Entscheidungsstichwort (Thema)
nicht mit Gründen versehenes Urteil. Beteiligungsfähigkeit von Landesbehörden. gesetzliche Prozessstandschaft. materielle Rechtskraft. Bindung einer in demselben Verwaltungsstreitverfahren ergangenen rechtskräftig gewordenen Entscheidung
Leitsatz (amtlich)
Ein Urteil ist auch dann nicht mit Gründen versehen im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO, wenn die Begründung nicht erkennen lässt, welche Überlegungen für die Entscheidung maßgebend gewesen sind, weil die angeführten Gründe rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder sonst wie völlig unzureichend sind.
Die materielle Rechtskraft einer vorgreiflichen Entscheidung bindet auch dann, wenn sie in demselben Verwaltungsstreitverfahren eingetreten ist.
Normenkette
VwGO § 61 Nr. 3, § 78 Abs. 1 Nr. 2, § 108 Abs. 1 S. 2, § 117 Abs. 2 Nr. 5, § 137 Abs. 1, § 138 Nr. 6; BRRG § 127 Nr. 2
Verfahrensgang
OVG des Landes Sachsen-Anhalt (Urteil vom 07.12.2000; Aktenzeichen A 3 S 415/98) |
VG Magdeburg (Urteil vom 21.07.1998; Aktenzeichen A 8 K 134/96) |
Tenor
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 7. Dezember 2000 wird aufgehoben, soweit das beklagte Land verurteilt worden ist, den Kläger durch Gewährung von Schadensersatz so zu stellen, als wäre ihm mit Wirkung vom 1. September 1995 das Amt eines Ministerialrats der Besoldungsgruppe B 2 übertragen worden.
Insoweit wird die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Der Kläger war Oberamtsrat beim Bundesministerium der Verteidigung. Mit Wirkung vom 5. August 1991 wurde er an das damalige Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes Sachsen-Anhalt abgeordnet und als Referent im Haushaltsreferat eingesetzt. Nach dem – prüfungslosen – Erwerb der Befähigung für die Laufbahn des allgemeinen höheren Verwaltungsdienstes des Landes Sachsen-Anhalt wurde er ab dem 15. Juni 1992 mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Leiters des Haushaltsreferats betraut.
Mit Schreiben vom 2. März 1994 stellte ihm der Minister für Wissenschaft und Forschung des Landes Sachsen-Anhalt die Übernahme in den höheren Dienst, die sofortige Ernennung zum Regierungsdirektor und nach Ablauf eines Jahres die Beförderung zum Ministerialrat der Besoldungsgruppe B 2 in Aussicht, falls er sich zum Übertritt in den Dienst des Landes entschließe. Am 1. September 1994 wurde er in den Landesdienst versetzt und zum Regierungsrat und zum Regierungsdirektor ernannt. Seinen kurz vor Ablauf eines Jahres gestellten Antrag, ihn zum Ministerialrat zu befördern, ließ das Land zunächst unbeschieden und lehnte ihn dann durch Schreiben vom 20. Dezember 1995 ab. Mit Wirkung vom 1. Oktober 1996 wurde der Kläger zum Ministerialrat ernannt und in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 16 BBesO eingewiesen.
Mit seiner Klage hat der Kläger im Berufungsverfahren beantragt, den Beklagten zu 2 zu verpflichten, ihm das Amt eines Ministerialrats der Besoldungsgruppe B 2 BBesO zu übertragen, und den Beklagten zu 1 zu verurteilen, ihn durch Gewährung von Schadensersatz so zu stellen, als wäre ihm dieses Amt bereits mit Wirkung vom 1. September 1995 übertragen worden.
Dieser Klage hat das Berufungsgericht stattgeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Der Kläger habe Anspruch auf Ernennung zum Ministerialrat der Besoldungsgruppe B 2, weil sie ihm wirksam zugesichert worden sei.
Seinen Schadensersatzanspruch hat das Berufungsgericht begründet gesehen in § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung der Staatshaftung in der Deutschen Demokratischen Republik – Staatshaftungsgesetz – und die im Sartorius III unter Nr. 120 abgedruckte Gesetzesfassung zugrunde gelegt.
