Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitnehmerweiterbildung im Nordrhein-Westfalen - Kurs: "Rund um den ökologischen Alltag"
Leitsatz (redaktionell)
Eine Bildungsveranstaltung mit dem Thema "Rund um den ökologischen Alltag" dient weder der beruflichen noch der politischen Weiterbildung einer Krankenschwester.
Verfahrensgang
LAG Köln (Entscheidung vom 28.04.1989; Aktenzeichen 6/11 Sa 101/89) |
ArbG Köln (Entscheidung vom 12.11.1988; Aktenzeichen 12 Ca 2146/88) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (AWbG).
Die Klägerin ist Krankenschwester in einem Kinderkrankenhaus der Krankenanstalten der Beklagten. Sie beantragte Freistellung an fünf Tagen für die Teilnahme an einer Veranstaltung mit dem Titel "Rund um den ökologischen Alltag" vom 9. - 13. November 1987. Der Plan des von den Ökobildungswerken in Köln durchgeführten Seminars wies folgende Einzelthemen aus:
"Ernährungsindustrie- und Handwerk, Auswirkungen
der Nahrungsmitteltechnik auf die Gesundheit",
"Gegenüberstellung: Konventioneller Anbau - bio-
logischer Anbau",
"Grundlagen der Vollwerternährung und ihre Aus-
wirkungen auf die Gesundheit",
"Biologischer Anbau als flächendeckender Anbau -
bekommen wir denn noch genug zu essen? Referat
mit gesellschaftspolitischen und ökonomischen
Schwerpunkten",
"Holzschutz ohne Gift",
"Überblick über das Angebot von Holzschutzmitteln
und deren Wirkungsweisen, verschiedene Möglich-
keiten Holzoberflächen zu behandeln",
"Wohngifte, wie heißen sie und welchen Weg nehmen
sie im menschlichen Körper",
"Schadstoffe in Kosmetika",
"Natürliche Kosmetika",
"Neue Formen im Lebensmittelhandel mit
biologischen Produkten - aktueller Stand und
Entwicklungstendenzen",
"Organisation des Absatzes von biologischen Pro-
dukten",
"Müll - ein Kernproblem unserer modernen Zivili-
sation",
"Unser Verhältnis zur Dritten Welt, Hintergrund-
informationen zu aktuellen Problemen".
Die Beklagte lehnte die Freistellung am 14. Oktober 1987 schriftlich ab, weil die Veranstaltung weder der beruflichen noch der politischen Weiterbildung diene. Daraufhin nahm die Klägerin fünf Tage "überstundenfrei", um an dem Seminar teilnehmen zu können.
Die Klägerin hat gemeint, die Beklagte hätte sie nach den Bestimmungen des AWbG für die Teilnahme an der Bildungsveranstaltung von der Arbeit freistellen müssen. Sie habe weiter gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen, weil sie andere Arbeitnehmer zum Zweck der Teilnahme an dem Seminar freigestellt habe.
Sie hat beantragt
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist,
der Klägerin weitere fünf Tage überstundenfrei
aus dem Jahre 1987 zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision. Sie rügt Verletzung des § 1 AWbG und des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte weder einen Anspruch auf Freistellung von der Arbeit an fünf Tagen zum Ausgleich von geleisteten Überstunden noch einen Anspruch auf Arbeitsbefreiung in dieser Höhe aus anderen Gründen.
1. Ein Anspruch auf Arbeitsbefreiung zum Ausgleich von Überstunden, wie ihn die Klägerin nach dem Wortlaut ihres Antrages festgestellt haben will, besteht nicht. Nach § 17 Abs. 5 Satz 1 BAT, der auf das Arbeitsverhältnis der Parteien kraft Tarifbindung Anwendung findet, sind Überstunden grundsätzlich durch entsprechende Arbeitsbefreiung auszugleichen. Die Arbeitsbefreiung ist möglichst bis zum Ende des nächsten Kalendermonats, spätestens bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ableistung der Überstunden zu erteilen. Für jede nicht ausgeglichene Überstunde wird die Überstundenvergütung gezahlt, § 17 Abs. 5 Satz 4 BAT.
a) Die Beklagte hat den bis November 1987 angesammelten Anspruch der Klägerin in der Zeit vom 9. - 13. November 1987 erfüllt. Er ist deshalb erloschen, § 362 BGB.
b) Ein danach wegen erneuter Ableistung von Überstunden entstandener Anspruch i. H. von fünf Tagen Arbeitsbefreiung ist nicht dargetan.
c) Im übrigen wären die Ansprüche auf Arbeitsbefreiung spätestens am 31. März 1988 gem. § 17 Abs. 5 Satz 1 BAT erloschen. Die Klägerin hätte allenfalls einen Anspruch auf Bezahlung der Überstunden gem. § 17 Abs. 5 Satz 4 BAT, den sie aber nicht geltend gemacht hat.
