Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergütung von Samstagsarbeit in der Brotindustrie. Betriebliche Übung
Leitsatz (redaktionell)
1. Grundlage für die Bestimmung der Mehrarbeit der Verkaufsfahrer ist im Regelungsbereich des Einheitlichen Manteltarifvertrags für die Brot- und Backwarenindustrie im Lande Nordrhein-Westfalen vom 14. April 1981 (MTV-Brotindustrie) die Wochenarbeitszeit, zu der auch die Arbeit an Samstagen zählt.
2. Mehrarbeit ist nach dem MTV Brotindustrie grundsätzlich mit dem tariflichen Mehrarbeitszuschlag zu vergüten. Wird jedoch an die Verkaufsfahrer Provision gezahlt, wird damit Mehrarbeit abgegolten, wenn die Provision ihrer Höhe nach mindestens der tariflichen Mehrarbeitsvergütung entspricht. Gegen eine derartige tarifliche Regelung bestehen keine allgemeinen rechtlichen Bedenken.
3. Wird in Verkennung der Tarifnormen an die Verkaufsfahrer Mehrarbeitszuschlag und Provision gezahlt, so kann die rechtsgrundlose Zahlung des Mehrarbeitszuschlages einseitig vom Arbeitgeber eingestellt werden.
Orientierungssatz
Zur Entstehung individueller Rechte aus betrieblicher Übung wird verlangt,daß der Arbeitgeber zumindest ein Verhalten an den Tag gelegt hat, das sein Einverständnis mit der Entstehung individueller Rechte im arbeitsvertraglichen Bereich erkennen oder doch wenigstens vermuten bzw darauf schließen läßt.
Normenkette
TVG § 1; HGB § 65; BGB § 166; AZO § 15
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 11.11.1986; Aktenzeichen 7 Sa 1120/86) |
ArbG Bocholt (Entscheidung vom 25.04.1986; Aktenzeichen 2 Ca 684/84) |
Tatbestand
Die der Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten angehörenden Kläger stehen als Verkaufsfahrer in den Diensten der Beklagten, die eine Brotfabrik betreibt und dem Verband der Deutschen Brot- und Backwarenindustrie angehört. Neben ihrer tariflichen Grundvergütung erhalten die Kläger monatlich eine Grundprovision von 150,-- DM sowie eine Verkaufsprovision in Höhe von 150,-- DM bis 1.000,-- DM.
Obwohl im Grundsatz im Jahre 1980 die damals eingeführte wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden auch für die Verkaufsfahrer auf die fünf ersten Wochentage verteilt worden war, wurden die Kläger auch weiterhin in regelmäßigen Abständen von drei Wochen für Verkaufsfahrten zu bestimmten wichtigen Kunden zu Samstagsarbeit im Umfang von fünf bis sieben Stunden herangezogen. Für diese Samstagsarbeit zahlte die Beklagte den Klägern neben ihrer Grundvergütung auch den tariflichen Mehrarbeitszuschlag von 25 v.H. Das geschah bis einschließlich September 1983. Ab 1. Oktober 1983 stellte die Beklagte die Zahlung des Mehrarbeitszuschlages mit der Begründung ein, dieser sei von ihr zuvor irrtümlich und in Verkennung der entsprechenden tariflichen Bestimmungen gezahlt worden, aufgrund der Provisionszahlung sei sie nicht auch noch zur Zahlung des Mehrarbeitszuschlages verpflichtet.
