Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsübergang durch Neuvergabe eines Bewachungsauftrags
Normenkette
BGB § 613a; KSchG § 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revisionen der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 22. November 1996 – 5 Sa 11/96 – aufgehoben. Soweit das Landesarbeitsgericht festgestellt hat, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers über den 31. Juli 1995 hinaus fortbesteht und seit dem 1. Juli 1995 zur Beklagten zu 2) besteht, wird die Berufung des Klägers gegen das klagabweisende Urteil des Arbeitsgerichts Reutlingen vom 14. Dezember 1995 – 4 Ca 300/95 – zurückgewiesen.
Im übrigen wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten zu 1) erklärten ordentlichen Kündigung und darüber, ob das Arbeitsverhältnis des Klägers aufgrund eines Betriebsübergangs auf die Beklagte zu 2) übergegangen ist.
Der Kläger war seit dem 1. September 1991 bei der Beklagten zu 1) als Wachmann beschäftigt. Seine Bruttovergütung betrug zuletzt 2.250,00 DM monatlich. Der Kläger wurde ausschließlich im Rahmen eines zwischen der Beklagten zu 1) und der Bundesforschungsanstalt für Viruserkrankungen der Tiere (BFAV) in T. unter dem 15. Mai 1990 geschlossenen Bewachungsvertrags eingesetzt. In diesem Objekt waren insgesamt elf Arbeitnehmer der Beklagten zu 1) eingesetzt, die einen Betriebsobmann gewählt hatten.
Mit Schreiben vom 27. März 1995 kündigte die BFAV den Bewachungsvertrag zum 30. Juni 1995. Mit Schreiben vom 26. April 1995 teilte die BFAV der Beklagten zu 1) mit, daß ihre Bewerbung erfolglos geblieben und mit Wirkung vom 1. Juli 1995 der Beklagten zu 2) der Auftrag erteilt worden sei.
Die Beklagte zu 1) kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers zunächst mit Schreiben vom 26. April 1995 und sodann nach erfolgter Anhörung des Betriebsobmanns mit weiterem Schreiben vom 30. Mai 1995 zum 30. Juni 1995. Der Geschäftsführer der Beklagten zu 1) warf das Kündigungsschreiben vom 30. Mai 1995 am 31. Mai 1995 nach der üblichen Zustellzeit der Post in den Briefkasten des Klägers ein. Der Kläger, der mit keinem Einwurf des Kündigungsschreibens in den Briefkasten gerechnet hatte, entnahm dieses Schreiben seinem-Briefkasten am 1. Juni 1995.
Die der Beklagten zu 1) nach dem Bewachungsvertrag vom 15. Mai 1990 übertragenen Aufgaben waren nur zu bestimmten Wachzeiten zu erfüllen. Während der übrigen Zeiten, die im wesentlichen mit der betriebsüblichen Arbeitszeit bei der BFAV übereinstimmten, wurden diese Aufgaben – mit Ausnahme der Kontrollgänge – von den eigenen Beschäftigten der BFAV wahrgenommen. Die Beklagte zu 1) hatte im wesentlichen die Aufgabe, von dem während der Wachzeiten ständig besetzt zu haltenden Nach-/Pförtnerhaus aus den Sicherheitszaun über eine Kameraanlage mit 20 Videokameras, Kameraschwenkeinrichtung, Videokreuzschiene nebst entsprechenden Steuerungsanlagen über vier Monitore zu überwachen. Die das BFAV um gebende Sicherheitszaunanlage ist ihrerseits mit Sensoren, Infrarotschranken und einer vom Nach-/Pförtnerhaus zu steuernden Zaun- und Alarmbeleuchtungsanlage zur Verhinderung von Sabotageakten und des unbefugten Eindringens auf das Gelände ausgestattet. Der Zugang zum Gelände erfolgt durch zwei elektronisch gesteuerte Schiebetore, die ebenfalls vom Nach-/Pförtnerhaus aus zu bedienen sind. Außerdem befinden sich in dem dort gesondert gesicherten Nach-/Pförtnerhaus eine PC-Anlage zur Steuerung der automatischen Drehkreuzkontrolle, über die das Wachpersonal jederzeit die Identität der anwesenden Mitarbeiter der BFAV und den Zeitraum ihrer Anwesenheit feststellen kann, sowie weitere zu bedienende bzw. zu überwachende Anlagen, wie Telefonzentrale, Brandmeldeanlage, technische Störmelde- und Personennotsignalanlage. Neben diesen ständig vom Nach-/Pförtnerhaus aus wahrzunehmenden Aufgaben waren beim Einsatz von zwei Wachmännern jeweils von einem dieser beiden etwa alle zwei Stunden ungefähr einstündige Kontrollgänge auf dem Gelände der BFAV unter Einsatz eines Kontrollnachweissystems durchzuführen. Von der Beklagten zu 1) und nunmehr von der Beklagten zu 2) wurden bzw. werden im wesentlichen die für die Kommunikation zwischen Pforte und Kontrollgänger erforderlichen Funkgeräte, das vom Auftragnehmer im Hinblick auf die durchzuführenden Kontrollgänge einzurichtende Kontrollnachweissystem und die von den Wachmännern zu tragende Dienstkleidung gestellt.
