Entscheidungsstichwort (Thema)
Einigungsstellenspruch über Lohnkontostunde - Unwirksamkeit
Leitsatz (redaktionell)
Der Spruch einer Einigungsstelle, der den Arbeitgeber verpflichtet, alle Arbeitnehmer monatlich eine Stunde von der Arbeit freizustellen zum Ausgleich des Aufwands, der mit der bargeldlosen Auszahlung des Arbeitsentgelts verbunden ist, überschreitet die Grenzen billigen Ermessens, wenn die bargeldlose Auszahlung des Arbeitsentgelts nicht notwendigerweise zur Inanspruchnahme von Freizeit führt.
Normenkette
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 4, § 76 Abs. 5 S. 4
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 24.02.1993; Aktenzeichen 11 TaBV 122/92) |
ArbG Oberhausen (Entscheidung vom 15.07.1992; Aktenzeichen 3 BV 15/92) |
Gründe
A. Arbeitgeber und Betriebsrat streiten über die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs betreffend Zeit, Ort und Art der Auszahlung der Arbeitsentgelte.
Der Arbeitgeber ist eine Einrichtung der beruflichen Rehabilitation, die im Auftrage von Sozialversicherungsträgern behinderte Erwachsene umschult. Beschäftigt werden 197 Vollzeitkräfte und 51 Teilzeitbeschäftigte, auf deren Arbeitsverhältnis aufgrund einzelvertraglicher Regelung der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) bzw. der MTL Anwendung findet. Nachdem bereits viele Jahre die Arbeitsentgelte bei dem Arbeitgeber bargeldlos ausgezahlt worden waren, verlangt der Betriebsrat eine Regelung über Ort, Zeit und Art der Auszahlung des Arbeitsentgelts und in diesem Zusammenhang einen Ausgleich über den mit der bargeldlosen Zahlung für die Arbeitnehmer verbundenen Aufwand. Da der Arbeitgeber auf die Vorstellungen des Betriebsrats nicht einging, rief dieser die Einigungsstelle zur Regelung der Auszahlung der Arbeitsentgelte an.
Die Einigungsstelle beschloß in der Sitzung vom 24. März 1992 mit den Beisitzern des Betriebsrats und der Stimme des Vorsitzenden folgenden Spruch:
"Betriebsvereinbarung gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 4
Betriebsverfassungsgesetz
§ 1
Alle Arbeitnehmer haben zur Abwicklung der Ge-
halts-/Lohnauszahlung ein Konto bei einer in
Deutschland ansässigen Bank oder Sparkasse einzu-
richten. Die Gehalts-/Lohnauszahlung erfolgt in
unbar.
§ 2
Der Gehalts-/Lohnzahlungszeitpunkt richtet sich
nach den jeweiligen kollektiv- oder individual-
rechtlich wirksamen Vorschriften (Tarifvertrag,
Betriebsvereinbarung). Soweit solche nicht beste-
hen oder anzuwenden sind, erfolgt bei monatlichen
Lohnzahlungszeiträumen die Auszahlung bis späte-
stens zum 15. des laufenden Monats, bei wöchent-
lichen Lohnzahlungszeiträumen bis zum Mittwoch
der laufenden Arbeitswoche.
§ 3
Alle Arbeitnehmer erhalten zur Abgeltung des Auf-
wands, der mit der unbaren Zahlung verbunden ist,
eine Stunde Freistellung von der Arbeitspflicht
je Monat.
§ 4
Die Betriebsvereinbarung kann mit einer Frist von
6 Monaten zum Halbjahresschluß gekündigt werden."
Der Spruch der Einigungsstelle ist dem Arbeitgeber nicht vor dem 27. Mai 1992 zugegangen. Der Arbeitgeber hat mit seinem am 9. Juni 1992 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag die Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, die Einigungsstelle habe die Grenzen billigen Ermessens überschritten, da der Spruch nicht in angemessenem Maße die Belange des Betriebs berücksichtige und einseitig eine sachlich nicht gebotene und nicht erforderliche Begünstigung der Mitarbeiter herbeigeführt habe.
