Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsratsfähigkeit eines Betriebsteils. Nichtigkeit einer Betriebsratswahl. Betriebsverfassungsrecht
Orientierungssatz
- Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG gelten Betriebsteile als selbständige Betriebe, wenn sie die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG erfüllen und durch Aufgabenbereich und Organisation eigenständig sind. Dazu genügt eine relative Eigenständigkeit. Voraussetzung dafür ist, dass in dem Betriebsteil eine eigenständige Leitung institutionalisiert ist, die die wesentlichen Arbeitgeberfunktionen in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten ausübt.
- Betreibt ein Unternehmen mehrere Sinfonieorchester und mehrere Chöre, kann ein einzelnes Sinfonieorchester ein betriebsratsfähiger Betriebsteil sein, wenn es einen eigenständigen künstlerischen Aufgabenbereich hat und die wesentlichen mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten auf Seiten des Arbeitgebers von dem nur für das Sinfonieorchester zuständigen Orchestervorstand und Orchesterdirektor wahrgenommen werden.
- Wurde für den gesamten Betrieb einschließlich des Betriebsteils ein gemeinsamer Betriebsrat gewählt, steht dies der Wahl eines eigenen Betriebsrats durch die Belegschaft des Betriebsteils für die künftige regelmäßige Amtszeit nicht entgegen. Findet eine derartige Wahl statt, ist sie nicht deshalb nichtig, weil danach ein Betriebsrat für alle in dem Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer gewählt wird.
Normenkette
BetrVG § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 1 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerden der Rundfunk-Orchester und Chöre GmbH und des Betriebsrats der Rundfunk-Orchester und Chöre GmbH gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 30. Oktober 2003 – 16 TaBV 677/03 und 699/03 – werden zurückgewiesen.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats des Deutschen Symphonieorchesters wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 30. Oktober 2003 – 16 TaBV 677/03 und 699/03 – teilweise unter Zurückweisung der Rechtsbeschwerde im Übrigen aufgehoben:
Die Beschwerden der Rundfunk-Orchester und Chöre GmbH und des Betriebsrats der Rundfunk-Orchester und Chöre GmbH gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 22. Januar 2003 – 16 BV 17745/02 – werden zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten über die Zuordnung eines Betriebsteils zum Hauptbetrieb sowie über die Nichtigkeit zweier Betriebsratswahlen vom 8. März 2002 und vom 15. März 2002.
Die antragstellende Arbeitgeberin betreibt seit 1994 die bis dahin eigenständigen Klangkörper Deutsches Symphonieorchester (DSO) mit ca. 108 Mitarbeitern, Rundfunksymphonieorchester (RSO) mit ca. 90 Mitarbeitern, Rundfunkchor mit ca. 60 Mitarbeitern und RiAS-Kammerchor mit ca. 30 Mitarbeitern.
Die Arbeitgeberin hat ihren Sitz in der Charlottenstraße in Berlin. Dort arbeiten 19 Angestellte in der Verwaltung sowie im Kartenbüro/Besucherservice; außerdem sind dort der leitende Dramaturg, der kaufmännische Leiter und Mitarbeiter in den dazugehörigen Sekretariaten tätig. Sie nehmen Aufgaben für alle vier Ensembles wahr. Die Weisungsbefugnis für diese Mitarbeiter liegt bei der Geschäftsführerin der Arbeitgeberin. Jeder der vier Klangkörper verfügt über eine eigene Verwaltung, eine Leitung und eine vorrangig genutzte Probenspielstätte. Jedes Ensemble besitzt eine eigenständige künstlerische und konzeptionelle Ausrichtung und führt eigene Veranstaltungen und Tourneen durch. Soweit Ensembles gemeinsam auftreten, findet eine Vermischung der Klangkörper nicht statt. Mitglieder des DSO sind auf Grund ihres Arbeitsvertrags nicht verpflichtet, im RSO mitzuwirken und umgekehrt.
