Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstellung von Amtsleitern vor Neubildung der Landkreise in der ehemaligen DDR

 

Normenkette

ZGB DDR § 59; AGB-DDR §§ 38, 66; GöV §§ 7, 11, 81; KommVerfG 1990 §§ 102-103

 

Verfahrensgang

Thüringer LAG (Urteil vom 29.04.1993; Aktenzeichen 1 Sa 138/92)

KreisG Eisenach (Urteil vom 22.04.1992; Aktenzeichen A 115 d/90)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 29. April 1993 – 1 Sa 138/92 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten der Revision.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis besteht.

Der 1938 geborene Kläger war seit 1968 in verschiedenen Funktionen als Wahlfunktionär in den Diensten des Rates des Kreises und des Rates der Stadt M. in der ehemaligen DDR tätig. In den Jahren 1987 und 1989 wählte der Kreistag des Kreises M. den Kläger zum „Mitglied des Rates für Kultur”.

Am 6. Mai 1990 kam es zu den ersten freien Kommunalwahlen in der DDR. Zu diesen Wahlen trat die bisher in der DDR uneingeschränkt herrschende SED erstmals unter dem Namen PDS an. Die PDS verlor in fast allen Kommunalparlamenten, so auch im Kreistag von M., ihre Mehrheit. Bevor der neugewählte Kreistag M. zu einer konstituierenden Sitzung zusammentrat, richtete der noch amtierende Vorsitzende des Rates des Kreises M. an den Kläger am 12. Mai 1990 ein Schreiben, in dem es u.a. hieß:

„Am 30. Mai 1990 findet die konstituierende Sitzung des neugewählten Kreistages statt.

Damit ist die Legislaturperiode des bisherigen Kreistages beendet und somit auch Ihre Tätigkeit als Stellvertreter des Vorsitzenden bzw. Mitglied des Rates.

Im Sinne der Wahrnehmung der arbeitsrechtlichen Verantwortung Ihnen gegenüber bieten wir Ihnen mit Wirkung vom 31. Mai 1990 einen Arbeitsvertrag als

Leiter des Kultur- und Jugendamtes in der Kreisverwaltung an.”

Ebenfalls am 12. Mai 1990 unterzeichneten der Ratsvorsitzende und der Kläger einen Arbeitsvertrag zwischen dem Rat des Kreises M. und dem Kläger. Dieser Vertrag sah eine Tätigkeit des Klägers als „Leiter des Kultur- und Jugendamtes” für die Zeit ab 31. Mai 1990 vor.

Am 17. Mai 1990 trat das Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR vom gleichen Tage (GBl. I S. 255) in Kraft. Leiter der Kreisverwaltung ist danach nunmehr ein Landrat. Diesem Gesetz entsprechend wählte der Kreistag des Kreises M. am 30. Mai 1990 einen Landrat. Der neugewählte Landrat teilte dem Kläger mit Schreiben vom 30. Mai 1990 mit, daß der am 12. Mai 1990 abgeschlossene Vertrag nicht anerkannt werde.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der beklagte Landkreis sei an den Vertrag vom 12. Mai 1990 gebunden. Dieser Vertrag sei ordnungsgemäß zustande gekommen. Einer Zustimmung des Kreistages habe es nicht bedurft. Auch der Beklagte habe später Amtsleiterstellen durch bloßen Arbeitsvertrag vergeben. Im übrigen habe der Vertrag kein neues Arbeitsverhältnis schaffen, sondern lediglich das bisher bestehende Vertragsverhältnis fortsetzen wollen. Der Beklagte habe weder ein Rücktritts- noch ein Kündigungsrecht.

Der Kläger hat, soweit in der Revisionsinstanz noch von Bedeutung, beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch das Schreiben der Kreisverwaltung M. vom 30. Mai 1990 nicht beendet worden sei, sondern fortbestehe.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat die Ansicht vertreten, der Vertrag vom 12. Mai 1990 sei unwirksam. Der Kläger habe beim Abschluß des Vertrages mit dem früheren Ratsvorsitzenden böswillig zusammengearbeitet, um den in den Kreistagswahlen vom 6. Mai 1990 zum Ausdruck gebrachten Willen nach Ablösung der ehemaligen Führungskader der SED zu unterlaufen. Im übrigen sei der Beklagte schon deshalb nicht an den Vertrag gebunden, da dieser mit dem Rat des Kreises und nicht mit dem Landkreis M. geschlossen worden sei. Zwischen dem Rat des Kreises und dem Landkreis bestehe weder Rechtsidentität noch ein Verhältnis der Rechtsnachfolge.