Der Arbeitgeber hat im einzelnen vorgetragen, er habe allen Mitarbeitern angeboten, ihren Lohn, falls sie kein Konto einrichten wollten, in bar zu zahlen und darüber hinaus sei allen die Möglichkeit eröffnet worden, jederzeit an der Hauptkasse im Betrieb Bargeld gegen Schecks in Empfang zu nehmen. Bei einem so weitgehenden Angebot sei es ermessensfehlerhaft, eine pauschale Stundenfreistellung festzusetzen.
Auch vom Umfang her sei die Festlegung einer Freistunde im Monat nicht gerechtfertigt, denn das nächste Geldinstitut sei vom Betrieb zu Fuß in 15 Minuten zu erreichen. Da der Betrieb im Zentrum von O liege, sei auch die Entfernung zu den anderen Bankinstituten nicht viel weiter. Im übrigen hätten nahezu alle Mitarbeiter ein Kraftfahrzeug bzw. könnten mitfahren, so daß der Weg zum Geldinstitut maximal fünf Minuten betrage.
Die von der Einigungsstelle angeführten Sicherheitsprobleme bei einer Gehaltsauszahlung an der Kasse des Arbeitgebers gingen an der betrieblichen Wirklichkeit vorbei: Die Kasse befinde sich etwa in 20 m Entfernung vom nächsten Eingang, der eine Sicherheitsschleuse enthalte und bewacht sei. Dieser Eingang wiederum sei 50 m von der Straße entfernt und gut einsehbar. Jede Bankfiliale sei größeren Gefahren ausgesetzt. Auch eine Gefahr durch drogenabhängige Umschüler bestehe entgegen der Auffassung der Einigungsstelle nicht; solche Personen seien nicht umschulungsfähig und würden sofort von der Rehabilitationsmaßnahme ausgeschlossen. Es sei in den 14 Jahren Rehabilitationstätigkeit beim Arbeitgeber weder zu einem Raub noch zu einem Einbruch oder auch nur zu einem Taschendiebstahl gekommen.
Die Zuerkennung der Freistunde sei auch deshalb grob ermessensfehlerhaft, weil die Arbeitnehmer ohne Schwierigkeiten ihr Bankinstitut in der Freizeit aufsuchen könnten, wenn sie von dem Angebot des Arbeitgebers nicht Gebrauch machen wollten. Sie hätten am Freitag bereits um 13.15 Uhr bzw. 12.00 Uhr Feierabend und ab September 1992 werde Gleitzeit eingeführt, so daß genügend Zeit zum Abheben des Geldes außerhalb der Arbeitszeit zur Verfügung stehe. Hinzu komme, daß in allen Stadtteilen und Vororten Geldautomaten vorhanden seien.
Zu Unrecht habe die Einigungsstelle nicht berücksichtigt, daß durch die Zuerkennung der Freistunde bei 248 Arbeitnehmern im Jahr 2.976 Arbeitsstunden ausfielen. Dies entspreche dem Volumen von zwei Planstellen und ergebe einen Sonderaufwand von 119.040,-- DM, der von den Sozialversicherungsträgern nicht übernommen werde. Weshalb die Freistunde auch den Arbeitnehmern gewährt werde, die nur wenige Stunden am Tag zu arbeiten hätten, werde von der Einigungsstelle noch nicht einmal zu begründen versucht.
Die Einigungsstelle habe auch zu Unrecht dem Umstand, daß durch die Zahlung des Gehalts bereits am 15. d.M. die Mitarbeiter erhebliche Vorteile hätten, im Rahmen der Ermessensentscheidung nicht angemessen berücksichtigt.
Der Arbeitgeber hat beantragt
festzustellen, daß der Spruch der Einigungsstelle
betreffend "Regelung der Auszahlung der Arbeits-
entgelte" vom 24. März 1992 unwirksam ist.
Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Zur Begründung hat er vorgetragen, der Arbeitgeber habe die Möglichkeit der Auszahlung von Bargeld im Betrieb erst im Einigungsstellenverfahren angeboten und dies auch nur aus taktischen Gründen. Die bestehende Kasse habe bisher lediglich den Zweck gehabt, Umschülern ihre Fahrgelder zu zahlen. Auf die Einlösung von Schecks sei die Kasse und ihre Technik überhaupt nicht eingestellt und auch die bisherigen Öffnungszeiten seien dann unzureichend. Das vorgeschlagene Kassenverfahren sei unzweckmäßig, unpraktikabel und nicht durchdacht.
Die vom Arbeitgeber angestellten Berechnungen über die Dauer des Bankbesuchs und die Höhe der Belastungen seien theoretisch. Nicht jeder Arbeitnehmer unterhalte bei der dem Betrieb nächstgelegenen Bank ein Konto und der Bankbesuch erschöpfe sich auch nicht im Abheben von Bargeld. Bei dem behaupteten Betrag von 119.040,-- DM handele es sich um eine reine Rechengröße. Tatsächlich müßten nicht zwei neue Einstellungen vorgenommen werden und eine Freistunde müsse auch nicht zu einem Unterrichtsausfall führen. Bei den meisten Arbeitnehmern handele es sich um Lehrkräfte, die ohnehin verpflichtet seien, außerhalb des Unterrichts ihr Arbeitsentgelt in Empfang zu nehmen. Die Anwendung des § 36 BAT bei der Zahlung der Vergütung sei kein von der Einigungsstelle zu berücksichtigender Vorteil, da sich der Arbeitgeber insoweit nur vertragstreu verhalte.
Der Arbeitgeber verkenne auch, daß nach § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG eine gerichtliche Überprüfung des Einigungsstellenspruchs nur hinsichtlich einer Überschreitung der Grenzen des Ermessens erfolgen könne und der Spruch nicht einer Zweckmäßigkeitskontrolle unterliege. Der Arbeitgeber tue nichts anderes, als den von ihm vorgezogenen Regelungsvorschlag an die Stelle des Einigungsstellenspruchs zu setzen.
Der Arbeitgeber hat erwidert, nur bei der Hälfte der Arbeitnehmer handele es sich um sog. Lehrkräfte. Diese seien nicht mit Lehrern an allgemeinbildenden Schulen zu vergleichen. Sie hätten vielmehr eine Präsenzpflicht von 38,5 Stunden in der Woche und müßten in dieser Zeit auch die Behinderten betreuen. Dem Betriebsrat gehe es auch gar nicht um einen Ausgleich besonderer Nachteile, die durch die bargeldlose Auszahlung des Arbeitsentgelts entstünden. Das wirkliche Ziel des Betriebsrats sei es gewesen, zwei zusätzliche Urlaubstage für die Belegschaft zu erhalten, die auf die beiden Brückentage nach Himmelfahrt und Fronleichnam gelegt werden sollten.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Arbeitgebers abgewiesen. Auf die Beschwerde des Arbeitgebers hat das Landesarbeitsgericht den Beschluß des Arbeitsgerichts abgeändert und dem Antrag stattgegeben. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seinen Antrag auf Abweisung des Antrags weiter, während der Arbeitgeber bittet, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist nicht begründet, weil das Landesarbeitsgericht ohne Rechtsfehler unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts festgestellt hat, daß der Beschluß der Einigungsstelle vom 24. März 1992 unwirksam ist.
I. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde verletzt der Beschluß des Landesarbeitsgerichts nicht § 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Nach dieser Vorschrift ist eine Bezugnahme auf das angefochtene Urteil sowie auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen zulässig, soweit hierdurch die Beurteilung des Parteivorbringens durch das Revisionsgericht nicht wesentlich erschwert wird. Einfache Erschwerungen, die durch die Notwendigkeit des Nachschlagens der in Bezug genommenen Protokolle und Schriftsätze auftreten, müssen in Kauf genommen werden (Zöller/Schneider, ZPO, 18. Aufl., § 543 Rz 9). Im Tatbestand revisibler Urteile ist neuer Sachvortrag in der II. Instanz, insbesondere wenn er nicht schriftsätzlich vorbereitet war, zu erwähnen (BGH Urteil vom 25. Januar 1980 - I ZR 124/77 - MDR 1980, 734). Zumindest sollten solche Angaben im Sitzungsprotokoll festgehalten werden. Vorliegend haben die Beteiligten im Beschwerdeverfahren den Sachvortrag nicht gewechselt, sondern aus der ersten Instanz wiederholt und sich nur in rechtlicher Hinsicht mit den Ausführungen des Arbeitsgerichts auseinandergesetzt. Daher hält sich auch der Tatbestand des Landesarbeitsgerichts mit seinen Verweisungen im Rahmen von § 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO.
