Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitbestimmung bei Geltendmachung eines Schadenersatzanspruches
Leitsatz (amtlich)
Die Geltendmachung eines Schadenersatzanspruches bedarf nach § 86 Abs. 1 Nr. 4 Personalvertretungsgesetz Berlin der Zustimmung des Personalrats. Eine ohne diese Zustimmung erhobene Klage ist unzulässig.
Normenkette
LPVG Berlin § 86 Abs. 1 Nr. 4, § 89
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten Schadenersatz, weil er ohne haushaltsrechtliche Ermächtigung Bauaufträge erteilt habe.
Der Beklagte war seit dem 1. Januar 1977 bei der Klägerin als technischer Angestellter (Diplom-Ingenieur) in der Abteilung Bauplanung, Grundstücks- und Hausverwaltung, der späteren Abteilung Bau- und technische Angelegenheiten, angestellt. Nach dem Geschäftsverteilungsplan war er dort zumindest seit 1978 u.a. für die Rahmenplanung nach dem Hochschulbauförderungsgesetz (HBFG) zuständig. 1980 wurden ihm die Aufgaben des Leiters der Gruppe Hochbau übertragen. 1984 wurde er Referatsleiter. Bis zum 30. September 1986 war er dem Abteilungsleiter K… unterstellt. Dessen Aufgaben übernahm der Beklagte am 1. Oktober 1986 kommissarisch und mit Wirkung vom 1. März 1987 endgültig. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete aufgrund eines Auflösungsvertrages zum 31. März 1988. Die Geltung des Bundes-Angestellten tarifvertrages war vereinbart. Der Beklagte erhielt zuletzt eine Vergütung nach VergGr. Ia BAT.
Im Dezember 1985, so der Vortrag des Beklagten, oder ab September 1986, so die Behauptung der Klägern, wurde mit dem Bau eines Chemikalienlagers begonnen, in dem gefährliche Chemikalien einschließlich Lösungsmitteln und brennbarer Flüssigkeiten sowie Gasflaschen sicher aufbewahrt werden sollten. Da die provisorische Lagerung der Chemikalien auf Dauer nicht tragbar war, drängten die Hochschullehrer im Jahre 1986 bei der Bauabteilung der Klägerin auf schnellstmöglichen Ausbau des Lagers. Der Beklagte erteilte ab Oktober 1986 die Aufträge an Baufirmen im Umfang von etwa 1,2 Mill. DM. Die gesamten Baukosten des Bauprojekts Chemikalienlager wurden in einem von der Klägerin in Auftrag gegebenen Gutachten auf ca. 1,65 Mill. DM geschätzt. Das Chemikalienlager wurde 1987 fertiggestellt und mit Schreiben des damaligen Kanzlers der Klägerin vom 25. Juni 1987 dem zuständigen Fachbereich zur Nutzung ab Juli 1987 zugewiesen. Für das gesamte Projekt Chemikalienlager standen bis zur Fertigstellung und Inbetriebnahme keine Haushaltsmittel der Klägerin bzw. des Landes Berlin zur Verfügung. Das Vorhaben war nicht beim Wissenschaftsrat/Planungsausschuß des Bundes gem. den Bestimmungen des Hochschulbaufinanzierungsgesetzes angemeldet worden. Bis zum Abschluß der Bauarbeiten wurde nicht um die Unbedenklichkeitserklärung des Bundes nachgesucht.
