Entscheidungsstichwort (Thema)
Befristeter Arbeitsvertrag mit Lektor
Leitsatz (amtlich)
Normenkette
HRG § 57b Abs. 3; EGVtr Art. 48 Abs. 2 (jetzt Art. 39 Abs. 2 EG); GG Art. 9 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 26. Januar 1996 – 5 Sa 2043/94 – wird auf Kosten des beklagten Landes zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis wirksam bis zum 30. September 1994 befristet ist.
Der Kläger ist dänischer Staatsangehöriger. Er wurde durch Arbeitsvertrag vom 16. Oktober 1990 für die Zeit vom 1. Oktober 1990 bis zum 30. September 1994 als Fremdsprachenlektor für Dänisch an der Universität Münster beschäftigt. Die Parteien vereinbarten die Geltung einzelner Vorschriften des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) und der Sonderregelung SR 2y der Richtlinien für die Beschäftigung und Vergütung von Lektoren an wissenschaftlichen Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen (GABl. NW 6/1985, 380 f.) in Bezug genommen. In § 4 des Vertrags heißt es u.a., das Arbeitsverhältnis sei im Hinblick auf die Vermittlung der Fremdsprache und auf die hierauf bezogenen Dienstleistungen bei wissenschaftlichen Vorhaben, ferner im Hinblick auf den laufenden kulturellen und wissenschaftlichen Austausch, den die Beschäftigung von Lektoren bewirken solle, und auf die mit der Beschäftigung bezweckte allgemeine Weiter- und Fortbildung des ausländischen wissenschaftlichen Nachwuchses sowie auf die Notwendigkeit, eine Entfremdung des ausländischen Lektors von seinem Herkunftsland zu vermeiden, bis zum 30. September 1994 befristet. Der sachliche Grund für die Befristung des Arbeitsverhältnisses ergebe sich auch daraus, daß die Beschäftigung überwiegend für die Ausbildung in Fremdsprachen erfolge.
In § 5 des Arbeitsvertrages ist bestimmt, daß die Beschäftigung als vollbeschäftigter Angestellter erfolge. Innerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit bestehe eine Lehrverpflichtung von 16 mit dem Faktor 1 gewichteten Deputatsstunden. In der übrigen Zeit seien andere Dienstleistungen zu erbringen.
Der Kläger hat die Befristung des Arbeitsverhältnisses für unwirksam gehalten. Insbesondere sei sie nicht mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 48 Abs. 2 EG-Vertrag vereinbar.
Der Kläger hat beantragt,
- festzustellen, daß das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis über den 30. September 1994 hinaus unbefristet fortbesteht;
- das beklagte Land zu verurteilen, ihn über den 30. September 1994 hinaus als vollzeitbeschäftigte Lehrkraft für besondere Aufgaben (Lektor) zu sonst unveränderten Arbeitsbedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluß des vorliegenden Rechtsstreits weiterzubeschäftigen.
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Art. 48 EG-Vertrag verbiete nicht jede Befristung der Arbeitsverhältnisse von Lektoren, wenn neben der ausländischen Staatsangehörigkeit ein weiterer, objektiv sachlicher Grund die Befristung rechtfertige. Solche sachlichen Gründe leiteten sich insbesondere aus den arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Richtlinien des Landes Nordrhein-Westfalen her. Die Befristung habe sowohl der Sicherung eines aktualitätsbezogenen, hochqualifizierten Sprachunterrichts als auch dem laufenden kulturellen und wissenschaftlichen Austausch gedient. Ferner sei dem Kläger – entsprechend seiner in der Bewerbung geäußerten Absicht – die Möglichkeit zu einer formalen Weiterqualifikation in vergleichender Idiomatik und Phraseologie gegeben worden.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des beklagten Landes zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt das beklagte Land nach wie vor die Abweisung der Klage. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, daß die Befristung des Arbeitsverhältnisses der Parteien unwirksam ist.
I. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, daß sich die Wirksamkeit der Befristung nicht aus § 57b Abs. 3 HRG ergibt, weil dieser Befristungsgrund nicht mit Art. 48 Abs. 2 EG-Vertrag vereinbar ist.