Künstlerischer Leiter des DSO ist der Chefdirigent (GMD) N…. Das personelle und administrative Weisungsrecht übt der Orchesterdirektor Dr. S… sowohl gegenüber künstlerischen als auch gegenüber administrativen und technischen Mitarbeitern des DSO aus. Er erstellt die Dienst- und Urlaubspläne und legt die Arbeits- und Ruhezeiten fest. Kündigungen erfolgen nach einer Vorlage des Orchesterdirektors durch die Geschäftsführerin der Arbeitgeberin. Nach § 2 Abs. 2 der Geschäftsordnung der Arbeitgeberin obliegt die Entscheidung über Einstellungen und Entlassungen von Musikern dem Orchester. Dieses entscheidet nach Maßgabe einer Probespielordnung. Die Geschäftführung unterzeichnet nach § 2 Abs. 4 der Geschäftsordnung die vom künstlerischen Leiter bzw. dem Orchesterdirektor im Rahmen seiner Zuständigkeit nach § 2 Abs. 2 der Geschäftsordnung vorbereiteten Verträge, sofern die finanziellen, rechtlichen und sonstigen Rahmenvorgaben beachtet wurden. Nach § 13 der Probespielordnung darf die Geschäftsführung gegen ein nach Maßgabe der Probespielordnung zustande gekommenes Votum des Orchesters grundsätzlich kein unbefristetes Arbeitsverhältnis eingehen, sofern sich das Orchester aus künstlerischen Gründen gegen den Bewerber ausgesprochen hat.
Bis 1998 bestanden in einzelnen der vier Klangkörper eigenständige Betriebsräte. Im Jahr 1998 wurde erstmals ein gemeinsamer Betriebsrat für die Belegschaften aller vier Klangkörper gewählt.
Am 21. November 2001 lud der Orchestervorstand des DSO zu einer außerordentlichen Orchesterversammlung des DSO am 4. Dezember 2001 ein. In der Einladung war als einer von mehreren Tagesordnungspunkten vorgesehen: “Bericht der Betriebsräte des DSO zu den aktuellen Problemen”. In der Orchesterversammlung wurde beschlossen, bei der bevorstehenden Betriebsratswahl im Frühjahr 2002 einen eigenen Betriebsrat zu wählen. Gleichzeitig wurde ein aus drei Mitgliedern bestehender Wahlvorstand bestellt. Dieser erstellte eine Wählerliste mit insgesamt 104 Arbeitnehmern. Bei der Betriebsratswahl am 8. März 2002 wurde der zu 2) beteiligte, aus sieben Mitgliedern bestehende Betriebsrat DSO gewählt.
Am 15. März 2002 fand eine weitere Betriebsratswahl statt. Dabei wurde der zu 3) beteiligte gemeinsame Betriebsrat ROC für alle Beschäftigten der Arbeitgeberin – einschließlich derjenigen des DSO – gewählt. Beide Wahlen wurden nicht angefochten.
Mit der am 27. Juni 2002 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antragsschrift hat die Arbeitgeberin die Feststellungen begehrt, dass das DSO keine betriebsratsfähige Organisationseinheit darstellt, sondern dem Hauptbetrieb zuzuordnen ist und sich die Zuständigkeit des Betriebsrats ROC auch auf den Betriebsteil DSO erstreckt. Sie hat, wie der Betriebsrat ROC, die Auffassung vertreten, das DSO sei weder nach Aufgabenbereich noch nach Organisation eigenständig. Außerdem sei die bei dem DSO durchgeführte Betriebsratswahl nichtig, weil sie während der Amtszeit des für den gesamten Betrieb der Arbeitgeberin gewählten Betriebsrats erfolgt sei.
Die Arbeitgeberin und der Betriebsrat ROC haben beantragt,
- festzustellen, dass das DSO keine betriebsratsfähige Organisationseinheit darstellt und dem Hauptbetrieb der ROC GmbH zuzuordnen ist,
- festzustellen, dass sich die Zuständigkeit des Betriebsrats ROC auch auf den Betriebsteil DSO erstreckt.
Der Betriebsrat DSO hat beantragt,
die Anträge zurückzuweisen,
hilfsweise
festzustellen, dass der am 8. März 2002 gewählte Betriebsrat DSO bis zum Ablauf der Amtszeit als Betriebsrat anzuerkennen und in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen zu beteiligen ist.
Die Arbeitgeberin und der Betriebsrat ROC haben die Zurückweisung des Hilfsantrags beantragt.