2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch mehr auf Arbeitsbefreiung nach § 1 Abs. 1 und § 3 Abs. 1 AWbG, sofern ihr Antrag überhaupt auf Feststellung des Bestehens eines derartigen Anspruchs verstanden werden könnte. Der Anspruch nach diesem Gesetz ist auf das jeweilige Kalenderjahr befristet (Senatsurteil vom 11. Mai 1993 - 9 AZR 231/89 - zur Veröffentlichung bestimmt) und mit Ablauf des Kalenderjahres 1987 erloschen.
3. Die Klägerin hat auch keinen Schadensersatzanspruch auf Freistellung von der Arbeit an fünf Tagen gem. § 284 Abs. 1, § 286 Abs. 1, § 287 Satz 2, § 280 Abs. 1, § 249 Satz 1 BGB. Die Beklagte befand sich nicht mit einer Leistung nach dem AWbG in Verzug. Die Klägerin hatte nämlich keinen Anspruch auf Arbeitsbefreiung nach § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 1 AWbG. Die Bildungsveranstaltung "Rund um den ökologischen Alltag" entsprach nicht § 1 Abs. 2 AWbG. Sie diente weder der beruflichen noch der politischen Weiterbildung noch beiden Zielen i. S. des § 1 Abs. 2 AWbG. Das ergibt die Auslegung des Gesetzes.
a) Bei der Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe und der Subsumtion des Inhalts der jeweiligen Veranstaltung bedarf es ebenso wie bei der Auslegung des Hessischen Bildungsurlaubsgesetzes (vgl. dazu Senatsurteil vom 9. Februar 1993 - 9 AZR 648/90 - zur Veröffentlichung bestimmt) neben der Berücksichtigung von Wortlaut und Zweck des Gesetzes der Beachtung der vom Bundesverfassungsgericht im Beschluß vom 15. Dezember 1987 - 1 BvR 563/85 - (EzA § 7 AWbG NW Nr. 1) herausgestellten verfassungsrechtlichen Prüfungsmerkmale. Danach sind die den Arbeitgebern auferlegten Freistellungs- und Entgeltfortzahlungspflichten für Arbeitnehmer, die an Bildungsveranstaltungen teilnehmen, durch Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt. Unter den Bedingungen fortwährenden und sich beschleunigenden technischen und sozialen Wandels wird lebenslanges Lernen zur Voraussetzung individueller Selbstbehauptung und gesellschaftlicher Anpassungsfähigkeit im Wechsel der Verhältnisse. Dem einzelnen hilft die Weiterbildung, die Folgen des Wandels beruflich und sozial besser zu bewältigen. Es liegt im Gemeinwohl, neben dem erforderlichen Sachwissen für die Berufsausübung auch das Verständnis der Arbeitnehmer für gesellschaftliche, soziale und politische Zusammenhänge zu verbessern, um damit die in einem demokratischen Gemeinwesen anzustrebende Mitsprache und Mitverantwortung in Staat, Gesellschaft und Beruf zu fördern. Bei der Auferlegung der Lasten durfte der Gesetzgeber auch berücksichtigen, daß die Weiterbildung der Arbeitnehmer nicht nur diesen, sondern ebenso der Innovationsfähigkeit der Wirtschaft zugute kommt. Weiterhin durfte er in Erwägung ziehen, daß der Arbeitgeber zur Wertschöpfung und zur Erreichung des Unternehmenszweckes regelmäßig der Mitwirkung seiner Arbeitnehmer bedarf (BVerfG, aa0). Zum Hessischen Gesetz über bezahlten Sonderurlaub für Mitarbeit in der Jugendarbeit hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG Beschluß vom 11. Februar 1992 - 1 BvR 890/84 - DB 1992, 841) in Übereinstimmung damit ausgeführt, es sei aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zu beanstanden, daß den Arbeitgebern gewisse finanzielle Belastungen und formelle Entgeltfortzahlungspflichten auferlegt würden, weil es nicht an jeglicher Verantwortungsbeziehung des Arbeitgebers zu dem Zwecke der Regelung fehle. Lediglich die Belastung des einzelnen Arbeitgebers mit den vollen Lohnkosten sei nicht verfassungsgemäß, weil die Vorteile der Mitarbeit zu wenig greifbar seien, als daß dem Arbeitgeber die volle Entgeltfortzahlung zugemutet werden könne.
