Entscheidungsstichwort (Thema)
Eingruppierung einer Fachkinderkrankenschwester
Leitsatz (amtlich)
- Nicht jede Frühgeborenenstation ist eine Einheit für “Intensivmedizin” i.S. der Protokollerklärung Nr. 3 zu Abschn. A der Anl. 1b zum BAT. Bei Frühgeborenenstationen muß vielmehr zwischen der “nichtintensiven” Frühgeborenenstation und der der neonatologischen oder pädiatrischen Intensivstation unterschieden werden.
- Es ist daher bei einer Frühgeborenenstation im Einzelfall zu prüfen, ob in ihr Intensivmedizin i.S. der Protokollerklärung Nr. 3 gewährt wird.
Normenkette
BAT 1975 § § 22-23, Anlage 1b Abschn. A VergGr. Kr. VI Fallgr. 6b, § Anlage 1b Abschn. A; Protokollerklärung Nr. 3 zu diesem Abschnitt
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten um die zutreffende Vergütung der Klägerin.
Die am 11. September 1959 geborene Klägerin ist vom Beklagten in dessen dem Kreiskrankenhaus L… angeschlossenen Krankenpflegeschule in der Zeit vom 1. April 1977 bis zum 31. März 1980 als Kinderkrankenschwester ausgebildet worden. Nach dem erfolgreichen Abschluß dieser Ausbildung wurde sie vom Beklagten mit Wirkung vom 1. April 1980 eingestellt und in ihrem erlernten Beruf auf der Frühgeborenenstation des Kreiskrankenhauses L… beschäftigt. Nach § 2 des Arbeitsvertrages der Parteien richtet sich das Arbeitsverhältnis nach den Vorschriften des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) vom 23. Februar 1961 und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen, insbesondere der Sonderregelung 2a zum BAT für Angestellte in Kranken-, Heil-, Pflege- und Entbindungsanstalten pp., in denen die betreuten Personen in ärztlicher Behandlung stehen (SR 2a BAT). In § 5 des Arbeitsvertrages wurde die “Einreihung” der Klägerin in die VergGr. Kr. III BAT, ab 1. Oktober 1980 diejenige in die VergGr. Kr. IVb BAT vereinbart.
In der Zeit vom 1. November 1984 bis zum 31. Oktober 1986 nahm die Klägerin an einem zweijährigen Weiterbildungslehrgang für Anaesthesie und Intensivpflege an den Städtischen Kliniken in O… teil. Dieser lag eine Vereinbarung der Parteien vom 2. November 1984 zugrunde. Danach erfolgte die theoretische Ausbildung der Klägerin, abgesehen vom Blockunterricht, in ihrer dienstfreien Zeit. Für die Dauer der zweimal dreimonatigen Ausbildung an den Städtischen Kliniken O… wurde sie vom Dienst im Kreiskrankenhaus L… unter Fortzahlung der Bezüge freigestellt. Diese Weiterbildung mit dem Schwerpunkt Pädiatrie und Intensivmedizin hat sie erfolgreich abgeschlossen und ab 1. November 1986 die staatliche Anerkennung als Fachkinderkrankenschwester in der Intensivpflege erhalten. Durch Änderungsvereinbarung vom 17. Dezember 1986 wurde der Arbeitsvertrag der Parteien vom 1. April 1980 dahin geändert, daß die Klägerin ab 1. November 1986 in VergGr. Kr. V BAT eingruppiert wurde. Mit Schreiben vom 28. September 1989 teilte der Beklagte der Klägerin mit, entsprechend der Neufassung des Tarifvertrages für Angestellte im Pflegedienst vom 30. Juni 1989 sei sie ab 1. August 1989 in die VergGr. Kr. Va BAT eingruppiert. Tatsächlich erhielt die Klägerin ab November 1989 Vergütung nach VergGr. Kr. VI BAT, ohne daß hierüber eine ausdrückliche Vereinbarung getroffen worden war. Mit Schreiben vom 24. November 1992 teilte der Beklagte der Klägerin mit, die Zahlung von Vergütung nach der VergGr. Kr. VI BAT beruhe auf einem Irrtum. Ab 25. November 1992 erhielt die Klägerin vom Beklagten dann wiederum Vergütung nach der VergGr. Kr. Va BAT.