Mit ihrer am 4. Mai 1984 erhobenen und am 27. Februar 1986 erweiterten Klage haben die Kläger die Beklagte auf Fortzahlung des tariflichen Mehrarbeitszuschlages für die von ihnen im Zeitraum vom 1. Oktober 1983 bis 31. Dezember 1985 geleistete Samstagsarbeit nebst jeweils 4 v.H. Zinsen seit Rechtsanhängigkeit der Klage bzw. Klageerweiterung in Anspruch genommen. Sie haben die Auffassung vertreten, die Klage sei nach den einschlägigen tariflichen Bestimmungen begründet. Der anzuwendende einheitliche Manteltarif- vertrag für die Brot- und Backwarenindustrie im Lande Nordrhein-Westfalen vom 14. April 1981 (MTV Brotindustrie) betrachte auch bei Verkaufsfahrern als Mehrarbeit nur Arbeitsleistungen an den Wochentagen von Montag bis Freitag und stelle demgemäß auf die jeweilige tägliche Arbeitszeit ab. Hieraus folge, daß Arbeitsleistungen der Verkaufsfahrer an Samstagen entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten nicht durch die von dieser gezahlte Provision abgegolten werden könnten, sondern daß dafür der tarifliche Mehrarbeitszuschlag zu zahlen sei. Es sei auch mit dem rechtlichen Charakter einer Provision als erfolgsabhängiger Vergütung unvereinbar, sie funktionswidrig zur Abgeltung von Mehrarbeit heranzuziehen. Die Verfahrensweise der Beklagten sei mit dem Sinn und Zweck der die Mehrarbeit und ihre Vergütung regelnden Tarifnormen unvereinbar.
Weiter haben die Kläger vorgetragen, der eingeklagte tarifliche Mehrarbeitszuschlag sei ihnen auch ausdrücklich einzelvertraglich zugesagt worden, als die wöchentliche Arbeitszeit auf die Wochentage Montag bis Freitag zurückgeführt worden sei. Jedenfalls aber sei eine entsprechende betriebliche Übung entstanden, auf die sie sich berufen könnten. Von der jahrelangen Zahlung der Zulage könne sich die Beklagte nicht einseitig wieder lösen. Die fortdauernde vorbehaltlose Zahlung indiziere einen entsprechenden Verpflichtungswillen der Beklagten.
Demgemäß haben die Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen,
1. an den Kläger J 231,47 DM brutto nebst 4 %
Zinsen seit dem 4. Mai 1984,
2. an den Kläger F 185,65 DM brutto nebst
4 % Zinsen seit dem 4. Mai 1984,
3. an den Kläger G 802,64 DM brutto nebst 4 %
Zinsen von 189,60 DM seit dem 4. Mai 1984 und
von 613,04 DM seit dem 27. Februar 1986,
4. an den Kläger K 259,12 DM brutto nebst
4 % Zinsen seit dem 4. Mai 1984,
5. an den Kläger T 386,31 DM brutto nebst 4 %
Zinsen seit dem 4. Mai 1984,
6. an den Kläger W 801,81 DM brutto nebst 4 %
Zinsen von 168,27 DM seit dem 4. Mai 1984 und von
weiteren 633,54 DM seit dem 27. Februar 1986,
7. an den Kläger H 798,69 DM brutto nebst 4 %
Zinsen von 183,28 DM seit dem 4. Mai 1984 und von
weiteren 615,41 DM seit dem 27. Februar 1986,
8. an den Kläger D 220,41 DM brutto nebst
4 % Zinsen seit dem 4. Mai 1984,
9. an den Kläger Ha 1.267,85 DM brutto nebst 4 %
Zinsen von 194,34 DM seit dem 4. Mai 1984 und
weiteren 1.073,51 DM seit dem 27. Februar 1986,
10. an den Kläger E 142,20 DM brutto nebst 4 %
Zinsen seit dem 4. Mai 1984,
11. an den Kläger S 366,56 DM brutto nebst
4 % Zinsen seit dem 4. Mai 1984,
12. an den Kläger N 197,50 DM brutto nebst 4 %
Zinsen seit dem 25. Mai 1984,
13. an den Kläger Sch 504,15 DM brutto nebst 4 %
Zinsen von 109,02 DM seit dem 25. Mai 1984 und von
weiteren 395,14 DM seit dem 27. Februar 1986,
14. an den Kläger St 737,85 DM brutto nebst 4 %
Zinsen von 125,61 DM seit dem 25. Mai 1984 und
weiteren 612,24 DM seit dem 27. Februar 1986,
15. an den Kläger A 180,12 DM brutto nebst 4 %