Der Kläger hat mit den am 17. Mai 1995 und 21. Juni 1995 bei Gericht eingegangenen und durch Beschluß des Arbeitsgerichts miteinander verbundenen Klagen geltend gemacht, daß die von der Beklagten zu 1) erklärten Kündigungen sozial ungerechtfertigt und gemäß § 613 a Abs. 4 BGB unwirksam seien. Außerdem hat er die Ordnungsgemäßheit der Betriebsratsanhörung gerügt.
Der Kläger hat beantragt
- festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1) weder aufgrund Kündigung vom 26. April 1995 noch mit Kündigung vom 30. Mai 1995 geendet hat,
- festzustellen, daß zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 2) ab 1. Juli 1995 ein Arbeitsverhältnis besteht.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben die Ansicht vertreten, es sei kein Betrieb im Sinne von § 613 a BGB übergegangen. Die ausgesprochenen Kündigungen seien wegen Betriebsstillegung sozial gerechtfertigt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht das arbeitsgerichtliche Urteil abgeändert und der Klage in vollem Umfange stattgegeben. Mit den zugelassenen Revisionen begehren die Beklagten die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Die Beklagte zu 1) macht geltend, sie habe das Arbeitsverhältnis mit der tariflichen Kündigungsfrist von zwei Wochen zum Schichtschluß kündigen können.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen sind begründet.
A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt, die mit Schreiben vom 26. April 1995 erklärte Kündigung sei gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam, weil die Beklagte zu 1) den Betriebsobmann nicht angehört habe. Die mit Schreiben vom 30. Mai 1995 ausgesprochene Kündigung sei dagegen nicht gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam, denn die Beklagte habe den Betriebsobmann vor Ausspruch dieser Kündigung ordnungsgemäß unterrichtet. Diese Kündigung vom 30. Mai 1995 sei aber mangels ausreichender sozialer Rechtfertigung gemäß § 1 KSchG unwirksam. Die Beklagte zu 1) habe ihren Betrieb „Bewachungsauftrag BFAV” nicht stillgelegt. Vielmehr sei dieser im Sinne von § 613 a BGB auf die Beklagte zu 2) übergegangen. Das Arbeitsverhältnis des Klägers habe deshalb ab dem 1. Juli 1995 zur Beklagten zu 2) fortbestanden.
B. Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist durch die Kündigung vom 30. Mai 1995 aufgelöst worden und nicht am 1. Juli 1995 auf die Beklagte zu 2) übergegangen. Insofern ist die Berufung des Klägers gegen das klagweisende Urteil des Arbeitsgerichts zurückzuweisen. Ob die Kündigung das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der tariflichen Kündigungsfrist mit Ablauf des 30. Juni 1995 oder mit Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist am 31. Juli 1995 aufgelöst hat, kann aufgrund der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht entschieden werden. Insofern wird die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
I. Nach der für die Auslegung des § 613 a BGB maßgeblichen Rechtsprechung des EuGH (vgl. nur Urteil vom 11. März 1997 – Rs C-13/95 – Slg 1997 – 3, I – 1259 = AP Nr. 14 zu EWG-Richtlinie Nr. 77/187, Ayse Süzen/Zehnacker Gebäudereinigung) setzt ein Übergang im Sinne der EWG-Richtlinie Nr. 77/187 des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen die Wahrung der Identität der betreffenden wirtschaftlichen Einheit voraus. Der Begriff Einheit bezieht sich danach auf eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung. Bei der Prüfung, ob eine Einheit übergegangen ist, müssen sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt werden. Dazu gehören als Teilaspekte der Gesamtwürdigung namentlich die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebes, der etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter, der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft, der etwaige Übergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit. Eine Einheit darf allerdings nicht nur als bloße Tätigkeit verstanden werden. Die Identität der Einheit ergibt sich auch aus anderen Merkmalen, wie ihrem Personal, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und gegebenenfalls den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln.
Soweit in Branchen, in denen es im wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden sind, eine wirtschaftliche Einheit darstellt, kann eine solche Einheit ihre Identität über ihren Übergang hinaus bewahren, wenn der neue Unternehmensinhaber nicht nur die betreffende Tätigkeit weiterführt, sondern auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt, das sein Vorgänger gezielt bei dieser Tätigkeit eingesetzt hatte. Hingegen stellt der bloße Verlust eines Auftrags an einen Mitbewerber für sich genommen keinen Übergang im Sinne der Richtlinie dar. Das zuvor beauftragte Dienstleistungsunternehmen verliert zwar einen Kunden, besteht aber weiter, ohne daß einer seiner Betriebe oder Betriebsteile auf den neuen Auftragnehmer übertragen worden wäre. Ist zur Erfüllung des jeweiligen Auftrags die Nutzung von durch den Auftraggeber gestellten Arbeitsmitteln und Einrichtungen geboten, hat eine wertende Beurteilung zu erfolgen, ob diese dem Betrieb des Auftragnehmers als eigene Betriebsmittel zugeordnet werden können. Nur dann sind sie in die Gesamtabwägung, ob ein Betriebsübergang stattgefunden hat, einzubeziehen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wie auch des EuGH zum Betriebsübergang beim Pächterwechsel (vgl. BAG Urteil vom 25. Februar 1981 – 5 AZR 991/78 – BAGE 35, 104 = AP Nr. 24 zu § 613 a BGB; BAG Urteil vom 26. Februar 1987 – 2 AZR 768/85 – AP Nr. 59 zu § 613 a BGB; Senatsurteil vom 27. April 1995 – 8 AZR 197/94 – BAGE 80, 74 = AP Nr. 128 zu § 613 a BGB; EuGH Urteil vom 10. Februar 1988 – Rs 324/86 – EuGHE 1988, 739 [Daddy's Dance Hall]; EuGH Urteil vom 15. Juni 1988 – Rs 101/87 – EuGHE 1988, 3057 [Bork]) sind einem Betrieb auch solche Gebäude, Maschinen, Werkzeuge oder Einrichtungsgegenstände als sächliche Betriebsmittel zuzurechnen, die nicht im Eigentum des Betriebsinhabers stehen, sondern die dieser aufgrund einer mit Dritten getroffenen Nutzungsvereinbarung zur Erfüllung seines Betriebszwecks einsetzen kann. Die Nutzungsvereinbarung kann als Pacht, Nießbrauch oder als untypischer Vertrag ausgestaltet sein. Wesentlich ist, daß dem Berechtigten Betriebsmittel zur eigenwirtschaftlichen Nutzung überlassen sind. Erbringt der Auftragnehmer dagegen nur eine (Dienst-)Leistung an fremden Geräten und Maschinen innerhalb fremder Räume, ohne daß ihm die Befugnis eingeräumt ist, über Art und Weise der Nutzung der Betriebsmittel in eigenwirtschaftlichem Interesse zu entscheiden, können ihm diese Betriebsmittel nicht als eigene zugerechnet werden (vgl. Senatsurteil vom 11. Dezember 1997 – 8 AZR 426/94 – AP Nr. 171 zu § 613 a BGB, zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt).