Seit Beginn des Arbeitsverhältnisses der Parteien ist die Klägerin auf der Frühgeborenenstation des Kreiskrankenhauses L… eingesetzt. Diese umfaßt acht Betten, davon einen voll ausgestatteten Beatmungsplatz mit Neonatalrespirator, Pulsoxymetrie, transcutanem PO(2)/PCO(2) Monitoring, EKG-Monitoring und Oszillotonometer. Fünf weitere Betten sind als Monitorplätze zur Intensivüberwachung ausgestattet. Die Neugeborenenabteilung des Kreiskrankenhauses L… betreut ein Einzugsgebiet mit ca. 1.600 Geburten pro Jahr in drei geburtshilflichen Abteilungen. Im Jahre 1991 wurden 202 Kinder und im Jahre 1992 186 Kinder stationär aufgenommen. Hiervon waren 21 Kinder beatmungspflichtig, bei fünf Kindern wurde eine Thoraxdrainage erforderlich.
Auf der Frühgeborenenstation liegen alle Frühgeborenen unabhängig von dem Grad der im Einzelfall erforderlichen Überwachung und Pflege. Risikosäuglinge, deren Vitalfunktionen gefährdet sind, weil sie im Mutterleib nicht voll ausgereift sind, werden durch intensive apparative Einrichtungen überwacht.
Wenn ein Frühgeborenes künstlich beatmet werden muß, hat die Klägerin die Aufgabe, regelmäßig den Tubus zu kontrollieren sowie für die Nahrungsaufnahme und richtige Lage des Patienten Sorge zu tragen. Sie assistiert ferner bei Thoraxdrainagen, die erforderlich sind, wenn sich entweder Flüssigkeit oder Luft zwischen Lunge und Brustraum angesammelt hat. Mittels einer Einstichnadel wird dann ein kleiner Schlauch in den Brustkorb eingeführt, an dessen anderem Ende eine Unterdruckeinrichtung angeschlossen ist. Der Klägerin obliegt in diesen Fällen die Wundversorgung. Sie assistiert ferner bei der Verlegung eines Patienten auf einen Beatmungsplatz. Bei Aufnahme von an Infektionskrankheiten leidenden Säuglingen auf die Frühgeborenenstation hat die Klägerin die Aufgabe, die erforderlichen Medikamente zu verabreichen und bei Infusionen und Transfusionen zu assistieren.
Kinder der very low birth weight Gruppe (unter 1.250 g), bei denen eine längere Beatmung nötig wird, sowie Neugeborene mit angeborenen Fehlbildungen, die einer kinderchirurgischen Therapie bedürfen, werden aus logistischen Gründen nach Erstversorgung und Stabilisierung auf die Intensivstation der O… Kinderklinik übernommen. Diese werden zum frühestmöglichen Zeitpunkt auf die Frühgeborenenstation der Kinderabteilung L… zurückverlegt, um die Nähe zu den Eltern zu gewährleisten. Es handelt sich dann um sehr unreife Frühgeborene, teilweise mit einem Körpergewicht von weniger als 1.000 g, die, auch wenn sie nicht mehr beatmet werden müssen, zu diesem Zeitpunkt noch sehr labil sind. Sie sind noch lange bedroht von Atempausen, Infektionen, Ernährungsproblemen und Stoffwechselveränderungen. Häufig ist ihre Gesamtsituation instabiler als unter maschineller Beatmung. Die Beatmungsdauer der auf der Frühgeborenenstation in L… verbleibenden Patienten liegt zwischen ein und drei Tagen.
Die Klägerin ist der Ansicht, ihr stehe auch über den 24. November 1992 hinaus Vergütung nach der VergGr. Kr. VI BAT zu. Mit ihrer im Laufe des ersten Rechtszuges geänderten Klage erstrebt sie die Feststellung dieses Anspruchs.