Das Arbeitsgericht hat der Feststellungsklage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Zwischen den Parteien besteht kein Arbeitsverhältnis. Der Vertrag vom 12. Mai 1990 ist unwirksam.

A. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung der Klageabweisung im wesentlichen ausgeführt:

Die Unwirksamkeit des Arbeitsvertrages vom 12. Mai 1990 ergebe sich bereits daraus, daß der Vertrag ein Arbeitsrechtsverhältnis zum Gegenstand gehabt habe, das nach damals geltenden Vorschriften der DDR nicht durch bloßen Arbeitsvertrag habe begründet werden können. Die dem Kläger übertragene Funktion eines Amtsleiters habe eine Berufung durch den Rat unter Bestätigung durch die örtliche Volksvertretung vorausgesetzt.

Im übrigen sei der Vertrag vom 12. Mai 1990 auch wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Die Beteiligten hätten in Kenntnis des Wahlergebnisses gerade zu einem Zeitpunkt einen unbefristeten Arbeitsvertrag für eine Amtsleiterstelle geschlossen, in dem der neugewählte Kreistag vor seiner konstituierenden Sitzung gestanden habe. Das Handeln der Vertragsparteien lasse nur den Schluß zu, daß sie von den neugewählten Organen des Beklagten eine ihnen nicht genehme Entscheidung erwarteten und diese durch Schaffung vollendeter Tatsachen hätten umgehen wollen.

B. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hält jedenfalls im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Durch den Arbeitsvertrag vom 12. Mai 1990 ist zwischen den Parteien kein Arbeitsverhältnis begründet worden.

I. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kommt es allerdings nicht darauf an, ob der Kläger am 12. Mai 1990 nach den damals geltenden Vorschriften der DDR durch Beschluß des Rates ordnungsgemäß zum Amtsleiter berufen wurde. Das Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen in der DDR vom 4. Juli 1985 (GBl. I S. 213) – fortan GöV –, das ein solches Verfahren vorschrieb (§ 11 Abs. 1 Satz 3 GöV), wurde durch das Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR vom 17. Mai 1990 (GBl. I S. 255) – künftig KommVerfG DDR – mit diesem Tage aufgehoben (§§ 103, 102 KommVerfG DDR). Die Tätigkeit des Klägers als Leiter des Kultur- und Jugendamtes sollte aber erst am 31. Mai 1990 beginnen, nachdem die Wahlfunktion des Klägers als Mitglied des Rates für Kultur mit Ablauf der Legislaturperiode des bisherigen Kreistages endete. Dem Kläger und dem Ratsvorsitzenden waren bei Abschluß des Arbeitsvertrages am 12. Mai 1990 bekannt, daß es zu Beginn des vereinbarten Arbeitsverhältnisses aufgrund der Kommunalreform keinen Rat des Kreises mehr gibt, sondern nur noch den beklagten Landkreis. Dabei ist unerheblich, daß in dem Arbeitsvertrag vom 12. Mai 1990 der Rat des Kreises als Vertragspartner genannt wird. Den Vertragsunterzeichnern war bewußt, daß am 31. Mai 1990 nur der beklagte Landkreis als Arbeitgeber in Betracht kam. Die Einstellung von Amtsleitern beim Beklagten kann aber durch bloßen Arbeitsvertrag wirksam erfolgen.

II. Der Beklagte wurde durch den Vertrag vom 12. Mai 1990 nicht als Arbeitgeber verpflichtet, weil der Ratsvorsitzende keine Vertretungsberechtigung hatte.

