Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtigkeit einer Betriebsratswahl. Betriebsverfassungsgesetz
Leitsatz (amtlich)
Führen Verstöße gegen Wahlvorschriften des Betriebsverfassungs-gesetzes und der Wahlordnung 2001 jeder für sich genommen nicht zur Nichtigkeit der Wahl, kann sich auch aus einer Gesamtwürdigung der einzelnen Verstöße nicht ergeben, dass die Betriebsratswahl nichtig ist (Aufgabe von BAG 27. April 1976 – 1 AZR 482/75 – AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 4 = EzA BetrVG 1972 § 19 Nr. 8).
Orientierungssatz
- Die Durchführung einer Betriebsratswahl im vereinfachten Verfahren nach § 14a Abs. 5 BetrVG idF des Gesetzes zur Reform der Betriebsverfassung vom 23. Juli 2001 bedarf der ausdrücklichen oder konkludenten Vereinbarung zwischen Wahlvorstand und Arbeitgeber.
- Beschließt der Wahlvorstand eines Betriebs mit in der Regel 51 bis 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern in einer Betriebsversammlung die Anwendung der Vorschriften des vereinfachten Wahlverfahrens in Anwesenheit der Geschäftsführer der Arbeitgeberin und schweigen die Geschäftsführer zu diesem Beschluss, so liegt keine konkludente Vereinbarung iSd. § 14a Abs. 5 BetrVG vor.
- Die unstatthafte Durchführung einer Betriebsratswahl im vereinfachten Verfahren an Stelle der Regelwahl nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gemäß § 14 BetrVG und die Missachtung der Vorschriften des § 2 Abs. 1, § 3, § 37, § 36 Abs. 2 WO stellen einen Verstoß gegen wesentliche Vorschriften iSd. § 19 Abs. 1 BetrVG dar und können das Wahlergebnis im Sinne dieser Bestimmung ändern oder beeinflussen.
- Diese Mängel führen für sich genommen nicht zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl. Die Nichtigkeit kann sich auch nicht aus einer Gesamtwürdigung ergeben.
Normenkette
BetrVG §§ 14a, 16-17, 19; WO 2001 §§ 2-3, 31, 36-37
Verfahrensgang
Sächsisches LAG (Beschluss vom 01.04.2003; Aktenzeichen 5 TaBV 13/02) |
ArbG Dresden (Beschluss vom 27.05.2002; Aktenzeichen 4 BV 9/02 RI) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 1. April 2003 – 5 TaBV 13/02 – unter Zurückweisung der Rechtsbeschwerde im Übrigen teilweise aufgehoben.
Auf die Beschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Dresden vom 27. Mai 2002 – 4 BV 9/02 – unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen teilweise abgeändert.
Die Betriebsratswahl vom 28. Januar 2001 wird für unwirksam erklärt.
Im Übrigen wird der Antrag des Arbeitgebers zurückgewiesen.
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer am 28. Januar 2002 erstmals bei der Arbeitgeberin durchgeführten Betriebsratswahl.
Die antragstellende Arbeitgeberin ist eine aus einer Kreissparkasse ausgegliederte Gesellschaft, bei der im Zeitpunkt der Betriebsratswahl 59 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt waren, von denen 52 über einen eigenen E-mail-Anschluss verfügten. Auf Einladung von drei Mitarbeiterinnen, die an die Beschäftigten per E-mail versandt wurde, fand am 27. Dezember 2001 eine Betriebsversammlung statt, an der ua. die Geschäftsführer der Arbeitgeberin teilnahmen. Dort wurde ein aus drei Arbeitnehmerinnen bestehender Wahlvorstand gewählt. Dieser fasste ohne Einwendungen der Teilnehmer der Betriebsversammlung den Beschluss, die Betriebsratswahl im vereinfachten Wahlverfahren nach den neuen Bestimmungen des Gesetzes zur Reform der Betriebsverfassung vom 23. Juli 2001 durchzuführen. Der Wahlvorstand erstellte in der Versammlung ferner eine Wählerliste und nahm Wahlvorschläge entgegen.