Zinsen seit dem 25. Mai 1984,
16. an den Kläger Ho 244,90 DM brutto nebst
4 % Zinsen seit dem 25. Mai 1984,
17. an den Kläger R 731,48 DM brutto nebst
4 % Zinsen von 137,46 DM seit dem 25. Mai 1984 und
weiteren 594,02 DM seit dem 27. Februar 1986,
18. an den Kläger B 169,32 DM brutto nebst 4 %
Zinsen seit dem 25. Mai 1984,
19. an den Kläger He 1.206,46 DM brutto nebst
4 % Zinsen von 285,19 DM seit dem 25. Mai 1984 und
von weiteren 921,27 DM seit dem 27. Februar 1986,
20. an den Kläger M 41,08 DM brutto nebst 4 %
Zinsen seit dem 25. Mai 1984,
21. an den Kläger No 833,90 DM brutto nebst 4 %
Zinsen von 169,85 DM seit dem 25. Mai 1984 und
von weiteren 664,05 DM seit dem 27. Februar 1986,
22. an den Kläger Str 165,90 DM brutto nebst 4 %
Zinsen seit dem 25. Mai 1984 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und erwidert, für das Klagebegehren gebe es keine Rechtsgrundlage. Die einschlägigen Tarifnormen rechtfertigten die Klageforderung nicht. Entgegen der Meinung der Kläger sei auch Samstagsarbeit Mehrarbeit im Sinne des MTV Brotindustrie, weil darin für Verkaufsfahrer auf die wöchentliche Arbeitszeit abgestellt werde. Da sie an ihre Verkaufsfahrer Provision zahle, sei sie nach den tariflichen Bestimmungen für Samstagsarbeit nicht auch noch zur Zahlung der tariflichen Mehrarbeitszuschläge verpflichtet. Solche Arbeit könne nach dem Willen der Tarifvertragsparteien durch jede Art von Provisionszahlungen abgegolten werden.
Auf den weiteren Vortrag der Kläger hat die Beklagte erwidert, eine einzelvertragliche Zusage über die Zahlung der tariflichen Mehrarbeitszuschläge sei den Klägern nicht gemacht worden. Zugesagt worden sei ihnen für ihre Samstagsarbeit lediglich die normale Grundvergütung. Es sei auch bezüglich des Mehrarbeitszuschlages keine rechtserhebliche betriebliche Übung zustandegekommen. Soweit der Mehrarbeitszuschlag von ihr weitergezahlt worden sei, beruhe das auf einem Irrtum und unzutreffender Tarifauslegung. Entgegen den den Verkaufsfahrern gemachten Zusagen habe die Lohnbuchhaltung an diese für Samstagsarbeit den Mehrarbeitszuschlag rechtsgrundlos fortgezahlt. Sobald der Irrtum erkannt worden sei, sei die Zahlung eingestellt worden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen.
Mit der Revision verfolgen die Kläger unter Beschränkung der Zinsforderung auf die jeweiligen Nettobeträge ihre Klageforderung weiter. Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht in Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht erkannt, daß es für das Klagebegehren keine Rechtsgrundlage gibt.
Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts gehören alle Kläger und die Beklagte den Verbänden an, die den einheitlichen Manteltarifvertrag für die Brot- und Backwarenindustrie im Lande Nordrhein-Westfalen vom 14. April 1981 (MTV Brotindustrie) abgeschlossen haben. Demgemäß gilt vorliegend dieser Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG unmittelbar und zwingend. Da sich der persönliche Geltungsbereich dieses Tarifvertrages auf alle Arbeitnehmer der Brot- und Backwarenindustrie im Lande Nordrhein-Westfalen erstreckt (§ 1 Buchstabe c), kommt es nicht darauf an, ob die Kläger Angestellte oder Arbeiter sind.
Unter der Überschrift
Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit
bestimmen die Tarifvertragsparteien in § 4 MTV Brotindustrie:
a) Begriffsbestimmungen
1. Mehrarbeit ist jede über die regelmäßige
- sich aus der tariflichen Arbeitszeit
ergebende - tägliche Arbeitszeit hinausgehende
Arbeit.
