Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbedingte Kündigung. Betriebsübergang. Rundfunk der DDR
Normenkette
BGB § 613a; Einigungsvertrag Art. 36; GG Art. 5; KSchG § 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 22. März 1994 – 5 Sa 239/93 – aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis der Klägerin als Musikredakteurin ab 1. Januar 1992 ungekündigt auf den Beklagten übergegangen ist.
Die 1941 geborene Klägerin war seit 1968 als Musikredakteurin beim „Rundfunk der DDR” beschäftigt. Mit Inkrafttreten des Einigungsvertrages wurden der „Rundfunk der DDR” und der „Deutsche Fernsehfunk” gemäß Art. 36 EV zunächst als gemeinschaftliche staatsunabhängige, rechtsfähige Einrichtung von den fünf neuen Bundesländern und dem Land Berlin für den Teil, in dem das Grundgesetz bisher nicht galt, weitergeführt. Die Klägerin wurde weiterhin als Musikredakteurin beim Sachsen-Radio, einem Teil der Einrichtung nach Art. 36 EV, beschäftigt.
Mit Schreiben vom 16. September 1991 kündigte Sachsen-Radio das Arbeitsverhältnis der Klägerin zur Einrichtung nach Art. 36 EV zum 31. Dezember 1991 mit der Begründung, die Einrichtung stelle zum 31. Dezember 1991 ihre Tätigkeit ein, eine Weiterbeschäftigung über diesen Zeitpunkt hinaus sei nicht möglich.
Mit der am 16. Oktober 1991 eingereichten Klage hat die Klägerin gegen die ihr am 25. September 1991 zugegangene Kündigung Kündigungsschutzklage gegen Sachsen-Radio, Teil der Einrichtung nach Art. 36 EV erhoben. Später erweiterte die Klägerin die Klage auf den Beklagten.
Der Beklagte war durch Staatsvertrag zwischen dem Freistaat Sachsen und den Ländern Sachsen-Anhalt und Thüringen vom 27. Juni 1991 als gemeinsame Rundfunkanstalt gegründet worden. Ab Aufnahme des Sendebetriebes im Januar 1992 sendete der Beklagte auch Programme aus dem Funkhaus in Leipzig, in dem die Klägerin beschäftigt war. In § 4 des am 1. Januar 1992 in Kraft getretenen „Sächsischen Gesetzes zur Durchführung des Staatsvertrages über den Rundfunk im vereinten Deutschland” vom 19. Dezember 1991 (fortan: SächsRFG) ist über das Rundfunkvermögen folgendes geregelt:
„Der nach Artikel 36 des Vertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag – vom 31. August 1990 in Verbindung mit Artikel 1 des Gesetzes vom 23. September 1990 (BGBl. II S. 885) dem Freistaat Sachsen zustehende Anteil an der in Artikel 36 Abs. 1 des Einigungsvertrags genannten Einrichtung geht, einschließlich des Anteils an der Studiotechnik, kraft dieses Gesetzes vom Freistaat Sachsen auf den Mitteldeutschen Rundfunk über, sobald der Freistaat Sachsen über diesen Anteil verfügen kann. …”
Von Januar 1992 bis Mai 1992 arbeitete die Klägerin für den Beklagten in ihrem bisherigen Arbeitsbereich als Musikredakteurin weiter. Sie behielt ihr bisheriges Arbeitszimmer im Leipziger Funkhaus und erstellte Musikprogramme für den Beklagten. Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Beschäftigung aufgrund eines Arbeitsverhältnisses oder eines freien Mitarbeiterverhältnisses erfolgte. Am 6., 9. und 11. Mai 1992 kündigte der Beklagte der Klägerin mündlich. Mit Schreiben vom 15. Mai 1992 folgte eine schriftliche Kündigung.
