Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenzschutz bei unwirksamen
Leitsatz (amtlich)
1. Der Sicherungsfall der wirtschaftlichen Notlage des Versorgungsschuldners setzt voraus, daß vor dem Widerruf der Versorgungszusagen der Pensionssicherungsverein eingeschaltet worden ist (§ 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5, Satz 4 BetrAVG). Ein vorher erklärter Widerruf ist unwirksam (ständige Rechtsprechung des Senats, zuletzt Versäumnisurteil vom 24. Januar 1989 – 3 AZR 519/88 – BAGE 61, 24 = AP Nr. 15 zu § 7 BetrAVG Widerruf).
2. Die gebotene Einschaltung des Pensionssicherungsvereins kann nicht mit Wirkung für die Zeit vor der Erklärung des Widerrufs nachgeholt
Normenkette
BetrAVG § 7 Abs. 1 Sätze 1, 3 Nr. 5, S. 4, §§ 1, 9 Abs. 2; KO § 59 Abs. 1 Nr. 3 a, § 61 Abs. 1 Nr. 6
Verfahrensgang
LAG Köln (Urteil vom 29.06.1990; Aktenzeichen 3 Sa 290/90) |
ArbG Köln (Urteil vom 07.12.1989; Aktenzeichen 13 Ca 4813/89) |
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 29. Juni 1990 – 3 Sa 290/90 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger verlangt vom beklagten Pensions-Sicherungsverein als Träger der gesetzlichen Insolvenzsicherung (PSV) die Zahlung rückständiger Versorgungsbezüge für die Zeit vom 1. April 1982 bis zum 14. September 1987 in der unstreitigen Höhe von 14.910,– DM. Der Kläger hatte zunächst seine frühere Arbeitgeberin, die B GmbH & Co. KG sowie deren Unterstützungskasse, den Unterstützungs- und Wohlfahrtsverein der Firma B e.V. auf Zahlung dieser Rückstände in Anspruch genommen. Der jetzt beklagte PSV war jenem Rechtsstreit als Streithelfer des Klägers beigetreten. Durch Versäumnisurteil vom 24. Januar 1989 (– 3 AZR 519/88 – BAGE 61, 24 = AP Nr. 15 zu § 7 BetrAVG Widerruf) hat der Senat der Klage gegen die Unterstützungskasse stattgegeben. Nachdem am 15. März 1988 über das Vermögen des Trägerunternehmens das Konkursverfahren eröffnet worden war, ist der Beklagte rückwirkend bis zum 15. September 1987 in die laufenden Versorgungsverbindlichkeiten eingetreten. Die Übernahme der vorher aufgelaufenen Rückstände hat er abgelehnt, da vor dem 15. März 1988 kein Sicherungsfall eingetreten sei.
Der Kläger hat vorgetragen, er habe die Versorgungsrückstände zwar als Konkursforderung im Konkurs der B GmbH & Co. KG angemeldet. Er könne mit seinen Ansprüchen jedoch nicht auf eine ungewisse Konkursquote verwiesen werden. Der beklagte PSV müsse vielmehr einstehen, weil die Rentenkürzungen durch die spätere Gemeinschuldnerin am 1. April 1982 und 1. Januar 1983 Sicherungsfälle ausgelöst und den PSV zum Eintritt verpflichtet hätten. Die spätere Gemeinschuldnerin habe sich schon damals in einer wirtschaftlichen Notlage befunden. Zwar seien die Teilwiderrufe der Gemeinschuldnerin unwirksam gewesen, weil, wie der Senat festgestellt habe, der PSV nicht vor der jeweiligen Kürzung eingeschaltet worden sei. Der PSV müsse grundsätzlich nur eintreten, wenn die wirtschaftliche Notlage durch rechtskräftiges Urteil festgestellt sei oder wenn er seine Zustimmung zur Kürzung der Versorgungsansprüche erteile (§ 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5, Satz 4 BetrAVG). Wenn aber der Versorgungsschuldner es pflichtwidrig unterlasse, die erforderliche Feststellung treffen zu lassen, sei er als Versorgungsgläubiger selbst berechtigt, diese Feststellung gerichtlich herbeizuführen und dann sogleich die geschuldete Leistung zu verlangen. Die Einschaltung des PSV vor Erklärung des Versorgungswiderrufs diene dem Schutz der versorgungsberechtigten Arbeitnehmer und Rentner. Das pflichtwidrige Verhalten des Arbeitgebers könne nicht zu deren Lasten gehen.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 14.910,– DM nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung, dem 6. Juli 1989, zu zahlen.