Muß von dieser Regelung in unvorhergesehenen
Fällen abgewichen werden, ist ein Arbeitszeitausgleich
innerhalb der nächsten 6 Werktage
bis zu 9 Stunden täglich zuschlagsfrei
möglich.
2. Für das Fahrpersonal/Arbeitnehmer im Außendienst
ist die über die wöchentliche Arbeitszeit hinausgehende
Arbeit bis zu 5 Wochenstunden mehrarbeitszuschlagsfrei
und danach mehrarbeitszuschlagspflichtig
gemäß § 4 b) Ziffer 1 a). Wird
Provision gezahlt, so wird damit Mehrarbeit abgegolten,
wenn die Provision ihrer Höhe nach
mindestens der tariflichen Mehrarbeitsvergütung
entspricht. Die Abgeltung gilt jeweils für die
laufende Entgeltzahlungsperiode.
Für Fahrer im Werksverkehr, die im Zeitlohn beschäftigt
werden, gilt diese Regelung nicht.
3. Nachtarbeit ist die in der Zeit von 21.00 bis 4.00
Uhr geleistete Arbeit.
4. Sonn- und Feiertagsarbeit ist die an Sonn- und
gesetzlichen Feiertagen in der Zeit von 0.00 bis
24.00 Uhr geleistete Arbeit.
Weiter wird in § 4 Abschnitt b) unter Nr. 1 bestimmt:
Für Mehrarbeit, Nachtarbeit, Sonn- und Feiertagsarbeit
sind folgende Zuschläge zu zahlen:
a) für angeordnete Mehrarbeit 25 % 1 1/4 faches
Entgelt je Stunde .....
Schließlich sieht § 3 Abs. 1 Buchstabe a) MTV Brotindustrie
noch vor:
Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt
ausschließlich der Pausen 40 Stunden. Sie ist
auf 5 Tage in der Woche zu verteilen (s. Tarifvertrag
vom 25. April 1980).
Von der zuletzt genannten Tarifnorm ist auszugehen. Danach beträgt die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der tarifunterworfenen Arbeitnehmer 40 Stunden. Das gilt auch für das Verkaufspersonal im Außendienst, zu dem alle Kläger gehören.
Dennoch steht diesen, wie das Landesarbeitsgericht jedenfalls im Ergebnis richtig erkannt hat, für ihre Samstagsarbeit der eingeklagte tarifliche Mehrarbeitszuschlag nicht zu. Das ergibt sich aus dem Wortlaut und dem Gesamtzusammenhang der heranzuziehenden Bestimmungen des § 4 MTV Brotindustrie, die mit gleichem Gewicht für die Tarifauslegung bedeutsam sind, zumal sich oft der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der Sinn und Zweck der tariflichen Bestimmungen erst unter Mitheranziehung auch des tariflichen Gesamtzusammenhanges ermitteln läßt (vgl. das Urteil des Senats BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung). Dabei ist schon nach dem Tarifwortlaut und erst recht nach dem tariflichen Gesamtzusammenhang augenfällig, daß die Tarifvertragsparteien in den Nummern 1 und 2 des Abschnitts a) von § 4 MTV Brotindustrie einen deutlichen, unmißverständlichen Unterschied zwischen dem Fahrpersonal im Außendienst und den sonstigen tarifunterworfenen Arbeitnehmern machen. Während für die Bestimmung der Mehrarbeit bei den letzteren ausdrücklich auf die "tägliche Arbeitszeit" abgestellt wird, gehen die Tarifvertragsparteien im Gegensatz dazu bei dem Fahrpersonal des Außendienstes von der "wöchentlichen Arbeitszeit" aus. Damit bringen sie hinreichend deutlich zum Ausdruck, daß bei dem Fahrpersonal zur wöchentlichen Arbeitszeit auch die Samstagsarbeit zählt. Neben der zuvor gewürdigten wörtlichen Gegenüberstellung von "täglicher Arbeitszeit" und "wöchentlicher Arbeitszeit" sprechen für diese Auslegung insbesondere noch weitere gewichtige, sich aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang ergebende Gesichtspunkte. Der MTV Brotindustrie schließt nämlich an keiner Stelle Samstagsarbeit aus. Er erwähnt oder regelt sie auch nicht gesondert in § 4, sondern handelt dort neben der Mehrarbeit nur noch von "Nachtarbeit" (Nr. 3) sowie von "Sonn- und Feiertagsarbeit" (Nr. 4). Damit bestätigen die Tarifvertragsparteien eindeutig, daß in der Brotindustrie an Samstagen gearbeitet wird und daß die Notwendigkeit dazu insbesondere bei Verkaufsfahrern besteht. Dabei handelt es sich um allgemein bekannte Umstände, die insbesondere den branchenkundigen Tarifvertragsparteien geläufig sind. Im Sinne des tariflichen Gesamtzusammenhanges spricht für die Beurteilung des Senats auch der Umstand, daß nach § 3 Abs. 2 Unterabs. 2 MTV Brotindustrie abweichend von der tarifvertraglichen Arbeitszeit sowohl die tägliche als auch die wöchentliche Arbeitszeit des Fahrpersonals bis zu den in § 7 AZO, weiteren gesetzlichen Bestimmungen und den EWG-Verordnungen 543/69 und 1463/70 zugelassenen Grenzen ausgedehnt werden kann.
Damit ist der Auslegung des Landesarbeitsgerichts, der der erkennende Senat insoweit beitritt, auch deswegen der Vorzug zu geben, weil sie sich als vernünftig, gerecht, zweckorientiert und praktisch brauchbar erweist, insbesondere im Hinblick auf die besonderen Verhältnisse in der Brotindustrie (vgl. die Urteile des Senats vom 19. März 1986 - 4 AZR 642/84 - AP Nr. 116 zu §§ 22, 23 BAT 1975, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen, und 20. August 1986 - 4 AZR 256/85 - AP Nr. 47 zu § 1 Tarifverträge: Metallindustrie sowie den Beschluß des Senats vom 18. Februar 1987 - 4 ABR 35/86 -, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen, mit weiteren Nachweisen auf die ständige Senatsrechtsprechung).
Hieraus folgt gemäß § 4 Abschnitt a) Nr. 2 MTV Brotindustrie, daß die als Mehrarbeit im tariflichen Sinne anzusehende Samstagsarbeit der Verkaufsfahrer bis zu fünf Stunden mehrarbeitszuschlagsfrei, daß sie darüber hinaus jedoch grundsätzlich auch als Mehrarbeit zu vergüten ist. Im übrigen greift dann § 4 Abschnitt a) Nr. 2 Satz 2 MTV Brotindustrie ein, worin bestimmt wird:
Wird Provision gezahlt, so wird damit Mehrarbeit
abgegolten, wenn die Provision ihrer Höhe nach
mindestens der tariflichen Mehrarbeitsvergütung
entspricht.
Diese Tarifnorm bedeutet schon ihrem eindeutigen Wortlaut nach: Wenn - wie an die Kläger - an Verkaufsfahrer Provision gezahlt wird, soll diese nach dem Willen der Tarifvertragsparteien der Abgeltung von Mehrarbeit dienen, sofern sie im Einzelfalle die Höhe der tariflichen Mehrarbeitsvergütung erreicht. Letzteres ist vorliegend unstreitig. Daraus leitet demgemäß auch das Landesarbeitsgericht mit Recht her, daß die Kläger über die ihnen gewährten Provisionen hinaus nicht auch noch den eingeklagten Mehrarbeitszuschlag von der Beklagten verlangen können. Da sich diese Rechtsfolge eindeutig schon aus dem Tarifwortlaut und ergänzend aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang ergibt, bedarf es insoweit zur Tarifauslegung entgegen den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts einer Berücksichtigung der Tarifgeschichte überhaupt nicht (vgl. auch dazu das Urteil des Senats BAGE 46, 308, 314 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung).
