Entscheidungsstichwort (Thema)
Arglistige Berufung auf tarifliche Ausschlußfrist
Leitsatz (redaktionell)
1. Verlangt eine tarifliche Verfallklausel, daß Ansprüche innerhalb einer bestimmten Frist gerichtlich geltend gemacht werden müssen, so verstößt es gegen Treu und Glauben, wenn der Schuldner während des Laufes der Ausschlußfrist den Eindruck erweckt, eine gerichtliche Klärung des Anspruchs sei entbehrlich, sich jedoch nach Ablauf der Frist auf die Verfallklausel beruft.
2. In diesem Sinne widersprüchlich verhält sich ein Arbeitgeber, der den Arbeitnehmer während eines Kündigungsschutzprozesses vorsorglich zur Auskunft über anderweiten Verdienst auffordert, um eine nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschuldete Karenzentschädigung abrechnen zu können, der die erteilten Auskünfte auch nicht anzweifelt, aber dann nach seinem Obsiegen im Kündigungsschutzprozeß den Ablauf der Ausschlußfrist rügt.
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 15.06.1982; Aktenzeichen 11 Sa 522/82) |
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 10.02.1982; Aktenzeichen 9 Ca 3357/81) |
Tatbestand
Die Parteien streiten noch darüber, ob dem Kläger für den Monat Februar 1981 Karenzentschädigung zusteht.
Der Kläger trat am 1. September 1980 als Bezirksleiter in die Dienste der Beklagten. Er bezog ein Monatsgehalt von 6.000,-- DM brutto. In § 10 des schriftlichen Arbeitsvertrages war die Anwendung der Tarifverträge für Angestellte im Groß- und Außenhandel Nordrhein-Westfalen in der jeweiligen Fassung vereinbart. In § 11 der ab 1. Januar 1977 geltenden Fassung des Tarifvertrages vom 22. Februar 1977 (künftig MTV) ist bestimmt, daß Gehälter am Schluß des Kalendermonats, Provisionen und sonstige Vergütungen spätestens am Schluß des folgenden Monats fällig werden. Weiter heißt es dort:
"Der Anspruch auf vorgenannte Vergütungen wie alle
sonstigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind
binnen drei Monaten nach Fälligkeit dem anderen
Vertragspartner gegenüber schriftlich geltend zu
machen. Spätestens innerhalb eines weiteren Monats
nach Ablauf dieser Frist ist Klage zu erheben."
In § 11 des Arbeitsvertrages der Parteien ist ein Wettbewerbsverbot für die Dauer eines Jahres nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses vereinbart. Die Karenzentschädigung beträgt hiernach 50 % der letzten Monatsbezüge. Im übrigen ist auf die §§ 74 ff. HGB verwiesen.
Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis am 10. Dezember 1980 fristlos und am 15. Dezember 1980 vorsorglich fristgemäß zum 31. Januar 1981 gekündigt. Am 18. und am 24. Februar 1981 hat sie nochmals Kündigungen zum 31. März 1981 ausgesprochen. Der Kläger hat gegen sämtliche Kündigungen Klage erhoben. Die gegen die fristlose Kündigung gerichtete Klage war erfolgreich; das Arbeitsgericht Düsseldorf hat ihr durch rechtskräftiges Urteil vom 12. Februar 1981 - 2 Ca 5682/80 - stattgegeben. Hingegen blieb die gegen die fristgemäße Kündigung zum 31. Januar 1981 gerichtete Klage ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht Düsseldorf hat diese Klage durch Urteil vom 8. September 1981 - 1 Ca 980/81 - abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht Düsseldorf durch Urteil vom 20. Januar 1982 - 15 Sa 1291/81 - rechtskräftig zurückgewiesen.