Das Arbeitsgericht hat die Anträge der Arbeitgeberin und des Betriebsrats ROC zurückgewiesen. Auf deren Beschwerden hat das Landesarbeitsgericht den Beschluss des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und festgestellt, dass der am 15. März 2002 gewählte Betriebsrat ROC für die Dauer der gegenwärtigen Amtszeit auch für die Arbeitnehmer des DSO zuständig ist. Außerdem hat das Landesarbeitsgericht die am 8. März 2002 durchgeführte Wahl des Betriebsrats DSO für nichtig erklärt, nachdem die Arbeitgeberin und der Betriebsrat ROC das Verfahren in zweiter Instanz um einen entsprechenden Antrag erweitert hatten. Im Übrigen hat das Landesarbeitsgericht die Beschwerden der Arbeitgeberin und des Betriebsrats ROC zurückgewiesen.
Den Hilfsantrag des Betriebsrats DSO hat das Landesarbeitsgericht als unzulässig abgewiesen, ebenso dessen im Anhörungstermin zweiter Instanz zu Protokoll erklärten Antrag festzustellen, dass die Wahl des Betriebsrats ROC vom 15. März 2002 nichtig und die Bildung des Betriebsrats ROC von Anfang an unwirksam ist. Mit den Rechtsbeschwerden verfolgen die Beteiligten ihre zuletzt gestellten Anträge im Umfang des jeweiligen Unterliegens weiter.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerden der Arbeitgeberin und des Betriebsrats ROC haben keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat deren Beschwerden gegen die Zurückweisung des Antrags zu 1) durch das Arbeitsgericht zu Recht zurückgewiesen, da das DSO eine betriebsratsfähige Organisationseinheit ist. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats DSO ist zum Teil begründet. Das Landesarbeitsgericht hat den Anträgen der Arbeitgeberin und des Betriebsrats ROC, die Nichtigkeit der Wahl des Betriebsrats DSO vom 8. März 2002 und die Zuständigkeit des Betriebsrats ROC für die Belegschaft des DSO für die Dauer der gegenwärtigen Amtszeit festzustellen, zu Unrecht stattgegeben. Insoweit waren die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Beschwerden der Arbeitgeberin und des Betriebsrats ROC gegen die erstinstanzliche Entscheidung zurückzuweisen. Im Übrigen ist die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats DSO nicht begründet. Die vom Betriebsrat DSO im Anhörungstermin vor dem Landesarbeitsgericht erhobene Anschlussbeschwerde, mit der er die Nichtigkeit der Wahl des Betriebsrats ROC vom 15. März 2002 geltend gemacht hat, ist unzulässig. Der Hilfsantrag des Betriebsrats DSO ist dem Senat nicht zur Entscheidung angefallen.
Die Rechtsbeschwerden der Arbeitgeberin und des Betriebsrats ROC sind nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat den Antrag festzustellen, dass das DSO keine betriebsratsfähige Organisationseinheit bildet, zu Recht zurückgewiesen. Das DSO ist ein Betriebsteil iSv. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG und gilt als selbstständiger Betrieb, weil es die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 BetrVG erfüllt und durch Aufgabenbereich und Organisation eigenständig ist. Dies hat das Landesarbeitsgericht ohne Rechtsfehler angenommen.
1. Der Begriff des als selbstständig geltenden Betriebsteils iSv. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Bei der Beurteilung, ob es sich bei einer Organisationseinheit um einen Betrieb iSd. § 1 BetrVG oder um einen selbstständigen oder unselbstständigen Betriebsteil handelt, steht dem Gericht der Tatsacheninstanz ein Beurteilungsspielraum zu. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist in der Rechtsbeschwerde nur daraufhin überprüfbar, ob es den Rechtsbegriff selbst verkannt, gegen Denkgesetze, anerkannte Auslegungs- und Erfahrungssätze verstoßen oder wesentliche Umstände außer Acht gelassen hat (BAG 29. Januar 1992 – 7 ABR 27/91 – BAGE 69, 286 = AP BetrVG 1972 § 7 Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 7 Nr. 1, zu B IV 2c und B II 1c der Gründe; 19. Februar 2002 – 1 ABR 26/01 – AP BetrVG 1972 § 4 Nr. 13 = EzA BetrVG 1972 § 4 Nr. 8, zu B II 2 der Gründe; 14. Januar 2004 – 7 ABR 26/03 –, zu B II 1 a, 2b der Gründe).
2. Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts stand.
a) Das Landesarbeitsgericht ist von der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu den Begriffen des Betriebs und des selbstständigen Betriebsteils ausgegangen. Danach ist ein Betrieb im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes eine organisatorische Einheit, innerhalb derer der Arbeitgeber zusammen mit den von ihm beschäftigten Arbeitnehmern bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt. Dazu müssen die in der Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt und die menschliche Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert werden (29. Mai 1991 – 7 ABR 54/90 – BAGE 68, 67 = AP BetrVG 1972 § 4 Nr. 5 = EzA BetrVG 1972 § 4 Nr. 6, zu B II 1 der Gründe; 19. Februar 2002 – 1 ABR 26/01 – AP BetrVG 1972 § 4 Nr. 13 = EzA BetrVG 1972 § 4 Nr. 8, zu B II 1a der Gründe). Ein Betriebsteil ist zwar auf den Zweck des Hauptbetriebs ausgerichtet und in dessen Organisation eingegliedert, ihm gegenüber aber organisatorisch abgrenzbar und relativ verselbstständigt (BAG 19. Februar 2002 – 1 ABR 26/01 – aaO mwN). Für die Abgrenzung von Betrieb und Betriebsteil ist der Grad der Verselbstständigung entscheidend, der im Umfang der Leitungsmacht zum Ausdruck kommt. Erstreckt sich die in der organisatorischen Einheit ausgeübte Leitungsmacht auf alle wesentlichen Funktionen des Arbeitgebers in personellen und sozialen Angelegenheiten, handelt es sich um einen eigenständigen Betrieb iSv. § 1 BetrVG. Für das Vorliegen eines Betriebsteils iSv. § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG genügt ein Mindestmaß an organisatorischer Selbstständigkeit gegenüber dem Hauptbetrieb. Dazu reicht es aus, dass in der organisatorischen Einheit überhaupt eine den Einsatz der Arbeitnehmer bestimmende Leitung institutionalisiert ist, die Weisungsrechte des Arbeitgebers ausübt (BAG 29. Mai 1991 – 7 ABR 54/90 – aaO, zu B II 2 der Gründe; 20. Juni 1995 – 7 ABR 59/94 – AP BetrVG 1972 § 4 Nr. 8 = EzA BetrVG 1972 § 4 Nr. 7, zu B I 2 der Gründe; 19. Februar 2002 – 1 ABR 26/01 – aaO, zu B II 1a der Gründe). Zu einer eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Einheit iSv. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG wird ein derartiger Betriebsteil aber nur unter der zusätzlichen Voraussetzung, dass er durch Aufgabenbereich und Organisation eigenständig ist (BAG 19. Februar 2002 – 1 ABR 26/01 – aaO). Dazu genügt eine relative Eigenständigkeit (BAG 29. Januar 1992 – 7 ABR 27/91 – BAGE 69, 286 = AP BetrVG 1972 § 7 Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 7 Nr. 1, zu B IV 2c der Gründe). Die in dem Betriebsteil vorhandenen Vertreter des Arbeitgebers müssen in der Lage sein, die Arbeitgeberfunktion in den wesentlichen Bereichen der betrieblichen Mitbestimmung wahrzunehmen (BAG 14. Januar 2004 – 7 ABR 26/03 –, zu B II 3b der Gründe).
b) In Anwendung dieser Grundsätze ist das Landesarbeitsgericht ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, dass das DSO eine organisatorische Einheit darstellt, die durch Aufgabenbereich und Organisation eigenständig ist.
