Entscheidungsstichwort (Thema)
Zustimmungsersetzung nach § 103 Abs. 2 BetrVG. Präjudizialität. Beweisverwertungsverbot. Reichweite der Präjudizialität eines Zustimmungsersetzungsbeschlusses nach § 103 Abs. 2 BetrVG. Prozeßrecht
Leitsatz (amtlich)
Die rechtskräftige Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung nach § 103 BetrVG entfaltet keine Bindungswirkung hinsichtlich des Kündigungsgrundes für einen späteren Kündigungsschutzprozeß, in dem der Arbeitnehmer die Sozialwidrigkeit einer auf denselben Sachverhalt gestützten ordentlichen Kündigung geltend macht.
Orientierungssatz
- Auf Grund der Präklusionswirkung der rechtskräftigen Entscheidung im Zustimmungser-setzungsverfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG kann sich der Arbeitnehmer im späteren, die außerordentliche Kündigung betreffenden Kündigungsschutzverfahren nur auf solche Tatsachen berufen, die er im Zustimmungsersetzungsverfahren nicht geltend gemacht hat und auch nicht hätte geltend machen können.
- Diese Bindungswirkung gilt jedoch nicht in einem Kündigungsschutzprozeß über eine auf denselben Sachverhalt gestützte ordentliche Kündigung, die der Arbeitgeber nach Beendigung des Sonderkündigungsschutzes ausgesprochen hat.
- Allein der Diebstahl von Unterlagen begründet noch kein Verbot für deren Verwertung. Der Schutz des Eigentumsrechts bezweckt nicht, den Eigentümer von Urkunden vor einer Verwertung derselben als Beweismittel zu bewahren, wie sich aus § 810 BGB, §§ 422 ff. ZPO ergibt.
Normenkette
BetrVG § 103; ZPO § 322 Abs. 2; KSchG § 1; BGB § 626; ZPO § 322
Verfahrensgang
LAG Brandenburg (Urteil vom 20.10.2000; Aktenzeichen 4 Sa 17/00) |
ArbG Neuruppin (Urteil vom 17.11.1999; Aktenzeichen 6 Ca 1989/99) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Brandenburg vom 20. Oktober 2000 – 4 Sa 17/00 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine verhaltensbedingte ordentliche Kündigung.
Der im Jahre 1951 geborene Kläger trat vor über 30 Jahren in die Dienste der Rechtsvorgängerin der Beklagten. Die Beklagte liefert ua. Erdgas an Endverbraucher, seit 1995 auch an den Kläger. Es ist ein Betriebsrat eingerichtet, dessen Vorsitzender der Kläger von 1996 bis Mai 1998 war. Der Kläger erzielte zuletzt als Rohrnetzbauer eine monatliche Bruttovergütung von etwa 4.200,00 DM.
Seit dem Sommer 1995 wohnt der Kläger in einem 1994 erworbenen renovierten Haus. Ebenfalls im Jahre 1995 fragte er bei der Beklagten an, ob es möglich sei, bei Beschäftigten auf Hausanschlußkosten für Gasanschlüsse zu verzichten. Das lehnte der Geschäftsführer der Beklagten ab. Es wurde ein Erdgasanschluß gelegt. Auf wessen Veranlassung dies geschah und durch wen, ist nicht geklärt. Die Anschlußkosten von etwas über 2.000,00 DM wurden dem Kläger vor Herbst 1997 weder in Rechnung gestellt noch von ihm gezahlt. Über das seit 1995 bezogene Gas erteilte die Beklagte Rechnungen, die vom Kläger beglichen wurden.
Im Jahre 1997 stellte die Beklagte fest, daß ein Zähler mehr aktiv war als es der Zahl der Hausanschlußanträge entsprochen hätte. Die Überprüfung der einzelnen Grundstücke ergab, daß für das Haus des Klägers die für einen Gasanschluß gebräuchlichen Formblätter fehlten.