1. Der am 12. Mai 1990 noch amtierende Ratsvorsitzende war nicht befugt, für den bei Vertragsabschluß noch nicht bestehenden Landkreis ab 31. Mai 1990 Amtsleiterstellen zu vergeben. Zwar muß eine Verwaltung bei Neuwahl der verantwortlichen parlamentarischen Gremien weiterarbeiten und auch Verträge (einschließlich Arbeitsverträge) mit Bindungswirkung abschließen können. Die besondere Situation der DDR nach den ersten freien Kommunalwahlen im Mai 1990 hat die noch amtierenden Ratsvorsitzenden der Kreise aber in ihren Befugnissen beschränkt. Die noch amtierenden Ratsvorsitzenden hatten Vertretungsberechtigung für den Rat des Kreises. Zwischen dem bisherigen Rat des Kreises als Staatsorgan (§ 81 GöV) und dem nach dem KommVerfG DDR 1990 gebildeten Landkreisen als Selbstverwaltungskörperschaften bestand weder Rechtsidentität noch Rechtsnachfolge, sondern allenfalls Funktionsnachfolge. Unter diesen Umständen konnten die nach der Wahl noch amtierenden Ratsvorsitzenden den zukünftigen Landkreis nur hinsichtlich des laufenden Bedarfs (einschließlich des laufenden Personalbedarfs) verpflichten. Bis zur Konstituierung des neugewählten Kreistages durften die Ratsvorsitzenden lediglich „einfache Geschäfte der laufenden Verwaltung” erledigen. Zu diesen Geschäften gehört aber nicht die Vergabe von Amtsleiterstellen, zumal diese Stellen erst zu einem Zeitpunkt besetzt werden sollten (31. Mai 1990), ab dem der neugewählte Kreistag und der Landrat die politische Verantwortung wahrnehmen konnten.

2. Die Wirksamkeit des vom Ratsvorsitzenden ohne Vertretungsberechtigung geschlossenen Arbeitsvertrages hing von der Genehmigung des vertretenen Landkreises ab (§ 59 Abs. 1 ZGB-DDR). Der Landrat hat aber bereits am 30. Mai 1990, also einen Tag vor Beginn des beabsichtigten Arbeitsverhältnisses, im Namen des beklagten Landkreises dem Arbeitsvertrag vom 12. Mai 1990 die Genehmigung versagt.

3. Im übrigen wäre der Beklagte durch den Vertrag vom 12. Mai 1990 auch dann nicht verpflichtet worden, wenn dem Ratsvorsitzenden zu diesem Zeitpunkt eine formale Vertretungsmacht für den zukünftigen Landkreis zukäme. Aus dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nach den Kreistagswahlen und vor der Konstituierung des neugewählten Kreistages ergibt sich, daß der Ratsvorsitzende – sollte er für den später entstehenden Landkreis zu handeln formal berechtigt sein – diese formale Vertretungsmacht mißbraucht hätte. Der Kläger kann sich nicht auf die Wirksamkeit des Vertrages berufen, da er die Umstände kannte, die die Befugnisse des Ratsvorsitzenden einschränkten.

4. Der Kläger kann sich demgegenüber nicht mit Erfolg darauf berufen, der Arbeitsvertrag vom 12. Mai 1990 verlängere nur das bisher bestehende Amtsleiterverhältnis. Zwar war der Kläger 1989 ordnungsgemäß nach § 38 Abs. 2 AGB-DDR durch Wahl des Kreistages nach § 7 Abs. 1 Buchst. f GöV zum Amtsleiter bestellt worden. Diese Wahlfunktion endete aber mit Ablauf der Legislaturperiode des Kreistages nach § 66 Satz 1 AGB-DDR durch Zeitablauf. Auf diese Beendigung hatte im übrigen auch der Ratsvorsitzende in seinem Schreiben vom 12. Mai 1990 hingewiesen.

III. War der Arbeitsvertrag vom 12. Mai 1990 für den Beklagten somit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt verpflichtend, kommt es nicht mehr darauf an, ob die Vertragsschließenden in der Absicht handelten, den Beklagten zu schädigen, und der Vertrag deshalb wegen „kollusiver Zusammenarbeit” sittenwidrig und damit nichtig ist.

 

Unterschriften

Ascheid, Dr. Wittek, Müller-Glöge, Plenge, Hannig

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1073562

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