Das DSO ist als eigenständiger Klangkörper von dem übrigen Betrieb der Arbeitgeberin abgrenzbar und verfügt in Gestalt des Orchesterdirektors über eine den Einsatz der Arbeitnehmer bestimmende Leitung. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht auch die Eigenständigkeit des DSO durch Aufgabengebiet und Organisation iSv. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG bejaht.
aa) Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend von der Eigenständigkeit des Aufgabenbereichs ausgegangen, weil das Orchester über ein eigenes künstlerisches Profil verfügt, nach außen unter eigenem Namen mit einem selbst ausgewählten Programm in Erscheinung tritt, ohne nennenswerte Mitwirkung der Arbeitgeberin Solisten und Gastdirigenten anwirbt und selbständig Konzertreisen organisiert. Auch aus dem Umstand, dass die Musiker des DSO nur verpflichtet sind, in dem DSO und nicht in dem anderen von der Arbeitgeberin betriebenen Orchester zu spielen, ist zu schließen, dass das DSO innerhalb eines eigenen Aufgabenbereichs tätig ist. Dem steht nicht entgegen, dass die Tätigkeit des DSO, ebenso wie diejenige der übrigen von der Arbeitgeberin betriebenen Klangkörper, dem allgemeinen Zweck des Unternehmens dient, die Musikkultur durch Aufführung und Aufnahme von Musikwerken zu fördern. Das ändert nichts daran, dass sich das DSO als selbstständiger Klangkörper mit einer eigenen künstlerischen Ausrichtung und einem selbst ausgewählten Programm präsentiert. Das DSO verfügt daher innerhalb des Betätigungsfelds der Arbeitgeberin über einen eigenständigen, von den übrigen Klangkörpern abgrenzbaren künstlerischen Aufgabenbereich.
bb) Das Landesarbeitsgericht hat auch zu Recht angenommen, dass das DSO durch seine Organisation eigenständig ist. Denn die wesentlichen der betrieblichen Mitbestimmung unterliegenden Arbeitgeberfunktionen werden innerhalb des DSO, insbesondere durch den Orchesterdirektor, ausgeübt. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts trifft dieser im Anschluss an das nach der Probespielordnung vorgeschriebene Verfahren im Benehmen mit dem Chefdirigenten die Entscheidung über die Einstellung von Musikern. Dies entspricht § 2 Abs. 2 der Geschäftsordnung der Arbeitgeberin. Der Abschluss des Arbeitsvertrags durch die Geschäftsführung ist nur der juristische Vollzug der auf Orchesterebene getroffenen Entscheidung. Abmahnungen und Kündigungen werden von der Arbeitgeberin nur auf Wunsch des Orchesterdirektors ausgesprochen. Dienst- und Urlaubspläne werden ausschließlich von dem Orchesterdirektor erstellt. Aus diesen Umständen hat das Landesarbeitsgericht zu Recht geschlossen, dass der wesentliche Kern der betriebsverfassungsrechtlich relevanten Arbeitgeberfunktionen vom Orchesterdirektor des DSO wahrgenommen wird und zumindest die für einen selbstständigen Betriebsteil iSv. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG erforderliche relative Eigenständigkeit vorliegt. Dem steht nicht entgegen, dass die Geschäftsführung der Arbeitgeberin das Letztentscheidungsrecht in personellen und sozialen Angelegenheiten hat und der Abschluss von Verträgen in ihrem Zuständigkeitsbereich liegt. Wie sich aus § 2 Abs. 4 der Geschäftsordnung der Arbeitgeberin ergibt, dient dies der Einhaltung der finanziellen, rechtlichen und sonstigen Rahmenvorgaben. Die Geschäftsführung nimmt daher lediglich eine Kontrolle der zuvor auf Orchesterebene getroffenen Entscheidungen vor.
Aus der Probespielordnung lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen. Nach § 7 Abs. 3 der Probespielordnung trifft zwar die Geschäftsführung der Arbeitgeberin die endgültige Entscheidung über die Einladung zum Probespiel. Inwieweit die Geschäftsführung dabei tatsächlich Einfluss auf die Auswahl der einzuladenden Bewerber nimmt, ist weder vom Landesarbeitsgericht festgestellt noch von den Beteiligten vorgetragen worden. Dies kann jedoch dahinstehen. Denn die inhaltliche Entscheidung darüber, ob ein bestimmter Musiker eingestellt wird, wird auf der Ebene des Orchesters getroffen. Das ergibt sich aus § 2 Abs. 2 der Geschäftsordnung der Arbeitgeberin, wonach über Einstellungen und Entlassungen das Orchester entscheidet, sowie aus § 13 der Probespielordnung, der bestimmt, dass die Geschäftsführung gegen ein nach Maßgabe der Probespielordnung zustande gekommenes Votum des Orchesters grundsätzlich kein unbefristetes Arbeitsverhältnis eingehen darf, wenn sich das Orchester aus künstlerischen Gründen gegen einen Bewerber ausgesprochen hat.