Am 10. Januar 2002 informierte die Vorsitzende des Wahlvorstands die Beschäftigten per E-mail darüber, dass am 28. Januar 2002 im Casino die Betriebsversammlung mit Wahl des Betriebsrats stattfinden werde. Diese Einladung enthielt die Bitte, auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu informieren, die nicht per E-mail zu erreichen seien. Ein von drei Arbeitnehmern unterzeichneter Wahlvorschlag für die Mitarbeiterin S… ging am 14. Januar 2002 beim Wahlvorstand ein, der ihn ohne weitere Veranlassungen zur Wahl zuließ. An der Betriebsratswahl am 28. Januar 2002 nahmen 48 Arbeitnehmer teil, darunter auch Arbeitnehmer, die über keinen E-mail-Anschluss verfügten. Es wurden fünf Mitglieder und zwei Ersatzmitglieder gewählt. Der Wahlvorstand teilte der Arbeitgeberin am 31. Januar 2002 schriftlich die Namen der Betriebsratsmitglieder mit.
Am 8. August 2002 fand eine erneute Betriebsratswahl im Unternehmen der Arbeitgeberin statt. Der am 28. Januar 2002 gewählte Betriebsrat ist weder zuvor noch danach zurückgetreten.
Mit einem am 14. Februar 2002 beim Arbeitsgericht eingegangenen Anwaltsschriftsatz hat die Arbeitgeberin die Unwirksamkeit der Betriebsratswahl vom 28. Januar 2002 geltend gemacht. Sie hat die Betriebsratswahl für anfechtbar und wegen der Vielzahl von Fehlern im Wahlverfahren für nichtig gehalten.
Die Arbeitgeberin hat beantragt
festzustellen, dass die Betriebsratswahl vom 28. Januar 2002 unwirksam ist.
Der Betriebsrat hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er hat gemeint, die Wahl sei ordnungsgemäß durchgeführt worden. Mögliche Mängel seien jedenfalls nicht so schwerwiegend, dass ein grober und offensichtlicher Verstoß gegen wesentliche Grundsätze des Wahlrechts vorlägen.
Das Arbeitsgericht hat die Nichtigkeit der Wahl festgestellt. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seinen Antrag weiter.
Entscheidungsgründe
B. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist nur teilweise begründet, im Übrigen unbegründet. Die Wahl des Betriebsrats vom 28. Januar 2002 ist auf Grund der rechtzeitigen Anfechtung durch die Arbeitgeberin für unwirksam zu erklären. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist die Wahl vom 28. Januar 2002 jedoch nicht nichtig. Es kann auf Grund der Vielzahl von Verstößen gegen Wahlvorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes idF der Bekanntmachung vom 25. September 2001 (BGBl. I S. 2518) und der Ersten Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes (Wahlordnung – WO) vom 11. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3494) nicht angenommen werden, bei der Wahl sei gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl in so hohem Maße verstoßen worden, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr vorliegt.
I. Der Antrag der Arbeitgeberin auf Feststellung der Unwirksamkeit der Wahl ist zulässig. Er umfasst nicht nur die Anfechtung nach § 19 BetrVG. Er erstreckt sich auch auf die Prüfung der Nichtigkeit, die jederzeit von jedermann geltend gemacht werden kann. Das ergibt die Auslegung des Antrags unter Berücksichtigung des Beteiligtenvorbringens. Die Arbeitgeberin hat bereits im Ergänzungsschriftsatz vom 28. Februar 2002 zur Antragsschrift vom 14. Februar 2002 auch die Nichtigkeit der Wahl geltend gemacht.
1. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist die Antragsfrist des § 19 Abs. 2 BetrVG für die Wahlanfechtung gewahrt.
2. Das Rechtsschutzinteresse der Arbeitgeberin an der Feststellung der Unwirksamkeit der Betriebsratswahl vom 28. Januar 2002 ist nicht deshalb entfallen, weil im Betrieb am 8. August 2002 ein neuer Betriebsrat gewählt worden ist. Da der zunächst gewählte Betriebsrat nicht zurückgetreten ist und sich der jetzige Betriebsrat weiterhin der ordnungsgemäßen Wahl vom 28. Januar 2002 berühmt, besteht für die Arbeitgeberin nicht nur hinsichtlich der Nichtigkeitsfeststellung, sondern auch hinsichtlich der Anfechtung weiterhin ein Rechtsschutzinteresse.