Am 1. September 1997 hörte die Beklagte den Kläger zu dem Vorgang an. Er erklärte, er habe die Hausanschlußleitung weder beantragt noch gewollt. Die Firma O…, die regelmäßig für die Beklagte tätig ist, habe ohne sein Zutun im Zuge der Verlegung von Versorgungsleitungen eigenmächtig eine Hausanschlußleitung bis in den Keller gelegt. Demgegenüber erklärten der Geschäftsführer der Firma O…, Herr O…, und sein Mitarbeiter R…, sie hätten den Gasanschluß zum Haus des Klägers nicht gelegt.
Die Beklagte bat daraufhin den Betriebsrat um Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers. Nachdem der Betriebsrat die Zustimmung verweigert hatte, wurde sie auf Antrag der Beklagten vom Arbeitsgericht Neuruppin durch Beschluß vom 20. November 1997 ersetzt (– 3 (5) BV 20/97 –). Der Betriebsrat und der Kläger (als Beteiligter des Beschlußverfahrens) legten Beschwerde zum Landesarbeitsgericht Brandenburg ein (– 8 TaBV 6/98 –). Mit Schreiben vom 11. Mai 1998 teilte der Betriebsrat der Beklagten mit, auf Grund vom Geschäftsführer neu angeführter Tatsachen nehme er die Beschwerde zurück. Die Rücknahme erfolgte mit Schriftsatz vom 18. Mai 1998 an das Landesarbeitsgericht. Auf Anregung des Gerichts nahm auch der Kläger am 28. Mai 1998 die Beschwerde zurück. Mit Beschluß vom gleichen Tage stellte das Landesarbeitsgericht das Verfahren ein.
Mit Schreiben vom 2. Juni 1998 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich. Die vom Kläger dagegen erhobene Klage wurde vom Arbeitsgericht Neuruppin abgewiesen (– 6 Ca 1869/98 –), hatte aber vor dem Landesarbeitsgericht Brandenburg Erfolg (– 1 Sa 690/98 –). Mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 23. September 1999 stellte das Landesarbeitsgericht die Unwirksamkeit der Kündigung vom 2. Juni 1998 fest, weil sie nicht unverzüglich nach dem als Zustimmung des Betriebsrats gewerteten Schreiben vom 11. Mai 1998 ausgesprochen worden sei.
Nach Anhörung des Betriebsrats, der keine Stellungnahme abgab, kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 13. Juli 1999 das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 31. März 2000.
Mit der Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit dieser Kündigung geltend gemacht. Er hat die von der Beklagten erhobenen Vorwürfe bestritten. In der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat der Klägervertreter ein sogenanntes Werkzeugbewegungsbuch vorgelegt, das der Beklagten gehört. Aus den Aufzeichnungen in dem Buch ergibt sich, daß der Firma O… im Jahre 1995 verschiedentlich Werkzeug von der Beklagten ausgeliehen wurde, unter anderem auch Schweißgeräte. Der Klägervertreter hat bei Überreichung des Buches erklärt, er wisse nicht, wer ihm das Buch zugeschickt habe. Vom Kläger habe er es nicht erhalten.
Der Kläger hat zuletzt – soweit noch von Interesse – beantragt,
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 13. Juli 1999 nicht aufgelöst wird.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat behauptet, der Kläger habe, um die Anschlußgebühren zu sparen, seinen Hausanschluß eigenmächtig erstellt bzw. erstellen lassen und damit gegen die Verordnung über die Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden verstoßen. Einer Verwendung des Werzeugbewegungsbuches als Beweismittel hat die Beklagte widersprochen, weil es nur auf unrechtmäßige Weise in den Besitz des Klägers gekommen sein könne.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Kündigung der Beklagten hat das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst.
Unterschriften
Rost, Eylert, Schmitz-Scholemann, Engel, Fischer
Fundstellen
Haufe-Index 884640 |
BAGE 2004, 190 |
BB 2003, 428 |
BB 2003, 637 |
DB 2003, 453 |
NJW 2003, 1204 |
ARST 2003, 152 |
NZA 2003, 432 |
SAE 2003, 232 |
ZIP 2003, 456 |
AP, 0 |
EzA-SD 2003, 8 |
MDR 2003, 395 |
NJ 2003, 331 |
ArbRB 2003, 72 |
BAGReport 2003, 73 |
SPA 2003, 5 |