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats DSO ist zum Teil begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht die Wahl des Betriebsrats DSO vom 8. März 2002 für nichtig erklärt und festgestellt, dass der Betriebsrat ROC für die Dauer der gegenwärtigen Amtszeit auch für die Belegschaft des DSO zuständig ist. Im Übrigen, dh. hinsichtlich des vom Landesarbeitsgericht als unzulässig abgewiesenen Antrags, die Nichtigkeit der Wahl des Betriebsrats ROC festzustellen, ist die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats DSO unbegründet. Der Hilfsantrag des Betriebsrats DSO ist dem Senat nicht zur Entscheidung angefallen.
1. Die Wahl des Betriebsrats DSO vom 8. März 2002 ist nicht nichtig.
a) Die Arbeitgeberin und der Betriebsrat ROC haben zwar entgegen der Auffassung des Betriebsrats DSO das Recht, die Nichtigkeit der Betriebsratswahl geltend zu machen, nicht verwirkt. Die Nichtigkeit einer Wahl kann von jedermann jederzeit geltend gemacht werden, sofern daran ein berechtigtes Interesse besteht. Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes greifen gegenüber Mängeln einer Betriebsratswahl, die so gravierend sind, dass sie deren Nichtigkeit zur Folge haben, nicht durch (BAG 27. April 1976 – 1 AZR 482/75 – AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 4 = EzA BetrVG 1972 § 19 Nr. 8, zu 5 der Gründe).
b) Die Wahl des Betriebsrats DSO ist jedoch nicht nichtig.
aa) Die Nichtigkeit einer Betriebsratswahl ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, bei dessen Anwendung dem Beschwerdegericht ein Beurteilungsspielraum zusteht. Die Würdigung durch das Landesarbeitsgericht unterliegt nur einer eingeschränkten rechtsbeschwerderechtlichen Prüfung daraufhin, ob der Rechtsbegriff selbst verkannt worden ist, bei der Subsumtion des festgestellten Sachverhalts unter den Rechtsbegriff Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt oder wesentliche Gesichtspunkte übersehen worden sind.
bb) Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht stand.
Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Wahl sei nichtig, weil sie durchgeführt worden sei, obwohl im Betrieb der Arbeitgeberin bereits ein Betriebsrat bestanden habe. Der Betriebsrat DSO sei daher in die Zuständigkeit des für den gesamten Betrieb gewählten Betriebsrats “eingebrochen”. Bei dieser Würdigung hat das Landesarbeitsgericht den Rechtsbegriff der Nichtigkeit der Wahl verkannt.
(1) Eine Betriebsratswahl ist nur in ganz besonderen Ausnahmefällen nichtig. Voraussetzung dafür ist, dass gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl in so hohem Maße verstoßen worden ist, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr besteht. Es muss sowohl ein offensichtlicher als auch ein besonders grober Verstoß gegen Wahlvorschriften vorliegen (st. Rspr., vgl. zuletzt BAG 19. November 2003 – 7 ABR 24/03 – AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 54 = EzA BetrVG 2001 § 19 Nr. 2, zu B III 1 der Gründe). Das kann anzunehmen sein, wenn während der Amtszeit eines ordnungsgemäß gewählten Betriebsrats für denselben Betrieb oder Betriebsteil ohne begründeten Anlass ein weiterer Betriebsrat gewählt wird mit dem Ziel, den amtierenden Betriebsrat abzuwählen. Denn in einem Betrieb kann nur ein Betriebsrat bestehen (BAG 11. April 1978 – 6 ABR 22/77 – AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 8 = EzA BetrVG 1972 § 19 Nr. 17, zu II 2 der Gründe).
