Entscheidungsstichwort (Thema)
Divergenzrevision - Heranziehung einer jüngeren Entscheidung
Leitsatz (redaktionell)
1. Grundsätzlich kann eine Nichtzulassungsbeschwerde wegen Divergenz nur auf einen Rechtssatz gestützt werden, der in einer vor Verkündung der anzufechtenden Entscheidung ergangenen divergenzfähigen Entscheidung enthalten ist.
2. Wird zur Begründung der Divergenz eine Entscheidung herangezogen, die nach dem anzufechtenden Urteil ergangen ist, so reicht dies aus, wenn in der herangezogenen Entscheidung lediglich wiederholend auf einen Rechtssatz verwiesen ist, den das Gericht schon vor der Verkündung des anzufechtenden Urteils aufgestellt hatte.
Verfahrensgang
Gründe
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger wieder als Beauftragter für den Zivildienst nach den §§ 30, 30 a ZDG zu beschäftigen ist. Der Kläger ist bei der Beklagten "als Sozialarbeiter" seit 1. Januar 1986 tätig. Sein Bruttomonatsgehalt beträgt etwa 5.000,00 DM. Bis zur Neuwahl im Oktober 1993 gehörte der Kläger seit längeren Jahren dem Betriebsrat bei der Beklagten an; er war auch Betriebsratsvorsitzender. Mit ihrem Schreiben vom 10. September 1992 entzog die Beklagte dem Kläger seine Stellung als Zivildienstbeauftragtem. Diese Funktion wurde von der Geschäftsführung der Beklagten selbst übernommen. Für die Abteilung "Individuelle Schwerstbehindertenbetreuung", in der der Kläger tätig blieb, wurden neben dem Kläger Herr S und Frau W als "Weisungsbefugte" des Beauftragten für Zivildienst eingesetzt. Mit Zustimmung des Betriebsrats wurde im Mai 1993 Frau W zur Zivildienstbeauftragten ernannt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen, ohne die Revision zuzulassen. Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich der Kläger mit seiner ausschließlich auf Divergenz gestützten Nichtzulassungsbeschwerde.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat mit seiner Formulierung
"Was billigem Ermessen entspricht, ist unter Be-
rücksichtigung der Interessen beider Parteien
festzustellen." (S. 17, dritter Absatz der Ent-
scheidungsgründe)
einen abstrakten Rechtssatz aufgestellt. Dieser abstrakte Rechtssatz weicht von dem mitgeteilten Rechtssatz in der angezogenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ab, wonach "eine Maßnahme billigem Ermessen entsprechen muß (§ 315 Abs. 3 BGB) und dazu gehört, daß alle wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt sind". Zwar ist die angezogene Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts erst nach der Verkündung der anzufechtenden Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ergangen, nämlich erst am 23. Juni 1993 (- 5 AZR 337/92 - EzA § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 13). Der dort wiedergegebene abstrakte Rechtssatz ist jedoch dort nicht erstmals aufgestellt worden, sondern wiederholt nur frühere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unter zutreffendem Hinweis auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 28. September 1977 (- 4 AZR 743/76 - AP Nr. 4 zu § 1 TVG Tarifverträge: Rundfunk, m.w.N.). Wie das Bundesarbeitsgericht bereits entschieden hat, ist eine Nichtzulassungsbeschwerde wegen Divergenz auch dann begründet, wenn die anzufechtende Entscheidung von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts abweicht, in der Begründung jedoch nicht diese Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, sondern eine damit übereinstimmende Entscheidung eines anderen Landesarbeitsgerichts angezogen wird (BAG Beschluß vom 21. Dezember 1982 - 1 ABN 30/82 - AP Nr. 2 zu § 92 a ArbGG 1979). Zu diesem Ergebnis ist das Bundesarbeitsgericht deswegen gelangt, weil die Divergenzbeschwerde der Gefahr der Zersplitterung der Rechtsordnung und der Gefahr des Festschreibens divergierender Rechtssätze vorbeugen soll. Diese Erwägungen gelten auch für den hier vorliegenden Fall, in welchem die angezogene Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zwar nach der anzufechtenden Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ergangen ist, das Urteil des Bundesarbeitsgerichts jedoch nur einen abstrakten Rechtssatz wiederholt, den das Bundesarbeitsgericht in einer anderen Entscheidung vor Verkündung des anzufechtenden Berufungsurteils aufgestellt hat und es darauf in seiner jüngeren Entscheidung verweist.
Das anzufechtende Urteil beruht auch auf dieser Divergenz; hierzu ist ausreichend, daß die Entscheidung anders hätte ausgehen können, wenn das Landesarbeitsgericht sein Urteil nicht auf den divergierenden Rechtssatz gegründet hätte, sondern auf den Rechtssatz aus dem angezogenen Urteil.
Rechtsmittelbelehrung:
Der Kläger kann gegen das vorgenannte Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln Revision innerhalb einer Frist von einem Monat seit Zustellung dieses Beschlusses beim Bundesarbeitsgericht, Graf-Bernadotte-Platz 5, 34119 Kassel, einlegen. Sie ist gleichzeitig oder innerhalb eines Monats nach ihrer Einlegung schriftlich zu begründen. Revision und Revisionsbegründung müssen von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
Griebeling Reinecke Schliemann
Müller H. Kraft
Fundstellen
Haufe-Index 439709 |
JR 1995, 352 (L) |
NZA 1995, 285 |
NZA 1995, 286-287 (LT1-2) |
AP § 72a ArbGG 1979 Divergenz (LT1-2), Nr 27 |
AR-Blattei, ES 160.10.5 Nr 83 (LT1-2) |
EzA § 72a ArbGG 1979, Nr 66 (LT1-2) |
SGb 1995, 298 (S) |