II. Nach § 76 Abs. 5 Satz 3 BetrVG faßt die Einigungsstelle ihre Beschlüsse unter angemessener Berücksichtigung der Belange des Betriebs und der betroffenen Arbeitnehmer nach billigem Ermessen. Nach § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG kann die Überschreitung der Grenzen des Ermessens nur binnen einer Frist von zwei Wochen, vom Tage der Zuleitung des Beschlusses an gerechnet, beim Arbeitsgericht geltend gemacht werden.
Der Senat hat im Beschluß vom 26. Mai 1988 (- 1 ABR 11/87 - AP Nr. 26 zu § 76 BetrVG 1972) entschieden, daß die Frist von zwei Wochen zur Geltendmachung von Ermessensfehlern nicht gewahrt ist, wenn beim Arbeitsgericht die Unwirksamkeit eines Spruchs ohne jede Begründung beantragt wird. Eine nach Ablauf der Frist nachgeschobene Begründung für den Feststellungsantrag heile den Mangel in diesem Falle nicht.
Vorliegend hat das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen, daß der Ermessensfehler rechtzeitig gerügt worden ist. Der Spruch der Einigungsstelle ist erst am 27. Mai 1992 vom Vorsitzenden unterschrieben und danach den Beteiligten zugeleitet worden. Der Arbeitgeber hat den Spruch mit Schriftsatz vom 5. Juni 1992, beim Arbeitsgericht am 9. Juni 1992 eingegangen, angefochten und in dem Antragsschriftsatz die Unwirksamkeit des Spruchs allein auf Ermessensfehler gestützt.
III. Ohne Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht angenommen, der Spruch sei unwirksam. Es hat dabei dahingestellt sein lassen, ob vorliegend ein Mitbestimmungsrecht für die Festlegung der Freistunden besteht, weil es zu dem Ergebnis gelangt ist, daß der Spruch der Einigungsstelle ermessensfehlerhaft ist.
1. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei der Festlegung von Zeit, Ort und Art der Auszahlung der Arbeitsentgelte. Zur Art der Auszahlung des Arbeitsentgelts gehört vor allem die Entscheidung, ob das Entgelt in bar oder bargeldlos gezahlt werden soll. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. u.a. BAGE 29, 40 = AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 Auszahlung und BAGE 60, 323 = AP Nr. 9 zu § 87 BetrVG 1972 Auszahlung) gehört zur Regelung über die bargeldlose Auszahlung des Arbeitsentgelts als notwendiger Annex auch eine solche über die Zahlung von Kontoführungsgebühren oder die Einführung einer Kontostunde (vgl. auch Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 17. Aufl., § 87 Rz 56; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 87 Rz 123; Bleistein, Betriebsverfassung in der Praxis, 3. Aufl., Rz 394; a.A.: Wiese, GK-BetrVG, § 87 Rz 302 ff. mit zahlreichen Hinweisen für die vom Senat vertretene Auffassung). Nur soweit zwischen den anfallenden Gebühren bzw. dem Besuch des Kreditinstituts und der Entscheidung für eine bargeldlose Auszahlung des Entgelts ein notwendiger Zusammenhang besteht, läßt sich eine Annex-Kompetenz des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG begründen. Mitbestimmungspflichtige Entscheidungen über die Zahlung von Kontoführungsgebühren bzw. die Einführung einer Kontostunde sind nur insoweit denkbar, als diese durch die Überweisung des Entgelts zwangsläufig und für den Arbeitnehmer unvermeidlich anfallen. Alles andere steht nicht mehr im Zusammenhang mit der Entscheidung für eine bargeldlose Lohnzahlung, sondern bezieht sich auf die private Lebensführung des Arbeitnehmers (so auch Däubler/Kittner/Klebe/Schneider, BetrVG, 3. Aufl., § 87 Rz 109).
2. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, daß das Mitbestimmungsrecht vorliegend nicht nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG ausgeschlossen ist, denn eine tarifliche Regelung für den Betrieb des Arbeitgebers liegt nicht vor. Zwar enthält § 36 BAT für die Angestellten des öffentlichen Dienstes eine abschließende tarifliche Regelung über Zeit, Ort und Art der Auszahlung des Arbeitsentgelts. Der Arbeitgeber ist aber nicht Mitglied eines der diesen Tarifvertrag abschließenden Arbeitgeberverbände, er ist also nicht tarifgebunden. Er wendet den BAT nur aufgrund einzelvertraglicher Vereinbarung an. Eine das Mitbestimmungsrecht ausschließende tarifliche Regelung für den Betrieb liegt aber nur vor, wenn der Arbeitgeber tarifgebunden ist (BAGE 60, 323 = AP Nr. 9 zu § 87 BetrVG 1972 Auszahlung).
3. Das Landesarbeitsgericht hat aber zutreffend angenommen, der Spruch der Einigungsstelle sei ermessensfehlerhaft und deshalb rechtsunwirksam.
a) Zu Unrecht rügt der Betriebsrat, das Landesarbeitsgericht habe § 76 Abs. 5 BetrVG verkannt.
Richtig ist, daß nach § 76 Abs. 5 Satz 3 BetrVG die Einigungsstelle ihre Beschlüsse "unter angemessener Berücksichtigung der Belange des Betriebs und der betroffenen Arbeitnehmer nach billigem Ermessen" zu fassen hat. Diese Ermessensentscheidung der Einigungsstelle kann von den Gerichten für Arbeitssachen nur daraufhin überprüft werden, ob die Grenzen des Ermessens überschritten sind (§ 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG).
Nicht das Landesarbeitsgericht, sondern die Rechtsbeschwerde irrt aber, wenn diese meint, nicht das Ergebnis der Tätigkeit der Einigungsstelle, sondern deren Begründung sei Gegenstand der Überprüfung. Das Gegenteil ist richtig. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (Senatsbeschlüsse vom 31. August 1982 - 1 ABR 27/80 - und 28. Oktober 1986 - 1 ABR 11/85 - AP Nr. 8 und 20 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit, BAGE 63, 140 = AP Nr. 39 zu § 76 BetrVG 1972 und Beschluß vom 11. Februar 1992 - 1 ABR 51/91 - AP Nr. 50 zu § 76 BetrVG 1972) beurteilt sich die Frage, ob der Spruch der Einigungsstelle die Grenzen des ihr eingeräumten Ermessens beachtet hat, allein danach, ob die durch den Spruch getroffene Regelung als solche sich innerhalb dieser Grenzen hält, d.h. nach billigem Ermessen die Belange des Betriebes und der betroffenen Arbeitnehmer angemessen berücksichtigt. Es kommt nicht darauf an, durch welche Tatsachen und Annahmen die Einigungsstelle zu ihrem Spruch gekommen ist und ob die diesem Spruch zugrundeliegenden Erwägungen der Einigungsstelle folgerichtig waren und eine erschöpfende Würdigung aller Umstände zum Inhalt haben. Das folgt zunächst aus dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung selbst. Anfechtbar nach § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG ist der Spruch der Einigungsstelle als solcher. Wenn diese Anfechtung nur bei einer Überschreitung der Grenzen des Ermessens möglich ist, so folgt daraus, daß die in Satz 3 dieser Vorschrift der Einigungsstelle aufgegebene Berücksichtigung der Belange des Betriebs und der Arbeitnehmer nach billigem Ermessen keine Handlungsanleitung für die Einigungsstelle darstellt, sondern diejenigen Grenzen normiert, die die von der Einigungsstelle getroffene Regelung beachten muß. Es geht damit um eine Kontrolle des Ergebnisses der Tätigkeit der Einigungsstelle, nicht aber um eine Kontrolle ihrer Tätigkeit selbst. Hinzu kommt, daß das BetrVG der Einigungsstelle keine Begründung ihres Spruchs zur Pflicht macht (BAGE 29, 40 = AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 Auszahlung). Ohne eine Begründung ist aber eine Überprüfung der Erwägungen der Einigungsstelle, die zu dem Spruch geführt haben, zumindest nur schwer möglich. Auch das Fehlen einer Begründungspflicht für die Einigungsstelle spricht daher für die Annahme, daß allein entscheidend ist, ob die im Spruch getroffene Regelung selbst sich innerhalb der Grenzen des Ermessens hält.
