Entscheidungsstichwort (Thema)

Direktionsrecht. Einschränkung des Aufgabenbereichs. Vertretungsbefugnis

 

Leitsatz (redaktionell)

Rückläufer, vgl. Senatsurteil vom 23. Juni 1993 – 5 AZR 337/92 – AP Nr. 42 zu § 611 BGB Direktionsrecht = EzA § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 13

 

Normenkette

BGB §§ 611, 315

 

Verfahrensgang

LAG München (Urteil vom 27.09.1994; Aktenzeichen 6 (9) Sa 843/90)

ArbG München (Urteil vom 23.11.1990; Aktenzeichen 21 b Ca 6014/90 F)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 27. September 1994 – 6 (9) Sa 843/90 – aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 10. Oktober 1990 – 21 b Ca 6014/90 F – abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, inwieweit die beklagte Stadt verpflichtet ist, den Kläger mit der Abwesenheitsvertretung ihres Abteilungsleiters I, Allgemeine Verwaltung, zu betrauen.

Der 1951 geborene Kläger ist seit September 1966 bei der Beklagten als Verwaltungsangestellter beschäftigt. Seit 1. Juli 1986 ist er in die Vergütungsgruppe IV a des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) eingruppiert.

Die Organisation der Stadtverwaltung der Beklagten richtet sich nach ihren Geschäftsverteilungsplänen vom 1. Juni 1986 und 1. Juni 1993. Im März 1989 schrieb die beklagte Stadt intern die Steile des Leiters des Standesamtes aus. Dessen Tätigkeit war darin wie folgt beschrieben:

„Der Aufgabenbereich umfaßt die Leitung des Standesamtes, die Sachgebietsleitung des Gewerbe-, Ordnungs- und Sozialwesens sowie die Vertretung des Abteilungsleiters I, Allgemeine Verwaltung.”

Der Kläger bewarb sich um diese Stelle. Die beklagte Stadt setzte ihn mit ihrem Schreiben vom 31. Mai 1989 entsprechend der Ausschreibung auf die Stelle des Sachgebietsleiters in das Standesamt um. Tatsächlich wurde der Kläger nicht in jeder Beziehung mit der Vertretung des Abteilungsleiters I, Allgemeine Verwaltung, betraut. Mit seiner am 18. Mai 1990 eingereichten Klage begehrt er, die beklagte Stadt zu verpflichten, ihn bei Verhinderung des Abteilungsleiters I dessen Vertretung zu übertragen. Das Arbeitsgericht entsprach dem Antrag des Klägers durch Urteil vom 10. Oktober 1990. Mit ihrem Schreiben vom 6. Dezember 1990 teilte die Beklagte dem Kläger mit:

„…

mit sofortiger Wirkung wird Ihnen die Vertretung des Abteilungsleiters I entzogen. Gründe für diese Maßnahme sind u.a. die wiederholt von Ihnen mitgeteilte Arbeitsüberlastung. …”

Sodann wies sie jedoch dem Kläger hinsichtlich der von ihm geleiteten Sachgebiete 11 (Gewerbe-, Ordnungs- und Sozialwesen) und 12 (Standesamt) die Abwesenheitsvertretung des Abteilungsleiters I wieder zu.