Der beklagte PSV hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, im Vorprozeß sei bereits bindend festgestellt, daß weder am 1. April 1982 noch am 1. Januar 1983 ein Sicherungsfall eingetreten sei. Aus dem der Klage stattgebenden Urteil des Senats vom 24. Januar 1989 (aaO) folge zwingend, daß vor der Konkurseröffnung ein Sicherungsfall nicht eingetreten sei. Zudem scheitere die Annahme eines Sicherungsfalls vor der Eröffnung des Konkursverfahrens daran, daß weder eine wirtschaftliche Notlage noch eine ausnahmsweise zum Widerruf berechtigende Bestandsgefährdung vorgelegen hätten. Jedenfalls sei der PSV nicht eingeschaltet worden, so daß auch diese Voraussetzung für einen Sicherungsfall nach § 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5, Satz 4 BetrAVG nicht erfüllt sei. Der Versorgungsberechtigte könne diesen Sicherungsfall nicht selbst auslösen. Die notwendige Beteiligung des Insolvenzversicherers könne auch nicht nachgeholt werden, da bis zum Eintritt des Sicherungsfalls die Zahlungspflicht des Versorgungsschuldners fortbestehe.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Der Kläger kann vom Beklagten nicht die Zahlung der Rückstände verlangen, die in der Zeit vor der Konkurseröffnung bis zum 14. September 1987 aufgelaufen sind.
A. Die Klage ist nicht unzulässig, weil der Senat durch das Urteil vom 24. Januar 1989 der Klage gegen die Unterstützungskasse wegen derselben Zahlungsrückstände stattgegeben hat.
Gemäß § 325 Abs. 1 ZPO wirkt das rechtskräftige Urteil für und gegen die Parteien und die Personen, die nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit Rechtsnachfolger der Parteien geworden sind oder den Besitz der im Streit befangenen Sache in solcher Weise erlangt haben, daß eine der Parteien oder ihr Rechtsnachfolger mittelbarer Besitzer geworden ist. Der beklagte PSV ist in diesem Sinne nicht Rechtsnachfolger einer der Parteien des Vorprozesses geworden. Rechtsnachfolger des Klägers ist der PSV nur insoweit geworden, wie Versorgungsansprüche gem. § 9 Abs. 2 BetrAVG auf ihn übergegangen sind. Ein Übergang findet nur statt, soweit der Beklagte gem. § 7 BetrAVG zum Eintritt verpflichtet ist. Eine Eintrittspflicht besteht nach der eigenen Auffassung des Beklagten aber nur aus Anlaß des Sicherungsfalls des Konkurses, also hinsichtlich der Rückstände nur für die Zeit ab 15. September 1987, nicht aber für Rückstände aus der Zeit vorher.
Im übrigen erstreckt sich die Rechtskraft eines Urteils auch auf Personen, die nicht Partei des Vorprozesses waren, sofern deren Haftung nach materiellem Recht in völliger Abhängigkeit zu dem bereits ausgeurteilten Anspruch steht (BGH Urteil vom 24. November 1969 – VIII ZR 78/68 – NJW 1970, 279 und weitere Nachweise bei Thomas/Putzo, ZPO, 16. Aufl., § 325 Anm 1 f). Eine solche Abhängigkeit der Haftung des Beklagten von dem Anspruch des Klägers gegen die Unterstützungskasse besteht nicht. Richtig ist, daß der Senat der Klage gegen die Unterstützungskasse bereits deshalb stattgegeben hat, weil der jetzige Beklagte nicht eingeschaltet worden war. Aber selbst bei gehöriger Beteiligung des PSV stand noch nicht fest, daß ein Sicherungsfall im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 BetrAVG vorlag. Die beklagte Unterstützungskasse hatte zwar eine wirtschaftliche Notlage des Trägerunternehmens behauptet, diese war aber vom Kläger und dem jetzt beklagten PSV bestritten worden. Zudem wäre der PSV nicht gehindert gewesen, nach seinem pflichtgemäßen Ermessen eine wirtschaftliche Notlage zu prüfen und auch noch dann anzuerkennen, wenn der Arbeitgeber zuvor schon in unzulässiger Weise den Widerruf erklärt hatte. Deswegen muß nicht zwingend und in allen Fällen die Stattgabe der Klage gegen den Versorgungsschuldner oder dessen Unterstützungskasse wegen unterlassener Einschaltung des PSV dazu führen, daß dessen Inanspruchnahme ausscheidet. Die Entscheidung im Vorprozeß kann daher nicht im Verhältnis des Versorgungsberechtigten zum Insolvenzsicherer wirken.
B. Die Klage ist aber unbegründet. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben zutreffend entschieden, daß der Beklagte dem Kläger keinen weitergehenden Insolvenzschutz leisten muß. Ein Sicherungsfall des Versorgungswiderrufs wegen wirtschaftlicher Notlage ist vor dem Sicherungsfall der Eröffnung des Konkursverfahrens (§ 7 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 BetrAVG) nicht eingetreten.