Sie hat geltend gemacht, der Beklagte habe den Willen gehabt, sie ihrer Weiterbildung entsprechend zu vergüten. Sie habe damit einen vertraglichen Anspruch auf die Vergütung nach der VergGr. Kr. VI BAT. Zudem sei sie in einer Einheit für Intensivmedizin im Sinne der Protokollerklärung Nr. 3 zu Abschn. A der Anl. 1b zum BAT tätig. Nach dem Wortlaut dieser Protokollerklärung sei nicht darauf abzustellen, welche Zeitanteile auf die Intensivbehandlung entfielen und welche mit Tätigkeiten der Intensivüberwachung belegt seien. Entscheidend sei, daß in der jeweiligen Einheit Intensivbehandlung und Intensivpflege stattfinde. Ausreichend sei eine Tätigkeit auf einer Wachstation, die für die Intensivbehandlung und Intensivüberwachung eingerichtet sei. Beides treffe auf die Frühgeborenenstation im Kreiskrankenhaus L… zu.
Die Klägerin hat erstinstanzlich zuletzt beantragt
festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, ihr eine Vergütung nach VergGr. Kr. VI BAT zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, ein vertraglicher Anspruch auf die begehrte Vergütung bestehe nicht, da der Klägerin zu keinem Zeitpunkt die übertarifliche Vergütung einer Fachkinderkrankenschwester in der Intensivpflege zugesagt worden sei. Ohne besonderen Anlaß könne ein Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst nicht davon ausgehen, daß übertarifliche Leistungen Vertragsinhalt geworden seien. Gegen das Bestehen eines vertraglichen Anspruchs spreche auch, daß eine entsprechende Zahlung nicht schriftlich vereinbart worden sei, obwohl nach dem Arbeitsvertrag vom 1. April 1980 für Änderungen und Ergänzungen die Einhaltung der Schriftform erforderlich sei. Die Klägerin werde auch nicht in einer Einheit für Intensivmedizin im Tarifsinne tätig. Die Frühgeborenenstation im Kreiskrankenhaus L… entspreche nicht den Merkmalen der Protokollerklärung Nr. 3 zu Abschn. A der Anl. 1b zum BAT.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin, die ihre Klage im Berufungsrechtzug auf Feststellung der Verpflichtung des Beklagten zur Verzinsung der Nettodifferenzbeträge erweitert hat, hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin über den 24. November 1992 hinaus eine Vergütung nach der VergGr. Kr. VI BAT der Anlage 1b BAT nebst 4 % Zinsen auf den sich hieraus ergebenden Nettodifferenzbetrag seit dem 22. Februar 1993 bzw. bei späterer Fälligkeit ab dieser zu zahlen, und die Revision zugelassen. Mit seiner Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Der Klägerin steht, wie das Landesarbeitsgericht zu Recht festgestellt hat, über den 24. November 1992 hinaus ein tariflicher Anspruch auf Vergütung nach der VergGr. Kr. VI BAT gegenüber dem Beklagten zu.
I. Die Klage ist zulässig. Es handelt sich um eine Eingruppierungsfeststellungsklage, die im öffentlichen Dienst allgemein üblich ist und gegen deren Zulässigkeit nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts keine Bedenken bestehen (z. B. Senatsurteil vom 19. März 1986 – 4 AZR 470/84 – AP Nr. 114 zu §§ 22, 23 BAT 1975). Der Feststellungsantrag ist auch insoweit zulässig, als er Zinsforderungen zum Gegenstand hat (z. B. Senatsurteil vom 21. Januar 1970 – 4 AZR 106/69 – BAGE 22, 247, 249 = AP Nr. 30 zu §§ 22, 23 BAT).
II. Die danach zulässige Klage ist auch begründet. Auf der Grundlage der für den Senat bindend getroffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts übt die Klägerin die Tätigkeit einer Krankenschwester mit erfolgreich abgeschlossener Weiterbildung in der Intensivpflege in einer Einheit für Intensivmedizin aus und hat daher Anspruch auf Vergütung nach der VergGr. Kr. VI BAT.
1. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der BAT aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung als Vertragsrecht Anwendung. Damit hängt die Entscheidung des Rechtsstreits davon ab, ob mindestens die Hälfte der die Gesamtarbeitszeit der Klägerin ausfüllenden Arbeitsvorgänge einem Tätigkeitsmerkmal der von ihr für sich beanspruchten Vergütung nach VergGr. Kr. VI BAT entsprechen (§ 22 Abs. 1, Abs. 2 Unterabs. 1 und Unterabs. 2 Satz 1 BAT). Dabei ist von dem von der Senatsrechtsprechung entwickelten Begriff des Arbeitsvorganges auszugehen, wonach darunter eine unter Hinzurechnung der Zusammenhangstätigkeiten und bei Berücksichtigung einer sinnvollen, vernünftigen Verwaltungsübung nach tatsächlichen Gesichtspunkten abgrenzbare und rechtlich selbständig zu bewertende Arbeitseinheit der zu einem bestimmten Arbeitsergebnis führenden Tätigkeit eines Angestellten zu verstehen ist (BAGE 51, 59, 65; 51, 282, 287; 51, 356, 360 = AP Nr. 115, 116 und 120 zu §§ 22, 23 BAT 1975).
2. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Tätigkeit der Klägerin als Kinderkrankenschwester stelle einen Arbeitsvorgang in diesem Sinne dar. Denn alle Tätigkeiten der Klägerin dienten letztlich dem Arbeitsergebnis der Pflege der auf der Frühgeborenenstation untergebrachten Patienten. Unerheblich sei insofern, in welchem zeitlichen Umfang Patienten ohne Monitorüberwachung, Patienten mit Monitorüberwachung bzw. Patienten, die beatmet würden, zu betreuen seien. Der Klägerin sei nämlich die Tätigkeit auf der Frühgeborenenstation insgesamt übertragen worden. Sie müsse deshalb jederzeit und sofort in der Lage sein, sämtliche auf der Station aufgenommenen Patienten pflegerisch zu betreuen. Dies rechtfertige die Annahme eines einheitlichen großen Arbeitsvorganges.
Dem folgt der Senat. Nach den bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts dienen alle Tätigkeiten der Klägerin der Pflege der auf der Frühgeborenenstation betreuten Patienten. Diese krankenpflegerische Tätigkeit ist als ein Arbeitsvorgang im Tarifsinne anzusehen. Dies entspricht der Rechtsprechung des Senats in vergleichbaren Fallgestaltungen (z. B. Urteil des Senats vom 28. Juni 1989 – 4 AZR 277/89 – AP Nr. 147 zu §§ 22, 23 BAT 1975, m.w.N.).
3. Da die Klägerin als Angestellte in einer Krankenanstalt unter die Sonderregelungen (SR) 2a zum BAT fällt, sind für ihre Eingruppierung die Vorschriften des Abschn. A der Anl. 1b zum BAT heranzuziehen. Die Klägerin stützt ihren Anspruch auf Vergütung nach der VergGr. Kr. VI allein auf das Eingruppierungsmerkmal der Fallgr. 6b. Dieses hat folgenden Wortlaut:
6b Krankenschwestern mit erfolgreich abgeschlossener Weiterbildung in der Intensivpflege/-medizin in Einheiten für Intensivmedizin mit entsprechender Tätigkeit.
(Hierzu Protokollerklärungen Nr. 1, 3 und 10)
Die Protokollerklärungen Nr. 3 und 10 bestimmen dazu:
Nr. 3 Einheiten für Intensivmedizin sind Stationen für Intensivbehandlungen und Intensivüberwachung. Dazu gehören auch Wachstationen, die für Intensivbehandlung und Intensivüberwachung eingerichtet sind.
Nr. 10 Die Weiterbildung setzt voraus, daß mindestens 720 Stunden zu mindestens je 45 Unterrichtsminuten theoretischer und praktischer Unterricht bei Vollzeitausbildung in spätestens einem Jahr und bei berufsbegleitender Ausbildung in spätestens zwei Jahren vermittelt werden.
Die Protokollerklärung Nr. 1 ist für den Streitfall nicht von Bedeutung.
4. Zwischen den Parteien besteht Einigkeit darüber, daß die Klägerin in subjektiver Hinsicht die Voraussetzungen des Eingruppierungsmerkmals der VergGr. Kr. VI Fallgr. 6b BAT erfüllt, also über eine abgeschlossene Weiterbildung in der Intensivpflege verfügt. Die zweijährige Ausbildung der Klägerin bei den Städtischen Kliniken in O… in der Zeit vom 1. November 1984 bis 31. Oktober 1986, deren erfolgreicher Abschluß zu ihrer Anerkennung als “Fachkinderkrankenschwester in der Intensivpflege” geführt hat, entspricht den Anforderungen der Protokollerklärung Nr. 10. Dies bedarf, da die Parteien darin übereinstimmen, keiner Vertiefung.
