Entscheidungsstichwort (Thema)

Anrechnung von Wehrdienstzeiten

 

Orientierungssatz

Anrechnung von Wehrdienstzeiten; Unabdingbarkeit von § 8 SVG auch für Tarifverträge (hier Vergütungsvertrag für das Bodenpersonal der Hapag-Lloyd-Fluggesellschaft) (vergleiche BAG vom 28.9.1983 - 4 AZR 130/81 = AP Nr 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Seniorität).

 

Normenkette

SVG § 8; TVG § 1

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 24.02.1986; Aktenzeichen 12 Sa 64/84)

ArbG Hannover (Entscheidung vom 28.02.1984; Aktenzeichen 4 Ca 467/83)

 

Tatbestand

Der 33-jährige Kläger war vom 1. April 1972 bis 31. März 1976 Zeitsoldat bei der Bundeswehr. Davon entfielen 15 Monate auf den Grundwehrdienst und drei Monate auf eine Fachausbildung. Nach Beendigung des Wehrdienstes war er vom 1. April bis 30. September 1976 Praktikant bei der Firma A Service GmbH (musterbezogene Fachausbildung im Rahmen der Berufsförderung für Soldaten auf Zeit). Vom 1. Oktober 1976 bis 26. Januar 1977 nahm der Kläger an einem Lehrgang für Prüfer von Luftfahrtgeräten Klasse 2 teil. Danach wurde er vom 1. Februar bis zum 28. Februar 1977 zu seiner ersten Pflichtwehrübung herangezogen. Seit 7. März 1977 steht er in den Diensten der Beklagten und wird von ihr als Prüfer von Luftfahrtgeräten im Wechselschichtdienst beschäftigt.

Beim Eintritt des Klägers in die Dienste der Beklagten vergütete diese ihr Bodenpersonal nach Maßgabe sogenannter Lohn- und Gehaltsrichtlinien. Diese Richtlinien wandte die Beklagte auch auf den Kläger an. Nach diesen Richtlinien gliederte sich das Gehalt des Bodenpersonals in einen fixen Teil und in einen pro Vergütungsgruppe individuell variablen Teil auf. Der fixe Teil richtete sich nach acht Vergütungsgruppen, in die jeder Mitarbeiter je nach Stellenbeschreibung und Anforderungsprofil einzugliedern war. Der variable Teil ergab sich durch Beurteilung der Betriebszugehörigkeit, der Belastung, der Fachkenntnisse, der Leistung und der Führungseigenschaften - soweit erforderlich -, wobei für jedes dieser Beurteilungsmerkmale eine bestimmte Punktzahl für den einzelnen Arbeitnehmer festgesetzt wurde. Nach der danach erreichten Gesamtpunktzahl richtete sich der variable Teil des Gehalts der einzelnen Arbeitnehmer. Bei der Festsetzung der Betriebszugehörigkeit rechnete die Beklagte Wehrdienstzeiten des Klägers auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit nicht an.

Am 3. August 1979 vereinbarte die Beklagte mit der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) den Vergütungstarifvertrag Nr. 1 für das Bodenpersonal der Beklagten, der rückwirkend ab 1. April 1979 in Kraft trat. Die Parteien vereinbarten die Anwendung dieses Tarifvertrags auf das Arbeitsverhältnis. Der Tarifvertrag war anläßlich des Zusammenschlusses der Beklagten mit der Firma B Fluggesellschaft mbH abgeschlossen worden. In einer Protokollnotiz zu diesem Tarifvertrag zur Überleitung der bisherigen Mitarbeiter der Beklagten (ex-HF) und der B Fluggesellschaft mbH (ex-BV) heißt es:

.....

(2) Arbeitnehmer von ex-HF im Wechselschichtdienst

werden - ausgehend von ihrem Ist-Gehalt

(fixer und variabler Teil) per 31.03.1979

in die entsprechende Vergütungsgruppe

der Tabelle nach § 4 überführt und

auf den nächsthöheren Tabellenwert aufgerundet.