1. Die frühere Arbeitgeberin des Klägers und deren Unterstützungskasse haben einen Sicherungsfall vor Erklärung des teilweisen Versorgungswiderrufs am 1. April 1982 und 1. Januar 1983 nicht herbeigeführt. Sie haben den PSV nicht mit dem Ziel der Übernahme der widerrufenen Versorgungszusagen eingeschaltet (§ 7 Abs. 1 Satz 2, Satz 3 Nr. 5, Satz 4 BetrAVG). Eine solche Einschaltung war Voraussetzung für einen wirksamen Widerruf (Urteil vom 24. Januar 1989, aaO, zu 2 b der Gründe). Von dieser Auffassung geht auch der Kläger aus.
2. Ein Sicherungsfall wegen wirtschaftlicher Notlage ist auch nicht nachträglich mit Wirkung für die Zeit ab April 1982 und Januar 1983 herbeigeführt worden. Insoweit vertritt der Kläger die Auffassung, es müsse ihm selbst als Versorgungsberechtigtem gestattet sein, gegenüber dem PSV die wirtschaftliche Notlage des Versorgungsschuldners darzulegen und dadurch dessen Eintrittspflicht herbeizuführen.
Es erscheint bereits zweifelhaft, ob dem Versorgungsberechtigen ein solches Recht zuzuerkennen ist. Der Senat ist in seiner bisherigen Rechtsprechung stets davon ausgegangen, daß der Arbeitgeber für die Übernahme der Versorgungsverbindlichkeiten durch den PSV sorgen muß, weil er anderenfalls keine Befreiung von seiner Zahlungspflicht erreichen kann (vgl. die Nachweise im Urteil vom 24. Januar 1989, aaO). Die Frage kann auch im Streitfall offenbleiben, weil selbst eine Einschaltung des PSV durch den Versorgungsberechtigten und die nachträgliche Feststellung einer wirtschaftlichen Notlage nicht dazu führen könnte, daß die für die Zulässigkeit des Widerrufs unverzichtbare Voraussetzung der vorherigen Beteiligung des PSV erfüllt wäre. Die vorherige Einschaltung des PSV kann nicht nachgeholt oder ersetzt werden, nachdem der Versorgungsschuldner den Widerruf erklärt und seine Zahlungen ganz oder teilweise eingestellt hat. Die Sanktion des Gesetzes besteht ausschließlich darin, daß der Arbeitgeber trotz des Widerrufs zur Zahlung in voller Höhe verpflichtet bleibt.
3. Der Kläger betont, es könne nicht zu seinen Lasten gehen, daß sein früherer Arbeitgeber es pflichtwidrig unterlassen habe, den Träger der Insolvenzsicherung einzuschalten und notfalls mit dem Ziel der Feststellung des Sicherungsfalls der wirtschaftlichen Notlage zu verklagen. Dem Kläger ist einzuräumen, daß er durch den späteren Niedergang des Unternehmens in besonderer Weise betroffen ist, weil er im Konkurs des Arbeitgebers seine rückständigen Versorgungsansprüche, soweit sie älter sind als sechs Monate, nur als einfacher Konkursgläubiger verfolgen kann (§ 61 Abs. 1 Nr. 6 KO). Dieses Ergebnis kann aber nicht dazu führen, daß der PSV eintrittspflichtig wird. Der gesetzliche Insolvenzschutz sichert den Versorgungsberechtigten nicht vor den Folgen jeder Pflichtverletzung, die ein Arbeitgeber im Zusammenhang mit den bestehenden Versorgungsverbindlichkeiten begeht, sondern nur vor den Risiken, die in dem abschließenden Katalog der Sicherungsfälle in § 7 BetrAVG aufgeführt sind. Der Betriebsrentner ist damit in keiner ungünstigeren Situation als der aktive Arbeitnehmer, dessen rückständige Lohnforderungen ebenfalls als Masseschulden nur für die letzten sechs Monate vor der Erfüllung des Konkursverfahrens geschützt sind (§ 59 Abs. 1 Nr. 3 a KO). Eine Ausweitung des gesetzlichen Insolvenzschutzes über die in § 7 BetrAVG geregelten Sicherungsfälle hinaus ist auch dann nicht gestattet, wenn der Versorgungsberechtigte seine rückständigen Forderungen nicht verwirklichen kann.
Unterschriften
Griebeling, Dr. Wittek, Dr. Rost, Otto, Mattes, Dr. Schwarze
Fundstellen
Haufe-Index 951955 |
BAGE, 272 |
JR 1992, 352 |
NZA 1992, 219 |
ZIP 1992, 201 |