Mit Schreiben seines Prozeßbevollmächtigten vom 18. Mai 1981 hat der Kläger seine Gehaltsansprüche für die Monate Februar und März 1981 geltend gemacht. Er ging dabei davon aus, das Arbeitsverhältnis bestehe bis zum 31. März 1981 fort. Demgemäß verlangte er für den Monat April 1981 die Entschädigung für das Wettbewerbsverbot gemäß § 11 des Arbeitsvertrages. Zugleich machte er diese Entschädigung vorsorglich auch für die Monate Februar und März 1981 geltend, falls das Arbeitsverhältnis am 31. Januar 1981 sein Ende gefunden haben sollte. Die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten erwiderten mit Schreiben vom 25. Mai 1981, Gehaltsansprüche für die Monate Februar und März 1981 bestünden nicht; hinsichtlich des Anspruchs auf Karenzentschädigung möge zunächst mitgeteilt werden, was der Kläger anderweit verdient habe.
Mit Mahnbescheid vom 16. Juli 1981 hat der Kläger Karenzentschädigung in Höhe von zusammen 9.000,-- DM für die Monate April, Mai und Juni 1981 geltend gemacht. Nachdem das Arbeitsgericht die Kündigungsschutzklage, soweit zum 31. Januar 1981 gekündigt war, zurückgewiesen hatte, erweiterte der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit die Klage mit Schriftsatz vom 30. September 1981, indem er jetzt vorsorglich auch den Anspruch auf Karenzentschädigung für den Monat Februar 1981 anhängig machte. Er hat die Auffassung vertreten, nachdem feststehe, daß sein Arbeitsverhältnis zumindest bis zum 31. Januar 1981 bestanden habe, könne er jetzt Karenzentschädigung für Februar und März 1981 verlangen.
Der Kläger hat, soweit im Revisionsverfahren von Interesse, beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.000,-- DM
nebst 4 % Zinsen seit dem 1. April 1981 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat nicht bestritten, daß der Kläger in den Monaten Februar und März 1981 kein anderweitiges Einkommen hatte. Sie hat die Karenzentschädigung für den Monat März 1981 auch gezahlt. Die Karenzentschädigung für den Monat Februar 1981 hat sie mit der Begründung verweigert, der Anspruch sei gemäß § 11 MTV verfallen. Mit der Kündigungsschutzklage sei der Anspruch noch nicht geltend gemacht worden.
Die Vorinstanzen haben, was den Monat Februar anbetrifft, die Auffassung der Beklagten gebilligt und insoweit die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Dem Kläger steht für den Monat Februar 1981 Karenzentschädigung in Höhe von 3.000,-- DM zu.
I. Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt worden. Das Berufungsurteil ist dem Kläger nach dem Empfangsbekenntnis seines Prozeßbevollmächtigten am 29. Juli 1982 zugestellt worden. Die Revision ist durch ein Telegramm eingelegt worden, das den an eine formgerechte Revisionsschrift zu stellenden Anforderungen genügt (BAG Beschluß vom 14. August 1973 - 3 AZR 292/73 - AP Nr. 7 zu § 553 ZPO m.w.N.). Das Telegramm ist am Montag, dem 30. August 1982, in den Nachtbriefkasten des Bundesarbeitsgerichts eingeworfen worden, wie der Eingangsstempel belegt. Es wahrt damit die Frist des § 74 Abs. 1 Satz 1 ArbGG. Das dem Beklagten erteilte Notfristattest, das den 31. August 1982 als Eingangsdatum angibt, ist unzutreffend; es nennt offenbar versehentlich das Datum, an dem das Telegramm dem Nachtbriefkasten entnommen wurde.
II. Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz nur noch über die Frage, ob der Anspruch des Klägers nach § 11 MTV wegen Versäumung der dort genannten Ausschlußfrist erloschen ist. Das ist nicht der Fall.