Beträgt die Differenz zwischen bisher gezahlten

Netto-Schichtvergütungen und der

zukünftig gemäß Manteltarifvertrag gezahlten

Schichtvergütung weniger als 4 %, so

erfolgt eine Stufensteigerung innerhalb

der Vergütungsgruppe in der Weise, daß mindestens

eine Gehaltsanhebung von 4 % erreicht

wird.

Arbeitnehmer der ex-HF im Tagdienst werden

- ausgehend von ihrem Ist-Gehalt (fixer

und variabler Teil) - per 31.03.1979

in die zustehende Vergütungsgruppe entsprechend

der Gehaltstabelle in § 4 überführt

und auf den nächsthöheren Tabellenwert aufgerundet

und um zwei weitere Stufen innerhalb

der Vergütungsgruppe gesteigert.

Arbeitnehmer von ex-HF im Schichtdienst

werden - ausgehend von ihrem Ist-Gehalt

(fixer und variabler Teil) - per 31.03.1979

entsprechend der zustehenden Vergütungsgruppe

in die Gehaltstabelle nach

§ 4 überführt und auf den nächsthöheren

Tabellenwert aufgerundet.

Beträgt die Differenz zwischen bisher gezahlten

Netto-Schichtvergütungen und der

zukünftig gemäß Manteltarifvertrag gezahlten

Netto-Schichtvergütung weniger als 4 %,

so erfolgt eine Stufensteigerung innerhalb

der Vergütungsgruppe in der Weise, daß mindestens

eine Gehaltsanhebung von 4 % erreicht

wird.

Der Kläger meint, die Beklagte habe bei der Festsetzung seiner Vergütung nach den früheren Lohn- und Gehaltsrichtlinien seine Wehrdienstzeit als Betriebszugehörigkeitszeit anrechnen müssen. Dies folge aus der zwingenden Vorschrift des § 8 SVG. Demgemäß hätte ihm bei Inkrafttreten des Vergütungstarifvertrags Nr. 1 für das Bodenpersonal der Beklagten (VTV Nr. 1) eine höhere Vergütung zugestanden, als ihm die Beklagte tatsächlich gezahlt habe. Infolgedessen hätte er nach den seit 1. April 1979 auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Vergütungstarifverträgen in eine höhere Gehaltsstufe eingruppiert werden müssen. Für die Zeit vom 1. Januar 1981 bis November 1983 ergebe sich daraus eine von der Beklagten noch nachzuzahlende Vergütung in Höhe von 9.298,-- DM, die rechnerisch unstreitig ist.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger

9.298,-- DM brutto nebst 4 % Zinsen seit

dem 29. Dezember 1983 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, der Kläger sei in den Jahren 1977 bis 1979 mit den damals festgesetzten Zeiten der Betriebszugehörigkeit einverstanden gewesen. Erst im Jahre 1983 habe er hiergegen Einwendungen erhoben. Wegen dieser verspäteten Geltendmachung seien seine Ansprüche verwirkt. Im übrigen sei der Kläger seinerzeit zutreffend eingruppiert worden. Bei der Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit für die Festsetzung der Vergütung sei nicht allein die tatsächliche Beschäftigung des Klägers maßgebend gewesen, sondern die Beschäftigungszeit in der jeweiligen Vergütungsgruppe. Auf solche Beschäftigungszeiten seien Wehrdienstzeiten nach § 8 SVG nicht anzurechnen. Ferner sei nach der Protokollnotiz zu dem Vergütungstarifvertrag Nr. 1 die Überleitung in die tariflichen Vergütungsgruppen nach dem im März 1979 tatsächlich gezahlten Gehalt vorzunehmen. Danach sei die Beklagte verfahren.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag unter Beschränkung des Zinsanspruchs auf den Nettobetrag weiter. Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile und zur antragsgemäßen Verurteilung der Beklagten. Der Kläger kann von der Beklagten die Zahlung von 9.298,-- DM brutto verlangen. Dieser in seiner rechnerischen Höhe unstreitige Betrag steht ihm als Restgehalt für die Zeit von Januar 1981 bis November 1983 zu. Denn bei der Überleitung des Klägers in den Vergütungstarifvertrag Nr. 1 für das Bodenpersonal der Beklagten (VTV Nr. 1) hätte die Beklagte das bisherige Gehalt des Klägers unter Anrechnung seiner Wehrdienstzeit auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit berechnen und ihm daher eine höhere Gehaltsstufe zubilligen müssen.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Vorschriften der Vergütungstarifverträge für das Bodenpersonal der Beklagten aufgrund einzelvertraglicher Vereinbarung als Vertragsrecht Anwendung. Danach ist für die Klageforderung Absatz 2 der Protokollnotiz zur Überleitung der bisherigen Mitarbeiter der Beklagten und der B Fluggesellschaft mbH zum VTV Nr. 1 heranzuziehen, in dem es heißt:

