Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnung von Berufsjahren bei der Einstufung in die tarifvertraglichen Gehaltsstufen im Einzelhandel
Normenkette
TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 11. Februar 1997 – 6 Sa 160/96 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten der Revision.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Gehaltsansprüche der Klägerin, die sich aus der Anrechnung eines weiteren Berufs Jahres bei der Einstufung in die tariflichen Gehaltsstufen errechnen.
Die Klägerin ist bei der Beklagten als Bäckereifachverkäuferin tätig. Zunächst hat sie eine dreijährige Ausbildung zur Bäkkereifachverkäuferin bei der Beklagten absolviert und am 14. Juli 1992 erfolgreich beendet; anschließend wurde die Klägerin im Markt R. der Beklagten im Brot- und Backwarenbereich eingesetzt. Im Markt R. sind ca. 40 Angestellte beschäftigt.
Die Beklagte betreibt 129 Lebensmittelmärkte mit rund 4.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Es bestehen drei Ausbildungsbereiche, nämlich die Ausbildung zum Verkäufer/Verkäuferin, zum Einzelhandelskaufmann/Einzelhandelskauffrau sowie die Ausbildung zum Nahrungsmittelfachverkäufer/Nahrungsmittelfachverkäuferin.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Tarifverträge für den Einzelhandel Nordrhein-Westfalen kraft beiderseitiger Tarifbindung sowie Allgemeinverbindlicherklärung Anwendung, u.a. der ab 1. April 1991 gültige Gehaltstarifvertrag Einzelhandel Nordrhein-Westfalen (im folgenden: GTV) vom 21. Juni 1991. Die maßgeblichen tariflichen Regelungen des GTV lauten – soweit hier von Interesse – wie folgt:
„§ 2
Gehaltsregelung
(1) …
(2) …
(3) Der abgeschlossenen kaufmännischen Berufsausbildung (zweijährige Ausbildungszeit mit Abschlußprüfung „Verkäuferin”) werden gleichgesetzt:
- eine abgeschlossene zweijährige Ausbildung als Büro- oder Gewerbegehilfin mit einem weiteren Jahr kaufmännischer Tätigkeit;
- eine kaufmännische Berufstätigkeit überwiegend im Verkauf von drei Jahren, im übrigen von vier Jahren;
- eine andersartige abgeschlossene dreijährige Berufsausbildung.
Ist eine Gleichsetzung erfolgt, so werden die in diesem Beruf zurückgelegten Berufs- bzw. Tätigkeitsjahre angerechnet, wenn die Beschäftigung entsprechend dem erlernten Beruf erfolgt.
(4) …
(5) …
(6) …
(7) …
§ 3
Beschäftigungsgruppen
A. Angestellte ohne abgeschlossene kaufmännische Ausbildung
…
B. Angestellte mit abgeschlossener kaufmännischer Ausbildung
(1) Angestellte, die eine zweijährige Ausbildung mit Abschlußprüfung nach dem staatlich anerkannten Berufsbild „Verkäufer/Verkäuferin” nachweisen, erhalten, sofern sie nach dem 31.3.1988 erstmalig in die Gehaltsgruppe I eingruppiert werden, das Entgelt des 2. Berufs Jahres der Gehaltsgruppe I, Staffel B.
(2) Bei Angestellten, die eine dreijährige Ausbildung mit Abschlußprüfung nach dem staatlich anerkannten Berufsbild „Einzelhandelskaufmann/-kauffrau” oder „Kaufmann/Kauffrau im Einzelhandel” nachweisen, gelten, sofern sie nach dem 31.3.1988 erstmalig in die Gehaltsgruppe I eingruppiert werden, das 1. und 2. Berufsjahr der Staffel B als zurückgelegt. Sie erhalten nach der Abschlußprüfung das Entgelt des 3. Berufsjahres der Gehaltsgruppe I, Staffel B. Diese Vorschrift gilt entsprechend für Angestellte, die eine dreijährige Ausbildung nach einem anderen kaufmännischen Berufsbild aus dem Bereich Einzelhandel nachweisen.
