Entscheidungsstichwort (Thema)

Rücknahme. Baugenehmigung. Naturschutz. Eingriff. Erlöschen. Hemmung. Artenschutz. Innenbereich. Auslegung. Wortlaut. Befreiung. Ermessen. Rücknahme einer Baugenehmigung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Zeitablauf, der nach § 76 Abs. 1 BauO LSA zum Erlöschen der Baugenehmigung führt, ist gehemmt für den Zeitraum, in welchem der Bauherr durch Umstände außerhalb seines Verantwortungsbereichs gehindert ist, von der Baugenehmigung Gebrauch zu machen.

2. Die Baugenehmigung erlischt nicht, weil der Bau aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr ausgeführt werden soll.

3. Bauvorhaben, die nach § 34 BauGB ausgeführt werden dürfen, sind deshalb noch kein „zulässiger Eingriff” i. S. des § 20f BNatSchG.

4. Einschränkungen des Naturschutzes verstoßen nicht gegen die Eigentumsgarantie.

5. Die Rücknahme der Baugenehmigung ist nicht ermessensfehlerhaft, wenn offen ist, ob die Naturschutzbehörde eine Befreiung nach § 31 BNatSchG erteilen könnte.

 

Normenkette

GG Art. 14 Abs. 1; BauGB-86 § 34; LSA-BauO § 76 Abs. 1; VwVfG §§ 40, 48; BNatSchG § 8a Abs. 6, § 20f Abs. 1, § 3 S. 1, § 31

 

Verfahrensgang

VG Magdeburg (Urteil vom 22.04.1997; Aktenzeichen A 4 K 520/96)

 

Nachgehend

BVerwG (Urteil vom 11.01.2001; Aktenzeichen 4 C 6.00)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil vom 22. April 1997 – A 4 K 520/96 – des Verwaltungsgerichts Magdeburg geändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 500,– DM (fünfhundert Deutsche Mark) abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beklagte erteilte der Klägerin mit Baugenehmigung vom 16.11.1995 und durch Nachtragsgenehmigung vom 6.12.1995 die Genehmigung zur Errichtung des Polizeireviers …. Für das Baugrundstück räumte die Beigeladene der Klägerin im … ein Erbbaurecht für die Dauer von sechzig Jahren ein. Über das zu errichtende Polizeidienstgebäude mit einer Nutzfläche von etwa 1.000 m² in drei Geschossen hatten die Klägerin und das Ministerium des Innern des Landes Sachsen-Anhalt im März 1995 einen Mietvertrag geschlossen, den das Ministerium im Januar 1997 gekündigt hat.

Mit Bescheid vom 12.1.1996 nahm die Beklagte die der Klägerin erteilte Baugenehmigung zurück. Zur Begründung führte sie aus: Die Baugenehmigung vom 16.11. 1995 sei rechtswidrig. Das Vorhaben verstoße gegen das Verbot aus § 20 f Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz – BNatSchG –) vom 12.3.1987 idF vom 22.4.1993. Danach sei es verboten, die Nist-, Brut-, Wohn- oder Zufluchtstätten von besonders geschützten Arten zu beschädigen oder zu zerstören. Auf dem Grundstück und den angrenzenden durchgrünten Grundstücken seien 23 Brutvogelarten sowie eine Fledermausart festgestellt worden, die unter dem besonderen Schutz des BNatSchG ständen. Die Tierarten seien sämtlich gemäß Spalte 1 der Anlage 1 zum § 1 der BundesartenschutzVO unter besonderen Schutz gestellt. Die angestrebte Baumaßnahme bedeute eine Schädigung von Nist- und Zufluchtstätten im Sinne des § 20 f BNatSchG. Diese Vogelarten seien auf ein Revier von mindestens 1.000 m² festgelegt. Eine Beengung ihres Reviers würde unweigerlich zu einer Vertreibung führen. Nur einige der Vögel könnten in die umliegenden Hausgärten ausweichen. Den verbliebenen Vogelarten würde ihr typischer Lebensraum wie dichtes Unterholz mit einer ausgeprägten Laubschicht genommen. Für andere Vogelarten wie Waldkauz, Nachtigall und Pirol bedeuteten bereits die Bauarbeiten und der damit verbundene Lärm eine Vertreibung. Die im Bereich vorgefundene Fledermausart sei gemäß Anlage 1 zur BundesartenschutzVO vom Aussterben bedroht und deshalb besonders schutzwürdig; wenn die Fledermäuse das Gebiet auch nur als Nahrungsrevier nutzen würden.

Den dagegen eingelegten Widerspruch wies das Regierungspräsidium Magdeburg mit Widerspruchsbescheid vom 25.6.1996 aus den Gründen des angefochtenen Bescheids zurück.

Am 19.4.1996 hat die Klägerin dagegen Klage erhoben und vorgetragen: Die Rücknahmeentscheidung der Beklagten sei rechtswidrig. Für Vorhaben im unbeplanten Innenbereich gelte die Verbotsnorm des § 20 f Abs. 1 BNatschG gemäß § 20 f Abs. 3 Satz 1 nicht, weil sie aufgrund der gesetzlichen Fiktion des § 8 a Abs. 6 BNatSchG als „zugelassene Eingriffe” im Sinne des § 8 BNatSchG anzusehen seien. Im übrigen hätten die Beklagte und das Regierungspräsidium Magdeburg ihr Rücknahmeermessen fehlerhaft ausgeübt. Die Beklagte sei irrig davon ausgegangen, dass der in § 20 f Abs. 1 BNatSchG normierte Artenschutz absoluten Charakter habe. Die Beklagte habe in ihrer Ermessensentscheidung nicht den Gesichtspunkt eingestellt, dass das öffentliche Interesse die zügige Errichtung und Inbetriebnahm...

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