5. Der Streit der Parteien geht vielmehr darum, ob die Frühgeborenenstation der pädiatrischen Abteilung im Kreiskrankenhaus L… als Einheit für Intensivmedizin im Sinne des Eingruppierungsmerkmals der VergGr. Kr. VI Fallgr. 6b BAT zu bewerten ist. 5.1 Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Frühgeborenenstation des Kreiskrankenhauses L… entspreche den Anforderungen einer Einheit für Intensivmedizin. Unter Intensivüberwachung sei die Überwachung und Pflege von Frischoperierten nach schwierigen Eingriffen sowie von Schwerverletzten und Schwerkranken bis zur Überwindung der kritischen Phase der Erkrankung zu verstehen. Der Begriff der “Intensivbehandlung” beinhalte demgegenüber die Behandlung und Pflege von Schwerkranken, Schwerverletzten und Vergifteten, deren vitale Funktionen (Atmung, Herz- und Kreislauffunktionen, Temperatur- und Stoffwechselregulation, Bewußtseinslage) gefährdet oder gestört seien und durch besondere Maßnahmen aufrechterhalten und/oder wiederhergestellt werden müßten. Diese Voraussetzungen seien vorliegend erfüllt. Unstreitig seien fünf von acht Betten der Frühgeborenenstation als Monitorplätze zur Intensivüberwachung ausgestattet. Die hier betreuten Risikosäuglinge würden durch eine intensive apparative Einrichtung überwacht. Diese Überwachung sei erforderlich, weil die Vitalfunktionen der nicht voll im Mutterleib ausgereiften Säuglinge gefährdet seien. Diese Risikosäuglinge seien mithin mit Schwerkranken im Sinne der obigen Definition zu vergleichen. Auch bei den aus der Städtischen Kinderklinik O… in das Kreiskrankenhaus L… zurückverlegten Frühgeborenen habe deren Überwachung diese Qualität, da deren Gesamtsituation häufig instabiler sei als unter der maschinellen Beatmung. Auf der Frühgeborenenstation werde auch eine Intensivbehandlung durchgeführt. Nach der Definition der Deutschen Krankenhausgesellschaft sei erforderlich, daß vitale Funktionen durch besondere Maßnahmen aufrechterhalten und/oder wiederhergestellt werden müßten. Diese Voraussetzung treffe zweifelsfrei für die kleinen Patienten zu, die beatmet werden müßten, aber auch für die Mitwirkung der Klägerin bei Thoraxdrainagen sowie die Betreuung des Rettungsabholdienstes. Auch bei den in die Städtische Kinderklinik O… weiterverlegten Kindern der very low birth weight Gruppe erfolge die Erstversorgung und notwendige Stabilisierung auf der Frühgeborenenstation des Beklagten. Diese sei deshalb eine Einheit für Intensivmedizin im Sinne des Tarifvertrages. Zu Recht habe der Beklagte deshalb auch die Klägerin veranlaßt, die Zusatzausbildung zur Fachkinderkrankenschwester in der Intensivpflege zu absolvieren.
5.2 Diesen Ausführungen ist beizupflichten. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, die für den Senat nach § 561 Abs. 2 ZPO bindend sind, da gegen sie ein zulässiger und begründeter Revisionsangriff vom Beklagten nicht erhoben ist, leistet die Klägerin die Tätigkeit einer Krankenschwester mit erfolgreich abgeschlossener Weiterbildung in der Intensivpflege in einer Einheit für Intensivmedizin.
5.2.1 Die Parteien streiten – richtig verstanden – nicht über die abstrakte Auslegung des Tatbestandsmerkmals “Einheiten für Intensivmedizin”, sondern vielmehr darüber, ob die Frühgeborenenstation der pädiatrischen Abteilung des Kreiskrankenhauses L… den Anforderungen dieses Tatbestandsmerkmals entspricht, ob in ihr also neben Intensivüberwachung auch Intensivbehandlung geleistet wird oder ob sie zumindest als Wachstation im Sinne der Protokollerklärung Nr. 3 Satz 2 zu werten ist.