b) Vorliegend hat das Landesarbeitsgericht entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde auch gesehen, daß die Gerichte für Arbeitssachen nur die Überschreitung der Grenzen des Ermessens zu überprüfen haben, nicht aber eine Zweckmäßigkeitskontrolle durchführen dürfen.
Das Landesarbeitsgericht hat den Spruch der Einigungsstelle nicht durch eine von ihm für vernünftiger gehaltene Lösung ersetzt. Es hat vielmehr den Spruch allein daraufhin überprüft, ob dieser das Ermessen der Einigungsstelle überschritten hat und dies zutreffend bejaht.
Zu berücksichtigen hat die Einigungsstelle zu allererst bei ihrem Spruch Inhalt und Zweck des Mitbestimmungsrechts. Vorliegend hat der Betriebsrat die Einigungsstelle angerufen für die Regelung von Ort, Zeit und Art der Auszahlung der Arbeitsentgelte. Aus dem Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG ergibt sich eine Annex-Zuständigkeit des Betriebsrats auch für eine Regelung, mit der die notwendigerweise aus bargeldloser Zahlung sich ergebenden Belastungen der Arbeitnehmer ausgeglichen oder gemildert werden sollen. Dementsprechend hat eine Überprüfung des Spruchs der Einigungsstelle daraufhin zu erfolgen, ob mit den Kontostunden eine notwendigerweise mit der bargeldlosen Zahlung verbundene Belastung der Arbeitnehmer ausgeglichen worden ist oder ob diese einen nicht durch die Art der Auszahlung der Arbeitsentgelte zu rechtfertigenden Vorteil erhalten.
c) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, die Einigungsstelle habe im vorliegenden Falle die Grenzen ihres Ermessens überschritten, denn vorliegend haben die Arbeitnehmer infolge der Einführung der bargeldlosen Auszahlung für die Empfangnahme des Arbeitsentgelts keine Freizeit aufwenden müssen.
Die Einigungsstelle hätte - worauf schon das Landesarbeitsgericht hingewiesen hatte - nicht unberücksichtigt lassen dürfen, daß der Arbeitgeber den Arbeitnehmern angeboten hatte, nach ihrer Wahl das Arbeitsentgelt bar oder unbar auszuzahlen. Vor allem aber hätte die Einigungsstelle das weitere Angebot des Arbeitgebers berücksichtigen müssen, bei bargeldloser Auszahlung des Entgelts allen Arbeitnehmern nach Bedarf Bargeld während der Arbeitszeit kostenlos gegen Scheck aus der Kasse im Betrieb auszuzahlen. Wäre dieses Angebot angenommen worden, hätte kein Arbeitnehmer Freizeit für das Abheben des Entgelts vom Konto in Anspruch nehmen müssen.
Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht im einzelnen ausgeführt, daß die Einigungsstelle und dieser folgend das Arbeitsgericht das Angebot des Arbeitgebers nicht mit Sicherheitsbedenken hätten abtun dürfen. Insoweit hat das Landesarbeitsgericht zu Recht darauf hingewiesen, daß die Sicherheitsbedenken nicht durch Tatsachen belegt sind. Insbesondere hatte der Arbeitgeber vorgetragen, daß die Kasse 20 Meter von einem bewachten Eingang entfernt war und zwischen Ausgang und der nächsten Straße eine Entfernung von 50 Metern lag und außerdem die Straße gut einsehbar war. Da bei einem Behindertenzentrum Geldgeschäfte nicht im Vordergrund stehen, bietet dieses weniger Anreiz für einen Raubüberfall als eine Bankfiliale.