(3) …
(4) …”
Bei der Aufnahme ihrer Tätigkeit als Bäckereifachverkäuferin nach Abschluß der Ausbildung wurde die Klägerin in die Gehaltsgruppe I eingestuft; sie erhielt das Entgelt des zweiten Berufsjahres, wie in § 3 B Abs. 1 für solche Angestellte vorgesehen, die eine zweijährige Ausbildung mit Abschlußprüfung nach dem anerkannten Berufsbild „Verkäufer/Verkäuferin” nachweisen.
Die Klägerin begehrt eine höhere Vergütung mit der Begründung, sie hätte nach Abschluß der Berufsausbildung Vergütung nach dem dritten Berufsjahr erhalten müssen. Nach § 3 B Abs. 2 Satz 3 GTV sei für sie das dritte Berufsjahr der Gehaltsgruppe I Staffel B bei Aufnahme der Tätigkeit maßgebend gewesen, weil sie eine dreijährige Ausbildung nach einem anderen kaufmännischen Berufsbild aus dem Bereich Einzelhandel absolviert habe. Die Gleichstellung ihrer Ausbildung mit der Ausbildung einer Kauffrau im Einzelhandel entspreche dem Sinn und Zweck der Regelung, da sowohl die Tätigkeit der Kauffrau im Einzelhandel als auch die Tätigkeit einer Fachverkäuferin im Nahrungsmittelhandwerk durch die Beratung und Betreuung von Kunden und den Verkauf von Waren an den Endverbraucher gekennzeichnet sei.
Der von der Klägerin für die Zeit von September 1993 bis Mai 1994 geltend gemachte Differenzbetrag bei der Vergütung beträgt unstreitig 606,00 DM.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 606,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen vom verbleibenden Nettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie meint, der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch sei nicht gegeben, die Klägerin sei zu Recht nach § 2 Abs. 3 c GTV einer Verkäuferin mit zweijähriger Ausbildungszeit gleichgesetzt worden. Die Ausbildung der Klägerin sei nicht als Ausbildung einer Kauffrau im Einzelhandel nach § 3 B Abs. 2 Satz 1 anzusehen; sie stelle vielmehr eine andersartige abgeschlossene dreijährige Berufsausbildung dar, die nach § 2 Abs. 3 c GTV zur Gleichstellung mit einer ausgebildeten Verkäuferin führe. Die Kauffrau im Einzelhandel sei von ihrer Ausbildung her ungleich universeller einsetzbar als eine Fachverkäuferin im Nahrungsmittelhandwerk; die Ausbildung der Klägerin könne daher nicht die Gleichstellung mit der Kauffrau im Einzelhandel gem. § 3 B Abs. 2 Satz 1 GTV begründen. Eine Ausbildung nach einem anderen kaufmännischen Berufsbild aus dem Bereich des Einzelhandels liege nur bei der Bürokauffrau, der Buchhändlerin, der Drogistin und der Musikalienhändlerin vor; die Klägerin habe – wie z.B. die Bankkauffrau, die Industriekauffrau und die Kauffrau im Groß- und Außenhandel – keine Ausbildung nach einem anderen kaufmännischen Berufsbild aus dem Bereich des Einzelhandels aufzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat nach Einholung einer Auskunft bei den Tarifvertragsparteien darüber, ob in § 3 B Abs. 2 Satz 3 GTV eine Gleichstellung von Fachverkäufern bzw. Fachverkäuferinnen aus dem Nahrungsmittelhandwerk mit dem Berufsbild Kaufmann/Kauffrau im Einzelhandel vereinbart bzw. gewollt war, die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Die Klägerin kann die Anrechnung eines weiteren Berufsjahres verlangen; sie ist daher von der Beklagten nach Abschluß ihrer Ausbildung zur Bäckereifachverkäuferin bei Aufnahme ihrer Tätigkeit unzutreffend nach § 2 Abs. 3 c GTV in das zweite Berufsajahr eingestuft worden.
Wie die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, hätte sie nach § 3 B Abs. 2 Satz 2 GTV in der hier maßgeblichen Fassung in das dritte Berufsjahr der Gehaltsgruppe I Staffel B eingestuft werden müssen. Ihr steht somit die geltend gemachte Gehaltsdifferenz zu.
I. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt, der Klägerin stehe der der Höhe nach unstreitige Betrag von 606,– DM zu, da der Berechnung ihrer Vergütung ein weiteres Berufsjahr zugrunde zu legen sei. Wie in § 3 B Abs. 2 Satz 3 GTV vorausgesetzt, habe die Klägerin eine dreijährige Ausbildung nach einem anderen kaufmännischen Berufsbild aus dem Einzelhandel nachgewiesen. Nach dem Wortlaut des § 3 B Abs. 2 Satz 3 GTV werde die von der Klägerin erfolgreich absolvierte Ausbildung zur Bäckereifachverkäuferin von dieser Vorschrift erfaßt, da das Verkaufen von Backwaren eine kaufmännische Tätigkeit sei und die Ausbildung somit nach einem kaufmännischen Berufsbild erfolgt sei; die Ausbildung sei auch im Bereich des Einzelhandels durchgeführt worden. Nach dem Ausbildungsrahmenplan bilde gerade der Verkauf an den Endverbraucher den Schwerpunkt der Ausbildung zur Fachverkäuferin im Nahrungsmittelhandwerk. Die von den Tarifvertragsparteien eingeholten Auskünfte gäben keinen Anlaß zu einer anderweitigen Beurteilung. Der systematische Aufbau des Gehaltstarifvertrages und sein tariflicher Gesamtzusammenhang sprächen vielmehr dafür, die Klägerin als ausgebildete Bäckereifachverkäuferin einer Kauffrau im Einzelhandel gleichzustellen und nicht nur einer Verkäuferin. Während nämlich für die Gleichstellung mit einer Verkäuferin schon eine zweijährige Ausbildung in dem einzelhandelsferneren Beruf der Büro- oder Gewerbegehilfin in Verbindung mit einem weiteren Jahr kaufmännischer Tätigkeit oder gar eine kaufmännische Berufstätigkeit von drei Jahren ohne kaufmännische Ausbildung ausreiche, weise die dreijährige Ausbildung der Klägerin in einem kaufmännischen Berufsbild eine ungleich höhere Qualifikation auf. Die Verkaufstätigkeit der Klägerin im Nahrungsmittelhandwerk stehe von ihrem Ausbildungsinhalt und nach ihrem Gesamtbild der Tätigkeit einer Kauffrau im Einzelhandel deutlich näher als eine abgeschlossene dreijährige Berufsausbildung im Handwerk oder in der Industrie. Dieses Ergebnis entspreche auch dem erkennbaren Sinn und Zweck der tariflichen Regelung, da durch § 3 B Abs. 2 GTV die in einer dreijährigen Ausbildung erworbene, für den Einzelhandel besonders erforderliche Qualifikation zusätzlich honoriert werden solle.
Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
II. Die Klägerin kann die Anrechnung eines weiteren Berufsjahres bei der Einstufung in die Gehaltsstufen des GTV verlangen; ihr steht daher der geltend gemachte Differenzbetrag von 606,– DM zu.
Die Einstufung der Klägerin nach Abschluß ihrer Ausbildung zur Bäckereifachverkäuferin nach § 2 Abs. 3 Buchst. c GTV in das zweite Berufsjahr der Gehaltsgruppe I Staffel B (§ 3 B Abs. 1 GTV) entspricht nicht den tarifvertraglichen Regelungen des GTV; die Klägerin wäre vielmehr bei Aufnahme ihrer Berufstätigkeit nach § 3 B Abs. 2 Satz 3 GTV in der hier maßgeblichen Fassung in das dritte Berufsjahr der Gehaltsgruppe I Staffel B einzustufen gewesen.
1. Bei der Einstufung in Gehaltsstufen nach dem GTV ist nach § 3 GTV zwischen Angestellten ohne kaufmännische Ausbildung (Beschäftigungsgruppe A) und Angestellten mit abgeschlossener kaufmännischer Ausbildung (Beschäftigungsgruppe B) zu unterscheiden. Danach ist die Klägerin bei Aufnahme ihrer Tätigkeit von der Beklagten zutreffend der Beschäftigungsgruppe B zugeordnet worden, da sie eine abgeschlossene kaufmännische Ausbildung aufzuweisen hat.
