Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerruf von Lohnzulagen
Leitsatz (redaktionell)
Eine Leistungszulage kann nicht nach freiem Ermessen widerrufen werden, selbst wenn der Arbeitgeber sich das ausdrücklich vorbehalten hat. Der Widerruf von Vergütungsbestandteilen ist nur in den Grenzen billigen Ermessens zulässig.
Normenkette
BGB §§ 315, 611
Verfahrensgang
LAG Berlin (Entscheidung vom 16.01.1986; Aktenzeichen 4 Sa 84/85) |
ArbG Berlin (Entscheidung vom 31.07.1985; Aktenzeichen 18 Ca 144/85) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob eine Lohnzulage wirksam widerrufen wurde.
Der Kläger ist seit 9. Juli 1979 bei der Beklagten als Fertigmacher tätig. Die Beklagte stellt berührungslose Abtastgeräte her und beschäftigt etwa 100 Angestellte und 180 Arbeiter. Bei der Einstellung haben die Parteien vereinbart, daß der Kläger in Lohngruppe III eingestuft wird und einen Stundenlohn von 9,30 DM brutto erhält (der Tarifstundenlohn hat derzeit 7,70 DM brutto betragen). Die Beklagte ist nicht Mitglied des Arbeitgeberverbandes der Berliner Metallindustrie. In einer Anlage zum Anstellungsvertrag sind alle Tarifverträge aufgezählt, die auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden sollen. Diese Aufstellung schließt mit folgendem von den Parteien unterzeichneten Text:
"Ergänzend zu dem Lohntarifvertrag gilt folgender
Hinweis als vereinbart:
Bei übertariflichen Verdienstbestandteilen handelt
es sich um freiwillige, jederzeit nach freiem
Ermessen widerrufliche Leistungen, auf die auch bei
wiederholter Gewährung kein Rechtsanspruch für die
Zukunft besteht. Diese Leistungen können auch jederzeit
ganz oder teilweise auf tarifliche Veränderungen
und tarifliche Umgruppierungen angerechnet werden."
In der Folgezeit erhöhte die Beklagte den Lohn mehrfach. Dabei schlüsselte sie den Lohn in Tariflohn und "außertarifliche Zulage" auf. So hießt es in dem Schreiben vom Februar 1980 unter anderem:
"Der neue Brutto-Stundenlohn setzt sich rückwirkend
ab 1. Februar 1980 wie folgt zusammen:
Tariflohn DM 8,22 (LG 3)
außertarifliche
Zulage DM 2,05
Gesamtlohn --------
DM 10,27
========
Mit Schreiben vom 23. September 1980 teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß sich sein Stundenlohn nunmehr - nach Lohnerhöhung - wie folgt zusammensetze:
"Tariflohn
Lohngruppe IV DM 8,78
+ außertarifliche
Zulage DM 2,69
Bruttolohn --------
DM 11,47"
========
Von diesem Zeitpunkt an erhielt der Kläger bis einschließlich März 1985 eine außertarifliche Zulage von 2,69 DM zu dem jeweiligen Tarifstundenlohn der Lohngruppe IV. Die Parteien haben im vorliegenden Rechtsstreit übereinstimmend erklärt, daß die dem Kläger gewährten außertariflichen Zulagen jeweils als Leistungszulage gezahlt wurden.
Am 1. März 1985 hat die Beklagte mit ihrem Betriebsrat eine am selben Tage in Kraft getretene "Betriebsvereinbarung über die Vergabe von tariflichen Leistungszulagen" abgeschlossen. Grundlage hierfür war folgende nachwirkende tarifliche Lohnbestimmung (früher § 19 MTV):
"Zeitlohnarbeitern werden Leistungszulagen
gewährt, die im Durchschnitt des Betriebes
13 % der tariflichen Zeitlohnsumme betragen."
Hierzu ist unter I und X der Betriebsvereinbarung vom 1. März 1985 folgendes geregelt worden:
I. Die laut Tarifvertrag zu gewährenden Leistungszulagen
sind für alle Arbeitnehmer auf der Grundlage
der Ergebnisse einer Leistungsbeurteilung
festzusetzen. Für die Beurteilung der Leistungszulage
ist ein Beurteilungsbogen entsprechend
dem beigefügten Muster zu verwenden. Die beurteilte
Leistung wird mit Punkten von 1 - 100 belegt.