Die Klägerin macht geltend, die von Sachsen-Radio erklärte Kündigung vom 16. September 1991 sei unwirksam. Der Kündigungsgrund der ersatzlosen Auflösung liege nicht vor. Die Einrichtung sei überführt worden. Eine notwendige Sozialauswahl sei unterlassen worden. Darüber hinaus sei die Personalratsbeteiligung fehlerhaft, da dem Personalrat nicht mitgeteilt worden sei, daß die Entscheidung über die Art und Weise der Abwicklung und Überführung der Einrichtung erst am 25. September 1991 getroffen werde.
Weiter hat die Klägerin die Auffassung vertreten, ihr Arbeitsverhältnis sei am 1. Januar 1992 auf den Beklagten übergegangen. Der Beklagte sei Rechtsnachfolger der Einrichtung nach Art. 36 EV. Nachdem das Vermögen der Einrichtung nach Art. 36 Abs. 6 EV an die neuen Bundesländer gefallen sei, sei dieses nach den jeweiligen Landesgesetzen, hier § 4 SächsRFG, auf den Beklagten übertragen worden.
Im übrigen sei das Arbeitsverhältnis auch nach § 613 a BGB übergegangen. Der Beklagte habe ein vollfunktionsfähiges Funkhaus übernommen. Etwa drei Viertel der zuvor bei Sachsen-Radio Tätigen seien nunmehr beim Beklagten beschäftigt. Soweit die Rundfunkanstalten ungeteiltes Bruchteilseigentum hätten, basiere die Nutzung auf einer Vereinbarung und damit einem Rechtsgeschäft.
Die Kündigungen vom Mai 1992 seien unwirksam. Gründe für eine fristlose Kündigung hätten nicht vorgelegen, ebenso nicht für eine ordentliche betriebsbedingte oder verhaltensbedingte Kündigung.
Die Klägerin hat, soweit in der Revision noch von Bedeutung, beantragt,
- festzustellen, daß die Kündigung zum 31. Dezember 1991 unwirksam sei und ihr Arbeitsverhältnis nunmehr mit dem Beklagten fortbestehe,
- für den Fall des Obsiegens mit dem Klageantrag zu 1), den Beklagten zu verurteilen, sie zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat vorgetragen, die Einrichtung sei nach Art. 36 Abs. 6 Satz 2 EV mit dem 31. Dezember 1991 ersatzlos aufgelöst worden, da ein Staatsvertrag im Sinne dieser Vorschrift nicht zustandegekommen sei. Eine Einrichtung, die ersatzlos weggefallen sei, könne jedoch nicht auf einen anderen Rechtsträger übergehen. Das auf die Länder und später kraft Gesetzes auf die Rundfunkanstalten übergegangene Vermögen der Einrichtung nach Art. 36 EV umfasse nicht die Arbeitsverhältnisse. Dies ergebe sich bereits daraus, daß Art. 36 EV anders als Art. 38 EV keine Aussage zu den Arbeitsverhältnissen treffe. Das Vermögen der Einrichtung nach Art. 36 EV sei nur als ungeteiltes Bruchteilsvermögen auf die Länder übergegangen. Diese hätten das Vermögen nur anteilig auf die Rundfunkanstalten übertragen. Es bestehe immer noch als ungeteiltes Bruchteilseigentum.
Ein Übergang des Arbeitsverhältnisses nach § 613 a BGB komme schon deshalb nicht in Betracht, da zwischen der Einrichtung nach Art. 36 EV und dem Beklagten keine Rechtsgeschäfte abgeschlossen worden seien. Der Übergang sei kraft Gesetzes erfolgt.
Im übrigen würde der Übergang des Arbeitsverhältnisses ohne den Willen des Beklagten gegen Art. 5 GG verstoßen. Die Rundfunkfreiheit garantiere auch das Recht der freien Personalauswahl.
Aus der Tatsache, daß im Mai 1992 Kündigungen ausgesprochen wurden, könne nicht geschlossen werden, daß ein Arbeitsverhältnis bestanden habe. Die Klägerin sei freie Mitarbeiterin gewesen, wie sich aus der der Klägerin angebotenen Rahmenvereinbarung ergebe.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Die Sache ist zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 ZPO).
I. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:
Der Beklagte sei nicht Rechtsnachfolger der Einrichtung nach Art. 36 EV geworden. Eine Rechtsnachfolge gemäß § 613 a BGB scheide aus, da die Einrichtung nach Art. 36 Abs. 6 Satz 2 EV aufgelöst und damit ersatzlos weggefallen sei. Im übrigen habe der Beklagte keine Vermögenswerte durch Rechtsgeschäft übernommen. Vermögenswerte habe der Beklagte nur kraft Gesetzes, insbesondere nach § 4 SächsRFG erhalten.
Der Beklagte sei auch nicht Gesamtrechtsnachfolger der Einrichtung geworden, sondern es sei lediglich das Aktiv- und Passivvermögen der Einrichtung auf die neuen Bundesländer und das Land Berlin übergegangen. Auch die Übertragung des Rundfunkvermögens vom Freistaat Sachsen auf den Beklagten durch § 4 SächsRFG begründe keine Gesamtrechtsnachfolge. Es sei nur der dem Freistaat Sachsen zustehende Anteil auf den Beklagten übergegangen.
Da das Arbeitsverhältnis der Klägerin somit nicht auf den Beklagten übergegangen sei, sei der Beklagte, soweit die Klägerin die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung vom 16. September 1991 begehre, nicht passivlegitimiert.
Hinsichtlich der Tätigkeiten, die die Klägerin von Januar bis Mai 1992 für den Beklagten geleistet habe, habe die Klägerin nicht ausreichend dargelegt, daß sie diese Tätigkeiten im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses und nicht als freie Mitarbeiterin erbracht habe.
II. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Mit der Begründung des Landesarbeitsgerichts kann ein Übergang des Arbeitsverhältnisses der Klägerin auf den Beklagten nach § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB nicht ausgeschlossen werden.
1. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts schließt die rechtliche Auflösung der Einrichtung nach Art. 36 EV zum 31. Dezember 1991 den Übergang von Arbeitsverhältnissen nach § 613 a BGB nicht aus.
Nach Art. 36 Abs. 1 Satz 1 EV wurden der „Rundfunk der DDR” und der „Deutsche Fernsehfunk” zunächst als gemeinschaftliche staatsunabhängige rechtsfähige Einrichtung von den fünf neuen Bundesländern und dem Land Berlin für den Teil, in dem das Grundgesetz bisher nicht galt, bis spätestens 31. Dezember 1991 weitergeführt. Innerhalb dieses Zeitraumes war die Einrichtung nach Art. 36 Abs. 6 Satz 1 EV durch gemeinsamen Staatsvertrag der fünf Länder und des Landes Berlin aufzulösen oder in Anstalten des öffentlichen Rechts einzelner oder mehrerer Länder überzuführen. Da ein solcher gemeinsamer Staatsvertrag bis zum 31. Dezember 1991 nicht geschlossen wurde, wurde die gemeinsame Einrichtung nach der ausdrücklichen Regelung in Art. 36 Abs. 6 Satz 2 EV mit Ablauf dieser Frist rechtlich aufgelöst. Bei dem am 27. Juni 1991 zwischen dem Freistaat Sachsen und den Ländern Sachsen-Anhalt und Thüringen geschlossenen Staatsvertrag über den Mitteldeutschen Rundfunk handelt es sich schon deshalb nicht um einen gemeinsamen Staatsvertrag zur Überführung der Einrichtung im Sinne von Art. 36 Abs. 6 Satz 1 EV, da nicht alle an der gemeinsamen Einrichtung beteiligten Länder diesen Staatsvertrag geschlossen haben.