Im Sinne der weiteren zutreffenden Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ist es auch unbedenklich rechtlich möglich, aufgrund entsprechender tariflicher Regelung die Leistung von Mehrarbeit durch Provisionszahlungen abzugelten. Dabei verkennt der Senat im Sinne des Vorbringens der Kläger nicht, daß Provisionen eine nach dem Wert des besorgten oder vermittelten Geschäfts bemessene Vergütung der Arbeitnehmer sind und sich somit als Beteiligung an von ihnen abgeschlossenen oder vermittelten Geschäften darstellen (vgl. Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., Band I, § 42 II, S. 299 sowie Baumbach/Duden, HGB, 22. Aufl., § 65). Obwohl es sich demnach bei der Provision um erfolgsabhängige Vergütung handelt, ist sie gleichwohl echtes Arbeitsentgelt im allgemeinen arbeitsrechtlichen Sinne. Daher bestehen auch jedenfalls keine allgemeinen rechtlichen Bedenken dagegen, daß - wie vorliegend im MTV Brotindustrie - aufgrund einer entsprechenden tariflichen Regelung Mehrarbeit auch durch Provisionszahlungen abgegolten werden kann, und zwar insbesondere dann, wenn diese der Höhe nach die tariflichen Mehrarbeitszuschläge erreichen oder gar - wie vorliegend - überschreiten (vgl. das Urteil des Senats vom 29. Oktober 1986 - 4 AZR 643/85 - AP Nr. 14 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt).
Die gewürdigte Tarifregelung wäre auch unbedenklich mit § 15 Abs. 2 AZO vereinbar. Darauf braucht jedoch nicht näher eingegangen zu werden, weil es im vorliegenden Rechtsstreit nur um Mehrarbeit im Sinne des MTV Brotindustrie und nicht um solche im Sinne der AZO geht (vgl. zu diesem Unterschied BAGE 23, 424, 426 = AP Nr. 15 zu § 611 BGB Bergbau und BAGE 24, 279, 281 = AP Nr. 16 zu § 611 BGB Bergbau). Unerheblich ist für die Entscheidung schließlich auch, wie hoch bei den Klägern jeweils der Anteil der Grundprovision und Verkaufsprovision war. Im Rahmen des § 4 Abschn. a) Nr. 2 Satz 2 MTV Brotindustrie kommt es darauf nämlich nicht an. Danach ist allein entscheidend, ob überhaupt Provision gezahlt worden ist.
Die demgegenüber erhobenen Einwendungen der Revision greifen nicht durch. Abweichend von der Argumentation der Kläger gegenüber den Instanzgerichten beruft sich die Revision darauf, zugunsten der Kläger müsse § 4 Abschnitt b) Nr. 1 a) MTV Brotindustrie analog angewendet werden, da bezüglich der Vergütung für Mehrarbeit an Samstagen eine durch die Gerichte für Arbeitssachen zu schließende Regelungslücke vorliege. Damit kann die Revision indessen nicht erfolgreich sein. Im MTV Brotindustrie regeln die Tarifvertragsparteien nämlich eindeutig und erschöpfend, was Mehrarbeit ist. Ebenso deutlich bestimmen sie im Rahmen der ihnen insoweit zukommenden Autonomie, daß dazu bei Verkaufsfahrern auch die Samstagsarbeit gehört. Gleichermaßen deutlich bestimmen alsdann die Tarifvertragsparteien in § 4 Abschnitt a) Nr. 2 Satz 2 MTV Brotindustrie, daß mit einer die Höhe der tariflichen Mehrarbeitsvergütung erreichenden Provision die Mehrarbeit unter Einschluß der am Samstag geleisteten abgegolten wird. Damit kann insoweit von einer Tariflücke nicht die Rede sein.
