Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitbestimmung des Betriebsrats bei Anrechnung von Tariflohnerhöhungen auf übertarifliche Zulagen
Leitsatz (redaktionell)
Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs 1 Nr 10 BetrVG mitzubestimmen, wenn der Arbeitgeber eine Tariflohnerhöhung auf die übertariflichen Zulagen aller Arbeitnehmer angerechnet hat, um das durch die Anrechnung eingesparte Zulagenvolumen künftig nach anderen Grundsätzen zu verteilen (im Anschluß an das Urteil vom 3. August 1982 - 3 AZR 1219/79 = BAGE 39, 277 = AP Nr 12 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung).
Rechnet der Arbeitgeber bei einer solchen Fallgestaltung die Tariflohnerhöhung auf alle Zulagen an, ohne den Betriebsrat zu beteiligen, ist die Anrechnung gegenüber den einzelnen Arbeitnehmern unwirksam.
Verfahrensgang
LAG Berlin (Entscheidung vom 13.03.1990; Aktenzeichen 3 Sa 1/90) |
ArbG Berlin (Entscheidung vom 02.11.1989; Aktenzeichen 10 Ca 333/89) |
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Anrechnung einer tariflichen Lohnerhöhung auf einen übertariflichen Lohnbestandteil und fordert zugleich für den Monat Juli 1989 die Nachzahlung des entsprechenden Differenzbetrages.
Der Kläger war seit 1. April 1964 aufgrund eines mündlich abgeschlossenen Arbeitsvertrages bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, einem Unternehmen des Aufzugsbaus, als Monteur beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis kommt das Tarifwerk für das metallverarbeitende Handwerk Berlin einschließlich der jeweils geltenden Lohntarifverträge zur Anwendung.
Mit Wirkung ab 1. August 1981 wurde der Kläger von der Beklagten übernommen. In dem aus diesem Anlaß abgeschlossenen schriftlichen Arbeitsvertrag ist hinsichtlich der Entlohnung bestimmt:
"Grundlage der Entlohnung ist die Vereinbarung
zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ... Der den
Tariflohn etwa übersteigende Teil des Lohnes ist
keine Leistungszulage und wird ohne Rechtspflicht
unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs
und der Anrechnung bei Lohntariferhöhungen ge-
währt ...".
Mit Ausnahme der Tariflohnerhöhung vom März 1986 gewährte die Beklagte dem Kläger bei sämtlichen tariflichen Lohnerhöhungen den schon von ihrer Rechtsvorgängerin gezahlten übertariflichen Zuschlag ungekürzt weiter, letztmalig anläßlich der Tariflohnerhöhung von Januar 1989. Im Zusammenhang mit der Weitergabe der jeweiligen Tariflohnerhöhungen übermittelte die Beklagte dem Kläger ebenso wie sämtlichen anderen Arbeitnehmern ein formularmäßiges Schreiben mit dem Inhalt:
"Bei übertariflichen Bestandteilen handelt es
sich um freiwillige, jederzeit nach freiem Ermes-
sen widerrufliche Leistungen, auf die auch bei
wiederholter Gewährung kein Rechtsanspruch be-
steht.
Diese Leistungen können auch jederzeit ganz oder
teilweise auf tarifliche Veränderungen und tarif-
liche Umgruppierungen angerechnet werden."
Die aus Anlaß der tariflichen Arbeitszeitverkürzung ab 1. Juli 1989 in Kraft getretene Tariflohnerhöhung von 2,7 % hat die Beklagte beim Kläger in vollem Umfang auf den übertariflichen Lohnbestandteil angerechnet. Dies teilte sie dem Kläger ebenso wie den übrigen Arbeitern mit einem formularmäßigen Schreiben vom 31. Juli 1989 mit. Der Kläger erhielt bis 30. Juni 1989 einen Tariflohn von 15,49 DM und eine übertarifliche Zulage von 2,88 DM. Ab 1. Juli 1989 sollte er einen Tariflohn von 15,91 DM und eine freiwillige übertarifliche Zulage von 2,46 DM erhalten, sein Gesamtstundenlohn sollte also auch nach dem 1. Juli 1989 18,37 DM betragen.
