Entscheidungsstichwort (Thema)
Abwicklung nach Einigungsvertrag
Normenkette
Einigungsvertrag Art. 13, 20; Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 2; Einigungsvertragsgesetz vom 18. September 1990 (BGBl. II S. 885) Art. 1; Protokoll zum Einigungsvertrag I Nr. 6 Abs. 2; GG Art. 12, 33 Abs. 2; BGB § 249 S. 1, § 280 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Berlin (Urteil vom 29.05.1992; Aktenzeichen 6 Sa 4/92) |
ArbG Berlin (Urteil vom 29.10.1991; Aktenzeichen 65 A Ca 17019/91) |
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 29. Mai 1992 – 6 Sa 4/92 – aufgehoben.
2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 29. Oktober 1991 – 65 A Ca 17019/91 – abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
3. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis der Klägerin gemäß Artikel 20 Abs. 1 in Verbindung mit Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 2 des Einigungsvertrages (im folgenden: Nr. 1 Abs. 2 EV) ab 1. Januar 1991 geruht und mit Ablauf des 30. September 1991 geendet oder bis zum 19. Dezember 1991 unverändert fortbestanden hat.
Die am 14. Juni 1939 geborene Klägerin war seit März 1973 im Staatlichen Institut für Immunpräparate und Nährmedien (SIFIN) beschäftigt, zuletzt als medizinisch-technische Assistentin in der Abteilung für Impfstoffe. Das SIFIN war zuletzt dem Ministerium für Gesundheitswesen der ehemaligen DDR angegliedert.
Seit 1984 ist die Klägerin anerkannte Schwerbeschädigte.
In einem Schreiben des Ministers für Gesundheitswesen der DDR vom 19. September 1990 an die Leiter der seinem Ministerium nachgeordneten Einrichtungen heißt es:
„Am 18. September 1990 hat ein Gespräch zwischen dem Minister für Gesundheitswesen Prof. Kleditzsch und dem Staatssekretär Pfeifer aus dem Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit stattgefunden, in dem Einigkeit erzielt wurde, daß über die folgenden Punkte informiert werden soll.
1. Im Artikel 13 Abs. 2 des Einigungsvertrages (s. Anlage) ist bestimmt, daß die zuständigen obersten Bundesbehörden die Überführung oder Abwicklung von Einrichtungen oder Teileinrichtungen regeln, die bis zum Wirksamwerden des Beitritts Aufgaben erfüllt haben, die nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes vom Bund wahrzunehmen sind. Ist die Entscheidung nach Art. 13 Abs. 2 bis zum Tage des Wirksamwerdens des Beitritts nicht möglich, kann bestimmt werden, daß der nach Satz 2 maßgebende Zeitpunkt um bis zu 3 Monate hinausgeschoben wird (Fußnote zu Art. 13 Abs. 2). Diese Fußnote soll so extensiv wie möglich angewandt werden, d.h. die nachgeordneten Einrichtungen und Dienststellen arbeiten über den 3. Oktober 1990 zunächst in der bisherigen Zusammensetzung weiter, es sei denn, in Einzelfällen ist mitgeteilt worden, daß ab 3. Oktober 1990 die Ruhensregelung des Absatzes 2, Satz 2 ff. des Abschnitts III Kapitel XIX des Einigungsvertrages (vgl. Anlage) eintritt oder Kündigungen nach Abs. 4 oder 5 des genannten Abschnitts III ausgesprochen worden sind.
…”
Im Dezember 1990 teilte die Beklagte der Klägerin mit, daß ihr Arbeitsverhältnis aufgrund der Vorschriften des Einigungsvertrages mit Wirkung vom 1. Januar 1991 ruhe und mit Ablauf des 30. September 1991 ende. Die Impfstoffabteilung des SIFIN wurde geschlossen. Von den zuletzt 200 bis 230 Beschäftigten des SIFIN beschäftigte die Beklagte ab 1. Januar 1991 noch 27 Arbeitnehmer weiter, deren befristete Arbeitsverhältnisse sie wiederholt, zuletzt bis zum 31. Dezember 1991, verlängerte. Zum 19. Dezember 1991 wurde das SIFIN in eine gleichnamige GmbH i. G. eingebracht, deren Geschäftsanteile von der Treuhandanstalt gehalten werden.
Die Klägerin hat geltend gemacht, mangels wirksamer Entscheidung nach der Fußnote zu Nr. 1 Abs. 2 EV habe die Beklagte nach dem 3. Oktober 1990 nicht mehr wirksam die Auflösung des SIFIN beschließen können.
