Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialplanleistung. Einzelvertrag. Verdienstsicherung auf Grund Einzelvertrag entsprechend Sozialplan. Betriebsverfassungsrecht. Prozeßrecht. Arbeitsvertrag, Auslegung
Orientierungssatz
Feststellungsinteresse nach § 256 ZPO. Auslegung einer einzelvertraglichen Vereinbarung. Unklarheitenregel. Verschlechternde Betriebsvereinbarung. Ablösungsprinzip. Grundsatz der Günstigkeit. Wegfall der Geschäftsgrundlage.
Normenkette
BetrVG §§ 112, 76; BGB §§ 133, 157, 611
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Reduzierung der dem Kläger gewährten Verdienstsicherung.
Der Kläger ist gemäß dem Arbeitsvertrag vom 29. Januar 1979 seit dem 1. Februar 1979 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin, der K… AG, als Arbeiter tätig. Die Beklagte beschäftigte in ihren Werken am 31. Dezember 1997 1463 Angestellte und Arbeiter. In jedem Werk besteht ein örtlicher Betriebsrat, ferner ist ein Gesamtbetriebsrat gebildet, dem die Zuständigkeit für den Abschluß von Sozialplänen obliegt. Der Kläger war im Werk H… freigestelltes Betriebsratsmitglied.
Bis zum 17. Oktober 1993 war der Kläger im Werk H… eingesetzt, für das er auch eingestellt worden war; dieses ist mit Wirkung zum 18. Oktober 1993 stillgelegt worden. Ab 18. Oktober 1993 wurde der Kläger auf dem Arbeitsplatz “1. Glüher/Steuermann Beize” im Werksbereich W… mit einem Stundenlohn von 21,28 DM brutto beschäftigt. Das entsprechende Schreiben der Beklagten vom 8. Oktober 1993, das mit “Arbeitsvertrag” überschrieben und vom Kläger mit “einverstanden” gegengezeichnet worden ist, hatte weiter folgenden Inhalt:
“…
Sie erhalten eine Verdienstsicherung entsprechend der Bestimmungen des derzeit gültigen Sozialplanes. Die Lohnstützung wird auf Basis des errechneten Monatsverdienstes von DM 5.305,51 gewährt. Damit sind sämtliche Verdienstbestandteile aus dem bisherigen Arbeitsverhältnis abgegolten.
Durch die Verlängerung der Wegezeit zum neuen Arbeitsplatz erhalten Sie für die Dauer von 24 Stunden eine Pauschalzahlung von DM 180,-- brutto/Monat.
Die höheren Fahrtkosten werden ebenfalls ausgeglichen. Für die Dauer von 36 Monaten werden die Zusatzkosten unter Zugrundelegung der günstigsten Tarife der öffentlichen Verkehrs mittel erstattet. Eine Bescheinigung hierfür müßten Sie uns bitte zukommen lassen.
Im übrigen bleibt es bei den bisherigen Vereinbarungen.”
Der in Bezug genommene Sozialplan vom 27. April 1993 (K… 1993) lautete ua. wie folgt:
“Gesamtbetriebsvereinbarung
über den Ausgleich oder die Milderung von wirtschaftlichen Nachteilen, die den von Stillegungen bzw. Rationalisierungsmaßnahmen betroffenen Mitarbeitern der K… AG entstehen können.
Im Zusammenhang mit notwendigen Stillegungen und Rationalisierungsmaßnahmen in der Sparte Stahl des F… Konzerns sind einschneidende Personalmaßnahmen erforderlich.
…
Zur Abwendung und Milderung sozialer Nachteile wird gemäß § 112 BetrVG folgende Regelung vereinbart:
I. Versetzungen
1.1 Grundsatz
Nach wie vor gilt der Grundsatz, allen frei werdenden Mitarbeitern einen angemessenen Arbeitsplatz im Konzern anzubieten
…
1.2 Einkommenssicherung
Werden Mitarbeiter auf geringer bezahlte Arbeitsplätze versetzt, so wird ein Absicherungsbetrag gezahlt. Der Absicherungsbetrag errechnet sich aus dem Vergleich des am alten Arbeitsplatz erzielten Monatslohnes/-gehaltes zuzüglich des auf die tarifliche Arbeitszeit hoch gerechneten Durchschnitts der letzten 12 Monate vor der Versetzung aus § 20 MTV (ohne Mehrarbeit) mit dem am neuen Arbeitsplatz erzielten Monatslohn/-gehalt zuzüglich gezahlter stahltypischer Zuschläge und Zulagen (einschließlich Prämien).