Diese Anrechnung begründete die Beklagte gegenüber ihrer aus 42 Arbeitern und 13 Angestellten bestehenden Belegschaft unter dem 1. August 1989 mit folgendem Aushang:
"An alle Mitarbeiter
Wir verstehen die Verärgerung aller Mitarbeiter
bezüglich der 2,7 % Lohnausgleichszahlung auf den
Tariflohn.
Auch die Geschäftsleitung und die Eigentümer der
Firma D sind über die hohen Kosten der Be-
triebsratsarbeit und über zum Teil stark überzo-
gene Neubau- und Kleinstangebotsarbeiten zu fest
kalkulierten Preisen bzw. Stunden besonders ver-
ärgert]
Diese schlechten Einflüsse hatten für das Jahr
1988 ein Minus von ca. 120.000,-- DM zur Folge.
Allein der vor kurzem geführte Prozeß des Be-
triebsrates vor dem Arbeitsgericht gegen die
Firma D mit Rechtsanwälten, Einigungsstelle
und Arbeitszeitausfall hat der Firma ca.
10.000,-- DM gekostet. Ein Mißerfolg des Be-
triebsrates. Dieser Riesenaufwand für eine 1/4
Stunde pro Tag]
Die angerechnete freiwillige übertarifliche Zula-
ge ist bei allen Mitarbeitern erfolgt.
Im Hinblick auf Konkurrenzfähigkeit, gesicherte
Arbeitsplätze und auf die geplanten und durchzu-
führenden Neubaumaßnahmen zukunftsorientierter
Arbeitsplätze sind alle Arbeitnehmer und auch Ei-
gentümer zu besonderer Sparsamkeit und vernünfti-
ger Arbeitsweise aufgefordert.
Die 2,7 % Tariflohnerhöhung sind kein Nachteil,
sondern ein Vorteil bei der ab 1. Januar 1990
stattfindenden weiteren Tariflohnerhöhung von
2,5 % bzw. einer weiteren neuen Tariflohntabelle
ab 1. Juli 1990 mit einer Erhöhung von 1,4 %.
Wir können bei einem besseren Jahresergebnis für
1989 unsere ehrlichen und fleißigen Mitarbeiter
mit Leistungszulagen bzw. Prämien belohnen und
werden das auch durchführen.
Den Querulanten, Zuspätkommern und "Krankfeiern-
den" erteilen wir auch zur Gerechtigkeit der ehr-
lichen Mitarbeiter eine eindeutige Absage.
Wir möchten nicht nur Kritik üben, sondern auch
allen Mitarbeitern, die es verdient haben, beson-
ders danken.
Unsere Maßnahme ist mit der Innung abgeklärt und
beruht auf einer Grundsatzentscheidung des Bun-
desarbeitsgerichts, dieses Urteil hängen wir in
Kürze aus."
Der von der Beklagten an der Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf die übertariflichen Lohnbestandteile nicht beteiligte Betriebsrat widersprach der Anrechnung mit einem Schreiben vom 3. August 1989 unter Hinweis auf das von ihm in Anspruch genommene Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.
Ab 1. Juli 1989 hat die Beklagte dem Arbeiter S erstmalig eine übertarifliche Zulage in Höhe von 0,50 DM brutto gezahlt, die sie mit Wirkung ab 1. September 1989 um weitere 1,00 DM brutto pro Stunde erhöht hat. Ebenfalls mit Wirkung ab 1. September 1989 hat die Beklagte dem Arbeiter Y eine übertarifliche Zulage von 1,00 DM brutto pro Stunde gezahlt. Zur gleichen Zeit ist der Arbeiter M in eine höhere Lohngruppe eingestuft worden. Mit Wirkung ab September 1989 hat die Beklagte an eine unbekannt gebliebene Anzahl von Mitarbeitern Prämien in gleichfalls unbekannt gebliebener Höhe ausgezahlt. Eine vom Betriebsrat mit Schreiben vom 18. Oktober 1989 an die Beklagte gerichtete Bitte um nähere Auskunft über die Prämien und die Beachtung seiner Mitbestimmungsrechte ist von der Beklagten nicht beantwortet worden.