Der Wert eines Punktes beträgt bei Zeitlohnarbeitern
0,13 %, bei Angestellten 0,10 % des jeweiligen
Tariflohnes/-gehaltes.
...
X. Soweit außertarifliche (übertarifliche) Zulagen
gewährt werden, werden diese auf tarifliche Leistungszulagen
angerechnet. Die Anrechnung erfolgt
solange, bis der Betrag der außertariflichen
(übertariflichen) Zulagen erreicht ist. Bis zur
Deckungsgleichheit beider Summen werden die sich
ergebenden Differenzbeträge als außertarifliche
(übertarifliche) Leistungszulagen gezahlt unter
der Voraussetzung, daß der Arbeitgeber nicht von
seinem vorbehaltenen Widerrufsrecht Gebrauch macht.
Die so verbliebenen außertariflichen (übertariflichen)
monatlich ausbezahlten Zulagen werden jeweils
unter dem Vorbehalt der Verrechenbarkeit gewährt.
Insbesondere gilt dies für die sich aus dieser Betriebsvereinbarung
etwa ergebenden Ausgleichsberechnungen,
so daß die bis dahin gezahlten außertariflichen
(übertariflichen) Zulagen unter dem
jeweiligen Vorbehalt der nachträglichen Verrechenbarkeit
stehen.
Es besteht Klarheit darüber, daß die freiwillig
gewährten und zu gewährenden Zulagen nach Grund
und Höhe weiterhin mitbestimmungsfrei sind."
In einer schriftlichen Leistungsbeurteilung vom 28. Februar 1985 errechnete der Vorgesetzte des Klägers für diesen 42,5 von 100 möglichen Punkten.
Die Beklagte hat sämtlichen Arbeitnehmern Ende März mit dem in der Betriebsvereinbarung vereinbarten Formularschreiben die nähere Zusammensetzung ihres Lohnes ab 1. April 1985 mitgeteilt. Das Schreiben an den Kläger vom 27. März 1985 lautet auszugsweise wie folgt:
"Das Ergebnis der Leistungsbeurteilung - unter
Berücksichtigung der ab 1. April 1985 geltenden
Lohntabelle - führte in Ihrem Falle dazu,
daß Ihr Brutto-Stundenlohn ab 1. April 1985
sich im einzelnen wie folgt zusammensetzt:
DM 10,85 Tarif-Stundenlohn, LG 4
DM -,60 Tarifl. Leistungszulagen (42,5
Punkte = 5,53 %)
DM 2,09 AT-Zulage nach Verrechnung
./. DM 2,09 Widerruf der AT-Zulage
-------- Brutto-Stunden-Lohn/Gesamt
DM 11,45
========
Der Tarifstundenlohn der Lohngruppe IV war zum 1. April 1985 von 10,24 DM auf 10,85 DM angehoben und die Arbeitszeit auf 38,5 Stunden wöchentlich verringert worden. Die Beklagte zahlte an den Kläger ab 1. April 1985 einen Wochenlohn von 440,83 DM (11,45 DM x 38,5 Stunden). Der Kläger hält den Widerruf der Zulage für unwirksam. Im vorliegenden Verfahren begehrt er ihre Weiterzahlung für die Monate April und Mai 1985 sowie die Feststellung, daß sein Stundenlohn ab 1. Juni 1985 13,54 DM brutto beträgt, und der Widerruf der Zulage unzulässig ist.