Das SIFIN sei tatsächlich überführt worden. Die Einrichtung nehme nach wie vor in denselben Räumen mit einem reduzierten Mitarbeiterstab, der später sogar durch Neueinstellungen vergrößert worden sei, einen großen Teil ihrer Aufgaben wahr. Die Beklagte habe zu keinem Zeitpunkt die Auflösung des SIFIN, sondern die Übertragung seiner Aufgaben auf einen privaten Rechtsträger verfolgt.
Sie gehöre nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. April 1991 (BVerfGE 84, 133) zu dem Kreis der besonders schutzwürdigen Personen. Es seien 16 Mitarbeiter des mittleren medizinischen Dienstes beschäftigt worden, von denen mehrere weniger schutzwürdig gewesen seien. Zwar sei die Impfstoffabteilung geschlossen worden. Sie, die Klägerin, habe aber ohne nennenswerte Einarbeitungszeit in der Nährbodenabteilung oder bei der Produktion von Blutgruppentestserien beschäftigt werden können.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt
festzustellen, daß ihr Arbeitsverhältnis zur Beklagten bis zum 19. Dezember 1991 unverändert fortbestanden habe.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, das SIFIN sei gemäß Entscheidung vom 9. November 1990 aufgelöst und tatsächlich abgewickelt worden. Zur ordnungsgemäßen Abwicklung gehöre auch die Verwertung der Einrichtung, was selbst die Eingehung neuer Geschäfte umfasse. Sie habe aus wirtschaftlichen Gründen beschlossen, die vorhandenen großen Vorräte an Immunpräparaten nicht zu vernichten, sondern zu verkaufen. Für den Verkauf sei es notwendig gewesen, Zusatzstoffe zu kaufen, um die vorhandenen Grundprodukte weiter bearbeiten zu können. Die laufende Produktion habe sich auf die Produktion der noch vorhandenen Vorräte zum Verkauf beschränkt. Es sei keine Neuentwicklung von Produkten erfolgt. Laboreinrichtungen, technische Geräte und Einrichtungsgegenstände seien an das Bundesgesundheitsamt und das Krankenhaus Friedrichshain abgegeben worden.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß festgestellt werde, daß das Arbeitsverhältnis der Klägerin zur Beklagten bis zum 19. Dezember 1991 unverändert fortbestanden habe. Dagegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist aufzuheben und die Klage abzuweisen.
A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt: Die Passivlegitimation der Beklagten ergebe sich aus ihrer Zuständigkeit, gemäß I Nr. 6 Abs. 2 des Protokolls zum EV über die Überführung oder Abwicklung des SIFIN zu entscheiden. Das SIFIN sei ein Produktionsbetrieb, dessen wesentlicher Gegenstand, die Entwicklung und Herstellung von Impfstoffen, in keinem Sachzusammenhang zu öffentlichen Aufgaben gestanden habe.
Die Beklagte sei jedenfalls gemäß § 249 Satz 1 in Verbindung mit § 280 Abs. 1 BGB verpflichtet gewesen, die Klägerin so zu stellen, als habe sie die Klägerin zu den von ihr als Abwicklungsarbeiten bezeichneten Tätigkeiten herangezogen, was die Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin mit Ablauf des 30. September 1991 verhindert hätte. Die Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung ergebe sich aus der verbindlichen verfassungskonformen Auslegung der Nr. 1 Abs. 2 EV durch das Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 24. April 1991 (BVerfGE 84, 133). Dieser Verpflichtung sei die Beklagte nicht nachgekommen. Die schwerbehinderte und der Gruppe der älteren Arbeitnehmer zugehörende Klägerin habe zwei weniger schutzbedürftige Arbeitnehmer namentlich benannt, ohne daß die Beklagte dem entgegengetreten sei. Die Klägerin habe ferner unwidersprochen darauf hingewiesen, ohne nennenswerte Einarbeitungszeit auch in einer anderen Abteilung einsetzbar gewesen zu sein.
B. Den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts kann nicht gefolgt werden. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat gemäß Art. 20 Abs. 1 Einigungsvertrag in Verbindung mit Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 2 Sätze 2 und 5 bis zum 30. September 1991 geruht und mit Ablauf dieser Frist geendet. Die Klägerin gehörte zu den „übrigen Arbeitnehmern” der öffentlichen Verwaltung der DDR im Sinne von Nr. 1 Abs. 2 Satz 2 EV, deren Arbeitsverhältnisse wegen unterbliebener Überführung ihrer Beschäftigungseinrichtung kraft Gesetzes ruhten und endeten.