5.2.2 Die Begriffe “Einheiten für Intensivmedizin” (VergGr. Kr. VI Fallgr. 6b BAT, Protokollerklärung Nr. 3 Satz 1), “Intensivbehandlung”, “Intensivüberwachung” und “Wachstationen” (Protokollerklärung Nr. 3) finden sich sämtlich wieder in den Richtlinien für die Organisation der Intensivmedizin in den Krankenhäusern, die der Vorstand der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) in seiner Sitzung vom 9. September 1974 als Empfehlung verabschiedet hat (Das Krankenhaus 1974, 457 – 460).
Diese sind bislang weder geändert noch insgesamt als neue Empfehlung verabschiedet worden. Sie haben, soweit hier von Interesse, folgenden Wortlaut:
I.
Vital bedrohte Schwerkranke benötigen eine intensive Überwachung, Behandlung und Pflege durch spezielle Maßnahmen, die unter dem Begriff “Intensivmedizin” zusammengefaßt werden. Diese Maßnahmen können optimal nur auf Spezialeinheiten im Krankenhaus getroffen werden; nur hier wird ein konzentrierter Einsatz des für diese Aufgabe verfügbaren Personals, der vorhandenen technischen Einrichtungen und damit der Finanzmittel möglich.
II.
Als fachgebundene Intensivbehandlungsstation ist unter Ziff. II 3.33 u. a. auch die pädiatrische Intensivstation genannt. Auch Wachstationen könne sowohl als fachgebundene Einheiten als auch als interdisziplinäre Einheiten eingerichtet werden (Ziff. II 2.21 und 2.22 der Richtlinien).
5.2.3 Eine feststehende Bestimmung der Begriffe Intensivmedizin, Intensivüberwachung, Intensivbehandlung und Wachstation gibt es nicht. Steinbereithner/Bergmann führen aus, bei kritischer Beschäftigung mit den in der Literatur vielfach voneinander abweichenden Definitionsversuchen für die Ausdrücke Intensivmedizin, Intensivpflege, Intensivbeobachtung, Intensivtherapie usw. gewinne man den absoluten Eindruck mangelnder Klarheit und oft beträchtlicher Begriffsverwirrungen (Steinbereithner/Bergmann, Intensivstation, -pflege, -therapie, 2. Aufl., S. 2: Begriffsbestimmung, Aufgabenbereich, Typen). Abhandlungen zur Intensivmedizin sind daher vielfach zunächst eigene Begriffsbestimmungen vorangestellt (vgl. Steinbereithner/Bergmann, aaO; Larsen, Anästhesie und Intensivmedizin für Schwestern und Pfleger, 2. Aufl., S. 359).
5.2.4 Der Senat hält es daher für sachgerecht, von den Definitionen der Begriffe “Einheiten für Intensivmedizin”, “Intensivbehandlung”, “Intensivüberwachung” und “Wachstation” in den Richtlinien der DKG vom 9. September 1974 auszugehen, einerseits wegen deren besonderer Sachkunde, andererseits auch deshalb, weil die Tarifvertragsparteien sich bei den hier interessierenden Tatbestandsmerkmalen an diesen Richtlinien orientiert zu haben scheinen, wie die Identität sowohl der verwandten Begriffe als auch der Bestimmung ihres Verhältnisses zueinander vermuten lassen.
5.3 Bei den Neugeborenenabteilungen der Krankenhäuser muß zwischen der “nichtintensiven Frühgeborenenstation” und der neonatologischen Intensivstation unterschieden werden (Fenner, Primaturität und Dysmaturität, S. 176 ff., 189 in: Bachmann u. a., Pädiatrie in Praxis und Klinik, Bd. I, 2. Aufl. 1989); für letztere wird auch der Begriff “pädiatrische Intensivstation” verwandt (Larsen, aaO, S. 360). Nicht jede Frühgeborenenstation ist daher als neonatologische oder pädiatrische Intensivstation oder – am Tarifwortlaut orientiert – als pädiatrische “Intensivbehandlungsstation” zu bewerten (Breier/Kiefer/Hoffmann/Pühler, Eingruppierung und Tätigkeitsmerkmale, Stand 1. April 1996, Anlage 1b, Erl. 35; Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT, Stand März 1996, Teil II VKA Anlage 1b ≪Pflegedienst≫ Anm. 39).