Der Kläger hat vorgetragen: Die Beklagte habe die Leistungszulage schon deshalb nicht widerrufen können, weil sie sich den Widerruf nicht wirksam vorbehalten habe. Die ihm erst einige Monate nach Vertragsabschluß übergebene Anlage zum Anstellungsvertrag habe er durch seine Unterschrift nur zur Kenntnis genommen. Sie sei jedoch nicht Vertragsbestandteil geworden. Aber selbst wenn der Widerrufvorbehalt wirksam wäre, habe der Widerruf nur nach billigem Ermessen erklärt werden können. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Seine Leistungen seien nach wie vor gut. Er sei ohne sachlichen Grund unterdurchschnittlich beurteilt worden. Die Beklagte wolle mit dem Widerruf der Zulage den Kläger nur zur Kündigung veranlassen. Die Beklagte habe vor Widerruf der Leistungszulage erfolglos versucht, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zu kündigen, eine ebenfalls ergebnislos gebliebene Änderungskündigung ausgesprochen und ihn schließlich immer wieder als Springer in anderen Abteilungen eingesetzt. Schließlich habe die Beklagte mit dem Widerruf gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen. Sie habe bei einigen wenigen ihrer Arbeitnehmer die zuvor jahrelang regelmäßig gewährte Leistungszulage in unterschiedlichem Umfang widerrufen, ohne daß erkennbar sei, welche Grundsätze hierfür maßgebend gewesen seien.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen an den
Kläger den Betrag von 724,18 DM
nebst 4 % Zinsen aus 356,34 DM seit
30. April 1985 und von 367,84 DM seit
31. Mai 1985 zu zahlen,
2. festzustellen, daß der Stundenlohn des
Klägers ab 1. Juni 1985 13,54 DM brutto
beträgt und der Widerruf der außertariflichen
Zulage des Klägers durch Schreiben
der Beklagten vom 27. März 1985 unzulässig
ist.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und dazu vorgetragen: Beim Einstellungsgespräch sei dem Kläger die zukünftige Vergütung aufgeschlüsselt und der über die Lohngruppe hinausgehende Teil als widerruflich bezeichnet worden. Die Widerruflichkeit sei wirksam vereinbart worden, da der Kläger die Anlage zum Arbeitsvertrag unterschrieben habe. Bei dieser Zulage habe es sich um eine einzelvertraglich vereinbarte freiwillige Leistungszulage gehandelt. Daher sei sie berechtigt, die Zulage - wie vereinbart - nach freiem Ermessen und nicht etwa nur nach billigem Ermessen zu widerrufen. Sie, die Beklagte, habe ihr Ermessen aber weder offenbar unbillig noch willkürlich ausgeübt, sondern wegen zwischenzeitlich eingetretener Leistungsmängel des Klägers. Dem Widerruf stehe auch nicht der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz entgegen. Die Leistungsbeurteilung sei in einem förmlichen Verfahren nach für alle Arbeitnehmer gleichermaßen geltenden Grundsätzen erfolgt. Die Leistungsbeurteilung sei zutreffend. Die Leistungen des Klägers hätten sich erheblich verschlechtert. Im übrigen seien Tätigkeiten, in denen er sich besonders ausgezeichnet habe, durch die Einführung eines elektronischen Systems weitgehend weggefallen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung blieb erfolglos. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
Der Kläger wendet sich mit seiner Feststellungsklage zu Recht dagegen, daß seine außertarifliche Zulage von 2,09 DM in vollem Umfang widerrufen worden ist. Die Beklagte ist dazu nicht berechtigt.
I. Dem Kläger steht nach seinem Arbeitsvertrag in Verbindung mit § 611 BGB für die Zeit ab 1. April 1985 ein Gesamtstundenlohn von 13,54 DM zu, der sich aus dem Tarifstundenlohn der Lohngruppe IV von 10,85 DM, der tariflichen Leistungszulage von 0,60 DM und der AT-Zulage von 2,09 DM zusammensetzt.
Die Beklagte war nicht berechtigt, den Lohn des Klägers ab 1. April 1985 durch Widerruf der nach Verrechnung mit der tariflichen Leistungszulage noch verbleibenden AT-Zulage in Höhe von 2,09 DM zu kürzen.
Bei der dem Kläger bis einschließlich März 1985 gezahlten Zulage von 2,69 DM handelt es sich nach den übereinstimmenden Erklärungen beider Parteien um eine Leistungszulage.
Der Anspruch des Klägers auf eine ungekürzte außertarifliche Zulage von 2,09 DM ergibt sich aus der Lohnmitteilung vom 23. September 1980. Davon geht die Beklagte in ihrem Schreiben vom 27. März 1985 ebenfalls aus, jedoch hat sie die bis dahin gewährte Zulage in doppelter Weise verringert: Einmal hat sie die tarifliche Leistungszulage hierauf angerechnet. Dagegen wendet sich der Kläger nicht, denn diese Anrechnung ist in der Betriebsvereinbarung vom 1. April 1985 geregelt. Die Beklagte hat aber außerdem die hiernach verbleibende außertarifliche Zulage widerrufen und diesen Abzug mit der durch Betriebsvereinbarung vom 1. April 1985 eingeführten Leistungsbeurteilung begründet.