Der Kläger hat geltend gemacht, aufgrund seiner Bewerbung und deren Annahme durch die beklagte Stadt sei ihm die Befugnis zur Vertretung des Abteilungsleiters I, Allgemeine Verwaltung, vertraglich übertragen worden. Dabei sei nicht zwischen der Aufsicht über die Sachgebiete der Allgemeinen Verwaltung einerseits und den Aufgaben als geschäftsleitender Beamter andererseits unterschieden worden. Indessen habe sich die Vertretungsbefugnis nie darauf bezogen, den Bürgermeister oder den geschäftsleitenden Beamten zu vertreten. Die Beklagte habe zumindest das ihr eventuell zustehende Direktionsrecht mit dem Entzug der Vertretungsbefugnis überschritten. Er, der Kläger, sei durchaus in der Lage, die Vertretung des Abteilungsleiters I, Allgemeine Verwaltung, vollen Umfangs zu übernehmen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, ihm bei Verhinderung des Abteilungsleiters I dessen Vertretung zu übertragen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, und entgegnet: Die Befugnis zur Vertretung des Abteilungsleiters I, Allgemeine Verwaltung, sei dem Kläger nicht vertraglich übertragen worden. Mit der Umsetzung des Klägers in das Standesamt habe sie nur von ihrem Direktionsrecht Gebrauch gemacht. Die Vertretungsbefugnis des Klägers beziehe sich nur darauf, den Abteilungsleiter I in den beiden Sachgebieten zu vertreten, die der Kläger selbst leite. Anderes sei nie beabsichtigt gewesen, zumal der Abteilungsleiter I zugleich geschäftsleitender Beamter der beklagten Stadt sei. Der Entzug der vom Kläger beanspruchten Vertretungsbefugnis entspreche billigem Ermessen. Der Kläger habe sich wiederholt über die Arbeitsbelastung im Standesamt beschwert, und zwar auch noch, nachdem im Dezember 1989 das Personal im Standesamt durch eine weitere Mitarbeiterin verstärkt worden sei. Die Vertretung des Abteilungsleiters I, Allgemeine Verwaltung, erfordere – ohne die Vertretung in seinen Aufgaben als geschäftsleitender Beamter – im Jahresdurchschnitt 1,65 Tage monatlich. Neben seiner Arbeitsüberlastung habe der Kläger im Standesamt auch Probleme damit, das Amt zu leiten.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie mit seinem Urteil vom 7. Oktober 1991 abgewiesen. Auf die Revision des Klägers hat das Bundesarbeitsgericht dieses Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (Urteil vom 23. Juni 1993 – 5 AZR 337/92 – AP Nr. 42 zu § 611 BGB Direktionsrecht = EzA § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 13). Zur Begründung hat es ausgeführt, die beklagte Stadt habe dem Kläger die neuen Aufgaben einschließlich der Vertretungsbefugnis lediglich kraft ihres Direktionsrechts übertragen. Das Landesarbeitsgericht habe zu prüfen, inwieweit der Entzug der Vertretungsbefugnis den Grundsätzen der Billigkeit entspreche und dabei zu berücksichtigen, daß dem Kläger mit dem Entzug der Vertretungstätigkeit die Chance auf Bewährung in einer Aufstiegsstellung entzogen werde und deshalb die Ausübung des Direktionsrechts im Rahmen des § 315 Abs. 3 BGB einer besonderen Begründung bedürfe. Das Landesarbeitsgericht hat Beweis erhoben und der Klage sodann durch Urteil vom 27. September 1994 stattgegeben. Die Beklagte will mit ihrer Revision die Abweisung der Klage erreichen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die Beklagte ist gegenüber dem Kläger nicht verpflichtet, ihm die Abwesenheitsvertretung des Abteilungsleiters I, Allgemeine Verwaltung, über die Sachgebiete 11 und 12 hinaus einzuräumen, die der Kläger zu leiten hat.

1. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht erkannt, daß die in der Stellenausschreibung beschriebene Vertretungsbefugnis die Allgemeine Verwaltung laut Geschäftsverteilungsplan umfaßte, mithin nicht nur die vom Kläger geleiteten Sachgebiete 11 und 12, sondern auch die Sachgebiete 10, 13 und 14. Inwieweit allerdings im Sachgebiet 10 (Hauptamt) nach dem Geschäftsverteilungsplan vom 1. Juni 1986 nochmals Geschäftsleitertätigkeiten mit einem Anteil von 70 % von allgemeinen Verwaltungstätigkeiten mit einem Anteil von 30 % zu unterscheiden sind, wie die beklagte Stadt in der Revision hervorhebt, kann dahingestellt bleiben. Denn selbst wenn man zugunsten des Klägers unterstellt, eine derartige Aufteilung sei nicht vorgenommen worden, als ihm die Vertretungsbefugnis zugleich mit seiner Umsetzung durch das Schreiben der Beklagten vom 31. Mai 1989 übertragen worden ist, erweist sich die Klage als nicht begründet.

2. Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Beklagte habe die Befugnis des Klägers zur Vertretung des Abteilungsleiters I, Allgemeine Verwaltung, rechtswidrig auf die Sachgebiete 11 und 12 beschränkt, denen er selbst als Sachgebietsleiter vorsteht. Mit dieser Maßnahme hat die beklagte Stadt die Grenzen ihres Direktionsrechts nicht überschritten.