"Arbeitnehmer von ex-HF im Wechselschichtdienst

werden - ausgehend von ihrem Ist-Gehalt (fixer

und variabler Teil) - per 31.03.1979 in die

entsprechende Vergütungsgruppe der Tabelle nach

§ 4 überführt und auf den nächsthöheren Tabellenwert

aufgerundet."

Die Beklagte hat den Kläger nach dem im März 1979 tatsächlich gezahlten Gehalt in die entsprechende tarifliche Vergütungsgruppe überführt. In diesem Sinne ist der Begriff "Ist-Gehalt" grundsätzlich zu verstehen. Dies folgt aus dem für die Tarifauslegung maßgebenden Wortlaut und Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelung (vgl. BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung). Der Begriff "Ist" ist ein finanztechnischer Begriff. Er bezeichnet das Gegenteil von "Soll". Der "Ist-Bestand" ist der tatsächliche Kassenbestand (Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Bd. 3, 1981, S. 797). Der "Soll-Bestand" bezeichnet demgegenüber den geplanten oder errechneten Bestand (Brockhaus/Wahrig, aaO, Bd. 5, 1983, S. 798). Mangels anderweiter Anhaltspunkte ist davon auszugehen, daß auch die Tarifvertragsparteien der Protokollnotiz an die finanztechnischen Begriffe anknüpfen wollten und demgemäß unter "Ist-Gehalt" grundsätzlich nur das tatsächlich gezahlte Gehalt verstehen und nicht etwa das errechnete und dem Kläger im März 1979 zustehende Gehalt. Dies haben die Tarifvertragsparteien in den vom Landesarbeitsgericht eingeholten Auskünften auch übereinstimmend bestätigt.

Absatz 2 der Protokollnotiz ist jedoch insoweit unwirksam, als er für die neue Vergütungsgruppe auch das bisherige Ist-Gehalt maßgebend sein läßt, das unter Verstoß gegen § 8 SVG ohne Anrechnung von Wehrdienstzeiten auf die Betriebszugehörigkeit festgesetzt wurde. In § 8 SVG heißt es:

(1) Die Zeit einer Fachausbildung wird auf die

Berufszugehörigkeit angerechnet, wenn der

ehemalige Soldat im Anschluß an die Fachausbildung

in dem erlernten oder einem vergleichbaren

Beruf sechs Monate tätig ist.

Eine vorübergehende berufsfremde Beschäftigung

bleibt außer Betracht.

(2) Die Zeit des Grundwehrdienstes wird auf die

Berufszugehörigkeit auch dann angerechnet,

wenn der Grundwehrdienst durch freiwilligen

Wehrdienst abgeleistet worden ist. Im übrigen

werden Wehrdienstzeiten zu einem Drittel

angerechnet, es sei denn, daß sie als

Zeiten einer Fachausbildung nach Absatz 1

voll zu berücksichtigen sind.

(3) Die Zeiten einer Fachausbildung und des

Wehrdienstes werden nach den Absätzen 1

und 2 auch auf die Betriebszugehörigkeit

angerechnet, wenn der ehemalige Soldat nach

Beendigung des Dienstverhältnisses sechs

Monate dem Betrieb angehört.