II. Die Rechtsbeschwerde ist nur hinsichtlich der vom Landesarbeitsgericht festgestellten Nichtigkeit begründet. Hinsichtlich der Anfechtung ist sie unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend eine Vielzahl von Verstößen gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren festgestellt, die die Anfechtung rechtfertigen.
1. Bei der Wahl ist gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren verstoßen worden.
a) Die drei nach § 17 Abs. 3 BetrVG berechtigten einladenden Arbeitnehmerinnen haben es versäumt, dafür Sorge zu tragen, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Betriebsversammlung nach § 17 Abs. 2 BetrVG eingeladen worden sind. Auch wenn Gesetz und Verordnung die Form der Einladung nicht vorschreiben, gehört es zu den wesentlichen Grundsätzen einer Wahl, dass die Wahlberechtigten von der Wahlversammlung, ihrem Ort und ihrer Zeit Kenntnis erhalten. Das kann durch Aushängung oder mittels einer im Betrieb vorhandenen Informations- und Kommunikationstechnik geschehen. In allen Varianten muss aber sichergestellt werden, dass die Einladung alle Wahlberechtigten erreicht (vgl. dazu die hier nicht unmittelbar anwendbare Vorschrift des § 28 Abs. 1 WO).
b) Der Wahlvorstand hat die Wahl zu Unrecht im vereinfachten Verfahren für Kleinbetriebe nach § 14a BetrVG durchgeführt. Die Voraussetzungen des § 14a Abs. 1 BetrVG (zweistufiges Verfahren) oder des § 14a Abs. 3 BetrVG (einstufiges Verfahren) lagen nicht vor. Denn bei dem neu errichteten Betrieb der Arbeitgeberin, in dem seither mehr als 50 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt sind, handelt es sich nicht um einen Kleinbetrieb iSd. § 14a Abs. 1 – 4 BetrVG. Der Wahlvorstand konnte das vereinfachte Wahlverfahren auch nicht nach § 14a Abs. 5 BetrVG durchführen, wonach in Betrieben mit in der Regel 51 bis 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern der Wahlvorstand und der Arbeitgeber die Anwendung des vereinfachten Wahlverfahrens vereinbaren können. Der Senat lässt dahingestellt, ob nur ein nach § 16 BetrVG bestellter Wahlvorstand eine Vereinbarung nach § 14a Abs. 5 BetrVG schließen kann, wie das Landesarbeitsgericht im Anschluss an Thüsing (Richardi/Thüsing BetrVG 8. Aufl. § 37 WO) gemeint hat. Denn auch wenn dieser Einschränkung nicht gefolgt wird und eine Berechtigung des nach § 17 Abs. 2 BetrVG gewählten Wahlvorstands zum Abschluss der Vereinbarung nach § 14a Abs. 5 BetrVG angenommen wird, durfte der Wahlvorstand die Wahl nicht in das vereinfachte, dann einstufige Verfahren überführen, weil Wahlvorstand und Arbeitgeber weder eine ausdrückliche noch eine denkbare konkludente Vereinbarung getroffen haben. Der in § 14a Abs. 5 BetrVG normierte Vertrag betriebsverfassungsrechtlicher Art bedarf korrespondierender Willenserklärungen von Wahlvorstand und Arbeitgeberin. Daran fehlt es, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend und von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen ausgeführt hat. Dem Schweigen der Geschäftsführer in der Betriebsversammlung lässt sich keine Willenserklärung entnehmen.