Mit der auf seine Beschwerde vom Senat zugelassenen Revision rügt der Beklagte zu 1 die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Er beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 7. Dezember 2000 aufzuheben, soweit das beklagte Land zur Gewährung von Schadensersatz verurteilt worden ist, und insoweit die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 21. Juli 1998 zurückzuweisen.
Der Kläger, dem am 22. Dezember 2000 das Amt eines Ministerialrats der Besoldungsgruppe B 2 BBesO übertragen worden ist, verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils, soweit es nicht rechtskräftig ist, und in diesem Umfang zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Das Berufungsurteil unterliegt der Nachprüfung im Revisionsverfahren nur, soweit es dem Schadensersatzbegehren des Klägers stattgibt. Die Revision rügt zu Recht, dass diese Entscheidung des Berufungsgerichts im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen ist.
§ 138 Nr. 6 VwGO bezieht sich auf den notwendigen (formellen) Inhalt eines Urteils (§ 117 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Im Urteil müssen die Entscheidungsgründe schriftlich niedergelegt werden, welche für die richterliche Überzeugungsbildung leitend gewesen sind (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Das ist verfahrensrechtlich geboten, um die Beteiligten über die dem Urteil zugrunde liegenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen zu unterrichten und um dem Rechtsmittelgericht die Nachprüfung der Entscheidung auf ihre inhaltliche Richtigkeit in prozessrechtlicher und materiellrechtlicher Hinsicht zu ermöglichen. Sind Entscheidungsgründe derart mangelhaft, dass sie diese doppelte Funktion nicht mehr erfüllen können, ist die Entscheidung nicht mit Gründen versehen im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO. Das ist nicht nur dann der Fall, wenn der Entscheidungsformel überhaupt keine Gründe beigegeben sind, sondern auch dann, wenn die Begründung nicht erkennen lässt, welche Überlegungen für die Entscheidung maßgebend gewesen sind, weil die angeführten Gründe rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder sonst wie völlig unzureichend sind (vgl. u.a. Beschluss vom 13. Juli 1999 – BVerwG 9 B 419.99 – Buchholz 310 § 138 Ziff. 6 VwGO Nr. 35 S. 2).
So liegt es hier. Das Berufungsgericht hat lediglich ausgeführt, der Senat habe “den Schadensersatzanspruch begründet gesehen in § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung der Staatshaftung in der Deutschen Demokratischen Republik – Staatshaftungsgesetz – und die im Sartorius III unter Nr. 120 abgedruckte Gesetzesfassung zugrunde gelegt”.
Danach ist bereits unklar, welches Gesetz überhaupt gemeint ist. Der Hinweis auf eine nicht amtliche Loseblatt-Gesetzessammlung ist in diesem Zusammenhang nicht ausreichend. Das Gesetz zur Regelung der Staatshaftung in der DDR vom 12. Mai 1969 trug im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts bereits seit mehr als acht Jahren die Bezeichnung “Gesetz zur Regelung von Entschädigungsansprüchen im Lande Sachsen-Anhalt” (Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Staatshaftungsgesetzes vom 24. August 1992, GVBl LSA S. 655). Dieses Gesetz betrifft Vermögensschäden und eröffnet den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten. Dem Berufungsurteil lassen sich keine nachprüfbaren Erwägungen entnehmen, warum das Berufungsgericht die Voraussetzungen des Gesetzes für gegeben gehalten hat.
Der Verfahrensmangel und absolute Revisionsgrund des § 138 Nr. 6 VwGO zwingt zur Zurückverweisung. Das angefochtene Urteil stellt sich nicht im Ergebnis als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Der Senat kann auch nicht zugunsten des beklagten Landes in der Sache entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Das Schadensersatzbegehren des Klägers lässt sich vielmehr ohne weitere tatsächliche Feststellungen nicht abschließend beurteilen.