(2) Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Die Wahl des Betriebsrats DSO am 8. März 2002 fand nicht statt, um den im Jahr 1998 für den gesamten Betrieb gewählten Betriebsrat während dessen Amtszeit abzuwählen. Der Betriebsrat DSO wurde vielmehr für die im Jahr 2002 beginnende regelmäßige Amtszeit gewählt. Das ist rechtlich nicht zu beanstanden. Anders verhielt es sich, wenn im Zeitpunkt der Wahl des Betriebsrats DSO bereits für die neue regelmäßige Amtszeit ein gemeinsamer Betriebsrat für den gesamten Betrieb der Arbeitgeberin gewählt gewesen wäre. Das war aber nicht der Fall. Der Betriebsrat ROC wurde erst am 15. März 2002 und damit eine Woche nach dem Betriebsrat DSO gewählt.
(3) Es mag dahinstehen, ob bei der Wahl des Betriebsrats DSO gegen wesentliche Vorschriften des Wahlverfahrens verstoßen wurde, weil der Wahlvorstand möglicherweise zu Unrecht durch die Orchesterversammlung statt durch den amtierenden Betriebsrat bestellt wurde, die Einladung zur Orchesterversammlung uU unzureichend war und kein ordnungsgemäßes Wahlausschreiben erlassen und ausgehängt wurde. Derartige Mängel im Wahlverfahren berechtigen zwar zur Anfechtung der darauf beruhenden Wahl. Sie sind aber nicht so offensichtlich und schwerwiegend, dass sie zur Nichtigkeit der Wahl führen.
2. Da die Wahl des Betriebsrats DSO vom 8. März 2002 nicht nichtig ist und sie nicht nach § 19 BetrVG angefochten wurde, ist der Betriebsrat DSO mit allen betriebsverfassungsrechtlichen Rechten und Pflichten im Amt. Die Belegschaft des DSO wird daher in den Angelegenheiten des Betriebsverfassungsgesetzes von ihm und nicht von dem am 15. März 2002 gewählten Betriebsrat ROC repräsentiert. Der Antrag der Arbeitgeberin und des Betriebsrats ROC festzustellen, dass sich die Zuständigkeit des Betriebsrats ROC auch auf den Betriebsteil DSO erstreckt, ist daher unbegründet.
3. Das Landesarbeitsgericht hat den im zweitinstanzlichen Anhörungstermin zu Protokoll erklärten Antrag des Betriebsrats DSO, die Nichtigkeit der Wahl des Betriebsrats ROC festzustellen, zu Recht als unzulässig abgewiesen. Diesen Antrag konnte der Betriebsrat DSO in zweiter Instanz nur im Wege einer Anschlussbeschwerde nach § 87 Abs. 2, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, § 524 Abs. 1 ZPO zum Gegenstand des Verfahrens machen, da er durch den erstinstanzlichen Beschluss nicht beschwert war. Die Anschlussbeschwerde war jedoch unzulässig.
Nach § 87 Abs. 2, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, § 524 Abs. 1 Satz 2 ZPO erfolgt die Anschließung durch Einreichung der Beschwerdeanschlussschrift beim Beschwerdegericht. Die Anschließung ist nach § 87 Abs. 2, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO nur bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung der Beschwerdebegründungsschrift zulässig. Diesen Anforderungen genügt der im Anhörungstermin vor dem Landesarbeitsgericht zu Protokoll erklärte Antrag nicht, weil es an einer Beschwerdeanschlussschrift fehlt und zudem die mit Zustellung der Beschwerdebegründung am 16. Juni 2003 begonnene Monatsfrist im Zeitpunkt des Anhörungstermins am 11. September 2003 verstrichen war.
4. Der Hilfsantrag des Betriebsrats DSO ist dem Senat nicht zur Entscheidung angefallen, da die Anträge zu 1) und 2) der Arbeitgeberin und des Betriebsrats ROC zurückgewiesen wurden.
Unterschriften
Dörner, Gräfl, Krasshöfer, Peter Haeusgen, Jens Herbst
Fundstellen
Haufe-Index 1290282 |
ARST 2004, 284 |
FA 2004, 312 |
FA 2005, 120 |
ZTR 2005, 224 |
AP, 0 |
AuA 2004, 45 |
EzA-SD 2004, 3 |
EzA-SD 2005, 13 |
EzA |
NZA-RR 2005, 671 |
AUR 2004, 308 |
AUR 2005, 118 |
ArbRB 2005, 79 |
BAGReport 2005, 158 |
NJOZ 2005, 4853 |
SPA 2004, 7 |