Maßgebliches Unterscheidungskriterium für die Frage, ob im Eigentum des Auftraggebers stehende Arbeitsmittel Betriebsmittel des sie nutzenden Auftragnehmers sind, ist die Art der vom Auftragnehmer am Markt angebotenen Leistung. Da eine wertende Zuordnung vorzunehmen ist, ist eine typisierende Betrachtungsweise zulässig. Handelt es sich um eine Tätigkeit, für die regelmäßig Maschinen, Werkzeuge, sonstige Geräte oder Räume innerhalb eigener Verfügungsmacht und aufgrund eigener Kalkulation eingesetzt werden müssen, sind auch nur zur Nutzung überlassene Arbeitsmittel dem Betrieb oder dem Betriebsteil des Auftragnehmers zuzurechnen. Ob diese Betriebsmittel für die Identität des Betriebes wesentlich sind, ist Gegenstand einer gesonderten Bewertung.
Wird dagegen vom Auftragnehmer eine Leistung angeboten, die er an den jeweiligen Einrichtungen des Auftraggebers zu erbringen bereit ist, ohne daß er daraus einen zusätzlichen wirtschaftlichen Vorteil erzielen und ohne daß er typischerweise über Art und Umfang ihres Einsatzes bestimmen könnte, gehören diese Einrichtungen nicht zu den Betriebsmitteln des Auftragnehmers (vgl. Senatsurteil vom 11. Dezember 1997, a.a.O.).
II. Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen ist kein Betrieb oder Betriebsteil, in dem der Kläger beschäftigt war, von der Beklagten zu 1) auf die Beklagte zu 2) übergegangen. In der Neuvergabe des Bewachungsauftrags an die Beklagte zu 2) liegt eine bloße Funktionsnachfolge. Die Beklagte zu 2) hat von der Beklagten zu 1) keinen wesentlichen Personalbestand und auch keine Betriebsmittel übernommen. Entgegen der Auffassung der Revision hat die Beklagte zu 2) durch die Benutzung der Sicherheitseinrichtungen der Forschungsanstalt keine sächlichen Betriebsmittel der Beklagten zu 1) übernommen.
Bewachungsleistungen werden üblicherweise nur unter Einsatz einfacher Arbeitsmittel wie Handys, Stechuhren, Taschenlampen, Uniformen, evtl. auch Waffen und Hunden angeboten. Diese setzt der Anbieter aufgrund eigener Kalkulation und Verfügungsmacht ein. Komplizierte und teure Sicherheitssysteme werden hingegen vom Auftraggeber vorgegeben und unterhalten.
Dies trifft auch für den an der BFAV ausgeführten Überwachungsauftrag zu. Die Beklagte zu 1) konnte die Anlagen der Forschungsanstalt nur zeitweise nutzen, nämlich abends, an Wochenenden und feiertags. Während der Zeit des normalen Dienstbetriebes in der BFAV wurden die Sicherheitseinrichtungen allein von Mitarbeitern der BFAV genutzt. Über Art und Ausgestaltung des Einsatzes der Sicherheitssysteme hatte die Beklagte zu 1) nicht zu bestimmen, eine eigenwirtschaftliche Kalkulation mit diesen Arbeitsmitteln war ausgeschlossen. Die Bewachungsleistungen wurden nach Arbeitsstunden abgerechnet. In gleicherweise werden die Sicherheitseinrichtungen der BFAV nunmehr von der Beklagten zu 2) genutzt. Die Sicherheitseinrichtungen gehörten daher weder zu den Betriebsmitteln der Beklagten zu 1), noch gehören sie nunmehr zu den Betriebsmitteln der Beklagten zu 2).