Zwar ist auch im Revisionsverfahren bei der Entscheidung über das Schadensersatzbegehren die materielle Rechtskraft der in demselben Verwaltungsrechtsstreit ausgesprochenen Verpflichtung des Beklagten zu 2 zu berücksichtigen, dem Kläger ein Amt der Besoldungsgruppe B 2 zu übertragen (vgl. dazu BGH, Urteile vom 5. Dezember 1984 – VIII ZR 87/83 – WM 1985, 263 unter II 3 m.w.N., vom 9. März 1993 – XI ZR 179/92 – WM 1993, 683 und vom 1. Dezember 1993 – VIII ZR 41/93 – NJW 1994, 657 ≪659≫; an seiner abweichenden Auffassung im Urteil vom 14. Juni 1961 – BVerwG 5 C 140.60 – BVerwGE 12, 266 ≪267 f.≫ hält der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts – wie er auf Anfrage des erkennenden Senats mitgeteilt hat – nicht fest).
Die Rechtskraft des Berufungsurteils, soweit es den Ministerpräsidenten des beklagten Landes verpflichtet, bindet auch das auf Schadensersatz verklagte Land. Es hat in Ausübung der ihm durch § 61 Nr. 3, § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO eingeräumten Befugnis in § 8 des Ausführungsgesetzes zur Verwaltungsgerichtsordnung bestimmt, dass auch Landesbehörden fähig sind, am Verfahren beteiligt zu sein, und dass die Klage gegen die Landesbehörde zu richten ist, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen oder den beantragten Verwaltungsakt unterlassen hat. Diese Landesbehörden handeln als Beteiligte des Verwaltungsstreitverfahrens in gesetzlicher Prozessstandschaft für die Körperschaft, der sie angehören, hier für das Land Sachsen-Anhalt (vgl. Urteile vom 25. August 1988 – BVerwG 2 C 62.85 – BVerwGE 80, 127 ≫128≫ und vom 26. August 1993 – BVerwG 2 C 14.92 – BVerwGE 94, 94 ≪97≫ = Buchholz 232.6 ErzUrlV Nr. 1 S. 5). Die dem Ministerpräsidenten des Landes als der prozessführungsbefugten Behörde gegenüber ergangene Entscheidung über die Verpflichtungsklage betrifft jedoch das Land als Träger des materiellen Rechts (vgl. Urteile vom 25. August 1988, a.a.O S. 128 und vom 26. August 1993, a.a.O. S. 97 bzw. S. 5). Dementsprechend erstreckt sich die Bindung der materiellen Rechtskraft auf das Land (vgl. Urteile vom 26. August 1993, a.a.O. S. 97 bzw. S. 4 f. und vom 9. Januar 1999 – BVerwG 11 C 8.97 – Buchholz 310 § 65 VwGO Nr. 131 S. 2).
Die Bindungswirkung umfasst das Schadensersatzbegehren des Klägers, obwohl der Streitgegenstand nicht identisch ist. Denn der rechtskräftig festgestellte Anspruch des Klägers auf Übertragung des Amtes eines Ministerialrats der Besoldungsgruppe B 2 BBesO wirkt für die Entscheidung über seinen Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung dieses Anspruchs vorgreiflich (vgl. u.a. Urteil vom 23. Februar 1993 – BVerwG 1 C 16.87 – Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 64 S. 22 f. m.w.N.).
Über das Schadensersatzbegehren des Klägers kann der erkennende Senat gleichwohl nicht abschließend entscheiden. Ein Anspruch des Klägers auf Schadensersatz wegen unterbliebener Beförderung setzt nach revisiblem Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO, § 127 Nr. 2 BRRG) ein dem Dienstherrn zuzurechnendes Verschulden voraus (stRspr; vgl. u.a. Urteil vom 21. Dezember 2000 – BVerwG 2 C 39.99 – BVerwGE 112, 308 ≪313 f.≫ = Buchholz 237.95 § 95 SHLBG Nr. 3 S. 6 m.w.N.). Dazu enthält das angefochtene Urteil keinerlei im Revisionsverfahren verwertbare tatsächliche Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO). Ob sich ein verschuldensunabhängiger Schadensersatzanspruch des Klägers aus irrevisiblem Landesrecht herleiten lässt, entzieht sich der Beurteilung des Revisionsgerichts.
Unterschriften
Dr. Silberkuhl, Prof. Dawin, Dr. Kugele, Groepper, Dr. Bayer
Fundstellen
Haufe-Index 921415 |
BVerwGE 2003, 228 |
ZAP 2003, 588 |
ZBR 2003, 254 |
DVBl. 2003, 867 |