Nach der Gehaltsgruppe I werden Angestellte mit einfacher kaufmännischer Tätigkeit, wie z.B. Verkäufer, vergütet; die Höhe des Gehalts richtet sich nach der Zahl der Berufsjahre. Nach § 3 B Abs. 1 GTV erhalten Angestellte mit einer zweijährigen Ausbildung mit Abschlußprüfung nach dem Berufsbild „Verkäufer/Verkäuferin”, soweit sie nach dem 31. März 1988 erstmals in die Gehaltsgruppe I eingruppiert werden, das Entgelt des zweiten Berufsjahres. Diesen Arbeitnehmern werden nach § 2 Abs. 3 GTV gleichgestellt Arbeitnehmer mit einer abgeschlossenen zweijährigen Ausbildung als Büro- oder Gewerbegehilfin mit einem weiteren Jahr kaufmännischer Tätigkeit (Buchst. a), Arbeitnehmer mit einer kaufmännischen Berufstätigkeit überwiegend im Verkauf von drei Jahren, im übrigen von vier Jahren (Buchst. b) und nach Buchst. c Arbeitnehmer mit einer andersartigen abgeschlossenen dreijährigen Berufsausbildung. Nach § 3 B Abs. 2 Satz 1 GTV in der hier maßgeblichen Fassung werden bei Angestellten, die eine dreijährige Ausbildung mit Abschlußprüfung nach dem Berufsbild „Einzelhandelskaufmann/-kauffrau” oder „Kaufmann/Kauffrau im Einzelhandel” nachweisen, das erste und das zweite Berufsjahr als zurückgelegt angesehen; sie werden daher in das dritte Berufsjahr der Gehaltsgruppe I Staffel B eingestuft (§ 3 B Abs. 2 Satz 2 GTV). Nach § 3 B Abs. 2 Satz 3 GTV gilt das entsprechend für Angestellte, die eine dreijährige Ausbildung nach einem anderen kaufmännischen Berufsbild aus dem Bereich Einzelhandel nachweisen.
2. Diese Voraussetzungen des § 3 B Abs. 2 Satz 3 GTV in der hier maßgeblichen Fassung erfüllt die Klägerin mit ihrer Ausbildung zur Bäckereifachverkäuferin; daher ist bei der Berechnung ihrer Vergütung ein weiteres Berufsjahr anzurechnen. Die Klägerin hat nach entsprechender dreijähriger Ausbildung die Abschlußprüfung als Fachverkäuferin im Nahrungsmittelhandwerk (Zweig Bäckereifachverkäuferin) abgelegt. Die Auslegung des GTV ergibt, daß diese Ausbildung als „dreijährige Ausbildung nach einem anderen kaufmännischen Berufsbild aus dem Bereich Einzelhandel” anzusehen ist. Daß die Prüfung vor der Handwerkskammer abgelegt worden ist, ist hier ohne Bedeutung.
a) Bei der Tarifauslegung ist – entsprechend den Grundsätzen der Gesetzesauslegung – zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen. Über den reinen Tarifwortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnormen mitzuberücksichtigen, sofern und soweit diese in den tariflichen Vorschriften ihren Niederschlag gefunden haben (BAG Urteil vom 23. Februar 1994 – 4 AZR 224/93 – AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifverträge: Kirchen). Hierzu ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, der schon deswegen mitberücksichtigt werden muß, weil nur daraus und nicht aus der einzelnen Tarifnorm auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und so nur bei Mitberücksichtigung des tariflichen Gesamtzusammenhangs der Sinn und Zweck der Tarifnormen zutreffend ermittelt werden kann. Verbleiben sodann noch Zweifel, kann zur Ermittlung des wirklichen Willens der Tarifvertragsparteien auch auf weitere Kriterien wie die Tarifgeschiente, die praktische Tarifübung und die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrags zurückgegriffen werden (BAGE 46, 308, 313 ff. = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung). Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (BAGE 60, 219, 224 = AP Nr. 127 zu § 611 BGB Gratifikation, m.w.N.; BAG Urteil vom 23. September 1992 – 4 AZR 66/92 – AP Nr. 8 zu § 1 TVG Tarifverträge: Großhandel, m.w.N.; Schaub, Auslegung und Regelungsmacht von Tarifverträgen, NZA 1994, 597 ff.).