I. Wurde bis zum 3. Oktober 1990 keine positive Überführungsentscheidung getroffen, trat kraft Gesetzes die Auflösung der Einrichtung bzw. der nicht überführten Teile ein. Wurde ein überführungsfähiger Teil überführt, erfaßte die Abwicklung den Rest der früheren Gesamteinrichtung. Die Abwicklung diente der Umsetzung dieser Auflösung und war auf die Liquidation der Einrichtung oder der nicht überführten Teile gerichtet. In diesem Falle ruhten die Arbeitsverhältnisse der in der abzuwickelnden (Teil-)Einrichtung Beschäftigten gemäß Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 2 EV grundsätzlich ab dem 3. Oktober 1990. Dieser Ruhensbeginn konnte um bis zu drei Monate hinausgeschoben werden. Die Kündigungsvorschriften des Mutterschutzrechts durften allerdings nicht durchbrochen werden.
Die Überführung einer Einrichtung gemäß Art. 13 EV bedurfte einer auf den verwaltungsinternen Bereich zielenden Organisationsentscheidung der zuständigen Stelle. Diese Überführungsentscheidung konnte eine Einrichtung als ganze oder als eine Teileinrichtung betreffen, die ihre Aufgabe selbständig erfüllen konnte (BAG Urteil vom 3. September 1992 – 8 AZR 45/92 – AP Nr. 1 zu Art. 13 Einigungsvertrag, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen). Die Überführungsentscheidung war mangels außenwirksamer Regelung kein Verwaltungsakt (BAG, a.a.O.; BVerwG Urteil vom 12. Juni 1992 – 7 C 5/92 – ZIP 1992, 1275).
Eine Einrichtung oder Teileinrichtung wurde im Sinne von Art. 13 EV überführt, wenn der Träger öffentlicher Verwaltung die (Teil-)Einrichtung unverändert fortführte oder er sie unter Erhaltung der Aufgaben, der bisherigen Strukturen sowie des Bestandes an sächlichen Mitteln in die neue Verwaltung eingliederte (Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 169/92 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Die Überführung im Sinne von Art. 13 EV erforderte nicht nur die vorübergehende, sondern eine auf Dauer angelegte Fortsetzung der Verwaltungstätigkeit. Wurde die (Teil-)Einrichtung nur vorläufig mit dem Ziele der Auflösung fortgeführt, lag hierin keine Überführung im Sinne von Art. 13 EV (Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 169/92 –, a.a.O.).
Weil die gesetzliche Folge der Abwicklung immer dann eintrat, wenn es an einer positiven, gegebenenfalls auch konkludenten Überführungsentscheidung fehlte, war nur durch sie die Abwicklung der Einrichtung zu verhindern.
Die ruhenden Arbeitsverhältnisse endeten kraft Gesetzes nach Ablauf von sechs bzw. neun Monaten, wenn nicht der einzelne Arbeitnehmer weiterverwendet wurde. Macht ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes der ehemaligen DDR geltend, sein Arbeitsverhältnis sei gemäß Nr. 1 Abs. 2 Satz 1 EV auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen und bestehe als aktives fort, hat er die Überführung seiner Beschäftigungs(teil-)einrichtung darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen (BAG Urteil vom 15. Oktober 1992 – 8 AZR 145/92 – AP Nr. 2 zu Art. 13 EV, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen).
II. Die Beklagte hat das SIFIN weder ganz noch teilweise als Einrichtung oder Teileinrichtung durch ausdrückliche oder konkludente Entscheidung gemäß Art. 13 EV in ihre Trägerschaft überführt. Als gesetzliche Folge der unterlassenen Überführung des SIFIN trat am 1. Januar 1991 das Ruhen des Arbeitsverhältnisses der Klägerin ein. Weil es zu keiner Weiterverwendung der Klägerin kam, endete ihr Arbeitsverhältnis mit Ablauf des gesetzlichen Ruhenszeitraumes (Nr. 1 Abs. 2 Satz 5 EV). Da die Klägerin nach den Feststellungen des Arbeitsgerichts am 3. Oktober 1990 das 50. Lebensjahr vollendet hatte, endete ihr Arbeitsverhältnis nach Ablauf des neunmonatigen Ruhenszeitraums am 30. September 1991.