c) Der Wahlvorstand hat – insoweit folgerichtig – alle für das Regelverfahren geltenden Vorschriften des Gesetzes und der Wahlordnung nicht beachtet. Er hat aber auch die Vorschriften für das von ihm zu Unrecht betriebene vereinfachte Verfahren missachtet. So hat er die Wählerliste entgegen § 37, § 36 Abs. 1, § 2 Abs. 1 Satz 1 WO nicht getrennt nach Geschlechtern aufgestellt. Der Wahlvorstand hat ferner das nach § 36 Abs. 2 WO geforderte Wahlausschreiben nicht erlassen. So weit die E-mail vom 10. Januar 2002 als der Form nach unzureichendes Wahlausschreiben bewertet werden könnte, sind die Vorschriften von § 37, § 36 Abs. 3, § 31 Abs. 1 Satz 3 WO missachtet. Das Wahlausschreiben enthält lediglich das Datum des Erlasses und die Mitteilung des Termins und des Orts der Betriebsratswahl, § 31 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 und Nr. 11 WO. Alle weiteren von der Wahlordnung geforderten Angaben fehlen, § 31 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2, Nr. 3, Nr. 4, Nr. 5, Nr. 6, Nr. 7, Nr. 8, Nr. 9, Nr. 10, Nr. 12, Nr. 14, Nr. 15 WO. Hinzu kommt, dass das Schreiben vom 10. Januar 2002 nicht im Betrieb ausgehängt wurde, § 37, § 36 Abs. 3 Satz 2, § 31 Abs. 2 WO. Die ausschließliche Bekanntmachung per E-mail war nicht zulässig, sondern lediglich als Ergänzung, § 37, § 36 Abs. 3 Satz 2, § 31 Abs. 2 Satz 2 WO. Es sind auch keine Vorkehrungen dafür getroffen worden, dass Änderungen nur vom Wahlvorstand vorgenommen werden können, § 31 Abs. 2 Satz 2 iVm. § 2 Abs. 4 Satz 4 WO.
d) Die vom Wahlvorstand als gültig anerkannten Wahlvorschläge sind nicht in der vom Gesetz vorgesehenen Weise bekannt gemacht worden, § 37, § 36 Abs. 5 Satz 3 WO.
2. Wenigstens die vom Wahlvorstand missachteten Vorschriften des § 14a Abs. 5 BetrVG und der §§ 2, 3 WO sind wesentliche Vorschriften iSd. § 19 Abs. 1 BetrVG.
3. Der Verstoß war geeignet, das Wahlergebnis zu beeinflussen.
a) Nach § 19 Abs. 1 letzter Halbsatz BetrVG berechtigen Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften nur dann nicht zur Anfechtung der Betriebsratswahl, wenn durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Dafür ist entscheidend, ob bei einer hypothetischen Betrachtungsweise eine Wahl ohne den Verstoß unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zwingend zu demselben Wahlergebnis geführt hätte (vgl. BAG 14. September 1988 – 7 ABR 93/87 – BAGE 59, 328 = AP BetrVG 1972 § 16 Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 16 Nr. 6, zu B IV 2 der Gründe; 31. Mai 2000 – 7 ABR 78/98 – BAGE 95, 15 = AP BetrVG 1972 § 1 Gemeinsamer Betrieb Nr. 12 = EzA BetrVG 1972 § 19 Nr. 39, zu B IV 6a der Gründe; 6. Dezember 2000 – 7 ABR 34/99 – BAGE 96, 326 = AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 48 = EzA BetrVG 1972 § 19 Nr. 40, zu B II 8a der Gründe).
b) Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Wahlergebnis zwingend dasselbe gewesen wäre, wenn der Wahlvorstand das Regelverfahren nach den Grundsätzen der Verhältniswahl durchgeführt hätte und dabei insbesondere die Bestimmungen des § 2 Abs. 1 WO und dann des § 3 WO (oder auch nur des § 31 WO) beachtet hätte.
III. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist die Betriebsratswahl jedoch nicht nichtig.
1. Die Nichtigkeit einer Betriebsratwahl ist nur in ganz besonderen Ausnahmefällen anzunehmen, in denen gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl in so hohem Maße verstoßen worden ist, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr vorliegt (BAG 15. November 2000 – 7 ABR 23/99 –, zu B I der Gründe; 22. März 2000 – 7 ABR 34/98 – BAGE 94, 144 = AP AÜG § 14 Nr. 8 = EzA AÜG § 14 Nr. 4, zu B I 2a der Gründe). Es muss ein sowohl offensichtlicher als auch besonders grober Verstoß gegen Wahlvorschriften vorliegen.
2. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, keiner der von ihm festgestellten Mängel bei der Wahl des Betriebsrats habe für sich genommen zur Nichtigkeit der Wahl geführt. Es hat diese Bewertung zwar ausdrücklich nur für die Wahl des falschen Verfahrens vorgenommen. Da es danach jedoch sofort zur Gesamtwürdigung übergegangen ist, hat es wenigstens inzident die Feststellung getroffen, dass die weiteren Verstöße für sich genommen erst recht nicht geeignet seien, den Nichtigkeitsausspruch zu tragen.
3. Das Landesarbeitsgericht ist jedenfalls im Ergebnis zu Unrecht davon ausgegangen, dass nach der Gesamtwürdigung der aufgezeigten Mängel nicht mehr von einem Wahlakt im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes gesprochen werden kann.
a) Es bleibt dahingestellt, ob die Würdigung dem eingeschränkten rechtsbeschwerderechtlichen Prüfungsmaßstab bei der Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Nichtigkeit standhielte. Das Landesarbeitsgericht könnte nämlich den Rechtsbegriff der Nichtigkeit verkannt haben, so dass sein Beschluss aus diesem Grund auch dann keinen Bestand haben könnte, wenn die Vielzahl von Verstößen gegen Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes und der Wahlordnung, von denen keiner für sich genommen die Nichtigkeit begründet, zur Nichtigkeit führen kann.
Das ist jedoch nicht der Fall. Davon ist allerdings der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts in seiner vom Beschwerdegericht angezogenen Entscheidung vom 27. April 1976 ausgegangen (– 1 AZR 482/75 – AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 4 = EzA BetrVG 1972 § 19 Nr. 8, zu 3 der Gründe). Er hat gemeint, von einer dem Gesetz entsprechenden Wahl im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes dem äußeren Anschein nach könne dann nicht mehr die Rede sein, wenn nach einer Gesamtwürdigung des in Betracht kommenden Prozessstoffs insgesamt gesehen die Verstöße gegen die Vorschriften des Wahlverfahrens so offensichtlich und schwerwiegend seien, dass das Wahlverfahren nicht mehr als ein nach dem Gesetz durchgeführter Wahlakt angesehen werden könne.
b) An dieser Rechtsprechung hält der nunmehr für die Feststellung der Unwirksamkeit einer Betriebsratswahl zuständige Siebte Senat nicht mehr fest, obwohl die bisherige Rechtsprechung im Schrifttum fast einmütige Zustimmung erfahren hat (ErfK/Eisemann 4. Auf. § 19 BetrVG Rn. 15; Fitting/Kaiser/Heither/Engels/Schmidt BetrVG 21. Aufl. § 19 Rn. 4; Hess/Schlochauer/Glaubitz BetrVG 5. Aufl. § 19 Rn. 14; GK-BetrVG/Kreutz 7. Aufl. § 19 Rn. 135; DKK-Schneider BetrVG 8. Aufl. § 19 Rn. 39; Richardi/Thüsing BetrVG 8. Aufl. § 19 Rn. 76; aA wohl Gnade FS für Herschel S. 137, 160, der die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts vom 27. April 1976 für äußerst bedenklich hält). Die Aussage des Ersten Senats des Bundesarbeitsgerichts, die Gesamtwürdigung einer Vielzahl von Verstößen gegen Wahlvorschriften könne zur Feststellung der Nichtigkeit der Betriebsratswahl führen, ist mit den Anforderungen, die an die Nichtigkeit einer Wahl zu stellen sind, nicht vereinbar.