1. Art. 48 Abs. 2 EG-Vertrag regelt die Freizügigkeit für Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft. Die Freizügigkeit umfaßt die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer hinsichtlich der Arbeits- und Erwerbsbedingungen, die nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist. Das Erfordernis der Sicherung eines aktualitätsbezogenen Unterrichts kann die Befristung der Arbeitsverträge von Fremdsprachenlektoren nicht rechtfertigen (EuGH Urteile vom 20. Oktober 1993 – Rs C-272/92 – (Spotti-), EuGHE I 1993, 5185 = AP Nr. 17 zu Art. 48 EG-Vertrag und vom 2. August 1993 – Rs C-259/91, 331/91 und 332/91 – (Allué II), JZ 1994, 94 ff.).
2. Im Anschluß an diese Rechtsprechung hat der erkennende Senat (Urteil vom 15. März 1995 – 7 AZR 737/94 – AP Nr. 10 zu § 2 BAT SR 2y, zu V 3 und 4 der Gründe; Urteil vom 20. September 1995 – 7 AZR 70/95 – AP Nr. 4 zu § 57b HRG, zu 1 der Gründe; Urteil vom 24. April 1996 – 7 AZR 605/95 – AP Nr. 9 zu § 57b HRG, zu II der Gründe) entschieden, daß § 57b Abs. 3 HRG dem in Art. 48 Abs. 2 EG-Vertrag normierten Diskriminierungsverbot widerspricht, weil die unterschiedlichen Anforderungen an den Befristungsgrund bei Lektoren gegenüber den sonstigen Lehrkräften mit besonderen Aufgaben zu einer Ungleichbehandlung führten, die geeignet seien, ausländische Staatsangehörige zu diskriminieren. Diese Ungleichbehandlung könne nicht durch das Erfordernis der Sicherung eines aktualitätsbezogenen Unterrichts gerechtfertigt werden. Die Gefahr, daß der Lektor durch einen längeren Auslandsaufenthalt den Kontakt mit seiner Muttersprache verliere, sei angesichts eines intensiven kulturellen Austausches und der zunehmenden Kommunikationserleichterungen gering zu schätzen. Es gebe keine wissenschaftlichen Erkenntnisse für die These, daß der Aktualitätsbezug des Unterrichts eines Fremdsprachenlektors bei einem längeren Aufenthalt in Deutschland nicht mehr gewährleistet sei. Denn der Kontakt mit dem Heimatland und der jeweils originären Sprache könne durch aktuelle Kommunikationsmittel und Medien aufrechterhalten werden, wodurch eine Entfremdung vom Herkunftsland vermieden werde.
3. An dieser Beurteilung hält der Senat auch nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 24. April 1996 (– 1 BvR 712/86 – BVerfGE 94, 268 = AP Nr. 2 zu § 57a HRG) fest.
a) Das Bundesverfassungsgericht hat, wie auch schon der erkennende Senat im Urteil vom 30. März 1994 (– 7 AZR 229/93 – BAGE 76, 204 = AP Nr. 1 zu § 57a HRG), eine Verletzung der nach Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Koalitionsfreiheit durch das Gesetz über befristete Arbeitsverträge mit wissenschaftlichem Personal an Hochschulen und Forschungseinrichtungen vom 14. Juni 1985 (HRG) verneint. Bei der verfassungsrechtlichen Prüfung des § 57b Abs. 3 HRG hat es ausgeführt, das Ziel, einen aktualitätsbezogenen Sprachunterricht an den Hochschulen zu sichern, sei – gemessen an Art. 5 Abs. 3 GG – legitim. Aktualitätsbezug sei, sehe man vom Unterricht in den alten Sprachen ab, ein Qualitätsmerkmal, das Hochschulen für ihren Unterricht verlangen dürfen. Die Befristung sei ein geeignetes Mittel, dieses Ziel zu erreichen. Es sei auch erforderlich. Die Gefahr, daß Lektoren, die in der Regel Unterricht in ihrer Muttersprache erteilen, nach einem längeren Aufenthalt in Deutschland den Aktualitätsbezug zu ihrer Sprache verlieren, sei entgegen der Auffassung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 20. Oktober 1993, aaO) und des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 15. März 1995, aaO, ebenso Urteil vom 20. September 1995 – 7 AZR 70/95 – AP Nr. 4 zu § 57b HRG) nicht von der Hand zu weisen. Der Aktualitätsbezug der Lektoren zu ihrer Muttersprache sei in jedem Fall stärker, wenn ihr ständiger Aufenthalt in ihrem Heimatland nicht längere Zeit zurückliege. Ob ein Lektor von den Möglichkeiten, die die heutigen Kommunikationsmittel und Reisemöglichkeiten bieten, auch tatsächlich Gebrauch macht, um eine hinreichend enge kulturelle Bindung an sein Heimatland aufrechtzuerhalten, stehe in seinem Belieben. Der Aktualitätsbezug könne dadurch nicht in gleichem Maße gesichert werden.