Art. 36 EV enthält für den Fall der rechtlichen Auflösung der gemeinsamen Rundfunkeinrichtung keine Regelung für die Arbeitsverhältnisse zu dieser Einrichtung. Solche Regelungen sieht der Einigungsvertrag dagegen im Bereich von Wissenschaft und Forschung für die Arbeitsverhältnisse bei den Forschungsinstituten und sonstigen Einrichtungen der Akademie der Wissenschaften der DDR in Art. 38 Abs. 2 EV vor. Auch für die Arbeitsverhältnisse zu nicht nach Art. 13 Abs. 2 EV überführten Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung sieht der Einigungsvertrag in Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 2 eine Regelung vor (Warteschleifenregelung). Damit gelten für die Arbeitsverhältnisse zu der nach Art. 36 EV aufgelösten Einrichtung die allgemeinen Regeln. Die Arbeitsverhältnisse werden z.B. durch Kündigung beendet oder gehen nach § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB über, falls ein Betriebs(teil)übergang vorliegt.
2. Ob im Streitfall die Voraussetzungen eines Betriebsübergangs nach § 613 a BGB vorliegen, kann noch nicht abschließend entschieden werden.
Das Funkhaus in Leipzig, in dem die Klägerin beschäftigt war, erfüllt die Kriterien des Betriebs- oder Betriebsteilsbegriffs, wie sie in ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vertreten werden. Danach ist ein Betrieb eine organisatorische Einheit, in der Personen mit Hilfe persönlicher, sächlicher oder immaterieller Mittel bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgen. In einem Funkhaus sind solche Mittel organisatorisch zusammengefaßt, um das Aussenden von Rundfunkprogrammen zu gewährleisten. Insoweit besteht zwischen den Parteien auch kein Streit. Umstritten ist lediglich, ob der Beklagte die organisatorische Einheit Funkhaus Leipzig durch Rechtsgeschäft, wie es § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB voraussetzt, übernommen hat.
Die Revision rügt zu Recht die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, der Beklagte habe keine Vermögenswerte durch Rechtsgeschäft, sondern nur kraft Gesetzes, insbesondere nach § 4 SächsRFG erhalten.
Das Recht zur Nutzung des Funkhauses in Leipzig einschließlich der technischen Einrichtungen kann der Beklagte schon deshalb nicht aufgrund von § 4 SächsRFG erhalten haben, da nach dieser Rechtsvorschrift lediglich der dem Freistaat Sachsen zustehende Anteil an der Einrichtung nach Art. 36 EV auf den Beklagten übergeht, sobald der Freistaat Sachsen über diesen Anteil verfügen kann. Auch wenn es entsprechende gesetzliche Vorschriften in Sachsen-Anhalt und Thüringen gibt, kann der Beklagte hieraus jedenfalls kein Nutzungsrecht gegenüber den nicht an der Gründung des Beklagten beteiligten Ländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin herleiten. Es liegt nahe, daß diese Länder der Nutzung der im ungeteilten Bruchteilsvermögen der Länder stehenden Funkhäuser durch den Beklagten zugestimmt haben. Eine etwaige Nutzungsvereinbarung zwischen den Ländern und dem Beklagten könnte als ein Rechtsgeschäft im Sinne des § 613 a BGB angesehen werden. § 613 a BGB verlangt nicht eine privatrechtliche Willensäußerung. Als Rechtsgeschäft kann auch eine öffentlich-rechtliche Verwaltungsvereinbarung genügen (vgl. Urteil des Senats vom 7. September 1995 – 8 AZR 928/93 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse bestimmt, zu B III 2 a der Gründe).
Das Landesarbeitsgericht wird daher noch zu prüfen haben, auf welche Art und Weise der Beklagte das Recht zur Nutzung des Funkhauses in Leipzig einschließlich der Nutzung der Studioeinrichtungen und des sonstigen Inventars erlangte. Nach dem von der Klägerin zitierten Bericht des Rundfunkbeauftragten vom 9. Dezember 1991 sei festgelegt worden, „daß den ab 1. Januar 1992 für die Rundfunkversorgung zuständigen Rundfunkanstalten ab sofort Filme, technische Einrichtungen und Liegenschaften zur Nutzung gegen Entgelt überlassen oder im Einvernehmen der Länder zu Eigentum übertragen werden können”.