II. Die Beklagte war zu diesem Widerruf nicht berechtigt. Hierfür kann sie sich weder auf den in der Anlage zum Arbeitsvertrag vorbehaltenen Widerruf noch auf die Betriebsvereinbarung vom 1. April 1985 stützen.
1. Die Parteien haben in einer Anlage zum Arbeitsvertrag "ergänzend zu dem Lohntarifvertrag" folgendes vereinbart: "Bei diesen übertariflichen Verdienstbestandteilen handelt es sich um freiwillige, jederzeit nach freiem Ermessen widerrufliche Leistungen...." Diesen Widerrufsvorbehalt hat die Beklagte in ihrer Betriebsvereinbarung vom 1. März 1985 aufrecht erhalten. Hierzu heißt es nämlich in Ziff. X, daß die außertariflichen Zulagen auf die tariflichen Leistungszulagen angerechnet werden und der nach Anrechnung verbleibende Teil weitergezahlt werde "unter der Voraussetzung, daß der Arbeitgeber nicht von seinem vorbehaltenen Widerrufsrecht Gebrauch macht".
2. Die Beklagte konnte hierdurch aber kein Widerrufsrecht nach freiem Ermessen begründen, sondern sie muß sich im Rahmen billigen Ermessens halten (§ 315 Abs. 1 BGB). Die Vereinbarung eines Widerrufsvorbehalts nach freiem Ermessen ist jedenfalls soweit unzulässig, wie sie sich auf Bestandteile des laufenden Verdienstes bezieht. Der Arbeitnehmer kann nicht zugleich auf den Schutz kündigungsrechtlicher Vorschriften (§ 2 KSchG) und den Schutz durch gerichtliche Ermessenskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB verzichten. Es ist anerkannt, daß die Vereinbarung von Widerrufsvorbehalten nicht unbegrenzt zulässig ist und insbesondere nicht zur Umgehung kündigungsrechtlicher Vorschriften führen darf (BAG Urteil vom 9. Juni 1965 - 1 AZR 388/64 - AP Nr. 10 zu § 315 BGB; Urteil vom 16. Oktober 1965 - 5 AZR 55/65 - AP Nr. 20 zu § 611 BGB Direktionsrecht; BAGE 40, 199 = AP Nr. 5 zu § 620 BGB Teilkündigung; BAGE 47, 314 = AP Nr. 6 zu § 2 KSchG 1969). Darüber hinaus hat die Rechtsprechung diesen Grundsatz aber auch auf andere - außerhalb kündigungsschutzrechtlicher Gesichtspunkte liegende - Vertragsgestaltungen angewandt (vgl. das zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehene Senatsurteil vom 11. Dezember 1985 - 5 AZR 135/85 - AP Nr. 65 zu § 1 LohnFG, zu I 2 a der Gründe, m.w.N. sowie unveröffentlichtes Urteil des BAG vom 31. Januar 1985 - 2 AZR 393/83 -, zu II 1 a der Gründe). Ebenso wie aber der Arbeitnehmer gegen Verträge geschützt werden muß, mit denen das Kündigungsschutzgesetz umgangen wird, bedarf er des Schutzes gegen Vereinbarungen, die dem Arbeitgeber entgegen § 315 Abs. 1 BGB das Recht zum einseitigen Widerruf nach freiem Ermessen oder gar nach Belieben einräumen und damit ermöglichen, das Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung unkontrolliert zu verändern (vgl. Bötticher, Anm. zum Urteil des BAG vom 9. Juni 1967, AP Nr. 5 zu § 611 BGB Lohnzuschläge, Bl. 5; Herschel, Anm. zum Urteil des BAG vom 30. August 1972, AP Nr. 6 zu § 611 BGB Lohnzuschläge, Bl. 2 R). Das muß jedenfalls dann gelten, wenn es sich - wie hier - um eine Leistungszulage handelt.
3. Aber auch in den Grenzen billigen Ermessens kann ein Widerrufsrecht nur begründet werden, wenn darin keine Umgehung kündigungsrechtlicher Vorschriften zu sehen ist. Das ist hier nicht der Fall. Die widerrufliche Zulage von 2,69 DM belief sich auf nur knapp 25 % des Tarifstundenlohns von 10,85 DM, wobei 2,09 DM (also etwa 19 %) widerrufen worden sind. Legt man dagegen das Schreiben der Beklagten vom 23. September 1980 und den damals maßgebenden Tarifstundenlohn von 8,78 DM zugrunde, so belief sich die Zulage von 2,69 DM auf knapp 31 % des damaligen Tarifstundenlohnes.