a) Das Direktionsrecht des Arbeitgebers kann durch Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Einzelarbeitsvertrag eingeschränkt sein. Auch soweit es danach grundsätzlich ausgeübt werden kann, darf es nur nach billigem Ermessen im Sinne des § 315 Abs. 3 BGB ausgeübt werden (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG Urteil vom 23. Juni 1993 – 5 AZR 337/92 – AP Nr. 42 zu § 611 BGB Direktionsrecht, zu II 1 der Gründe, m.w.N.). Die Ausübung des billigen Ermessens setzt voraus, daß die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt werden. Ob dies geschehen ist, unterliegt der gerichtlichen Kontrolle (§ 315 Abs. 3 Satz 2 BGB), die in der Revisionsinstanz unbeschränkt nachzuprüfen ist (BAG Urteil vom 23. Januar 1992 – 6 AZR 87/90 – AP Nr. 39 zu § 611 BGB Direktionsrecht, zu II 2 c der Gründe; Urteil vom 19. Juni 1985 – 5 AZR 57/84 – AP Nr. 11 zu § 4 BAT, zu II 2 a der Gründe, m.w.N.).

Zwar ist die Billigkeitskontrolle in erster Linie Aufgabe der Tatsacheninstanz, weil es bei ihr darum geht, die besonderen tatsächlichen Gegebenheiten eines Falles festzustellen und zu würdigen. Stehen aber alle für die Entscheidung erheblichen Tatsachen lückenlos fest, so ist das Revisionsgericht in der Lage, die Beurteilung selbst vorzunehmen (BAG Urteil vom 19. Juni 1985 – 5 AZR 57/84 – AP Nr. 11 zu § 4 BAT; Urteil vom 9. Juni 1967 – 3 AZR 352/66 – AP Nr. 5 zu § 611 BGB Lohnzuschläge; Urteil vom 8. Juni 1982 – 3 AZR 661/79 – AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Hinterbliebenenversorgung). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

b) Die beklagte Stadt hat sich bei der Reduzierung der Vertretungsbefugnis des Klägers auf die von ihm geleiteten Sachgebiete 11 und 12 in den Grenzen billigem Ermessens gehalten. Weder die Abwägung aller wesentlichen Umstände des Falles noch die Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen ergibt, daß dem Kläger die Vertretungsbefugnis im anfangs eingeräumten Umfang, nämlich für alle Sachgebiete der Abteilung I, belassen werden mußte.

Im Umfang der ursprünglichen Übertragung war dem Kläger faktisch nicht möglich, den als Abteilungsleiter I eingesetzten Beamten bei dessen Abwesenheit in allen seinen Funktionen zu vertreten. In der Zeit von August 1989 bis November 1990 war dieser Beamte 87,5 Tage abwesend, mithin durchschnittlich 5,47 Tage im Monat. Dabei kann dahinstehen, ob der Kläger mit seiner Aufgabe als Leiter des Standesamtes überlastet war oder nicht. Jedenfalls ist seine Unterbelastung nicht behauptet worden. Selbst wenn man davon ausgeht, er sei als Sachgebietsleiter lediglich im Rahmen des üblichen belastet gewesen und hätte keinerlei Arbeitsrückstände gehabt, erscheint neben einer monatlichen Arbeitszeit von ca. 22 Arbeitstagen eine Vertretungstätigkeit an weiteren 5,5 Arbeitstagen nicht mehr durchführbar. Aufgrund der unstreitigen Mitteilung des Klägers über die Arbeitsbelastung im Standesamt durfte die Beklagte die Aufgaben des Klägers hinsichtlich der Vertretung des Abteilungsleiters I auf das Maß des Zuträglichen einschränken. Die beklagte Stadt war entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts keineswegs gehalten, einen gestiegenen Arbeitsanfall im Standesamt dadurch zu begegnen, daß zusätzliches Personal zur Aufgabenerledigung für das Standesamt bereit gestellt wurde. Sie konnte und durfte, weil es die Arbeitserledigung durch den Kläger selbst betraf, dessen Aufgabengebiet angemessen einschränken. Dies hat sie getan, indem Sie ihm die Befugnis zur umfassenden Vertretung des Abteilungsleiters I, Allgemeine Verwaltung, entzog und ihn nur mit der Vertretung des Abteilungsleiters I hinsichtlich der Sachgebiete beauftragte, die der Kläger selbst leitet. Angesichts der nunmehr ermittelten zeitlichen Dimensionen wird dem Kläger auch keine im Rahmen des § 315 Abs. 3 BGB besonders zu berücksichtigende Chance der Bewährung genommen, wie es der Senat noch vor Aufklärung des Sachverhaltes in seinem vorangegangenen Urteil für möglich erachtet hat.

 

Unterschriften

Griebeling, Schliemann, Bröhl, Krogmann, Frey

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1099392

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