Pädiatrische Intensivbehandlungsstationen sind im Zuge des allgemeinen Trends zur pädiatrischen Intensivmedizin seit etwa den siebziger Jahren aufgebaut worden (Steinbereithner/Bergmann, aaO, S. 6). Sie befassen sich vor allem mit der Behandlung von schweren Erkrankungen des Neugeborenen, während andere vital gefährdete Kinder zumeist auf interdisziplinären Intensivstationen behandelt werden (Steinbereithner/Bergmann, aaO, S. 7; Larsen, aaO, S. 360).
Nach welchen Merkmalen die Abgrenzung einer “nichtintensiven” Frühgeborenenstation von einer pädiatrischen Intensivbehandlungsstation zu erfolgen hat, ist in den Richtlinien der DKG vom 9. September 1974 nicht behandelt. Es ist auch nicht ersichtlich, daß solche Abgrenzungskriterien im Fachschrifttum schon erarbeitet worden sind.
5.4 Für die Entscheidung des Streitfalles ist es entbehrlich, abstrakt zu bestimmen, nach welchen Kriterien und mit welcher Gewichtung derselben die “nichtintensive Frühgeborenenstation” und die pädiatrische Intensivbehandlungsstation voneinander abzugrenzen sind. Denn nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts im konkreten Fall handelt es sich bei der Frühgeborenenstation der pädiatrischen Abteilung des Kreiskrankenhauses L… um eine Station für Intensivbehandlung und Intensivüberwachung.
5.4.1 Die Frühgeborenenstation der pädiatrischen Abteilung des Kreiskrankenhauses L… ist zunächst eine “Einheit” für Intensivmedizin. Darunter verstehen die Tarifvertragsparteien nach der Protokollerklärung Nr. 3 Satz 1 “Stationen” für Intensivbehandlungen und Intensivüberwachung. Der Arbeitsbereich der Klägerin wird in organisatorischer Hinsicht von den Parteien übereinstimmend als Frühgeborenen-“Station” der pädiatrischen Abteilung des Kreiskrankenhauses L… bezeichnet und ist damit eine Einheit im Sinne der vorgenannten Protokollerklärung. Eine weitergehende Verselbständigung fordern die Tarifvertragsparteien in der Protokollerklärung Nr. 3 nicht. Der gegenteiligen Ansicht, eine Frühgeborenenstation in gynäkologischen Kliniken sei grundsätzlich keine selbständige Einheit für Intensivmedizin (Böhm/Spiertz/Steinherr/Sponer, BAT, Stand Mai 1996, VergGr. Kr. III zu Abschn. A Anl. 1b Anm. 5), kann daher nicht gefolgt werden.
5.4.2 Diese Einheit im Kreiskrankenhaus L… hat zunächst einmal die Aufgabe der Intensivüberwachung weitaus überwiegend von Frühgeborenen, in Einzelfällen auch von sonstigen schwerkranken Säuglingen. Der Beklagte selbst stellt nicht in Abrede, daß es sich bei der Frühgeborenenstation im Kreiskrankenhaus L… um eine Station für “Intensivüberwachung” im Sinne des Satzes 1 der Protokollerklärung Nr. 3 handelt. Er hat nämlich ausgeführt, “auf einer Frühgeborenen-Station werden gerade Risikosäuglinge durch eine intensive, apparative Einrichtung überwacht”. Unter dem 16. Oktober 1984 ist auch der Klägerin in dem “Zeugnis zum Nachweis der Voraussetzungen § 55 Nr. 2 der Richtlinien zur staatlichen Anerkennung als Fachkrankenschwester ≪Krankenpfleger≫ in der Intensivpflege” bescheinigt worden, auf der Frühgeborenenstation innerhalb der pädiatrischen Abteilung des Krankenhauses L… würden “die Frühgeborenen auch intensivmedizinisch gepflegt”. Für diese intensivmedizinische Pflege ist die Klägerin ausweislich der Vorlage an den Personalausschuß und Kreisausschuß vom 10. November 1986 “insbesondere” zuständig. Intensivpflege ist nach den Richtlinien der DKG vom 9. September 1974 Teil der Intensivbehandlung (Ziff. II 1.3).