b) Nach diesen Auslegungsgrundsätzen folgt sowohl aus dem Tarifwortlaut wie auch aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang und dem Sinn und Zweck der tariflichen Regelungen, daß die Ausbildung der Klägerin als Bäckereifachverkäuferin bei der Beklagten als „dreijährige Ausbildung nach einem anderen kaufmännischen Berufsbild aus dem Bereich Einzelhandel” im Sinne von § 3 B Abs. 2 Satz 3 GTV anzusehen ist, so daß die Ausbildung der Klägerin der dreijährigen Ausbildung mit Abschlußprüfung nach dem staatlich anerkannten Berufsbild „Einzelhandelskaufmann/-kauffrau” oder „Kaufmann/Kauffrau im Einzelhandel” gleichzusetzen ist; die Klägerin war daher nach § 3 B Abs. 2 Satz 2 GTV in der hier maßgeblichen Fassung bei Beginn ihrer Tätigkeit als Bäckereifachverkäuferin bei der Beklagten nach Ablegen der Abschlußprüfung in das dritte Berufsjahr der Gehaltsgruppe I Staffel B einzustufen.
Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen hat, ist die Ausbildung der Klägerin nach einem kaufmännischen Berufsbild im Sinne des § 3 B Abs. 2 Satz 3 GTV erfolgt. Schon die Bezeichnung als Fachverkäuferin im Nahrungsmittelhandwerk zeigt, daß es sich um eine kaufmännische Ausbildung handelt. Auch die Verordnung über die Berufsausbildung zum Fachverkäufer/zur Fachverkäuferin im Nahrungsmittelhandwerk vom 23. Dezember 1985 (BGBl. 1986 Teil I, S. 1 ff.) und der entsprechende Ausbildungsrahmenplan sprechen dafür, die Ausbildung zum Fachverkäufer/zur Fachverkäuferin im Nahrungsmittelhandwerk als eine kaufmännische Ausbildung einzustufen. Die Tätigkeit des Fachverkäufers/der Fachverkäuferin im Nahrungsmittelhandwerk erstreckt sich vom Einkauf der Erzeugnisse, der sachgemäßen Lagerhaltung bis zum Verkauf, der Werbung, bis hin zur Pflege und Bedienung der Einrichtungen für den Verkauf (Blätter zur Berufskunde, Band 1, Nr. 1 – VIII A 102). Daß die Ausbildung im handwerklichen Bereich des Betriebes der Beklagten stattgefunden hat und die Prüfung vor der Handwerkskammer abgelegt worden ist, steht dem nicht entgegen. Aus der Verordnung über die Berufsausbildung zum Fachverkäufer/zur Fachverkäuferin im Nahrungsmittelhandwerk und dem Ausbildungsrahmenplan ergibt sich, daß die kaufmännische Ausbildung im Vordergrund steht.
Dem Landesarbeitsgericht ist daher darin zu folgen, daß die Ausbildung der Klägerin, die unstreitig drei Jahre gedauert hat, nach einem anderen kaufmännischen Berufsbild im Sinne von § 3 B Abs. 2 Satz 3 GTV erfolgt ist.
Die Klägerin erfüllt auch die weitere Voraussetzung des § 3 B Abs. 2 Satz 3 GTV, daß nämlich die Ausbildung nach einem anderen kaufmännischen Berufsbild aus dem Bereich Einzelhandel erfolgt ist.
