Rz. 67

Das BAG hat die Surrogatstheorie mittlerweile vollständig und nicht nur bezogen auf Fälle langandauernder Erkrankung aufgegeben.[1] Änderungen ergeben sich hierdurch beim Tod des Arbeitnehmers nur dann, wenn der Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses den Urlaubsabgeltungsanspruch noch nicht erfolglos geltend gemacht hat und der Arbeitgeber sich damit noch nicht in Verzug befindet (zur Historie der Rechtsprechungsänderung vgl. Rz. 70). War dies bereits geschehen, z. B. weil der verstorbene Arbeitnehmer Klage gegen den Arbeitgeber erhoben hatte, war von einer Vererblichkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs auch nach der Surrogatstheorie auszugehen, unabhängig vom Ablauf des Kalenderjahres bzw. des Übertragungszeitraums.

 

Rz. 68

 
Praxis-Beispiel

Eine Arbeitnehmerin war bis 31.10.2019 bei ihrem Arbeitgeber beschäftigt. Sie hatte bei ihrem Ausscheiden noch 10 Tage Resturlaub, den sie wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr nehmen konnte. Sie machte im Dezember 2019 die Abgeltung dieses Resturlaubs geltend. Im Juni 2020 verstarb sie. Als der Arbeitgeber nicht zahlte, klagte die Tochter der Arbeitnehmerin, die Alleinerbin ist, auf Zahlung der Urlaubsabgeltung.

Lösung:

Der Abgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG fiel als reiner Geldanspruch in den Nachlass (§ 1922 BGB). Der Ablauf des Urlaubsjahres führte nicht zum Erlöschen des Urlaubsabgeltungsanspruchs.[2] Die Erbin konnte vielmehr weiterhin den originären Urlaubsabgeltungsanspruch geltend machen.

Hätte die Arbeitnehmerin den Arbeitgeber aber noch nicht zu ihren Lebzeiten in Verzug gesetzt, hätte die Erbin nach der Surrogatstheorie den Urlaubsabgeltungsanspruch nicht geltend machen können. Denn da er das Surrogat des Urlaubsanspruchs gewesen sein soll, dieser aber wegen des Todes der Arbeitnehmerin nicht mehr erfüllt werden konnte, sollte dasselbe auch für den Urlaubsabgeltungsanspruch gelten. Nach Aufgabe der Surrogatstheorie kann die Erbin dagegen den Anspruch auch ohne vorangegangene Mahnung des Arbeitgebers durch die Arbeitnehmerin geltend machen.

7.3.1 Urlaubsanspruch

 

Rz. 69

Nach ständiger Rechtsprechung des BAG ist der Inhalt des Urlaubsanspruchs nach §§ 1, 3 BUrlG die Beseitigung der Arbeitspflicht für die Dauer der Urlaubszeit. Weil die Arbeitspflicht nach § 613 BGB regelmäßig an die Person des Arbeitnehmers gebunden ist, können solche Pflichten, auf die der Urlaubsanspruch bezogen ist, nach dem Tod des Arbeitnehmers als dem zur Arbeit Verpflichteten nicht mehr entstehen. Ein Urlaubsanspruch entfällt daher schon deshalb, weil ein Arbeitgeber ihn nicht erfüllen könnte.[1] Außerdem endet das Arbeitsverhältnis zugleich mit dem Tod des Arbeitnehmers (arg. e § 613 BGB).

7.3.2 Urlaubsabgeltungsanspruch

 

Rz. 70

Anlässlich der Fälle andauernder Arbeitsunfähigkeit hat das BAG zunächst an seiner Rechtsprechung festgehalten, wonach ein Urlaubsabgeltungsanspruch dann nicht entsteht, wenn das Arbeitsverhältnis mit dem Tod des Arbeitnehmers endet.[1] Nachdem der EuGH entschieden hat, dass der Anspruch auf eine finanzielle Vergütung nicht genommener Urlaubsansprüche – gemeint ist die Urlaubsabgeltung – nicht deshalb untergeht, weil der Arbeitnehmer gestorben ist[2], hat das BAG den EuGH erneut mit dieser Frage befasst und die Auffassung vertreten, dass das nationale Recht (§ 7 Abs 4 BUrlG i. V. m. § 1922 Abs 1 BGB) dem Erben eines während des Arbeitsverhältnisses verstorbenen Arbeitnehmers einen Anspruch auf einen finanziellen Ausgleich für den dem Arbeitnehmer vor seinem Tod zustehenden Mindestjahresurlaub nicht einräumt.[3] Wie zu erwarten hat der EuGH seine bestehende Auffassung bestätigt. Art. 7 der RL 2003/88/EG steht dem Untergang von Urlaubsansprüchen beim Tod eines Arbeitnehmers ohne das Entstehen einer finanziellen, vererbbaren Vergütung auch dann entgegen, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod endet.[4] Das BAG hat daraufhin §§ 1, 7 Abs. 4 BUrlG – doch – richtlinienkonform ausgelegt und festgestellt, dass die Vergütungskomponente des Anspruchs auf den vor dem Tod nicht mehr genommenen Jahresurlaub als Bestandteil des Vermögens Teil der Erbmasse wird. Der Urlaubsabgeltungsanspruch kann daher unbeschränkt durch die Erben geltend gemacht werden (vgl. zu den Unterschieden im Verhältnis zur Surrogatstheorie Rz. 68).[5] Mit der richtlinienkonformen Auslegung musste das BAG nicht der Notwendigkeit nachgehen, nati...

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