b) An diese Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtfertigung des gesetzlichen Eingriffs in die Betätigungsfreiheit der Tarifvertragsparteien ist der Senat nur hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Würdigung gebunden, daß § 57b Abs. 3 HRG mit der Verfassung vereinbar ist. Soweit im Zusammenhang mit der verfassungsrechtlichen Würdigung zugleich die Auslegung einfachen Rechts angesprochen wird, ist der Senat nicht gebunden. Dessen Anwendung ist allein Sache der dafür zuständigen Fachgerichte (BVerfGE 18, 85, 92 f.).
c) Die einfach-rechtlichen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts geben dem Senat keinen Anlaß, seine Rechtsprechung zur Unvereinbarkeit des § 57b Abs. 3 HRG mit Art. 48 Abs. 2 EG-Vertrag zu ändern. Der Senat ist daran schon aus europarechtlichen Gründen gehindert, nachdem der Europäische Gerichtshof (Urteil vom 20. Oktober 1993, aaO) für die nationalen Gerichte verbindlich entschieden hat, daß die Befristung der Arbeitsverhältnisse mit Fremdsprachenlektoren aus Ländern der EU sachlich begründet sein muß und die Sicherung eines aktualitätsbezogenen Unterrichts als sachlicher Grund nicht in Betracht kommt. Einen eigenen Entscheidungsspielraum hatte der Senat insoweit schon im Urteil vom 15. März 1995 (aaO) nicht mehr. Daran hat sich durch die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in ein Grundrecht nichts geändert.
II. Das Landesarbeitsgericht hat auch zutreffend erkannt, daß sich das beklagte Land zur Rechtfertigung der Befristung des Arbeitsverhältnisses nicht auf die weiteren im schriftlichen Arbeitsvertrag und in den Richtlinien des Landes genannten Zwecke berufen kann.
1. Dem beklagten Land war es trotz seiner erstinstanzlichen Erklärung, die Rechtfertigung der Befristungsabrede allein auf § 57b Abs. 3 HRG stützen zu wollen nicht verwehrt, sich erst im Berufungsrechtszug zur Rechtfertigung der Befristung des Arbeitsverhältnisses auf weitere sachliche Gründe zu berufen. In der Berufungsinstanz wird der Rechtsstreit grundsätzlich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht neu verhandelt. Deshalb können in den Grenzen des § 67 ArbGG Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, im Berufungsverfahren grundsätzlich neu vorgebracht werden. Auch kann dahinstehen, ob das beklagte Land durch die ausdrückliche Beschränkung des erstinstanzlichen Vorbringens die allgemeine Prozeßförderungspflicht des § 282 ZPO verletzt hat. Eine fehlerhafte Berücksichtigung von neuem Tatsachenvortrag, der bei richtigem Vorgehen des Berufungsgerichts hätte zurückgewiesen werden müssen, kann mit der Revision nicht mehr geltend gemacht werden, weil die Beschleunigungswirkungen, die durch § 67 ArbGG (und § 528 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO) gesichert werde sollen, nicht mehr herzustellen sind, nachdem das Berufungsgericht dem Vorbringen nachgegangen ist (BGH Beschluß vom 26. Februar 1991 – XI ZR 163/90 – NJW 1991, 1896).