Der Beklagte meldete das Chemikalienlager mit Schreiben vom 15. Januar 1987 bei der Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung zur Hochschulbauförderung an. Dieser Antrag wurde im März 1987 wegen fehlender Konkretisierung als nicht anmeldefähig zurückgegeben. Im Haushaltsplan der Klägerin für 1988 wurde das Bauvorhaben Chemikalienlager erstmalig mit 1,6 Mill. DM veranschlagt. Entsprechend der Übung der Klägerin wurden diese Mittel mit einem Sperrvermerk nach dem Hochschulbauförderungsgesetz versehen. Mit Schreiben vom 5. Januar 1988 beantragte der Beklagte für die Klägerin bei der Senatsverwaltung die Aufnahme des Projekts in den 18. Rahmenplan und bat um Einholung einer Unbedenklichkeitserklärung des Bundes. Im weiteren Verlauf stellte die Senatsverwaltung fest, daß das angemeldete Bauvorhaben bereits realisiert worden war. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde daraufhin durch Aufhebungsvertrag beendet. In diesem Zusammenhang wurde in der Sitzung der Personalkommission der Klägerin vom 11. März 1988 festgehalten, daß die Klägerin entsprechend der Rechtslage bei der Prüfung und Geltendmachung von etwaigen Schadenersatzansprüchen im Zusammenhang mit dem Bau des Chemikalienlagers und mit vergleichbaren Sachverhalten die verantwortlichen beteiligten Dienstkräfte der Technischen Universität Berlin gleichbehandeln werde.
Das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft lehnte den Antrag auf nachträgliche Aufnahme des Bauvorhabens in den Rahmenplan mit Schreiben vom 20. Juni 1988 ab, weil das Projekt bereits begonnen worden sei. Mit Erlaß vom 7. November 1988 teilte die Senatsverwaltung der Klägerin mit, dem Land Berlin sei durch die entgangene Mitfinanzierung des Bundes ein Schaden von 828.500,-- DM entstanden. Zum Ausgleich dieses Einnahmeausfalls habe sie daher den Landeszuschuß für investive Zwecke entsprechend gekürzt.
Die Klägerin hat daraufhin vom Beklagten mit Schreiben vom 30. Januar 1989 Schadenersatz i. H. v. 828.500,-- DM verlangt und diesen Betrag mit der am 1. August 1989 eingereichten Klage geltend gemacht. Sie hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 828.500,-- DM nebst 4 % Zinsen seit dem 14. April 1989 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat geltend gemacht, die von ihm erteilten Bauaufträge seien für die Weigerung des Bundes, das Bauvorhaben mitzufinanzieren, nicht ursächlich gewesen. Die von seinem Vorgänger erteilten Aufträge hätte nach der Praxis jede Mitfinanzierung des Bundes ausgeschlossen. Außerdem habe eine Notlagensituation nach Art. 79 Satz 3 der Verfassung von Berlin vorgelegen. Für die mit Erlaß vom 7. November 1988 vorgenommene Kürzung des Landeszuschusses für investive Zwecke fehle es an einer Rechtsgrundlage. Das Land Berlin sei nach Art. 104a Abs. 2 GG verpflichtet, die Kosten der Hochschulbauprojekte zu tragen, und könne diese Kosten nicht auf die Universität abwälzen.
Der Beklagte hat behauptet, der vom früheren Abteilungsleiter K… unter dem 11. Dezember 1985 erteilte Auftrag über Heizungsarbeiten im Werte von 66.800,-- DM habe bereits das Chemikalienlager betroffen. Daß dieser Auftrag namens der Gewerbesiedlungsgesellschaft erteilt worden sei, stehe dem nicht entgegen, denn die von der Klägerin namens der Gewerbesiedlungsgesellschaft erteilten Aufträge hätten sich im Haushalt der Klägerin niedergeschlagen.
Der Beklagte hat weiter geltend gemacht, ihm falle allenfalls einfache Fahrlässigkeit zur Last. In jedem Falle aber sei sein etwaiges Verschulden im Verhältnis zur Mitverursachung und zum Mitverschulden der Klägerin völlig unbedeutend. Die Führungsspitze der Klägerin bis zum Präsidenten habe stets die auch bei anderen Vorhaben praktizierte Methode des “flexiblen Bauens” gebilligt und gedeckt.