III. Die ordentliche Kündigung vom 30. Mai 1995 ist nicht sozial ungerechtfertigt im Sinne von § 1 Abs. 1 des anwendbaren Kündigungsschutzgesetzes. Die Beklagte zu 1) hat nach der Kündigung des Bewachungsauftrages durch die BFAV zum 30. Juni 1995 ihren in der Forschungsanstalt bestehenden Wachbetrieb stillgelegt und sämtlichen dort tätigen Wachleuten zum 30. Juni 1995 gekündigt. Die Stillegung des gesamten Betriebs durch den Arbeitgeber zählt gem. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen, die einen Grund zur sozialen Rechtfertigung abgeben können. Die Beklagte zu 1) hat nach der Stillegung ihres Wachbetriebes in T. keine Möglichkeit, den Kläger weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte zu 1) war nicht gehalten, die Kündigung erst nach Durchführung der Stillegung auszusprechen, sondern konnte die Kündigung wegen beabsichtigter Stillegung wirksam erklären, als der Bewachungsauftrag gekündigt war und die betrieblichen Umstände der Stillegung greifbare Formen angenommen hatten (ständige Rechtsprechung; vgl. zuletzt Senatsurteil vom 22. Mai 1997 – 8 AZR 101/96 – AP Nr. 154 zu § 613 a BGB, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt, zu B I 2 a der Gründe).
IV. Die Kündigung vom 30. Mai 1995 ist nicht gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Die Beklagte zu 1) hat vor Ausspruch der Kündigung den Betriebsobmann ordnungsgemäß beteiligt, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat.
V. Ob die von der Beklagten mit Schreiben vom 30. Mai 1995 ausgesprochene Kündigung das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 30. Juni 1995 oder wegen der gemäß § 622 Abs. 2 BGB einzuhaltenden Kündigungsfrist von einem Monat zum Ende des Kalendermonats erst mit Ablauf des 31. Juli 1995 aufgelöst hat, wird das Landesarbeitsgericht zu prüfen haben. Dabei hat es davon auszugehen, daß das Kündigungsschreiben dem Kläger nicht am 31. Mai 1995, sondern erst am 1. Juni 1995 zugegangen ist. Der Einwurf des Kündigungsschreibens am 31. Mai 1995 in den Briefkasten bewirkte noch nicht den Zugang der unter Abwesenden abgegebenen Kündigungserklärung. Gemäß § 130 Abs. 1 BGB wird eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht. Zugegangen ist die Willenserklärung, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt, daß dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Danach muß das Kündigungsschreiben in verkehrsüblicher Art in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers oder eines Empfangsberechtigten Dritten gelangen, und für den Empfänger muß unter gewöhnlichen Umständen eine Kenntnisnahme zu erwarten sein (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BAG Urteil vom 8. Dezember 1983 – 2 AZR 337/82 – AP Nr. 12 zu § 130 BGB). Wird ein Kündigungsschreiben in den Briefkasten eingeworfen, geht dieses dem Empfänger in dem Zeitpunkt zu, in dem nach dem gewöhnlichen Lauf die Leerung des Briefkastens zu erwarten ist. Hält sich der Arbeitnehmer während des Tages in seiner Wohnung auf, liegt dieser Zeitpunkt gewöhnlich nicht erheblich nach der üblichen Zustellzeit der Post (vgl. BAG Urteil vom 8. Dezember 1983, a.a.O.).
Daß das Kündigungsschreiben vom 30. Mai 1995 am 31. Mai 1995 noch vor diesem gewöhnlichen Leerungszeitpunkt in den Briefkasten eingeworfen wurde, hat die insofern darlegungsbelastete (vgl. BGHZ 70, 234) Beklagte zu 1) nicht behauptet. Damit ist das Kündigungsschreiben erst am 1. Juni 1995 mit der tatsächlichen Kenntnisnahme durch den Kläger zugegangen.
Das Landesarbeitsgericht wird zu prüfen haben, ob der Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer im Bewachungsgewerbe in Baden-Württemberg vom 31. Mai 1991 im Hinblick auf die abweichende Bestimmung für Angestellte eine wirksame konstitutive Regelung der Kündigungsfrist enthält (vgl. hierzu BAG Urteil vom 10. März 1994 – 2 AZR 323/94 [C] – AP Nr. 44 zu § 622 BGB).
Unterschriften
Ascheid, Dr. Wittek, Müller-Glöge, Dr. E. Vesper, Hennecke
Fundstellen