1. Die Beklagte hat nach den Feststellungen des Berufungsgerichts das SIFIN weder auf Dauer in ihre Verwaltung eingegliedert noch auf einen anderen Hoheitsträger überführt. Abweichendes folgt nicht aus dem über den 31. Dezember 1990 hinaus währenden Betrieb einzelner Bereiche des SIFIN. Die Regelungen des Einigungsvertrages machten es nicht erforderlich, am 3. Oktober 1990 oder spätestens am 3. Januar 1991 die nicht zu überführenden Einrichtungen der ehemaligen DDR zu schließen. Vielmehr war gemäß Art. 13 EV auch die Abwicklung „zu regeln”. Damit entsprach der Einigungsvertrag der Notwendigkeit einer geordneten „Liquidation” der nicht zu überführenden Einrichtungen. Deshalb lag, wie bereits mit Urteil vom 28. Januar 1993 (– 8 AZR 169/92 –, a.a.O.) entschieden, keine Überführung im Sinne von Art. 13 EV vor, wenn eine Einrichtung nur vorläufig mit dem Ziele der Auflösung fortgeführt wurde. Die Überführung setzte vielmehr voraus, daß die Einrichtung unverändert fortgeführt oder unter Erhaltung der Aufgaben, der bisherigen Strukturen sowie des Bestandes an sächlichen Mitteln in die neue Verwaltung eingegliedert wurde. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. April 1991 (BVerfGE 84, 133, 151) schloß die Überleitung auf einen „anderen Hoheitsträger” die Annahme der Abwicklung aus, wenn die Einrichtung tatsächlich erhalten blieb. Hingegen lag eine „geregelte” Abwicklung vor, wenn die Tätigkeit geordnet zu Ende geführt wurde.
2. Die Entscheidung des Trägers öffentlicher Verwaltung, die Organisationseinheit der DDR-Verwaltung nicht im Rahmen der öffentlichen Verwaltung fortzuführen, sondern das Objekt einem privaten Träger zu überlassen und dadurch zu verwerten, bewirkte keine „Überführung in öffentliche Verwaltung”, wie sich insbesondere aus Nr. 6 des bei Unterzeichnung des Einigungsvertrages vereinbarten Protokolls ergibt, das nach Art. 1 des Einigungsvertragsgesetzes vom 18. September 1990 (BGBl. II S. 885) Gesetzeskraft hat. Danach mußten Einrichtungen oder Teileinrichtungen, die bis zum Wirksamwerden des Beitritts Aufgaben erfüllten, die künftig nicht mehr von der öffentlichen Verwaltung wahrgenommen werden sollten, im Sinne des Einigungsvertrages abgewickelt werden. Die „Privatisierung” einer Einrichtung der DDR-Verwaltung war somit ungeachtet ihres realen Fortbestehens keine „Überführung” im Sinne von Art. 13, 20 EV (BAG Urteil vom 9. Juni 1993 – 8 AZR 524/92 – zu II 2 der Gründe, nicht veröffentlicht).
Diese Bestimmungen des Einigungsvertrages und des Protokolls verstoßen nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere nicht gegen Art. 12 GG. Die das Erfordernis individueller Kündigungen beseitigende Regelung der arbeitsrechtlichen Folgen der Abwicklung in Nr. 1 Abs. 2 EV dient dem Schutz eines überragend wichtigen Gemeinschaftsgutes (BVerfGE 84, 133, 151) und stellt einen verhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes dar.
3. In der unveränderten Fortführung des SIFIN über den 3. Oktober 1990 hinaus lag keine stillschweigende Überführung dieser Einrichtung. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist spätestens am 18. September 1990 eine wirksame Entscheidung nach der Fußnote zu Nr. 1 Abs. 2 EV über die Verschiebung des Ruhenszeitpunktes getroffen worden. Das ergibt sich aus dem Schreiben des Ministers für Gesundheitswesen der DDR vom 19. September 1990, mit dem die Entscheidung des Bundesministeriums, den Ruhensbeginn hinauszuschieben, bekanntgemacht wurde. Diese auf die Fußnote zu Nr. 1 Abs. 2 EV gestützte Entscheidung konnte formfrei verlautbart werden und durfte, wie die Entscheidung zur Überführung einer Einrichtung oder Teileinrichtung (vgl. dazu Senatsurteil vom 3. September 1992, a.a.O.), bereits vor dem Wirksamwerden des Beitritts erfolgen. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Fußnote Nr. 1 Abs. 2 EV in Verbindung mit den Erläuterungen der Bundesregierung zu dieser Vorschrift.