…
Bei Tariferhöhungen wird das Monatsentgelt und der Durchschnittswert des § 20 MTV des alten Arbeitsplatzes für den Vergleich entsprechend erhöht.
Lag der Gesamtbetrag am alten Arbeitsplatz höher, ist das am neuen Arbeitsplatz erzielte Einkommen um die Differenz aufzustocken.
Bei mehrfach von Maßnahmen Betroffenen wird für jede Maßnahme eine neue Sicherung auf Basis des zum Zeitpunkt der Maßnahme eingenommenen Arbeitsplatzes ermittelt und entsprechend den vereinbarten Staffeln zu Ende geführt.
Der Absicherungsbetrag wird für folgende Jahre gezahlt:
Betriebszugehörigkeit |
Alter bis vollend. Lj. |
25. |
30. |
35. |
40. |
45. |
50. |
nach 50. |
bis 5 Jahre |
2 |
2,5 |
3 |
3,5 |
4 |
4,5 |
5 |
bis 10 Jahre |
2,5 |
3 |
3,5 |
4 |
4,5 |
5 |
5,5 |
bis 15 Jahre |
|
3,5 |
4 |
4,5 |
5 |
5,5 |
Unbegrenzt |
bis 20 Jahre |
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|
4,5 |
5 |
5,5 |
6 |
bis 25 Jahre |
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5,5 |
6 |
6,5 |
bis 30 Jahre |
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6,5 |
7 |
über 30 Jahre |
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|
|
7,5 |
Nach Ablauf der Sicherungsdauer werden bei Tariferhöhungen 25 % des tariflichen Erhöhungsbetrages auf die Einkommenssicherung angerechnet, das heißt, daß das abgesicherte Einkommen bei den folgenden tariflichen Erhöhungen jeweils nur um 75 % des tariflichen Erhöhungsbetrages angepaßt wird.”
Dieser Sozialplan wurde durch eine Gesamtbetriebsvereinbarung vom 15. Dezember 1995 (Sozialplan 1995) abgelöst. Darin ist die Verdienstsicherung im wesentlichen beibehalten, aber für die Zeit nach Ablauf der Sicherungsdauer der Anrechnungsbetrag bei Tariferhöhungen von 25 % auf 50 % verdoppelt worden. Punkt 1.2 Abs. 8 der Gesamtbetriebsvereinbarung vom 15. Dezember 1995 lautet:
“Nach Ablauf der Sicherungsdauer werden bei Tariferhöhungen 50 % des tariflichen Erhöhungsbetrages auf die Einkommenssicherung angerechnet, das heißt, daß das abgesicherte Einkommen bei den folgenden tariflichen Erhöhungen jeweils nur um 50 % des tariflichen Erhöhungsbetrages angepaßt wird.”
Am 1. Mai 1994 wurde der Kläger in das Werk We… versetzt und – nachdem dieses Ende April 1997 geschlossen werden sollte – ab 6. Mai 1996 im Hinblick auf die bevorstehende Schließung auf dem Arbeitsplatz “Anlernen Stangenbetrieb” im Werk Ha… eingesetzt, wo er seit 1. Januar 1998 als “Schleifer Linie 1” arbeitet.
Der Kläger erhielt, weil er seit seiner Versetzung mit Wirkung vom 18. Oktober 1993 auf den ihm jeweils zugewiesenen Arbeitsplätzen den bis dahin im Werk H… erzielten Lohn nicht mehr erreichen konnte, nach dem Sozialplan “K… 1993” bzw. dem “Sozialplan 1995” eine Verdienstsicherung, die im Monatsdurchschnitt bei 2.000,00 DM brutto lag.
Für die Verdienstsicherung von 456 Arbeitnehmern im Unternehmensbereich der Beklagten fielen 1997 bei einem Durchschnittsbetrag von 445,00 DM ca. 2.435.040,00 DM an. Um diese Belastungen zurückzuführen, schlossen die Beklagte und der Gesamtbetriebsrat am 18. Juli 1997 eine neue Gesamtbetriebsvereinbarung, die an die Stelle der Gesamtbetriebsvereinbarung vom 15. Dezember 1995 trat und die Einkommenssicherung der sog. Altfälle – zu denen der Kläger gehörte – um einen mit 20,00 DM beginnenden und sich um 20,00 DM monatlich erhöhenden Betrag reduziert.
