Entscheidungsstichwort (Thema)

ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: SOZIALGERICHT STUTTGART – DEUTSCHLAND. Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer. Gleichbehandlung. Nationale Vorschrift, die für die Begründung des Anspruchs auf Leistungen bei Invalidität einen Rahmenzeitraum festlegt. Zulässigkeit. Berechnung der Altersrente. Leistungen von verschiedenen Staaten. Möglichkeit der Verlängerung des Rahmenzeitraums. Ausschluß der Verlängerung, wenn die verlängerungswirksamen Tatsachen und Umstände in einem anderen Mitgliedstaat eintreten. Versteckte Diskriminierung. Unzulässigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Die Artikel 48 Absatz 2 und 51 EWG-Vertrag sind dahin auszulegen, daß es einem nationalen Gesetzgeber nicht untersagt ist, die Voraussetzungen für die Gewährung einer Invaliditätsrente zu ändern und zu verschärfen, indem er einen Rahmenzeitraum vor Eintritt des Versicherungsfalles festlegt, während dessen der Versicherte eine versicherungspflichtige Tätigkeit ausgeuebt und eine Mindestzahl von Beitragsleistungen erbracht haben muß, um Anspruch auf die Gewährung der Invaliditätsrente zu haben, sofern diese Voraussetzungen keine offene oder versteckte Diskriminierung von EG-Arbeitnehmern bewirken.

Sofern eine derartige Regelung unter bestimmten Voraussetzungen eine Verlängerung des Rahmenzeitraums gestattet, stehen ihr die genannten Vertragsbestimmungen jedoch dann entgegen, wenn sie keine Verlängerungsmöglichkeit für den Fall vorsieht, daß Tatsachen und Umstände, die den verlängerungswirksamen Tatsachen und Umständen entsprechen, in einem anderen Mitgliedstaat eintreten, da sie dann zwar formal für jeden EG-Arbeitnehmer gilt, Wanderarbeitnehmer jedoch, die gerade bei Krankheit oder Arbeitslosigkeit dazu neigen, in ihr Heimatland zurückzukehren, viel stärker benachteiligt und davon abhalten kann, von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch zu machen.

 

Normenkette

EWGVtr Art. 48 Abs. 2, Art. 51; EWGV 1408/71 Art. 3 Abs. 1; EWGVtr Art. 7, 48-51; RKG § 75 Abs. 1; EWGVtr § 76a Abs. 2 S. 1; RVO § 1278 Abs. 1; EWGVtr § 1279a Abs. 2 S. 1

 

Beteiligte

Elissavet Paraschi

Landesversicherungsanstalt Württemberg

 

Tenor

Die Artikel 48 Absatz 2 und 51 EWG-Vertrag sind dahin auszulegen, daß sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die die Voraussetzungen für die Gewährung einer Invaliditätsrente insofern verschärft, als eine solche Rente künftig nur noch dann gewährt wird, wenn der Versicherte eine versicherungspflichtige Tätigkeit ausgeuebt hat und in den letzten 60 Kalendermonaten vor Eintritt des Versicherungsfalles (Rahmenzeitraum) mindestens 36 Monatsbeiträge entrichtet hat. Die genannten Vertragsbestimmungen stehen einer derartigen Regelung, die unter bestimmten Voraussetzungen eine Verlängerung des Rahmenzeitraums gestattet, jedoch

dann entgegen, wenn sie keine Verlängerungsmöglichkeit für den Fall vorsieht, daß Tatsachen und Umstände, die den verlängerungswirksamen Tatsachen und Umständen entsprechen, in einem anderen Mitgliedstaat eintreten.

 

Gründe

1 Das Sozialgericht Stuttgart hat mit Beschluß vom 6. Oktober 1987, beim Gerichtshof eingegangen am 16. November 1987, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Artikel 48 Absatz 2 und 51 EWG-Vertrag sowie nach der Auslegung und der Gültigkeit der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 149, S. 2), zur Vorabentscheidung vorgelegt, um die Vereinbarkeit der deutschen Rechtsvorschriften über Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrenten mit diesen Bestimmungen beurteilen zu können.

2 Diese Frage stellte sich ursprünglich in vier Rechtsstreitigkeiten zwischen Frau Pougaridou, Frau Paraschi, Herrn Papanikolaou und Herrn Portale einerseits und der Landesversicherungsanstalt Württemberg (hiernach: Beklagte) andererseits wegen deren Weigerung, den Klägern eine Invaliditätsrente zu gewähren.

3 Die deutsche Regelung über die Gewährung von Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrenten wurde durch Einfügung zweier neuer Vorschriften, der §§ 1246 Absatz 2a und 1247 Absatz 2a, in die Reichsversicherungsordnung (RVO) mit Wirkung vom 1. Januar 1984 geändert.

4 Diese Änderung, die die Voraussetzungen für die Gewährung von Invaliditätsrenten verschärft hat, lässt sich wie folgt zusammenfassen. Die Renten wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit werden ab 1. Januar 1984 nur noch dann gewährt, wenn der Versicherte eine versicherungspflichtige Tätigkeit ausgeuebt hat und in den letzten 60 Kalendermonaten vor Eintritt des Versicherungsfalles (Rahmenzeitraum) mindestens 36 Monatsbeiträge entrichtet hat. Bei der Ermittlung dieses Zeitraums bleiben einige abschließend aufgeführte nicht mitzuzählende Zeiten ausser Betracht, so daß sich der 60-Monats-Zeitraum entsprechend verlängert. Zu diesen nicht mitzuzählenden Zeiten gehören die Ausfallzeiten unter anderem wegen Krankheit oder Arbeitslosigkeit, wenn sie zu einem Bezug von Leistungen oder auch – unter ...

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