserbehandlungsanlage ordnungsgemäß errichtet und einwandfrei betrieben wird. Ergibt eine im Rahmen der staatlichen Gewässeraufsicht durchgeführte Überprüfung, daß ein wasserrechtlicher Wert überschritten wird, muß es den Wasserrechtsbehörden sofort möglich sein zu beurteilen, ob der Wert eingehalten ist bzw. als eingehalten gilt. Dies ist nur möglich, wenn der überhöhte Wert als letzter herangezogen wird und dann geprüft wird, ob der zu beachtende Wert bei den vier vorausgegangenen Messungen nicht überschritten wurde. Wäre dagegen von einem späteren Zeitpunkt – beispielsweise vom Ende des Kalenderjahres – auszugehen, müßte nach Überschreitung eines einzuhaltenden Werts die Wasserrechtsbehörde in vielen Fällen zunächst untätig bleiben und das Ergebnis weiterer Überprüfungen abwarten, ehe sie gegen eine rechtswidrige Abwassereinleitung einschreiten könnte. Diese Bedeutung der „4-aus-5-Regelung” hat im übrigen der Verordnungsgeber nunmehr in § 6 Abs. 1 Satz 1 Abwasserverordnung (AbwV) vom 21. März 1997 (BGBl I S. 566), der Ziff. 2.2.4 der Rahmen-AbwasserVwV ersetzt hat, ausdrücklich klargestellt.
Dieses Ergebnis steht auch nicht im Widerspruch dazu, daß die Abwasserabgabe jeweils für das Kalenderjahr erhoben wird (vgl. § 11 Abs. 1 AbwAG). Mit der Bestimmung des Kalenderjahres zum Veranlagungsjahr wird zwar grundsätzlich festgelegt, daß für die Bemessung der Abwasser-Abgabe die Verhältnisse im einzelnen Kalenderjahr zugrunde zu legen sind. Dies erfordert es aber nicht, von dem oben dargestellten Grundsatz abzuweichen, daß es allein nach den einschlägigen wasserrechtlichen Bestimmungen zu beurteilen ist, ob ein Überwachungswert eingehalten ist. Die Tatsache, daß es nach dem Abwasserabgabengesetz auf das Einleitungsverhalten im jeweiligen Kalenderjahr ankommt, verbietet es daher nicht, im Rahmen der „4-aus-5-Regelung” Messungen aus dem Vorjahr zu berücksichtigen. Dies führt nämlich nicht zu einer – dem Abwasserabgabenrecht fremden – Berücksichtigung des Einleitungsverhaltens früherer Veranlagungszeiträume. Denn der überhöhte Wert, der die Betrachtung früherer Überwachungsergebnisse überhaupt erst veranlaßt, stammt – wie der Verwaltungsgerichtshof zu Recht betont hat – bei Anwendung der „4-aus-5-Regelung” jeweils aus dem Veranlagungsjahr und spiegelt deshalb das Einleitungsverhalten in diesem Jahr wider. Vorausgegangene Untersuchungen aus einem früheren Veranlagungszeitraum werden nur noch zugunsten des Einleiters in die Betrachtung einbezogen, um festzustellen, ob der Überwachungswert trotz der festgestellten Überschreitung als eingehalten gilt. Scheitert diese zugunsten des Einleiters vorgesehene Entlastung, liegt nicht nur ein Verstoß gegen wasserrechtliche Bestimmungen vor, sondern es ist auch die Abwasserabgabe gemäß § 4 Abs. 4 AbwAG zu erhöhen. Dieses Ergebnis entspricht der vom erkennenden Senat wiederholt betonten Aufgabe der Abwasserabgabe, den wasserrechtlichen Vollzug zu flankieren (vgl. u.a. Beschluß vom 20. August 1997 – BVerwG 8 B 169.97 – Buchholz 401.64 § 4 AbwAG Nr. 5 S. 13 ≪16≫).
