Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung wegen beabsichtigter Betriebsstillegung im Konkurs. Ernsthaftigkeit und Endgültigkeit des Stillegungsbeschlusses des Konkursverwalters
Leitsatz (redaktionell)
Parallelverfahren zu 2 AZR 298/95
Normenkette
KSchG §§ 1, 17-18
Verfahrensgang
LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 01.12.1994; Aktenzeichen 7 Sa 575/94) |
ArbG Trier (Urteil vom 30.03.1994; Aktenzeichen 3 Ca 142/94) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 1. Dezember 1994 – 7 Sa 575/94 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger war seit 10. Oktober 1973 in der Betriebsstätte W. der Firma M. … GmbH & Co. KG beschäftigt. Diese KG betrieb mehrere Baumärkte. 1993 geriet sie in Vermögensverfall. Zur Zeit des Insolvenzantrags am 13. Oktober 1993 bestanden weitere Betriebsstätten in B., Be., D. und Ko. Die Gesamtverwaltung befand sich in W. Am 1. Dezember 1993 wurde über das Vermögen der Gemeinschuldnerin das Konkursverfahren eröffnet und der Beklagte zum Konkursverwalter bestellt.
Das Betriebsgrundstück in W. stand im Eigentum der Firma J. L. KG. Auch über deren Vermögen wurde das Konkursverfahren eröffnet, zum Konkursverwalter wurde ebenfalls der Beklagte bestellt. Für Verbindlichkeiten der Gemeinschuldnerinnen bei der D.-Kreditbank in K. waren die Betriebsgrundstücke mit Grundschulden belastet.
Nach fehlgeschlagenen Versuchen einer Betriebs (teil) Veräußerung – auf ein der D.-Kreditbank am 29. Dezember 1993 übermitteltes, bis 30. Dezember 1993 12.00 Uhr fristgebundenes Ablösungsangebot eines Interessenten über 6,3 Mill. DM hatte die Bank nicht mehr geantwortet – kündigte der Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis durch Schreiben vom 30. Dezember 1993, dem Kläger zugegangen am 3. Januar 1994, zum 31. Mai 1994, handschriftlich abgeändert in 31. August 1994.
Mit Vertrag vom 13. Januar 1994 trat die Gläubigerbank ihre Forderungen gegenüber den Gemeinschuldnerinnen für 6,5 Mill. DM an die Herren A. und W. M. ab und verpflichtete sich zur Abtretung der Grundpfandrechte. Die Herren M. veräußerten später die Forderungen und insbesondere die erworbenen Grundpfandrechte an dem Grundstück in W. an eine Gesellschaft, die zur Beteiligungsgruppe der H.-Baumärkte gehört. Handelnd als Konkursverwalter über das Vermögen der J. L.
KG verkaufte daraufhin der Beklagte das Betriebsgrundstück an die Grundpfandgläubigerin. Nach Umbauten eröffnete die H.-Gruppe im Oktober 1994 auf dem Betriebsgrundstück in W. einen H. Baumarkt.
Der Kläger hat sich mit seiner am 20. Januar 1994 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage gegen die Kündigung vom 30. Dezember 1993 gewandt und geltend gemacht, der Beklagte sei im Kündigungszeitpunkt nicht endgültig zu einer Betriebsstillegung entschlossen gewesen. Dies ergebe sich bereits aus dem Bericht des Beklagten an das Konkursgericht vom 14. Januar 1994. Der Beklagte habe sich durchgehend um eine Veräußerung des Betriebs bemüht und seine Verhandlungen mit der H.-Gruppe hätten letztlich zum Erfolg geführt. Auch der Warenverkauf sei bis in den Sommer 1994 fortgesetzt, es seien zudem noch Waren neu erworben worden. Aufgrund der alsbaldigen Wiedereröffnung des Betriebes spreche eine tatsächliche Vermutung gegen eine ernsthafte Stillegungsabsicht.