Der Beklagte hat außerdem die Auffassung vertreten, der Personalrat habe nach § 86 Abs. 1 Nr. 4 Personalvertretungsgesetz Berlin beteiligt werden müssen. Auch habe die Klägerin die Ausschlußfrist nach § 70 BAT nicht eingehalten.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der durch Beschluß des Bundesarbeitsgerichts vom 14. Februar 1991 zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin den Klageanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.
Im Gegensatz zu der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist die Klage nicht unbegründet, sondern wegen Fehlens der besonderen Sachurteilsvoraussetzung der Klagbarkeit des Anspruches zur Zeit unzulässig. Die Klägerin ist bislang an einer gerichtlichen Geltendmachung des Schadenersatzanspruches gehindert, weil sie den Personalrat vor Erhebung des Schadenersatzanspruches nicht beteiligt hat. Die fehlende Zustimmung des Personalrats steht der klageweisen Durchsetzung des Schadenersatzanspruches entgegen.
I. Gem. § 86 Abs. 1 Nr. 4 Personalvertretungsgesetz Berlin hat der Personalrat mitzubestimmen bei der Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen eine Dienstkraft, soweit diese der Mitbestimmung des Personalrats nicht widerspricht. In Übereinstimmung mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Dezember 1990 – 6 P 24.88 – (Der Personalrat 1991, 133) ist von der Wirksamkeit dieser Regelung des Berliner Landesrechts auszugehen. Insbesondere ist § 86 Abs. 1 Nr. 4 Personalvertretungsgesetz Berlin mit der rahmenrechtlichen Vorschrift des § 104 Satz 3 Bundespersonalvertretungsgesetz vereinbar, weil die Entscheidung über die Geltendmachung von Ersatzansprüchen unter Zugrundelegung strikter Rechtsvorschriften zu treffen ist und daher der vollen richterlichen Nachprüfung unterliegt. Die Geltendmachung von Ersatzansprüchen umfaßt sowohl die Prüfung und Feststellung, ob überhaupt ein Ersatzanspruch gegen eine Dienstkraft besteht, als auch die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Durchsetzung des festgestellten Ersatzanspruches. Dabei soll das Mitbestimmungsrecht des Personalrats nach Sinn und Zweck der Norm dazu dienen, die Gleichbehandlung der Beschäftigten, die Berücksichtigung sozialer Belange sowie die Vermittlung des Falles aus der Sicht der übrigen Beschäftigten zu sichern. Der Personalrat kann zusätzliche Informationen über die konkreten Arbeitsbedingungen und das Maß der Arbeitsbelastungen einbringen und so zu einer tatsächlich und rechtlich möglicherweise anderen Beurteilung der Sachlage beitragen. Der Personalrat kann darauf dringen, daß der Dienstherr im Interesse der Gleichbehandlung auch andere Fälle berücksichtigt, in denen von der Geltendmachung von Ersatzansprüchen abgesehen wurde.
II. § 86 Abs. 1 Nr. 4 Personalvertretungsgesetz Berlin ist vorliegend anzuwenden. Der Beklagte bezog Vergütung nach VergGr. Ia BAT und unterfiel damit nicht § 89 Personalvertretungsgesetz Berlin, der erst Angestellte ab VergGr. I BAT dem persönlichen Geltungsbereich der Mitbestimmungsrechte des Personalrats entzieht.