§ 8 SVG enthält nach seinem Schutzzweck unabdingbare Vorschriften. Diejenigen Zeitsoldaten, die im Anschluß an ihren Wehrdienst als Arbeitnehmer tätig werden, sollen für die Nachteile, die sich aus der durch den Wehrdienst bedingten späteren Begründung eines Arbeitsverhältnisses ergeben, einen Ausgleich erhalten, indem Wehrdienstzeiten auf die Betriebszugehörigkeit für das erste nach Beendigung des Wehrdienstes eingegangene Arbeitsverhältnis anzurechnen sind. Damit dient die Vorschrift auch dazu, den Beruf eines Zeitsoldaten attraktiv zu gestalten und qualifizierte Bewerber zu gewinnen. Das liegt im Interesse der Allgemeinheit. Über die Interessen der Allgemeinheit können die Parteien nicht verfügen. Deshalb ist die Vorschrift des § 8 SVG zuungunsten der ehemaligen Zeitsoldaten unabdingbar (BAG Urteil vom 10. September 1980 - 4 AZR 719/78 -, AP Nr. 125 zu § 1 TVG Auslegung). Der Schutzzweck des § 8 SVG gebietet es, daß die Vorschrift auch durch die Tarifvertragsparteien nicht zuungunsten der ehemaligen Zeitsoldaten abdingbar ist (BAG Urteil vom 28. September 1983 - 4 AZR 130/81 -, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Seniorität).

Nach den Lohn- und Gehaltsrichtlinien der Beklagten setzt sich das Gehalt des Klägers aus einem fixen Teil und einem variablen Teil zusammen. Der variable Teil wurde aus verschiedenen Faktoren gebildet. Zu diesen Faktoren gehörte auch die Dauer der Betriebszugehörigkeit, die mit einer bestimmten Punktzahl bewertet wurde. Irgendeine qualifizierte Tätigkeit, etwa in einer bestimmten Vergütungsgruppe, wurde nach den Lohn- und Gehaltsrichtlinien für die Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit nicht gefordert. Dazu bestand auch keine Veranlassung, da der variable Teil des Gehalts des Klägers außer dem Faktor Betriebszugehörigkeit die weiteren Faktoren Belastung, Fachkenntnisse, Leistungen und Führungseigenschaften berücksichtigte. Infolgedessen hätte die Beklagte bei der Festsetzung der Dauer der Betriebszugehörigkeit für den variablen Teil der Vergütung des Klägers dessen Wehrdienstzeit nach § 8 SVG berücksichtigen müssen.

Der Kläger gehörte am 7. September 1977 dem Betrieb der Beklagten sechs Monate an. Von diesem Zeitpunkt an konnte er daher nach § 8 Abs. 3 SVG die Anrechnung seiner Wehrdienstzeiten gemäß § 8 Abs. 2 SVG auf die Betriebszugehörigkeit verlangen. Die Anrechnung ist nur in dem ersten auf Dauer angelegten Arbeitsverhältnis, das der Zeitsoldat nach Beendigung seines Wehrdienstes begründet, möglich (vgl. BAG Urteil vom 22. Mai 1974 - 5 AZR 427/73 -, AP Nr. 1 zu § 8 SVG; BAG Urteil vom 29. September 1976 - 5 AZR 460/75 -, BAGE 28, 187, 190 = AP Nr. 2 zu § 8 SVG; BAG Urteil vom 9. November 1977 - 5 AZR 460/76 -, AP Nr. 3 zu § 8 SVG). Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger. Das Arbeitsverhältnis, das der Kläger mit der Beklagten ab 7. März 1977 einging, war das erste Arbeitsverhältnis nach Beendigung seiner Wehrdienstzeit. Der Kläger war zwar nach der Beendigung seiner Wehrdienstzeit zunächst als Praktikant bei der Firma A Service GmbH beschäftigt und nahm später noch an einem Lehrgang für Prüfer von Luftfahrtgeräten teil. In beiden Fällen handelt es sich jedoch nicht um Arbeitsverhältnisse.