1. Die Parteien haben das Arbeitsverhältnis vertraglich den Bestimmungen des Manteltarifvertrages für die Angestellten im Groß- und Außenhandel Nordrhein-Westfalen unterstellt. Das ist rechtlich unbedenklich (Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 3 Rz 96). Die Verweisung führt dazu, daß Ansprüche nach Ablauf der tariflichen Ausschlußfristen erlöschen, wenn sie nicht rechtzeitig formgerecht geltend gemacht werden. § 11 MTV erfaßt alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und damit auch Ansprüche auf Karenzentschädigung. Diese haben ihren Grund allein in dem beendeten Arbeitsverhältnis und sollen den Arbeitnehmer dafür entschädigen, daß er nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses keinen Wettbewerb betreiben, also die bei dem früheren Arbeitgeber gewonnenen Kenntnisse und Erfahrungen nicht zu dessen Nachteil verwerten darf.
Das von der Revision genannte Urteil des Senats vom 24. April 1970 - 3 AZR 328/69 - (AP Nr. 25 zu § 74 HGB) sagt nichts anderes. Der Senat hatte seinerzeit über eine tarifliche Ausschlußklausel zu entscheiden, die als Fristbeginn das Ende des Arbeitsverhältnisses vorsah. Da Ansprüche auf Karenzentschädigung bis zu zwei Jahren noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstehen können, ergab sich, daß die Tarifbestimmung solche Ansprüche nicht erfaßte. Im Gegensatz dazu sieht § 11 MTV eine Frist vor, die jeweils mit der Fälligkeit des Anspruchs beginnt; der Kläger war also aus Rechtsgründen nicht gehindert, die monatliche Karenzentschädigung entsprechend § 11 MTV binnen drei Monaten nach Fälligkeit zunächst schriftlich und binnen eines weiteren Monats gerichtlich geltend zu machen.
2. Die Karenzentschädigung für den Monat Februar 1981 ist nach den Bestimmungen des Arbeitsvertrags am 28. Februar 1981, nach Auffassung des Klägers erst am 31. März 1981 fällig geworden. Das kann jedoch auf sich beruhen. Auch wenn die Fälligkeit erst mit Ablauf des Monats März 1981 eingetreten wäre, könnte die Klageerhebung nicht mehr die Frist von vier Monaten wahren. Der Kläger hat den Anspruch erstmals anläßlich der Klageerweiterung mit Schriftsatz vom 30. September 1981 gerichtlich geltend gemacht. Dennoch ist der Anspruch nicht verfallen. Die Beklagte hat nach Treu und Glauben nicht das Recht, die Zahlung der Karenzentschädigung für den Monat Februar 1981 mit Rücksicht auf den Ablauf der Verfallfrist zu verweigern.
a) Der Beklagten ist darin beizupflichten, daß nicht schon die Kündigungsschutzklage die Ausschlußfrist gewahrt hat. Das Bundesarbeitsgericht hat allerdings für den Bereich der privaten Wirtschaft mehrfach entschieden, daß die Erhebung der Kündigungsschutzklage je nach Lage des Falles ein ausreichendes Mittel sein kann, Ansprüche formlos oder schriftlich geltend zu machen; das Kündigungsschutzbegehren beschränkt sich in der Regel nicht auf die Erhaltung des Arbeitsplatzes, sondern ist auch auf die Sicherung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis gerichtet (vgl. BAG 30, 135 = AP Nr. 63 zu § 4 TVG Ausschlußfristen). Die Kündigungsschutzklage ersetzt aber grundsätzlich nicht das Erfordernis einer gerichtlichen Geltendmachung von Zahlungsansprüchen. Der Anspruch auf Karenzentschädigung kann schon deshalb nicht Gegenstand des Kündigungsschutzprozesses sein, weil er die Beendigung des Arbeitsverhältnisses voraussetzt. Karenzentschädigung kommt deshalb nur in Betracht, wenn der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozeß unterliegt.