Der Anwendung des § 86 Abs. 1 Nr. 4 Personalvertretungsgesetz Berlin steht nicht entgegen, daß das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 31. März 1988 aufgelöst wurde. Nach dem Wortlaut der Mitbestimmungsregelung wird nicht zwischen noch tätigen und bereits ausgeschiedenen Dienstkräften unterschieden. Durch die Verwendung der Worte “sämtlicher Dienstkräfte” im Einleitungshalbsatz des § 86 Abs. 1 wird nicht nur auf § 4 verwiesen, sondern das in seinem Persönlichen Geltungsbereich uneingeschränkte Mitbestimmungsrecht des Personalrats begründet. Sinn und Zweck der Mitbestimmungsregelung, wie sie oben in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dargestellt worden sind, erfordern zumindest in einem Fall wie dem vorliegenden die Einbeziehung zwischenzeitlich ausgeschiedener Dienstkräfte in die Mitbestimmungsregelung. Soll das Mitbestimmungsrecht dazu dienen, Kenntnisse und Erfahrungen des Personalrats in die Prüfung der Schadenersatzpflicht einzubeziehen, und der Personalrat an der Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes mitwirken, besteht kein sachlicher Grund, die Inanspruchnahme bereits ausgeschiedener Dienstkräfte von einer derartigen Mitwirkung des Personalrats auszunehmen. Vorrangig ist zu berücksichtigen, daß der Beklagte sich seinerseits für den Fall seiner Verurteilung etwaiger Regreßansprüche gegenüber anderen Mitarbeitern der Klägerin berühmt hat, diese somit gem. § 426 BGB wegen desselben Sachverhalts auf Schadenersatz in Anspruch genommen werden könnten. Mit der Inanspruchnahme des zwischenzeitlich ausgeschiedenen Beklagten sind daher zugleich mittelbar andere noch tätige Mitarbeiter der Klägerin betroffen. Dies mitzubeurteilen, ist wesentlicher Inhalt des Mitbestimmungsrechts des Personalrats nach § 86 Abs. 1 Nr. 4 Personalvertretungsgesetz Berlin.
Die vom Landesarbeitsgericht angenommene Außenseiterlage des Beklagten ist nicht gegeben, weil der von der Klägerin erhobene Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis wegen einer in Ausübung seines Amtes begangenen Handlung oder Unterlassung des Beklagten resultieren würde.
Der Personalrat hat im Rahmen seiner Mitbestimmungsrechte gesetzliche Aufgaben wahrzunehmen. Er tritt nicht als Stellvertreter der einzelnen Dienstkraft auf. Seine Mitbestimmung ist auf Mitbeurteilung und Mitentscheidung über die Inanspruchnahme der Dienstkraft gerichtet. Dem Ergebnis seiner Mitbestimmung kommt keine normative Wirkung zu, so daß die Frage einer normativen Regelungsbefugnis hinsichtlich ausgeschiedener Mitarbeiter keine Bedeutung besitzt (vgl. dazu nur BAGE 3, 1 = AP Nr. 1 zu § 57 BetrVG und Säcker, AR-Blattei [D] Betriebsvereinbarung I C II 2).
III. Die unterbliebene Mitbestimmung des Personalrats ist für die gerichtliche Entscheidung erheblich, weil das Personalvertretungsgesetz Berlin bereits die “Geltendmachung von Ersatzansprüchen” dem Mitbestimmungsrecht des Personalrats unterstellt. Damit ist die gerichtliche Durchsetzung des behaupteten Schadenersatzanspruches von der vorherigen Mitbestimmung des Personalrats abhängig. Wegen Fehlens dieser Voraussetzung ist die Klage als zur Zeit unzulässig abzuweisen, denn die Klagbarkeit eines Anspruchs ist besondere Sachurteilsvoraussetzung (vgl. dazu BGH Urteil vom 23. November 1983 – VIII ZR 197/82 – ZZP 99 (1986), 90, 93; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 50. Aufl., Grundzüge § 253 Anm. 4; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 14. Aufl., S. 546 f.; Thomas/Putzo, ZPO, 17. Aufl., Vorbem. III A 2 vor § 253; Walchshöfer, Festschrift für Schwab (1990), S. 521, 523 f.; Zöller/Stephan, ZPO, 17. Aufl., Rz 19 vor § 253).
Unterschriften
Michels-Holl, Dr. Ascheid, Dr. Müller-Glöge, Dr. Weiss, R. Schmidt
Fundstellen
NZA 1992, 994 |
RdA 1992, 221 |