Einzelvertragliche Vereinbarungen im Sinne des Klagebegehrens bestehen zugunsten der Kläger nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts schon deswegen nicht, weil sie ihr entsprechendes Vorbringen nicht haben beweisen können. Vielmehr hat die vom Landesarbeitsgericht durchgeführte Beweisaufnahme ergeben, daß den Klägern lediglich zugesagt worden ist, daß ihre Samstagsarbeit mit der üblichen Grundvergütung vergütet werden solle. Da prozessuale Rügen insoweit von der Revision nicht erhoben worden sind, ist der Senat an die entsprechenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts gemäß § 561 ZPO gebunden.
Richtig hat das Landesarbeitsgericht auch entschieden, daß die Klage nicht aus betrieblicher Übung begründet ist. Demgegenüber hat sich die Beklagte den Vorinstanzen gegenüber mehrfach und deutlich darauf berufen, sie habe den Mehrarbeitszuschlag lediglich in Verkennung der tariflichen Bestimmungen weitergezahlt. Das Arbeitsgericht trifft auch eine dementsprechende Feststellung. Offenbar knüpft daran auch das Landesarbeitsgericht an, wenn es ausführt, die Beklagte habe in Verkennung der Tarifrechtslage geleistet, wenn das auch nicht mit letzter Deutlichkeit zum Ausdruck kommt. Hat aber die Beklagte im Sinne der Feststellungen und Rechtsausführungen des Arbeitsgerichts, denen sich das Landesarbeitsgericht offenbar anschließt, die tarifliche Mehrarbeitsvergütung an die Kläger nur aufgrund einer fehlerhaften Tarifauslegung gezahlt, war sie zur einseitigen Einstellung der Leistung berechtigt (vgl. BAGE 38, 291, 295 = AP Nr. 5 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bundesbahn sowie die weiteren Urteile des Senats vom 29. Januar 1986 - 4 AZR 279/84 - AP Nr. 17 zu § 75 BPersVG und 7. Mai 1986 - 4 AZR 556/83 -, zur Veröffentlichung vorgesehen, mit weiteren Nachweisen auf die ständige Senatsrechtsprechung).
Dafür, daß ein Anspruch aus betrieblicher Übung zugunsten der Kläger nicht besteht, hat das Landesarbeitsgericht aber auch noch eine weitere Begründung gegeben, die jedenfalls insoweit das angefochtene Urteil trägt. Wie auch das Landesarbeitsgericht richtig erkannt hat, hat die betriebliche Übung ihre Rechtsgrundlage im Arbeitsvertragsrecht. Danach ist das Bestehen einer betrieblichen Übung mit der Folge aus ihr resultierender Ansprüche der Arbeitnehmer dann nicht möglich, wenn eine rechtliche Verpflichtungserklärung des Arbeitgebers fehlt, mag diese auch häufig nur in konkludenter Weise abgegeben werden. Daher wird zur Entstehung individueller Rechte aus betrieblicher Übung verlangt, daß der Arbeitgeber zumindest ein Verhalten an den Tag gelegt hat, das sein Einverständnis mit der Entstehung individueller Rechte im arbeitsvertraglichen Bereich erkennen oder doch wenigstens vermuten bzw. darauf schließen läßt (vgl. die Urteile des Senats BAGE 35, 7, 14 = AP Nr. 3 zu § 19 TV Arb Bundespost sowie vom 7. Mai 1986 - 4 AZR 556/83 - und 28. Januar 1987 - 4 AZR 147/86 -, beide zur Veröffentlichung vorgesehen, mit weiteren Nachweisen).
Diese Voraussetzungen sind nach den auf die von ihm durchgeführte Beweisaufnahme gestützten Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht erfüllt. Das Landesarbeitsgericht führt nämlich unter Bezugnahme darauf im einzelnen aus, den Verkaufsfahrern der Beklagten sei von dem Vertriebsleiter Sto ausdrücklich gesagt worden, sie erhielten für ihre Samstagsarbeit nur die normale Grundvergütung, in diesem Sinne sei auch der Betriebsrat informiert worden, so daß die Verkaufsfahrer jedenfalls gewußt hätten, daß die Beklagte ihnen den eingeklagten Mehrarbeitszuschlag nicht mehr zahlen wolle. Damit war nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts den Klägern positiv bekannt, daß die Beklagte ihnen den Mehrarbeitszuschlag für Samstagsarbeit nicht weiterzahlen wollte. Sie hat danach auch keinen gegenteiligen Rechtsschein erzeugt.