Die Nichtigkeit einer Betriebsratswahl ist im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen. Gesetzlich geregelt ist nur die Anfechtung der Wahl bei wesentlichen Verstößen gegen Wahlvorschriften. Diese führen nur zur Unwirksamkeit der Betriebsratswahl ex nunc, wenn die Anfechtung innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses erfolgt (§ 19 Abs. 2 BetrVG). Andernfalls ist grundsätzlich auch ein nicht ordnungsgemäß gewählter Betriebsrat bis zum Ablauf der regelmäßigen Amtszeit mit allen betriebsverfassungsrechtlichen Befugnissen im Amt. Dies dient der Funktionsfähigkeit des Betriebsrats und schützt das Vertrauen – auch der Belegschaft – in die Gültigkeit der vom Betriebsrat im Rahmen seiner Geschäftsführung vorgenommenen Handlungen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist nur geboten, wenn bei der Wahl des Betriebsrats so grob und offensichtlich gegen Wahlvorschriften verstoßen wurde, dass auch nur von dem Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr gesprochen werden kann und dies jedem mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Dritten sofort ohne weiteres erkennbar ist. Denn ein auf diese Weise in das Amt berufenes Gremium besitzt weder die Legitimation zur Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben, noch können die Betriebspartner und die Belegschaft darauf vertrauen, dass ein Betriebsrat besteht, der rechtswirksam betriebsverfassungsrechtliche Aufgaben wahrnehmen kann. Nur in diesem Ausnahmefall, in dem für jeden evident ist, dass ein wirksam gewählter Betriebsrat nicht besteht, ist die Wahl von Anfang an nichtig. Davon kann bei einer erforderlichen, bewertenden Gesamtwürdigung ebenso wenig ausgegangen werden wie bei einer erst durch Beweisaufnahme zu ermittelnden Tatsachenfeststellung (BAG 15. November 2000 – 7 ABR 23/99 –, zu B III 2 der Gründe). Handelt es sich bei den einzelnen Verstößen um Mängel, die jeder für sich genommen zwar die Anfechtung der Betriebsratswahl rechtfertigen, nicht aber die Wahl als nichtig erkennen lassen, so kann weder die addierte Summe der Fehler noch eine Gesamtwürdigung zur Nichtigkeit führen.
Die Änderung der Rechtsprechung dient der Rechtsklarheit und damit der Rechtssicherheit. Die bisher insoweit vereinzelt gebliebene Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 27. April 1976 (– 1 AZR 482/75 – AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 4 = EzA BetrVG 1972 § 19 Nr. 8) enthielt keine Maßstäbe für die Gesamtwürdigung, erklärte auch nicht, wie groß die Anzahl der Mängel und wie schwerwiegend die Verletzungen sein mussten, um in einer Gesamtwürdigung zur Feststellung der Nichtigkeit zu gelangen. Damit konnten Betriebspartner, die durchaus Fehler bei der Betriebsratswahl erkannt hatten, sie aber als nicht schwerwiegend hingenommen hatten, auch nach Ablauf der Anfechtungsfrist nicht ausschließen, dass sich der andere oder Dritte bei gegebenem Anlass (zB bei der fehlerhaften Anhörung des Betriebsrats oder bei der Anwendbarkeit von Betriebsvereinbarungen) auf die Nichtigkeit der Wahl im Wege einer Gesamtwürdigung berufen würde. Dieser Schwebezustand verträgt sich nicht mit der vertrauensvollen Zusammenarbeit der Betriebspartner und der verantwortungsvollen Ausübung von Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechten durch den Betriebsrat. Nur diejenigen Betriebsangehörigen, die einen oder mehrere grobe Verstöße ohne weiteres erkennen, weil sie offensichtlich sind und die Wahl dennoch akzeptieren, müssen mit einem jederzeitigen Nichtigkeitsantrag oder einer entsprechenden Einwendung in einem anderen betriebsverfassungsrechtlichen Streit rechnen und gegebenenfalls die schwerwiegenden nachteiligen Folgen einer Nichtigkeitsfeststellung tragen.
Unterschriften
Dörner, Gräfl, Hökenschnieder, Hoffmann
zugleich für den erkrankten Richter Pods
Hökenschnieder, Hoffmann
Fundstellen
Haufe-Index 1123479 |
BAGE 2005, 375 |
BB 2004, 1396 |
DB 2004, 2819 |
EBE/BAG 2004, 1 |
EBE/BAG 2004, 59 |
ARST 2004, 282 |
FA 2004, 185 |
NZA 2004, 395 |
SAE 2004, 193 |
ZTR 2004, 330 |
AP, 0 |
AuA 2004, 44 |
EzA-SD 2004, 15 |
EzA |
AUR 2004, 196 |
AUR 2004, 309 |
ArbRB 2004, 138 |
NJW-Spezial 2004, 38 |
BAGReport 2004, 154 |
SPA 2004, 6 |