b) Der Beklagten ist ferner zuzustimmen, daß der Kläger rechtlich nicht gehindert war, den Anspruch auf Karenzentschädigung fristgerecht gerichtlich geltend zu machen. Er hätte Eventualklage erheben und die Karenzentschädigung für den Fall verlangen können, daß im Kündigungsschutzprozeß die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Januar 1981 festgestellt werden sollte. Zur Begründung einer solchen Klage hätte es - entgegen der Meinung des Klägers - keiner widersprüchlichen Argumentation bedurft; der Kläger selbst hat in seinem Schreiben vom 18. Mai 1981 die Karenzentschädigung für den Fall verlangt, daß sein Arbeitsverhältnis beendet sein sollte. Ob ein Arbeitnehmer grundsätzlich verpflichtet ist, die prozessual mögliche Eventualklage zu erheben, um eine tarifliche Klagefrist zu wahren, kann jedoch dahingestellt bleiben. Jedenfalls für den Kläger bestand eine solche Verpflichtung nicht.
c) Die Beklagte kann die Zahlung der Karenzentschädigung für den Monat Februar 1981 aufgrund ihres eigenen Verhaltens nicht verweigern.
Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 18. Mai 1981 die Karenzentschädigung hilfsweise geltend gemacht hatte, antwortete die Beklagte mit Schreiben vom 25. Mai 1981, der Kläger möge zunächst angeben, ob er im Februar und im März 1981 anderweitige Einkünfte gehabt habe. Der Kläger konnte diese Antwort nur so verstehen, daß gegen den Anspruch auf Karenzentschädigung dem Grunde nach keine Einwendungen erhoben würden, sondern nur noch die Frage der Anrechnung anderweitigen Einkommens geklärt werden müsse. Ersichtlich hat die Beklagte die Lage ebenso beurteilt, denn sie hat, nachdem der Kläger die geforderten Auskünfte erteilt hatte, die Karenzentschädigung gezahlt und sich lediglich hinsichtlich des Monats Februar 1981 auf den Ablauf der tariflichen Ausschlußfrist berufen. Wenn aber die Beklagte gegen den Anspruch dem Grunde nach sachliche Einwendungen nicht erhob, sondern lediglich die für die Abrechnung erforderlichen Angaben forderte, hatte der Kläger keinerlei Veranlassung zur Klageerhebung. Auch später ergab sich kein Grund, die Gerichte zu bemühen, weil die Beklagte die Angaben des Klägers, er habe weder im Februar noch im März 1981 anderweitiges Einkommen erzielt, nie in Frage gestellt hat. Unter den hier gegebenen Umständen ist das Verhalten der Beklagten widersprüchlich. Sie durfte nicht zunächst den Eindruck erwecken, es gehe ihr nur noch um die Höhe und die Abrechnung der Karenzentschädigung, um sich später auf die Verfallfrist zu berufen, als diese abgelaufen war.
3. Das Urteil des Berufungsgerichts, das die Frage einer rechtsmißbräuchlichen Berufung auf die tarifliche Ausschlußfrist nicht geprüft hat, erweist sich damit als unzutreffend. Da alle erforderlichen Feststellungen getroffen sind, kann der Senat selbst abschließend über das Klagebegehren befinden. Die nach Grund und Höhe unstreitige Karenzentschädigung war dem Kläger zuzusprechen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 ZPO. Der Kläger hat in erster Instanz insgesamt 24.000,-- DM eingeklagt. Er obsiegt mit einem Betrag von 3.000,-- DM. Gegenstand der Berufung und der Revision war nur noch der Betrag, der ihm zugesprochen wurde.
Dr. Dieterich Schneider Griebeling
Weinmann Schoden
Fundstellen
Haufe-Index 438547 |
BB 1985, 590-591 (LT1-2) |
DB 1985, 658-659 (LT1-2) |
BlStSozArbR 1985, 164-164 (T) |
NZA 1985, 219-220 (LT1-2) |
AP § 4 TVG Ausschlußfristen (LT1-2), Nr 87 |
EzA § 4 TVG Ausschlußfristen, Nr 61 (LT1-2) |