4. Eine Leistungsbestimmung entspricht billigem Ermessen im Rahmen des § 315 BGB, wenn sie die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt hat. Hiernach können Verdienstbestandteile nur aus sachlichen Gründen widerrufen werden (BAG Urteile vom 9. Juni 1967 - 3 AZR 352/66 -, vom 30. August 1972 - 5 AZR 140/72 - AP Nr. 5, 6 zu § 611 BGB Lohnzuschläge, jeweils zu 3 der Gründe; Urteil vom 22. August 1979 - 5 AZR 769/77 - AP Nr. 11 zu § 4 TVG Übertarifl. Lohn u. Tariflohnerhöhung).
Es unterliegt der gerichtlichen Kontrolle (§ 315 Abs. 3 Satz 2 BGB), ob die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind. Allerdings ist die Billigkeitskontrolle in erster Linie Aufgabe der Tatsacheninstanz, weil es bei ihr darum geht, die besonderen tatsächlichen Gegebenheiten eines Falles festzustellen und zu würdigen. Stehen die hierfür maßgeblichen Tatsachen jedoch fest, so ist das Revisionsgericht in der Lage, die Beurteilung selbst vorzunehmen (BAG Urteil vom 9. Juni 1967 - 3 AZR 352/66 - AP Nr. 5 zu § 611 BGB Lohnzuschläge, zu 5 a der Gründe; Urteil vom 8. Juni 1982 - 3 AZR 661/79 - AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Hinterbliebenenversorgung, zu 3 der Gründe; Urteil des Senats vom 19. Juni 1985 - 5 AZR 57/84 - AP Nr. 11 zu § 4 BAT, zu A II 2 a der Gründe). Nach allgemein anerkannter Auffassung hat die Partei, der das Recht zur Leistungsbestimmung zusteht, zu beweisen, daß ihre Bestimmung gemäß § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB der Billigkeit entspricht (BAG Urteil vom 9. Juni 1965 - 1 AZR 388/64 - AP Nr. 10 zu § 315 BGB; Urteil vom 26. November 1986 - 4 AZR 789/85 - AP Nr. 15 zu § 1 TVG Tarifverträge: Rundfunk; BGH Urteil vom 30. Juni 1969 - VII ZR 170/67 - AP Nr. 11 zu § 315 BGB).
a) Das Landesarbeitsgericht ist hiervon zwar ebenfalls ausgegangen, es hat jedoch angenommen, der teilweise Widerruf der außertariflichen Zulage widerspreche billigem Ermessen. Auch bei einem Widerruf nach billigem Ermessen sei der Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten. Diesen habe die Beklagte zumindest dadurch verletzt, daß sie bei nur zehn bis zwölf von 300 Arbeitnehmern die verbleibende Zulage teilweise oder in vollem Umfang widerrufen habe, ohne daß dafür sachliche Gründe vorgelegen hätten. Die sachlichen Gründe müßten sich an der Zweckbestimmung der Leistungszulage orientieren. Dagegen habe die Beklagte jedoch verstoßen. Die dem Kläger vorgeworfenen schlechten Arbeitsleistungen könnten keinen sachlichen Grund für den Widerruf bilden, soweit sie überhaupt bestimmte Fehlleistungen behauptet habe. In diesem Zusammenhang habe die Beklagte vorgetragen, der Kläger habe nur bis zur Einführung des Etikettendruck-Systems, das im Mai 1982 angeschafft worden sei, gute Leistungen erbracht. Danach sei der Arbeitsanfall zurückgegangen. Hierdurch seien erhebliche Bereiche, in denen der Kläger zuvor überdurchschnittlich gearbeitet hätte, weggefallen. Demgegenüber habe die Beklagte aber nicht dargelegt, was sie unternommen habe, um eine dem Leistungsstand des Klägers entsprechende Beschäftigung anzubieten.