2. Das beklagte Land kann sich zur Rechtfertigung der Befristungsvereinbarung nicht darauf berufen, daß die Befristung den laufenden kulturellen und wissenschaftlichen Austausch bewirken solle.
Nach der Senatsrechtsprechung ist eine Befristung unter dem Gesichtspunkt des kulturellen Austausches sachlich nur gerechtfertigt, wenn die konkrete Lektorenstelle dem internationalen Austausch von Hochschulabsolventen dient. Dazu bedarf es entsprechender Vereinbarungen mit ausländischen Hochschulen oder jedenfalls der Darlegung einer entsprechenden Verwaltungspraxis. Die dem sogenannten Rotationsprinzip innewohnende Weiterbildungsfunktion ist als sachlicher Grund für die Befristung nur anzuerkennen und sinnvoll, wenn nach verhältnismäßig kurzer Zeit auch tatsächlich ein Austausch stattfindet (BAG Urteile vom 24. April 1996 – 7 AZR 701/95 –, n.v., zu II 2 der Gründe und – 7 AZR 605/95 – AP Nr. 9 zu § 57b HRG, zu IV 1 der Gründe, jeweils m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Das beklagte Land hat entsprechende Vereinbarungen mit ausländischen Hochschulen oder jedenfalls eine entsprechende Verwaltungspraxis nicht dargelegt.
3. Aus den Darlegungen des beklagten Landes wird auch nicht ersichtlich, daß der Kläger im Hinblick auf eine besondere Fort- und Weiterbildung befristet eingestellt worden ist.
Die Tätigkeit eines Lektors ist ihrem Inhalt und ihrer Stellung nach im Hochschulbereich nur ausnahmsweise geeignet, weitere Qualifikationen zu vermitteln, die über eine allgemeine mit derartigen Tätigkeiten grundsätzlich verbundene Fort- und Weiterbildung hinausgehen. Eine allgemeine Fort- oder Weiterbildung, die zwangsläufig mit jeder mehrjährigen Berufsausübung einhergeht, ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Rechtfertigung einer Befristung nicht geeignet.
Der Kläger hat zwar in seinem Bewerbungsschreiben ausgeführt, daß sein Aufenthalt an der Universität Münster seine Studien in vergleichender Ideomatik und Phraseologie weiter fördern könne. Das beklagte Land hat aber nicht dargelegt, inwieweit die Dienstleistung des Klägers auch tatsächlich seiner Aus-, Fort- oder Weiterbildung gedient haben soll. Aus der arbeitsvertraglichen Vereinbarung geht nicht hervor, daß die Befristung im Hinblick auf eine Weiterbildung des Klägers in vergleichender Ideomatik und Phraseologie erfolgen sollte. Gemäß § 5 Abs. 1 des Arbeitsvertrages vom 16. Oktober 1990 war dem Kläger eine Lehrverpflichtung von 16 Wochenstunden auferlegt. Hierbei handelt es sich um die reguläre Lehrverpflichtung gemäß Nr. 2.5 Satz 1 der Richtlinien. Nach Nr. 2.5 Satz 2 der Richtlinien ist jedoch für den Zeitraum, in dem die Beschäftigung des Lektors zugleich einer speziellen wissenschaftlichen Fort- und Weiterbildung dient und u.a. auch aus diesem Grunde befristet ist, die Lehrverpflichtung auf 12 Deputatsstunden zu ermäßigen. Gemäß Nr. 5.2 der Richtlinien ist im Arbeitsvertrag die aus diesem Grunde zu gewährende Ermäßigung zu vereinbaren, wenn die Beschäftigung zugleich dieser speziellen Fort- und Weiterbildung dient. Da eine solche arbeitsvertragliche Vereinbarung zur Reduzierung der Deputatsstunden nicht erfolgte und auch tatsächlich nicht durchgeführt wurde, ist davon auszugehen, daß dieser Befristungsgrund tatsächlich nicht vereinbart werden sollte.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dörner, Steckhan, Schmidt, Schiele, G. Güner
Fundstellen
Haufe-Index 885468 |
JR 1997, 528 |
NZA 1997, 998 |
SAE 1998, 186 |
EuZW 1998, 319 |