b) Unter Berücksichtigung dessen diente die von der Klägerin besuchte Veranstaltung der Öko-Bildungswerke nicht der beruflichen Weiterbildung. Die Klägerin hat in ihrem Beruf weder etwas mit Ernährung noch mit Holzschutz und Wohngiften zu tun. Das erlernte Wissen fördert nicht ihre Mitsprache und Mitverantwortung im Beruf. Dasselbe gilt für Probleme des Mülls und das Verhältnis zur Dritten Welt.
c) Die Bildungsveranstaltung diente auch nicht der politischen Weiterbildung im Sinne des Gesetzes, sondern im wesentlichen einer personenbezogenen Bildung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 7 Weiterbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen (WbG), die von der Arbeitnehmerweiterbildung ausgenommen ist. Daran ändert auch nichts die Tatsache, daß Ökologie und Umwelt ein aktuelles allgemeinpolitisches Thema unseres Gemeinwesens ist. Der weitaus überwiegende Teil der im Seminar vermittelten Kenntnisse verbesserte nicht das Verständnis der Klägerin für gesellschaftliche, soziale und politische Zusammenhänge. Er förderte nicht die in einem demokratischen Gemeinwesen anzustrebende Mitsprache und Mitverantwortung in Staat und Gesellschaft. Davon kann nur ausgegangen werden, wenn ein Bezug der behandelten Probleme zu Staat und Gesellschaft Gegenstand des Seminars gewesen wäre. Allenfalls die beiden letzten Seminarthemen "Müll - ein Kernproblem unserer modernen Zivilisation" und "Unser Verhältnis zur Dritten Welt, Hintergrundinformation zu aktuellen Problemen" waren dazu in der Lage. Das ist jedoch nicht ausreichend, um eine politische Weiterbildungsveranstaltung annehmen zu können.
Eine Entwicklung und Förderung von Fähigkeiten, die sich bei der Tätigkeit der Klägerin am Arbeitsplatz positiv auswirken und damit dem Arbeitgeber wenigstens mittelbar von Nutzen sein könnten, ist nicht zu erkennen. Deshalb hatte die Beklagte auch aus diesem Grund keine Freistellungsverpflichtung.
4. Die Klägerin hat auch keinen Schadensersatzanspruch wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Nach dem Sachvortrag der Klägerin hat die Beklagte ihren Mitarbeitern keinen außergesetzlichen Anspruch auf Arbeitnehmerweiterbildung zur Teilnahme an nicht § 1 Abs. 2 AWbG genügenden Veranstaltungen gewährt und die Klägerin davon gleichheitswidrig ausgenommen. Vielmehr hat die Beklagte gegenüber den von der Klägerin genannten Kollegen einen vermeintlichen gesetzlichen Anspruch erfüllen wollen und im Fall der Klägerin ihre Rechtsauffassung korrigiert. Die Korrektur einer unrichtigen Rechtsauffassung ist aber keine gleichheitswidrige Ungleichbehandlung.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Dr. Leinemann Düwell Dörner
Volpp Dr. Kappes
Fundstellen
Haufe-Index 441798 |
BB 1993, 1289 |
BB 1993, 2160 |
BB 1993, 2160-2161 (LT1) |
DB 1993, 2236-2237 (LT1) |
AiB 1994, 124 (L1) |
EzB AWbG NW § 1, Nr 34 (LT1) |
NZA 1994, 454 |
NZA 1994, 454-456 (LT1) |
SAE 1995, 83-84 (LT1) |
AP § 1 BildungsurlaubsG NRW (LT1), Nr 5 |
AR-Blattei, ES 130 Nr 12 (LT1) |
EzA § 7 AWbG Nordrhein-Westfalen, Nr 12 (LT1) |