Der Beklagte macht hinsichtlich der von der Klägerin geleisteten Intensivüberwachung auch keine Einschränkungen, insbesondere nicht diejenige, diese geschehe nur zu einem eingruppierungsrechtlich bedeutungslosen Anteil. Dafür sind auch aus dem sonstigen festgestellten Sachverhalt keine Anhaltspunkte ersichtlich. Zwar sind nur sechs der acht Betten der Frühgeborenenstation für die Intensivüberwachung ausgestattet. Diese ist demnach aber die Hauptaufgabe dieser Station, die der pflegerischen Tätigkeit der Klägerin das Gepräge gibt.
5.4.3 Dem Landesarbeitsgericht ist auch darin beizutreten, daß die Frühgeborenenstation der pädiatrischen Abteilung des Kreiskrankenhauses L… eine Einheit für Intensivbehandlung im Sinne der Protokollerklärung Nr. 3 ist. Findet dort Intensivüberwachung statt, wie der Beklagte selbst vorträgt, setzt dies voraus, daß es sich bei den überwachten Frühgeborenen und anderen Patienten um Intensivpatienten handelt. Als “Intensivpatient” wird ein schwerst, oft lebensbedrohlich Erkrankter verstanden, der über einen längeren Zeitraum einer intensiven Beobachtung bzw. intensiven Therapie bedarf, bei dem also ein beträchtlich über die Norm hinausgehendes Maß an medizinischem Aufwand betrieben wird (Steinbereithner/Bergmann, aaO, S. 2, 3). Ein Überwachungsfall kann bei einem solchen Patienten von einer Minute zur anderen zu einem Behandlungsfall werden. Deshalb müssen Wachstationen, wenn räumlich und organisatorisch getrennt von einer Station zur Intensivbehandlung, in der Lage sein, in einer solchen Situation ohne Zeitverlust zumindest eine Erstversorgung des Patienten zur Unterstützung, Wiederherstellung oder künstlichen Aufrechterhaltung der Vitalfunktionen des Patienten an Ort und Stelle zu leisten. Sie entsprechen daher in Austattung und Aufbau der Intensivstation, wobei der Übergang zwischen Intensivüberwachung und Intensivbehandlung fließend ist (Richtlinien vom 9. September 1974, unter Ziff. II 2.2 letzter Absatz; Thiele, Handlexikon der Medizin, 1980, S. 2638, Stichwort “Wachstation”).
Intensivbehandlung in diesem Sinne erfolgt auch auf der Frühgeborenenstation der pädiatrischen Abteilung des Kreiskrankenhauses L…. Dazu gehören die Beatmung von Frühgeborenen sowie die Durchführung von Thoraxdrainagen. Intensivbehandlung sind auch die parenterale Ernährung des Frühgeborenen oder seine orale per Sonde (Larsen, aaO, S. 677 ff.).
5.5 Bei der Frühgeborenenstation der pädiatrischen Abteilung des Kreiskrankenhauses L… handelt es sich nach alledem um eine “Einheit für Intensivmedizin”. Die Klägerin wird dort auch als Krankenschwester mit erfolgreich abgeschlossener Weiterbildung in der Intensivpflege “mit entsprechender Tätigkeit” beschäftigt. Dies folgt bereits aus den vorstehenden Ausführungen.
6. Ob im Streitfall am 24. November 1992 eine korrigierende Rückgruppierung der Klägerin erfolgt und diese wegen Nichtbeteiligung des Personalrates unwirksam ist, kann daher ebenso unerörtert bleiben wie das Bestehen eines vertraglichen Anspruchs der Klägerin auf Vergütung nach der VergGr. Kr. VI BAT.
7. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 BGB.
III. Der Beklagte hat die Kosten seiner erfolglos gebliebenen Revision gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
Unterschriften
Schaub, Schneider, Bott, Hecker, Fieberg
Fundstellen
Haufe-Index 875293 |
PflR 1997, 104 |