Nachdem der Kläger gegenüber der Beklagten bereits mit einem Schreiben vom 3. August 1989 der Anrechnung widersprochen und mit einem Schreiben vom 18. August 1989 den Differenzbetrag für den Monat Juli 1989 in der rechnerisch unstreitigen Höhe von 69,61 DM brutto geltend gemacht hatte, fordert er mit der Klage die Zahlung dieses Differenzbetrages für den Monat Juli 1989 und darüber hinaus die Feststellung, daß die ab 1. Juli 1989 vorgenommene Anrechnung unzulässig sei.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Anrechnung sei aus mehreren rechtlichen Gesichtspunkten unzulässig. Die Anrechnung stelle eine Lohnänderung dar, der gemäß § 3 Abs. 2 des Lohntarifvertrages eine ordentliche Änderungskündigung vorauszugehen habe. Die Anrechnung sei zudem unwirksam, weil der Betriebsrat der Anrechnung der freiwilligen übertariflichen Zulagen nicht zugestimmt habe. Außerdem verstoße die Anrechnung gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, da seit 1. Juli 1989 erstmalig an mehrere Mitarbeiter übertarifliche Zulagen gezahlt worden seien. Das gilt auch für den Arbeiter M , der bei gleichbleibender Tätigkeit höhergruppiert worden sei.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 69,61 DM
brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 14. September
1989 zu zahlen;
2. festzustellen, daß die von der Beklagten mit
Schreiben vom 31. Juli 1989 vorgenommene An-
rechnung der übertariflichen Zulage um 0,42 DM
unzulässig ist.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die vollständige Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf die übertariflichen Lohnbestandteile sei zulässig.
Bezüglich des Arbeiters S hat die Beklagte behauptet, dieser habe die Zulage deshalb erhalten, weil er vom Hilfsmonteur zum Werkstattmonteur aufgestiegen sei. Insoweit hat die Beklagte erklärt, über die Zahlung einer übertariflichen Zulage werde im Einzelfall entschieden, wobei Fleiß, Zuverlässigkeit, Betriebstreue etc. die maßgebenden Kriterien seien. Diese Kriterien hätten auch der im September 1989 gezahlten Prämie zugrunde gelegen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter, während der Kläger um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. I. Die Anträge des Klägers sind zulässig. 1. Der Zahlungsantrag ist ohne weiteres zulässig. 2. Zulässig ist auch der Feststellungsantrag. Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, daß das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde. Eine Feststellungsklage kann auch einzelne aus einem Rechtsverhältnis her zuleitende Verpflichtungen zum Gegenstand haben. Der Antrag des Klägers läßt sich mit den Vorinstanzen dahin auslegen, daß die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten begehrt wird, ab 1. August 1989 für jede Arbeitsstunde weiterhin eine Zulage von 2,88 DM brutto zu vergüten. Der Zulässigkeit der Feststellungsklage steht nicht die grundsätzliche Subsidiarität des Feststellungsantrags gegenüber einem Leistungsantrag entgegen. Durch den Feststellungsantrag wird bis zu einer Änderung des gegebenen Sachverhaltes zwischen den Parteien die Höhe der dem Kläger zu entrichtenden Zulage geklärt. Insoweit führt die Durchführung des Feststellungsverfahrens unter dem Gesichtspunkt der Prozeßwirtschaftlichkeit zu einer sinnvollen und sachgemäßen Erledigung des aufgetretenen Streites (vgl. für Gehaltsforderungen z.B. BAG Urteil vom 13. November 1987 - 7 AZR 550/86 - AP Nr. 61 zu § 37 BetrVG 1972, zu II 2 der Gründe, m.w.N.). Entsprechend sind Feststellungsanträge hinsichtlich der Weiterzahlung von übertariflichen Zulagen ohne weitere Problematisierung vom Fünften Senat für zulässig erachtet worden (vgl. Urteil vom 13. Mai 1987 - 5 AZR 125/86 - AP Nr. 4 zu § 305 BGB Billigkeitskontrolle).
II. Die Anträge des Klägers sind begründet. Dem Kläger steht nach §§ 611, 614 BGB in Verbindung mit seinem Arbeitsvertrag für den Monat Juli 1989 der Betrag von 69,61 DM brutto als Vergütung zu. Hierbei handelt es sich um die Differenz zwischen der ihm gewährten übertariflichen Zulage von 2,46 DM und der von ihm beanspruchten übertariflichen Zulage von 2,88 DM. Er hat auch über den 1. August 1989 hinaus einen Anspruch auf eine übertarifliche Zulage in dieser Höhe. Die Anrechnung der Beklagten der zum Ausgleich für die Arbeitszeitverkürzung ab 1. Juli 1989 vereinbarten Tariflohnerhöhung um 2,7 % auf die ihm bis dahin gewährte übertarifliche Zulage von 2,88 DM ist unwirksam.
1. Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, der Kläger habe keinen vertraglichen Anspruch auf Fortzahlung der Zulage in der bisherigen Höhe ab 1. Juli 1989. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Arbeitgeber übertarifliche Zulagen im Falle einer Tariflohnerhöhung grundsätzlich auf den Tariflohn anrechnen, es sei denn, dem Arbeitnehmer würde aufgrund einer vertraglichen Abrede die Zulage als selbständiger und beständiger Lohnbestandteil neben dem jeweiligen Tariflohn zustehen (BAG Urteil vom 8. Dezember 1982 - 4 AZR 481/80 - AP Nr. 15 zu § 4 TVG Übertariflicher Lohn und Tariflohnerhöhung; Urteil vom 3. Juni 1987, BAGE 55, 322, 325 = AP Nr. 58 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie, m.w.N.). Hierbei kann sich eine stillschweigende Vereinbarung der Zulage zum jeweiligen Tariflohn auch aus einer betrieblichen Übung, den besonderen Umständen bei den Vertragsverhandlungen oder dem Zweck der Zulage ergeben, z.B. bei einer Leistungszulage (vgl. BAGE 18, 22 = AP Nr. 1 zu § 4 TVG Tariflohn und Leistungsprämie). Mangels gegenteiliger vertraglicher Vereinbarung verringert sich der übertarifliche Lohn um den Betrag der Tariflohnerhöhung (BAGE 38, 118 = AP Nr. 47 zu § 242 BGB Gleichbehandlung). Daher kann in der tatsächlichen Zahlung einer übertariflichen Zulage allein noch nicht die vertragliche Abrede erblickt werden, die Zulage solle auch nach einer Tariflohnerhöhung als selbständiger Lohnbestandteil neben dem künftigen Tariflohn gezahlt werden, es sei denn, dies ergäbe sich aus dem Zweck der Zulage. Diese Grundsätze gelten nach der Rechtsprechung selbst dann, wenn die übertarifliche Zulage über einen längeren Zeitraum vorbehaltslos zum Tariflohn gezahlt und bisher niemals mit Tariflohnerhöhungen verrechnet wurde (BAG Urteil vom 8. Dezember 1982, aaO).
Nach den Feststellungen des Arbeitsgerichts, auf die das Landesarbeitsgericht Bezug genommen hat, hat der Kläger selbst nicht behauptet, mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten eine Abrede getroffen zu haben, nach der die Zulage beständig neben dem jeweiligen Tariflohn zu zahlen sei. Der für eine entsprechende betriebliche Übung notwendige Vertrauenstatbestand hat spätestens seit der Übernahme des Betriebes durch die Beklagte im Jahre 1981 nicht (mehr) bestanden. In dem schriftlichen Arbeitsvertrag aus dem Jahre 1981 hat die Beklagte sich vorbehalten, die übertarifliche Zulage jederzeit zu widerrufen und bei Tariflohnerhöhungen anzurechnen. Darauf hat die Beklagte den Kläger anläßlich aller seit 1981 erfolgten Tariflohnerhöhungen hingewiesen.
2. Die Anrechnung verstößt auch nicht gegen die Bestimmung des § 3 Abs. 2 des Lohntarifvertrages für das metallverarbeitende Handwerk Berlin vom 25. Juli 1980, wonach "Lohnänderungen zum Nachteil des Arbeitnehmers einer Änderungskündigung bedürfen". Bei der Anrechnung handelt es sich nicht um eine Lohnänderung, da sich der Gesamtstundenlohn des Klägers nicht verringert hat.
3. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht aber angenommen, der Kläger habe einen Anspruch auf Zahlung der ungekürzten Zulage von 2,88 DM auch über den 1. Juli 1989 hinaus, da die Beklagte das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf übertarifliche Zulagen nicht beachtet habe.