Die Klägerin, die aus ihrer Stellung nicht die Hintergründe der Vorgänge kennen kann, die dazu geführt haben, daß der Beklagte jetzt das Funkhaus nutzt, kann sich ausreichend darauf berufen, daß der äußere Anschein für das Vorliegen eines Rechtsgeschäfts spricht. Es ist Sache des Beklagten darzulegen, daß der Nutzungsberechtigung kein Rechtsgeschäft zugrunde liegt.
Für einen Betriebsübergang spräche im Falle der Richtigkeit des Vortrags der Klägerin weiter, daß der Beklagte mit drei Vierteln der früheren Arbeitnehmer neue Arbeitsverträge geschlossen hat (vgl. EuGH Urteil vom 15. Juni 1988 – Rechtssache 101/87 – EuGHE 1988, 3071, 3079).
III. Für den Fall, daß das Landesarbeitsgericht nach erneuter Verhandlung einen Betriebsübergang nach § 613 a BGB annimmt, ist rechtlich folgendes zu beachten:
1. Der Beklagte kann sich gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses der Klägerin nach § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB nicht mit Erfolg auf die Rundfunkfreiheit gemäß Art. 5 GG berufen.
Der Zweck des § 613 a BGB, bestehende Arbeitsverhältnisse bei einem Wechsel des Betriebsinhabers zu schützen, gilt auch bei Tendenzunternehmen. Die betriebsverfassungsrechtlichen Einschränkungen des § 118 BetrVG gelten für § 613 a BGB nicht (vgl. KR-Wolf, 3. Aufl., § 613 a BGB Rz 8, m.w.N.).
Auch die Rundfunkfreiheit schließt den Übergang von Arbeitsverhältnissen auf eine Rundfunkanstalt im Falle des Betriebsübergangs nicht aus. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird der arbeitsrechtliche Bestandsschutz durch die Freiheit des Rundfunks begrenzt, er begrenzt aber seinerseits auch die Rundfunkfreiheit (vgl. BVerfG Beschluß vom 28. Juni 1983 – 1 BvR 525/82 – BVerfGE 64, 256, 261). Die Einschränkung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, die in der verfassungsrechtlich legitimierten Gewährung arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes liegt, muß geeignet und erforderlich sein, der sozialen Schutzbedürftigkeit der Mitarbeiter Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG Beschluß vom 13. Januar 1982 – 1 BvR 848/77 u.a. – BVerfGE 59, 231, 265). Danach hatten die Verfassungsbeschwerden einiger Rundfunkanstalten gegen arbeitsgerichtliche Urteile Erfolg, nach denen bislang als „freie Mitarbeiter” geführte Mitarbeiter einer Rundfunkanstalt als festangestellte Arbeitnehmer eingeordnet wurden. Der Eingriff in die Rundfunkfreiheit stehe hier nicht in angemessenem Verhältnis zu der sozialen Schutzbedürftigkeit der Mitarbeiter (BVerfG, a.a.O.).
Im Falle des Betriebsübergangs überwiegt die soziale Schutzbedürftigkeit des Mitarbeiters am Erhalt des Arbeitsplatzes die Rundfunkfreiheit der Anstalten. Der Verlust des Arbeitsplatzes ist ein besonders starker sozialer Eingriff, der eine Beschränkung der Rundfunkfreiheit erfordert. Deshalb gelten für den Rundfunkmitarbeiter grundsätzlich auch die Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes, ohne daß sich die Rundfunkanstalten dagegen auf die Rundfunkfreiheit berufen können. Im übrigen sind programmgestaltend tätige Rundfunkmitarbeiter, wie die Klägerin, selbst Träger der Rundfunkfreiheit und genießen deshalb besonderen Schutz. So hat auch das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß programmgestaltend tätigen Rundfunkmitarbeitern der arbeitsrechtliche Bestandsschutz durch das Recht der Rundfunkanstalten, frei von fremder Einflußnahme über die Auswahl, Einstellung und Beschäftigung ihrer Mitarbeiter zu bestimmen, nicht generell versagt werden darf (BVerfGE 59, 231, 265).
2. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin kann nach § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB nur in dem rechtlichen Zustand auf den Beklagten übergegangen sein, wie es gegenüber dem bisherigen Betriebsinhaber bestand. Ein vor dem Betriebsübergang gekündigtes Arbeitsverhältnis kann nur als gekündigtes Arbeitsverhältnis übergehen. Ein vor dem Betriebsübergang durch Kündigung oder einvernehmlich beendetes Arbeitsverhältnis geht überhaupt nicht über.
a) Das Landesarbeitsgericht wird daher zu prüfen haben, ob die von Sachsen-Radio für die Einrichtung nach Art. 36 EV am 16. September 1991 zum 31. Dezember 1991 ausgesprochene Kündigung wirksam war. Dabei wird es für die Frage der Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung darauf ankommen, ob im Zeitpunkt der Kündigung die Beendigung der Einrichtung nach Art. 36 EV bereits „greifbare Formen” angenommen hatte (vgl. BAG Urteil vom 19. Juni 1991 – 2 AZR 127/91 – AP Nr. 53 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung). Das wäre nicht der Fall, wenn zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch ernsthafte Gespräche über die Fortführung der Anstalt geführt worden wären, wie die Klägerin im einzelnen vorgetragen hat. Sollte zum Zeitpunkt der Kündigung die Übernahme des Funkhauses in Leipzig durch den Beklagten schon geplant und „greifbare Formen” angenommen haben, kommt auch die Unwirksamkeit der Kündigung wegen des Betriebsübergangs nach § 613 a Abs. 4 Satz 1 BGB in Frage (vgl. BAG Urteil vom 19. Mai 1988 – 2 AZR 596/87 – BAGE 59, 12 = AP Nr. 75 zu § 613 a BGB). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß in den neuen Bundesländern gemäß Art. 232 § 5 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB § 613 a Abs. 4 Satz 2 BGB-NBL als befristetes Übergangs recht gilt (zur Bedeutung dieses Übergangsrechts vgl. Ascheid, NZA 1991, 873, 877 ff.).
Das Landesarbeitsgericht wird daher Feststellungen zu dem Stand der Verhandlungen zur Überführung der Einrichtung nach Art. 36 EV durch gemeinsamen Staatsvertrag sowie zum Übergang des Funkhauses in Leipzig an den Beklagten im Kündigungszeitpunkt zu treffen haben.
b) Im übrigen wird das Landesarbeitsgericht auch zu prüfen haben, ob das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit der Einrichtung nach Art. 36 EV zum 31. Dezember 1991 einvernehmlich beendet wurde. Dabei wird es auch auf eine Auslegung des zwischen der Klägerin und der Einrichtung gemäß Art. 36 EV geschlossenen Vergleichs vom 9./11. Mai 1995 ankommen, wonach das Arbeitsverhältnis der Parteien am 31. Dezember 1991 „geendet habe”.
3. Sollte das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit der Einrichtung gemäß Art. 36 EV mit Ablauf des 31. Dezember 1991 durch Kündigung oder einvernehmlich beendet worden sein, wird zu prüfen sein, welche Rechtsfolgen sich daraus ergeben, daß die Klägerin ab Januar 1992 vom Beklagten unverändert in ihrem bisherigen Arbeitsgebiet als Musikredakteurin weiterbeschäftigt wurde. Sollte danach das Arbeitsverhältnis stillschweigend verlängert worden sein (§ 625 BGB), würden die vom Beklagten im Mai 1992 ausgesprochenen Kündigungen zu prüfen sein. Dabei käme es auch auf die Behauptung der Klägerin an, die Kündigungen seien nur deshalb ausgesprochen worden, da sie, die Klägerin, nicht bereit gewesen sei, die Klage gegen den Beklagten zurückzunehmen. Danach könnten die Kündigungen gegen § 612 a BGB verstoßen.
Unterschriften
Ascheid, Dr. Wittek, Mikosch, Dr. P. Umfug, Hickler
Fundstellen