An einer Bestimmung des Begriffs „Einzelhandel” fehlt es im GTV. Beim „Einzelhandel” handelt es sich aber um einen bekannten und geläufigen Fachbegriff des Wirtschaftslebens, den die sachkundigen Tarifvertragsparteien als vorgegeben betrachten (BAG Urteil vom 30. Januar 1985 – 4 AZR 117/83 – AP Nr. 9 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel). Es ist daher davon auszugehen, daß die Tarifvertragsparteien diesen Begriff in ihren Tarifwerken so verwenden, wie er allgemein im Wirtschaftsleben gebräuchlich ist. Im Wirtschaftsleben versteht man unter dem Einzelhandel den Absatz von Waren an Letztverbraucher bzw. den Wirtschaftszweig, der in Ladengeschäften dem Verbraucher Waren anbietet und sich damit als das letzte Glied des Verteilungsweges der Güter zwischen Produzent und Konsument darstellt (vgl. Gablers Wirtschaftslexikon, 13. Aufl., Band 1, S. 934; Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 1997, Stichwort „Einzelhandel”; Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 1989, Stichwort „Einzelhandel”). Diese Voraussetzungen erfüllt die Ausbildung der Klägerin im Betrieb der Beklagten zur Bäckereifachverkäuferin, da nach dem Ausbildungsrahmenplan gerade der Verkauf an den Endverbraucher den Schwerpunkt der Ausbildung bildet.
Für dieses Ergebnis spricht auch, daß in der Verordnung über die Berufsausbildung zum Kaufmann/zur Kauffrau im Einzelhandel vom 14. Januar 1987 (BGBl. Teil I, S. 153 ff.) als einer der Fachbereiche, in dem die Vermittlung der Fertigkeiten und Kenntnisse dieses Ausbildungsberufes erfolgen kann, unter Nr. 9 ausdrücklich „Lebensmittel” genannt sind. Im Ausbildungsrahmenplan für die Berufsausbildung zum Kaufmann/zur Kauffrau im Einzelhandel (BGBl. Teil I, S. 156 ff.) ist der Bereich Lebensmittel unter der Nr. 9 im einzelnen geregelt.
Ferner ist aus dem Manteltarifvertrag für den Einzelhandel Nordrhein-Westfalen zu schließen, daß der Betrieb der Beklagten insgesamt, aber auch der Bereich Fleisch- und Wurstwaren, als Einzelhandel anzusehen ist. In § 1 „Geltungsbereich” ist in Abs. 3 Buchst. b ausdrücklich geregelt, daß der Tarifvertrag auch gilt „in Filialunternehmen des Einzelhandels, dazu gehören auch die Verkaufsstellen der Lebensmittelfilialbetriebe, ihre Hauptverwaltungen, Nebenbetriebe und Läger”. Daraus folgt – was zwischen den Parteien wohl auch nicht streitig ist –, daß der Betrieb der Beklagten insgesamt dem Einzelhandel zugehört. Weiter ergibt sich daraus, daß auch der Bereich Backwaren, in dem die Klägerin tätig ist, von den dafür besonders sachkundigen Tarifvertragsparteien des MTV Einzelhandel als dem Einzelhandel zugehörig angesehen worden ist.
Die Ausbildung der Klägerin zur Fachverkäuferin im Nahrungsmittelhandwerk, hier zur Bäckereifachverkäuferin, ist damit als „dreijährige Ausbildung nach einem anderen kaufmännischen Berufsbild aus dem Bereich Einzelhandel” i.S.v. § 3 B Abs. 2 Satz 3 GTV in der hier maßgeblichen Fassung anzusehen. Dies zeigen auch die vom Landesarbeitsgericht angestellten Erwägungen zu Sinn und Zweck, systematischem Aufbau und tariflichem Gesamtzusammenhang des GTV.
Ist auf die Ausbildung der Klägerin zur Bäckereifachverkäuferin somit § 3 B Abs. 2 Satz 3 GTV anzuwenden, ist die Einstufung in die Berufsjahre der Gehaltsgruppe I Staffel B, die die Beklagte bei Aufnahme der Tätigkeit der Klägerin nach § 2 Abs. 3 c GTV vorgenommen hat, unzutreffend; nach § 3 B Abs. 2 Satz 3 GTV i.V.m. § 3 B Abs. 2 Satz 2 GTV in der hier maßgeblichen Fassung kann die Klägerin die Anrechnung eines weiteren Berufsjahres verlangen; ihr steht daher – wie die Vorinstanzen zutreffend angenommen haben – die daraus resultierende Vergütungsdifferenz in Höhe von 606,– DM brutto zu. Die Revision der Beklagten gegen das insoweit zutreffende Urteil des Landesarbeitsgerichts ist zurückzuweisen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Matthes, Hauck, Böck, Burger, Großmann
Fundstellen