Auch die für die Anrechnung der Wehrdienstzeit weiter erforderliche Voraussetzung, daß das Arbeitsverhältnis "im Anschluß an die Entlassung aus dem Wehrdienst" begründet worden ist (BAG Urteil vom 9. November 1977 - 5 AZR 460/76 -, AP Nr. 3 zu § 8 SVG; BAG Urteil vom 22. Mai 1974 - 5 AZR 427/73 -, AP Nr. 1 zu § 8 SVG), erfüllt der Kläger. Ein langer Zeitraum zwischen der Beendigung des Wehrdienstes und der Begründung des ersten Arbeitsverhältnisses schließt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Anrechnung der Wehrdienstzeit auf die Betriebszugehörigkeit aus, weil dann das Arbeitsverhältnis nicht mehr "im Anschluß an den Wehrdienst" begründet worden ist. Welche Zeitspanne zwischen Wehrdienst und Begründung des Arbeitsverhältnisses hierfür erforderlich ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (BAG Urteil vom 22. Mai 1974, aaO). Vorliegend lag zwischen der Beendigung des Wehrdienstes und dem Beginn des Arbeitsverhältnisses der Parteien ein Zeitraum von etwa 11 Monaten. Dies ist unschädlich, da die Tätigkeit des Klägers in der Zeit von April 1976 bis Januar 1977 ersichtlich zur Vorbereitung seines Berufs als Prüfer von Luftfahrtgeräten diente. Auch der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat ein der Ausbildung und der eigenen Orientierung dienendes befristetes Vertragsverhältnis weder als erstes Arbeitsverhältnis im Sinne von § 8 SVG angesehen noch als schädlich für den zeitlichen Zusammenhang zwischen der Beendigung des Wehrdienstes und dem Beginn des ersten Arbeitsverhältnisses (vgl. BAG Urteil vom 22. Mai 1974, aaO). Dem Kläger hätte deshalb bei Anrechnung seiner Wehrdienstzeit auf die Betriebszugehörigkeit im März 1979 ein höheres Gehalt zugestanden, als ihm die Beklagte bezahlte. Die Fortschreibung des Ist- Gehalts, das der Kläger im März 1979 bezog, durch die Protokollnotiz zum VTV Nr. 1 bedeutet, daß das nach seiner Betriebszugehörigkeit bemessene bisherige Gehalt für die Eingruppierung nach dem VTV Nr. 1 maßgebend war. Da dieses Ist-Gehalt nach der Protokollnotiz auch das entgegen § 8 SVG ohne Berücksichtigung der Wehrdienstzeit festgesetzte Gehalt erfaßt, führt dies insoweit zur Unwirksamkeit der Protokollnotiz.

Da Absatz 2 der Protokollnotiz zum VTV Nr. 1 insoweit unwirksam ist, als er bei der Festsetzung der Vergütung durch Fortschreibung des Ist-Gehalts Wehrdienstzeiten entgegen § 8 SVG nicht berücksichtigt, ist dadurch eine unbewußte Tariflücke entstanden. Denn die Tarifvertragsparteien haben nicht bedacht, daß die Protokollnotiz insoweit unwirksam ist, als die Bemessung des Ist-Gehalts gegen zwingende gesetzliche Vorschriften verstößt. Eine unbewußte Tariflücke kann von den Gerichten für Arbeitssachen geschlossen werden, wenn sichere Anhaltspunkte dafür bestehen, welche Regelung die Tarifvertragsparteien getroffen hätten, falls sie die Tariflücke erkannt hätten (vgl. BAGE 36, 218, 225 = AP Nr. 19 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten). Da Tarifvertragsparteien sich im allgemeinen nicht über zwingende gesetzliche Vorschriften hinwegsetzen wollen, kann davon ausgegangen werden, daß sie die Berücksichtigung von Wehrdienstzeiten nach § 8 Abs. 3 SVG bei der Bemessung des Ist-Gehalts im Sinne der Protokollnotiz geregelt hätten. Dazu wären sie wegen der zwingenden Vorschrift des § 8 Abs. 3 SVG auch verpflichtet gewesen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Klageforderung nicht verwirkt. Für eine Verwirkung müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein. Der Gläubiger muß mit der Geltendmachung des Anspruchs gezögert haben. Er muß ferner durch sein Zuwarten beim Schuldner die Ansicht hervorgerufen haben, der Gläubiger werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen, so daß der Schuldner sich darauf eingestellt hat, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Schließlich muß dem Schuldner auch die Erfüllung des Anspruchs unter Berücksichtigung aller Umstände nach Treu und Glauben nicht mehr zumutbar sein (BAG Urteil vom 28. Juli 1960 - 2 AZR 105/59 -, AP Nr. 17 zu § 242 BGB Verwirkung). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.