Auch die demgegenüber erhobenen Einwendungen der Revision greifen nicht durch. Zwar führt die Revision in allgemeiner Weise aus, das Landesarbeitsgericht verfälsche das Ergebnis der Beweisaufnahme, wenn es die Folgerung ziehe, auf Seiten der Beklagten fehle es an einem Verpflichtungswillen, auf einen solchen ließen auch keine Umstände schließen. Hierzu fehlen jedoch substantiierte prozessuale Rügen, die den besonderen Erfordernissen des § 554 Abs. 3 Nr. 3 Buchstabe b ZPO entsprechen, so daß der Senat auch insoweit gemäß § 561 ZPO an die entsprechenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts gebunden ist. Überdies fehlt es insoweit aber auch schon an entsprechendem substantiiertem Vortrag der Kläger gegenüber den Instanzgerichten. Es genügt nicht, wenn sie sich insoweit lediglich auf die faktische Zahlung und den verhältnismäßig langen Zeitablauf berufen. Daraus allein können entgegen der Meinung der Revision die rechtlichen Voraussetzungen für eine wirksame betriebliche Übung nicht hergeleitet werden.
Auch die Hinweise der Revision auf § 166 Abs. 1 BGB gehen fehl. Die Revision übersieht, daß diese Gesetzesnorm die Folgen von Willensmängeln im Bereiche der rechtsgeschäftlichen Stellvertretung regelt. Die Anwendung der Vorschrift setzt also voraus, daß die Bediensteten der Lohnbuchhaltung der Beklagten den Klägern gegenüber Willenserklärungen im Vergütungsbereich abgegeben haben und haben abgeben wollen. Daran fehlt es jedoch schon, so daß die Angestellten ihrer Buchhaltung vorliegend nicht als Vertreter der Beklagten im Sinne von § 164 BGB angesehen werden können. Vielmehr haben die Angestellten der Lohnbuchhaltung - wenngleich fehlerhaft - lediglich das faktisch realisieren sollen, was der Vertriebsleiter Sto - dieser freilich als rechtsgeschäftlicher Vertreter der Beklagten - im Bereiche ihrer Vergütung den Verkaufsfahrern zugesagt hatte. Damit wurden die Angehörigen der Lohnbuchhaltung der Beklagten den Klägern gegenüber zwar als Erfüllungsgehilfen im Sinne von § 278 BGB, jedoch nicht als deren Stellvertreter oder in einer vergleichbaren, die entsprechende Anwendung von § 166 Abs. 1 BGB rechtfertigenden Art und Weise tätig. Zudem war das auch den Arbeitnehmern der Beklagten unter Einschluß der Kläger nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts bekannt. Gegenteiliges kann bei der vorliegenden Fallgestaltung auch nicht aus den von den Klägern herangezogenen Ausführungen bei Palandt/Heinrichs (BGB, 46. Aufl., § 166 Anm. 3 b) hergeleitet werden. Es geht nämlich vorliegend überhaupt nicht darum, ob sich die Beklagte das Wissen der Lohnbuchhalter anrechnen lassen muß (vgl. dazu BGHZ 83, 293, 296), sondern darum, ob diese eine dem Klagebegehren entsprechende Verpflichtungserklärung mit Wirkung für die Beklagte abgegeben haben. Davon kann indessen nicht die Rede sein.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 100 Abs. 1 ZPO.
Dr. Feller Dr. Etzel Dr. Freitag
Wehner Dr. Reinfeld
Fundstellen
Haufe-Index 439002 |
RdA 1988, 59 |
AP § 1 TVG, Nr 1 |
AR-Blattei, Betriebsübung Entsch 21 (LT1-3) |
AR-Blattei, ES 510 Nr 21 (LT1-3) |