Soweit die Beklagte dem Kläger vorhalte, er habe im Frühjahr 1982 in einem Fall eine falsche Kommissions-Nummer an eine Transportkiste geklebt und in einem weiteren Fall die geordneten Aufsteckfilter nicht beigefügt, handele es sich um geringfügige Vergehen, die lange zurücklägen und die Beklagte nahezu drei Jahre lang nicht veranlaßt hätten, von ihrem Widerrufsvorbehalt Gebrauch zu machen.
b) Hiergegen wendet sich die Revision ohne Erfolg. Die Beklagte hat mit dem Betriebsrat eine "Betriebsvereinbarung über die Vergabe von tariflichen Leistungszulagen" abgeschlossen, wonach diese vom Ergebnis einer Leistungsbeurteilung abhängen. Die bisherige Zulage war jedoch in vielen Fällen höher als die aufgrund der Beurteilung nach der Betriebsvereinbarung zu zahlende Zulage. Die Betriebsvereinbarung erwähnt zwar die verbleibende sogenannte AT-Zulage. Sie enthält jedoch keine Regelung über deren Widerruf. Die Beklagte hat nicht dargelegt, von welchen Anforderungen die Zulage abhängig ist. Es fehlt insoweit schon an einem einer Billigkeitskontrolle zugänglichen objektiven Maßstab.
Zwar hat die Beklagte die Kürzung der außertariflichen Zulage mit dem Ergebnis der Leistungsbeurteilung begründet. Der Kläger habe schon seit Mai 1982 in seinen Leistungen nachgelassen. Der Kläger habe außerdem im Frühjahr 1982 eine Kommissions-Nummer falsch angeklebt und Aufsteckfilter nicht beigefügt. Ob die Vorwürfe gerechtfertigt sind, kann dahingestellt bleiben. Wenn die Beklagte aus diesem ohnehin geringfügigen Versehen das Recht herleiten will, die außertarifliche Zulage zu widerrufen, so ist es sachlich nicht gerechtfertigt, darauf erst im Zusammenhang mit der Leistungsbeurteilung im Jahre 1985 zurückzugreifen. Die Beklagte hat jedenfalls in der Vergangenheit seit 1982 keine Veranlassung gesehen, die außertarifliche Zulage des Klägers zu widerrufen oder zu kürzen, obwohl sie sich das Recht hierzu schon in der Anlage zum Arbeitsvertrag vorbehalten hatte.
c) Da die von der Beklagten für die Kürzung der außertariflichen Zulage dargelegte Begründung den Anforderungen des § 315 Abs. 1 BGB schon nicht genügt, kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte den Gleichbehandlungsgrundsatz gewahrt hat. Es kann weiter unerörtert bleiben, ob das von der Beklagten durch Betriebsvereinbarung eingeführte Punktesystem mit der nachwirkenden tariflichen Lohnregelung vereinbar ist. Die Beklagte behält nämlich einen Teil der Leistungszulage von durchschnittlich 13 % der tariflichen Zeitlohnsumme ein und zahlt ihn erst später aus. Da nach der Betriebsvereinbarung der Wert eines Punktes bei Zeitlohnarbeitern 0,13 % beträgt, jedoch höchstens 100 Punkte erreichbar sind und im Betriebsdurchschnitt 64,1 Punkte erzielt wurden, liegt die monatlich ausgezahlte Zulage bis zu einem späteren Ausgleich erheblich unter 13 % der tariflichen Zeitlohnsumme. Ebenso kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte über das Punktesystem hinaus einseitig Richtlinien oder allgemeine Gesichtspunkte für den Widerruf oder die Kürzung der Zulagen aufgestellt oder zugrunde gelegt hat, ohne insoweit den Betriebsrat - wie erforderlich - zu beteiligen (vgl. BAG Urteil vom 17. Dezember 1980 - 5 AZR 570/78 - AP Nr. 4 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung).
Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog
ist durch Urlaub an
der Unterschrift verhindert
Dr. Thomas
Polcyn Dr. Schönherr
Fundstellen
Haufe-Index 439761 |
BAGE 55, 275-283 (LT1) |
DB 1988, 183-183 (LT) |
AiB 1988, 114-115 (LT1) |
JR 1988, 176 |
NZA 1988, 95-96 (LT) |
RdA 1988, 56 |
SAE 1988, 161-163 (LT1) |
ZTR 1988, 61-63 (LT) |
AP § 305 BGB Billigkeitskontrolle (LT1), Nr 4 |
AR-Blattei, ES 1160 Nr 25 (LT1) |
AR-Blattei, Lohnzahlung Entsch 25 (LT1) |
EzA § 315 BGB, Nr 34 (LT) |
MDR 1988, 256-257 (LT) |