Bei Einrichtungen, die bis zum Wirksamwerden des Beitritts Aufgaben erfüllten, die nicht mehr von der öffentlichen Verwaltung wahrgenommen werden sollten, war lediglich die Abwicklung zu regeln. Gleichwohl blieb auch in diesen Fällen die Möglichkeit, den Ruhenszeitpunkt zu verschieben, um einer geordneten Beendigung zu dienen. Das SIFIN erfüllte vor dem 3. Oktober 1990 keine Aufgaben, die nach überkommenem Verständnis von der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen sind. Das Landesarbeitsgericht hat unangegriffen festgestellt, die Einrichtung sei ein Produktionsbetrieb gewesen, dessen wesentlicher Gegenstand die Entwicklung und Herstellung von Impfstoffen war. Demgegenüber obliegt der öffentlichen Verwaltung lediglich die Überwachung des Verkehrs (d.h. der Herstellung, des Handels und des sonstigen Vertriebs) mit diesen Mitteln.
Ein Sachzusammenhang im Sinne von Nr. 6 Abs. 1 des Protokolls besteht – wenn überhaupt – allenfalls zu solchen öffentlichen Aufgaben, deren Träger die Beklagte ist. Im Arzneimittelgesetz vom 24. August 1976 (BGBl. I S. 2445), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Dezember 1992 (BGBl. I S. 2266, 2327), sind u.a. die Anforderungen an die Arzneimittel, deren Herstellung und Zulassung geregelt. Zu den Arzneimitteln gehören gemäß § 4 des Gesetzes auch Blutzubereitungen, Sera, Impfstoffe und Testsera. Zuständige Bundesoberbehörden sind das Bundesgesundheitsamt und das Paul-Ehrlich-Institut.
4. Die Frage, ob die Beklagte, die im Rahmen der Abwicklung befristet beschäftigten Arbeitnehmer nach rechtlich vertretbaren Gesichtspunkten ausgewählt hat, ist im vorliegenden Rechtsstreit nicht entscheidungserheblich, denn ein etwaiger Einstellungs-, Weiterverwendungs- oder Schadensersatzanspruch der Klägerin hätte die kraft Gesetzes eingetretenen Folgen der Abwicklung unberührt gelassen. Das 1973 begründete Arbeitsrechtsverhältnis der Klägerin hätte auch im Falle eines Anspruchs auf Abschluß eines befristeten Arbeitsvertrages zur Arbeit auf einem anderen Arbeitsplatz im zur Privatisierung verbleibenden Teil des SIFIN nicht „unverändert” über den 31. Dezember 1990 hinaus fortbestanden, sondern geruht. Es bedurfte zur (dauerhaften) Weiterverwendung von Arbeitnehmern aus der Warteschleife – gegebenenfalls in einem anderen Verwaltungsbereich – des Abschlusses von Arbeitsverträgen, der Änderung der ruhenden Vertragsverhältnisse oder der erstmaligen Berufung in ein Beamtenverhältnis. Über die Neueinstellung ehemaliger Mitarbeiter war gemäß Art. 33 Abs. 2 GG zu entscheiden. Es entspricht der verfassungskonformen Auslegung der Art. 13, 20 EV, daß allein im Rahmen der Anwendung von Art. 33 Abs. 2 GG bei der Neubesetzung von Stellen der vom Bundesverfassungsgericht (a.a.O.) geforderte Schutz der Schwerbehinderten, Alleinerziehenden und älteren Arbeitnehmer umzusetzen war (vgl. Senatsurteil vom 28. Januar 1993, a.a.O.).
Dies würde auch dann gelten, wenn mit der Klägerin davon auszugehen wäre, der Schutz der Schwerbehinderten, Alleinerziehenden und älteren Arbeitnehmer sei bereits bei der bloß vorübergehenden Heranziehung von Arbeitnehmern zu Abwicklungsarbeiten zu gewährleisten gewesen. Denn auch diese Art der Weiterbeschäftigung erforderte den Abschluß eines befristeten oder eine Änderung des ruhenden Arbeitsverhältnisses, um die kraft Gesetzes eingetretene Ruhensfolge zu beenden.
Die Klägerin begehrt die Feststellung des unveränderten Fortbestehens ihres (bisherigen) Arbeitsverhältnisses bis zum 19. Dezember 1991. Diese Feststellungsklage ist wegen des eingetretenen Ruhens als unbegründet abzuweisen. Der Senat braucht deshalb nicht zu prüfen, ob die Klägerin schlüssig behauptet hat, sie hätte in der Nährbodenabteilung eingesetzt werden können und wäre den beiden von ihr benannten weiterbeschäftigten Mitarbeiterinnen bei der Stellenbesetzung vorzuziehen gewesen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Unterschriften
Dr. Ascheid, Dr. Müller-Glöge, Dr. Mikosch, Heinz Rheinberger, Harnack
Fundstellen