Die Beklagte informierte den Kläger über die Kürzung seiner Einkommenssicherung mit dem Schreiben vom 31. Oktober 1997 wie folgt:
“Aufgrund früherer Sozialplanregelungen erhalten Sie wegen einer erfolgten Umsetzung bzw. wegen veränderter Arbeitsweise eine Einkommenssicherung.
Durch die Gesamtbetriebsvereinbarung (Sozialplan) vom 18. Juli 1997 sind diese “Altfälle” neu geregelt worden.
Im Rahmen dieser Neuregelung bleibt der Einkommenssicherungsbetrag bis zum Ablauf Ihrer am 01.08.1997 geltenden Kündigungsfrist von 6 Monaten erhalten und wird dann ab 01.02.1998 mit DM 20,--/Monat bis zur Unwirksamkeit zurückgeführt.
Wir bitten um entsprechende Kenntnisnahme.”
Der Bruttolohn des Klägers wurde daraufhin wie folgt gekürzt:
Februar 1998 |
20,00 DM brutto |
März 1998 |
40,00 DM brutto |
April 1998 |
60,00 DM brutto |
Mai 1998 |
80,00 DM brutto |
|
200,00 DM brutto. |
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kürzungen seien unberechtigt. Auf Grund einzelvertraglicher Zusage im Schreiben vom 8. Oktober 1993 stehe ihm die Verdienstsicherung weiterhin gemäß dem Sozialplan vom 27. April 1993 – also ungekürzt – zu. Nach diesem Schreiben erhalte er die Verdienstsicherung ausdrücklich nach dem “derzeit gültigen” Sozialplan. Diese Einzelzusage sei durch die späteren Betriebsvereinbarungen nicht geändert worden. Im übrigen habe der K… Konzern 1997 einen Gewinn von 698.000.000 DM erwirtschaftet. Außerdem sei an alle Mitarbeiter am 1. Juli 1998 eine Sonderzahlung von 300,00 DM erfolgt, an bestimmte Mitarbeiter seien Musical-Gutscheine in Höhe von 150,00 DM verteilt worden.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, daß die Beklagte nicht berechtigt sei, die ihm mit Schreiben vom 8. Oktober 1993 zugesagte Verdienstsicherung dahingehend abzuändern, daß ab 1. Februar 1998 der Einkommenssicherungsbetrag mit 20,00 DM bis zur Unwirksamkeit zurückgeführt werde,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 200,00 DM brutto zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe durch das Schreiben vom 8. Oktober 1993 mit dem Verweis auf die Bestimmungen des Sozialplans vom 27. April 1993 keinen einzelvertraglichen Anspruch auf die Verdienstsicherung erworben. Es sei bei ihr unüblich, Arbeitnehmern durch einzelvertragliche Vereinbarungen über die Regelungen in Betriebsvereinbarungen hinausgehende Sonderstellungen zuzusichern. Vielmehr sollten mit der Betriebsvereinbarung für alle Betriebsangehörigen einheitliche Arbeitsbedingungen mit normativer Wirkung geschaffen werden. Hinweise auf bestehende Sozialpläne seien nur deklaratorisch. Außerdem sei die Verweisung auf den Sozialplan in dem Schreiben vom 8. Oktober 1993 nicht als statische, sondern als dynamische Verweisung auf den jeweils gültigen Sozialplan anzusehen. Hiervon seien auch die Partner der nachfolgenden Gesamtbetriebsvereinbarungen ausgegangen. Im übrigen seien die Verschlechterungen in der Gesamtbetriebsvereinbarung vom 18. Juli 1997 wirtschaftlich erforderlich gewesen; insoweit sei auch von einem Wegfall der Geschäftsgrundlage des Sozialplans 1993 auszugehen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet.
Der Kläger hat nach dem Schreiben vom 8. Oktober 1993 einen einzelvertraglichen Anspruch auf Verdienstsicherung entsprechend dem Sozialplan vom 27. April 1993. Zutreffend haben die Vorinstanzen der Klage daher stattgegeben. Soweit dem Landesarbeitsgericht dabei nicht in allen Teilen der Begründung gefolgt werden kann, erweist sich seine Entscheidung aus anderen Gründen als richtig (§ 563 ZPO).
Unterschriften
Wißmann, Rost, Hauck, Gnade, Gentz
Fundstellen