Einigungsstelle und Arbeitsgericht haben das Angebot des Arbeitgebers, Bargeld gegen Scheck an der Kasse auszuzahlen, außerdem mit dem Hinweis abgetan, von den Umschülern gehe eine erhöhte Gefahr von Eigentumsdelikten aus. Abgesehen davon, daß diese Gefahr nicht geringer wäre, wenn der Arbeitgeber Löhne und Gehälter wie früher bar auszahlen würde, fehlt es an einem Beleg für diese Gefahr. Die Einigungsstelle hat unterstellt, daß sich unter den Umschülern auch Drogenabhängige befänden. Nachdem der Arbeitgeber dies vor dem Arbeitsgericht bestritten hatte, hat das Arbeitsgericht angenommen, eine erhöhte Gefahr von Eigentumsdelikten gehe von den Umschülern deshalb aus, weil "die soziale Lage der Umschüler mangels ausreichendem Arbeitseinkommen eher schlecht sein dürfte. Hinzu kommt, daß eine Umschulung vorwiegend bei jüngeren Leuten in Betracht kommen dürfte. Geringes Lebensalter und mangelnde soziale Absicherung sind jedoch Faktoren, die die Anfälligkeit zu Eigentumsdelikten im Verhältnis zur durchschnittlichen Bevölkerung erhöhen". Zu Recht hat dem das Landesarbeitsgericht entgegengehalten, daß die Umschüler während der Maßnahme ein Übergangsgeld in Höhe von 70 % ihres früheren Nettoeinkommens erhalten, soweit sie ledig sind und 80 %, falls sie Unterhaltsberechtigte haben. Hinzu kommen kostenlose Internatsunterbringung bzw. Fahrgelderstattung und kostenloses Mittagessen. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb von diesen Personen eine erhöhte Gefahr im Hinblick auf Eigentumsdelikte ausgehen sollte. Dementsprechend ist die Behauptung des Arbeitgebers unbestritten geblieben, daß in den 14 Jahren des Bestehens dieses Betriebs es weder zu einem Raub, noch zu einem Einbruch oder gar nur zu einem Taschendiebstahl gekommen ist.
Haben nach dem Vorschlag des Arbeitgebers alle Arbeitnehmer die Möglichkeit, gegen Scheck Bargeld aus der Kasse des Arbeitgebers zu erhalten, und begegnet der Vorschlag des Arbeitgebers keinen ernst zu nehmenden Sicherheitsbedenken, hätte die Einigungsstelle nicht davon ausgehen dürfen, daß die bargeldlose Auszahlung des Arbeitsentgelts mit einem Aufwand an Freizeit verbunden ist, der allein die Zuerkennung einer Lohnkontostunde im Monat hätte rechtfertigen können. Der Spruch der Einigungsstelle ist ermessensfehlerhaft, weil er der Belegschaft zusätzliche bezahlte Freizeit gewährt, die nicht durch die Einführung der bargeldlosen Auszahlung des Arbeitsentgelts gerechtfertigt werden kann. Dementsprechend war die Rechtsbeschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Dr. Kissel Dr. Weller Dr. Rost
Dr. Stadler H. Paschen
Fundstellen
Haufe-Index 436782 |
BB 1994, 140 |
DB 1994, 281-282 (LT1) |
BetrVG, (13) (LT1) |
NZA 1994, 326 |
NZA 1994, 326-329 (LT1) |
ZTR 1994, 84 (LT1) |
AP § 87 BetrVG 1972 Auszahlung (LT1), Nr 12 |
EzA § 87 BetrVG 1972 Lohn und Arbeitsentgelt, Nr 16 (LT1) |
EzBAT § 36 BAT, Nr 12 (Lt1) |
GdS-Zeitung 1994, Nr 9, 19 (KT) |
VersR 1994, 121-123 (LT) |