Die Auslegung der Verwaltungsvorschrift nach ihrem Sinn und Zweck ergibt weiter, daß im Rahmen der „4-aus-5-Regelung” allein auf den im Zeitpunkt der l e t z t e n Messung geltenden Grenzwert und nicht etwa auf den im Zeitpunkt der j e w e i l i g e n Messung geltenden Wert abzustellen ist. Alleinige Aufgabe der Rahmen-AbwasserVwV ist es nämlich zu konkretisieren, wie gering die Schadstofffracht des Abwassers bei Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik bzw. des Stands der Technik ist. Dieser Aufgabe dient auch die „4-aus-5-Regelung”. Die Konkretisierung der allgemein anerkannten Regeln der Technik bzw. des Stands der Technik verlangt nicht nur die Festlegung von Grenzwerten für einzelne Schadstoffe bzw. Schadstoffgruppen, sondern auch Festlegungen, anhand welcher Kriterien die Einhaltung dieser Grenzwerte festzustellen ist. So legt 2.2.2 der Verwaltungsvorschrift ausdrücklich fest, daß den in den Anhängen zur Verwaltungsvorschrift genannten Grenzwerten die in der Anlage zur Verwaltungsvorschrift enthaltenen oder gleichwertige Analyseverfahren zugrunde liegen. Auch die „4-aus-5-Regelung” enthält eine derartige Festlegung. Die Rahmen-AbwasserVwV geht insoweit davon aus, daß bei Beachtung der allgemein anerkannten Regeln der Technik bzw. des Stands der Technik die in der Vorschrift enthaltenen Grenzwerte in der Regel eingehalten werden, seltene Überschreitungen aber nicht ausgeschlossen werden können. Anhand der „4-aus-5-Regelung” wird also festgestellt, ob ein gemessener Wert, der den zu beachtenden Wert überschreitet, lediglich ein seltener „Ausreißer” ist, während der zu beachtende Wert in der Regel eingehalten wird. Dieses Ergebnis entspricht auch der amtlichen Begründung der Verwaltungsvorschrift, wonach die „4-aus-5-Regelung” sicherstellen soll, „daß Zufallsergebnisse nicht bewertet werden” (vgl. BRDrucks 198/89 S. 41). Ist somit festzustellen, ob es sich bei einem Maßergebnis um einen Ausreißer bzw. um ein Zufallsergebnis handelt, kann dies nur geschehen, indem der gemessene Wert mit den vier vorausgegangenen Messungen verglichen wird. Liegt allein der letzte Wert über dem im Zeitpunkt der Messung zu beachtenden Grenzwert, handelt es sich um ein Zufallsergebnis. Sind dagegen das letzte Meßergebnis und mindestens ein weiteres der vier vorangegangen überhöht, kann es sich nach den Regeln der Technik nicht mehr um ein Zufallsergebnis handeln.
Welcher Wert im Zeitpunkt der vier vorausgegangenen Messungen einzuhalten war, ist dabei ohne Bedeutung. Die Rahmen-AbwasserVwV gewährt nicht denjenigen Einleitern, die sich früher ordnungsgemäß verhalten haben, einen Bonus. Ebensowenig schließt sie aus, daß Einleiter, die einen früheren strengeren Wert nicht einhalten konnten und deswegen für das Veranlagungsjahr einen höheren Wert erklärt haben, anhand der „4-aus-5-Regelung” nachweisen, daß es sich bei einem aktuell gemessenen Wert um ein Zufallsergebnis handelt. Entsprechend der ordnungsrechtlichen Zielsetzung der Rahmen-AbwasserVwV kommt es auf die anhand der Messungen in der Vergangenheit zu beurteilende Prognose an, ob der aktuelle Grenzwert künftig eingehalten werden wird.
Von den Kosten des Revisionsverfahrens sind drei Viertel und von den Kosten der vorinstanzlichen Verfahren jeweils zwei Fünftel dem Beklagten aufzuerlegen, da es billigem Ermessen entspricht, daß er die Kosten des Verfahrens trägt, soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist (vgl. § 161 Abs. 2 VwGO). Der Beklagte hat nämlich insoweit den Kläger klaglos gestellt. Im übrigen beruht die Kostenentscheidung auf § 154 Abs. 1 und 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Müller, Dr. Pagenkopf, Krauß, Golze, Postier
Fundstellen
Haufe-Index 1440907 |
BVerwGE |
BVerwGE, 338 |
NVwZ 1999, 1114 |
DÖV 1999, 469 |
NJ 1999, 437 |
NuR 1999, 216 |
ZUR 1999, 234 |
BayVBl. 1999, 600 |
DVBl. 1999, 399 |
KomVerw 2000, 9 |
UPR 1999, 147 |
ZfW 2000, 35 |
FuNds 1999, 713 |