Die Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf übertarifliche Zulagen und der Widerruf von übertariflichen Zulagen aus Anlaß und bis zur Höhe einer Tariflohnerhöhung unterliegen nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrats, wenn sich infolge der Anrechnung die Verteilungsgrundsätze ändern und darüber hinaus für eine anderweitige Anrechnung bzw. Kürzung ein Regelungsspielraum verbleibt. Dies gilt unabhängig davon, ob die Anrechnung durch gestaltende Erklärung erfolgt oder sich automatisch vollzieht. Zahlt der Arbeitgeber - wie im vorliegenden Fall - unterschiedlich hohe Zulagen zum jeweiligen Tariflohn, ändert sich bei einer gleichmäßigen prozentualen Anrechnung einer Tariflohnerhöhung notwendigerweise das Verhältnis der Höhe der Zulagen zueinander; eine solche Änderung stellt eine Änderung des Verteilungsgrundsatzes dar, so daß grundsätzlich ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG besteht (Beschluß des Großen Senats vom 3. Dezember 1991 - GS 2/90 - zur Veröffentlichung vorgesehen, zu C III 5 b aa der Gründe).
Die Änderung der Verteilungsgrundsätze infolge Widerrufs oder Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf übertarifliche Zulagen unterliegt aber nur grundsätzlich der Mitbestimmung des Betriebsrats. Für ein Mitbestimmungsrecht ist dann kein Raum, wenn für eine anderweitige Anrechnung bzw. Kürzung kein Regelungsspielraum mehr besteht, weil der Arbeitgeber die Tariflohnerhöhung auf die Zulagen aller Arbeitnehmer voll und gleichmäßig anrechnet (Beschluß des Großen Senats vom 3. Dezember 1991, aaO, zu C III 6 b bb der Gründe).
Vorliegend hat die Beklagte die Tariflohnerhöhung nicht bei allen Arbeitnehmern voll und gleichmäßig angerechnet. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Beklagte vielmehr anläßlich der Tariflohnerhöhung vom Juli 1989 die Entscheidung getroffen, bei einem Teil ihrer Arbeitnehmer die übertarifliche Zulage anzurechnen, einem anderen Teil aber aus diesem Zulagenvolumen erstmals in unterschiedlicher Höhe und auch als Prämien übertarifliche Zulagen zu zahlen. Diese Feststellung ist von der Beklagten mit Verfahrensrügen nicht angegriffen worden, so daß der Senat nach § 561 Abs. 2 ZPO insoweit gebunden ist. Hat die Beklagte aber nur einem Teil der Arbeitnehmer die Tariflohnerhöhung auf die übertarifliche Zulage angerechnet, hat sich nicht nur der Verteilungsgrundsatz geändert, sondern es bleibt auch ein Spielraum für eine andere Verteilung des gekürzten Zulagenvolumens, der stets Voraussetzung für ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG ist. Anstatt die Tariflohnerhöhung voll auf die übertariflichen Zulagen eines Teils der Arbeitnehmer anzurechnen, wäre auch eine teilweise gleichmäßige Anrechnung auf die übertariflichen Zulagen aller Arbeitnehmer vorstellbar oder eine ungleichmäßige nach anderen Kriterien. Da die Beklagte das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht beachtet hat, ist die Anrechnung der Tariflohnerhöhung gegenüber dem Kläger unwirksam (Beschluß des Großen Senats vom 3. Dezember 1991, aaO, zu D II der Gründe).
Ist die Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf die übertarifliche Zulage des Klägers wegen der Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats unwirksam, sind der Zahlungs- und der Feststellungsantrag begründet, so daß das Landesarbeitsgericht zu Recht der Klage stattgegeben hat. Dementsprechend war die Revision der Beklagten mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.
Dr. Kissel Dr. Weller Dr. Rost
Hilgenberg Rösch
Fundstellen
Haufe-Index 437229 |
DB 1993, 46 (LT1) |
AiB 1993, 405-406 (LT1) |
BetrVG EnnR BetrVG § 87 Abs 1, Nr 10 (11) (LT1) |
NZA 1993, 418 |
NZA 1993, 418-419 (LT1) |
RdA 1992, 407 |
SAE 1993, 111-114 (LT1) |
AP § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung (LT1), Nr 53 |
AR-Blattei, ES 1540 Nr 27 (LT1) |
EzA § 87 BetrVG 1972, Nr 32 (LT1) |
ZfPR 1993, 93 (L) |