Die Auffassung des Arbeitsgerichts, der Kläger könne sich auf die fehlerhafte Gehaltsfestsetzung in den Jahren 1977 bis 1979 nicht erst im Jahre 1983 berufen, verkennt die Grundsätze der Verwirkung. Verwirken können nur Ansprüche. Der Kläger hat mit der im Februar 1983 erhobenen Klage Lohnansprüche aus 1981 geltend gemacht. Deshalb ist nur zu prüfen, ob im Februar 1983 Lohnansprüche ab Januar 1981 verwirkt waren. Dafür ist kein Anhaltspunkt ersichtlich. Jeder Arbeitgeber muß grundsätzlich damit rechnen, daß ein Arbeitnehmer innerhalb der nur kurzen zweijährigen Verjährungsfrist noch Lohnansprüche geltend macht. Durch Tarifvertrag können zwar kürzere Ausschlußfristen festgesetzt werden. Der vorliegend anwendbare Manteltarifvertrag Nr. 1 für das Bodenpersonal der Beklagten sieht jedoch in seinem § 24 nur vor, daß tarifliche Ansprüche drei Monate nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erlöschen, sofern sie nicht vorher schriftlich geltend gemacht worden sind. Während der Dauer des Arbeitsverhältnisses greift danach keine tarifliche Ausschlußfrist ein.

Eine Verwirkung der Gehaltsansprüche ab 1981 kann auch nicht deshalb angenommen werden, weil der Kläger die fehlerhafte Gehaltsabrechnung seit dem Jahre 1978 durch die Beklagte nicht beanstandet hat. Jeder Arbeitgeber muß damit rechnen, daß ein Arbeitnehmer eine fehlerhafte Vergütungsberechnung bemerkt und dann von einem gewissen Zeitraum in der Vergangenheit ab (hier: 1981) Nachzahlungsansprüche geltend macht. Andernfalls könnte ein Arbeitnehmer, der nach mehreren Jahren einen ständigen Fehler in der Gehaltsabrechnung bemerkt, auch für die Zukunft keine Korrektur verlangen. Hierfür fehlt jeder sachliche Grund. Dem Arbeitgeber ist kein schutzwürdiges Vertrauen zuzubilligen, daß er von ihm verursachte Fehler auch für die Zukunft nicht zu korrigieren braucht, wenn der Arbeitnehmer sie zunächst jahrelang nicht bemerkt hat.

Im vorliegenden Fall kommt hinzu, daß es um die Erhaltung von zwingenden Rechten zugunsten des Arbeitnehmers geht. Vor 1983 haben beide Parteien die Anrechnung der Wehrdienstzeit des Klägers auf das Arbeitsverhältnis nicht bedacht. Insoweit konnte überhaupt kein Vertrauen der Beklagten entstehen, der Kläger werde eine Anrechnung seiner Wehrdienstzeit auf die Betriebszugehörigkeit nicht verlangen.

Der Zinsanspruch beruht auf § 291 BGB in Verbindung mit § 288 Abs. 1 BGB.

Die Beklagte hat als unterlegene Partei gemäß § 91 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Dr. Neumann Dr. Peifer Dr. Etzel

Polcyn Dr. Kiefer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI439182

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