Der Kläger hat zuletzt beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 30. Dezember 1993 nicht aufgelöst worden ist.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Er hat vorgetragen, seine Bemühungen, den Baumarkt als Ganzes zu veräußern, seien Ende Dezember endgültig gescheitert. Der Gläubigerausschuß habe Mitte Dezember 1993 den Beschluß gefaßt, den Betrieb in W. zum 31. Dezember 1993 stillzulegen, was allerdings für ihn, den Beklagten, nur eine Entscheidungshilfe gewesen sei. Interessenten seien ohne den Erwerb des Betriebsgrundstücks nicht bereit gewesen, den Betrieb zu übernehmen. Die Grundstücksveräußerung sei aber nicht möglich gewesen, weil die Gläubigerbank nicht bereit gewesen sei, zu akzeptablen Bedingungen Haftentlassung zu erteilen. Die Herren M. seien an einer Betriebsübernahme nicht interessiert gewesen, sondern hätten damals mit dem Grundstück andere Pläne gehabt. Erst als diese Pläne sich nicht hätten realisieren lassen, seien die Grundpfandrechte an die H.-Gruppe weiter veräußert worden. Zur Abwendung der Zwangsversteigerung habe er dann das Grundstück an diese Gruppe verkauft. Die im Kündigungszeitpunkt ernsthaft beschlossene Betriebsstillegung sei auch durchgeführt worden. 1994 seien nur noch die vorhandenen Waren, am Ende mit ganz erheblichen Preisabschlägen, abverkauft, nicht dagegen neue Waren hinzugekauft worden. Die Neueröffnung eines Baumarktes durch die H.-Gruppe stelle im übrigen auch schon deshalb keine Betriebsübernahme im Sinne von § 613 a BGB dar, weil nun nur noch Einzelhandel betrieben werde, während die Gemeinschuldnerin in W. die Baustoffe ganz überwiegend im Großhandel abgesetzt habe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Mit seiner Revision verfolgt der Kläger den genannten Feststellungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die streitige Kündigung ist durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bedingt und auch nicht gemäß § 1 Abs. 3 KSchG sozial ungerechtfertigt.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die streitige Kündigung sei wegen Betriebsstillegung gemäß § 1 KSchG sozial gerechtfertigt. Der Beklagte habe im Kündigungszeitpunkt die ernsthafte und endgültige Absicht gehabt, den Betrieb in W. stillzulegen und diesen Willen durch sein tatsächliches Verhalten nach außen dokumentiert, indem er die Weisung zum Abverkauf der vorhandenen Waren gegeben und neue Zukäufe untersagt habe. Der Ernsthaftigkeit des Stillegungsentschlusses des Beklagten stehe nicht entgegen, daß er sich vorbehalten habe, auf seine ursprüngliche Absicht einer Betriebsveräußerung zurückzukommen, falls sich wider Erwarten in der Folgezeit doch noch eine Möglichkeit hierzu ergeben würde.
II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hält den Angriffen der Revision stand. Sie steht im Einklang mit der auch von der Revision zutreffend wiedergegebenen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu Kündigungen wegen beabsichtigter Betriebsstillegung (vgl. insbesondere BAG Urteil vom 23. März 1984 – 7 AZR 409/82 – AP Nr. 38 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; BAGE 47, 13 = AP Nr. 39 zu § 613 a BGB; Urteil vom 22. Mai 1986 – 2 AZR 612/85 – AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Konzern; BAGE 54, 215 = AP Nr. 41 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; Urteil vom 28. April 1988 – 2 AZR 623/87 – AP Nr. 74 zu § 613 a BGB; BAGE 59, 12 = AP Nr. 75 zu § 613 a BGB; Urteil vom 19. Juni 1991 – 2 AZR 127/91 – AP Nr. 53 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung). Das Landesarbeitsgericht hat danach ohne Verstoß gegen § 286 ZPO auf der Grundlage einer umfangreichen Beweisaufnahme für den Senat gemäß § 561 Abs. 2 ZPO bindend festgestellt, im Kündigungszeitpunkt habe der Beklagte seine Bemühungen, den Betrieb bzw. den Betriebsteil in W. noch als Einheit zu veräußern, als gescheitert ansehen dürfen und angesehen, er sei deshalb zur Stillegung ernsthaft und endgültig entschlossen gewesen und dieser Entschluß habe mit der Anweisung zum Abverkauf der vorhandenen Waren und dem grundsätzlichen Verbot des Zukaufs neuer Waren bereits greifbare Formen angenommen gehabt, so daß der Beklagte davon habe ausgehen dürfen, bis zum Auslaufen der Kündigungsfrist werde der Kläger entbehrt werden können. Soweit die Revision weiterhin vom Gegenteil ausgehen will, nimmt sie lediglich eine abweichende Beweiswürdigung vor, ohne daß sie jedoch revisionsrechtlich beachtliche Fehler in der Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts rügen würde. Das Landesarbeitsgericht hat sich mit dem Tatsachenvortrag der Parteien und den Beweisergebnissen eingehend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt, die Gründe, die es bei der Beweiswürdigung geleitet haben, hat es im Urteil nachvollziehbar dargelegt. Was ihm unerheblich erschien, brauchte das Landesarbeitsgericht nicht ausdrücklich zu erörtern (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 53. Aufl., § 286 Rz 21, m.w.N.). Seine Würdigung ist von daher vollständig und rechtlich möglich. Die Revision hat demgegenüber nicht aufgezeigt, daß das Landesarbeitsgericht einen bestimmten Tatsachenvortrag übergangen oder gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hätte.
Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht insbesondere angenommen, gerade der Bericht an das Konkursgericht vom 14. Januar 1994 bestätige die ernsthafte und endgültige Stillegungsabsicht des Beklagten. Wenn der Beklagte dort mutmaßt, eventuelle Interessenten würden möglicherweise darauf warten, daß der Betrieb geschlossen und zerschlagen werde, um dann aus einer Zwangsversteigerung lediglich das Betriebsgrundstück zu erwerben, so kommt gerade zum Ausdruck, die Veräußerung eines noch funktionsfähigen, also nicht „zerschlagenen” Betriebes werde für W. nicht möglich sein. Der Erwerb des Betriebsgrundstücks aus der Zwangsversteigerung stellt gerade kein Rechtsgeschäft dar, wie es für einen Betriebsübergang gemäß § 613 a BGB vorausgesetzt wird (vgl. KR-Pfeifer, 4. Aufl., § 613 a BGB Rz 53, m.w.N.).
Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht auch angenommen, der bloße Vorbehalt des Beklagten, falls sich wider Erwarten in der Folgezeit doch noch eine Möglichkeit zur Betriebsveräußerung ergeben sollte, werde er diese Chance wahrnehmen, stehe seiner ernsthaften und endgültigen Stillegungsabsicht im Kündigungszeitpunkt nicht entgegen (vgl. BAG Urteil vom 28. April 1988 – 2 AZR 623/87 – AP Nr. 74 zu § 613 a BGB und BAGE 59, 12 = AP Nr. 75 zu § 613 a BGB). Jede Prognose birgt die Gefahr in sich, daß sie sich aufgrund einer neuen tatsächlichen Entwicklung als unzutreffend herausstellt. Entscheidend ist, daß das Landesarbeitsgericht für den Senat gemäß § 561 Abs. 2 ZPO bindend tatsächliche Umstände festgestellt hat, welche die Prognose bezogen auf den Kündigungszeitpunkt als berechtigt erscheinen lassen. Nur auf diesen Zeitpunkt ist abzustellen (vgl. BAG a.a.O.). Äußerungen des Beklagten nach der Kündigung, möglicherweise werde die Kündigung zurückgenommen, falls sich eine Betriebsveräußerung nachträglich realisieren ließe, ändern daher an seiner festen Stillegungsabsicht im Kündigungszeitpunkt nichts. Ebensowenig ist von Bedeutung, daß sich der Vorgang der Betriebsstillegung länger hinzog, als der Beklagte zunächst angenommen hatte. Die streitige Kündigung war durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bedingt.
Auch die Annahme des Landesarbeitsgerichts, der Kläger habe nicht ausreichend dargelegt, weshalb der Beklagte im Hinblick auf die noch länger weiterbeschäftigten Arbeitnehmer bei der Auswahl des Klägers zur Kündigung soziale Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigt habe (§ 1 Abs. 3 KSchG), läßt keine Rechtsfehler erkennen. Die Revision hat im übrigen hierzu keine Rügen mehr erhoben.
Ebensowenig sind die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zu § 17 KSchG zu beanstanden. Soweit die Revision hierzu erst im Schriftsatz vom 13. September 1995 mit neuem Tatsachenvortrag den im ersten Rechtszug erhobenen, im Berufungsverfahren nicht aufrechterhaltenen Einwand wieder aufgreift, ist dies revisionsrechtlich unbeachtlich (§ 561 ZPO). Im übrigen ist nicht ersichtlich, daß für Entlassungen außerhalb der Freifristen des § 18 KSchG wiederum die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 KSchG vorlagen (§ 18 Abs. 4 KSchG; vgl. dazu KR-Weigand, 4. Aufl., § 18 KSchG Rz 49).
Unterschriften
Etzel, Bitter, Fischermeier, Rupprecht, Bartz
Fundstellen