Entscheidungsstichwort (Thema)
Bezugnahmeklausel bei Verbandsaustritt des Arbeitgebers. Feststellungsklage. dynamische Bezugnahme auf Tarifvertrag. Gleichstellungsabrede. Teilnahme an Tarifentwicklung nach Verbandsaustritt des Arbeitgebers
Leitsatz (amtlich)
Eine dynamische Bezugnahme auf die einschlägigen Tarifverträge in einem vom tarifgebundenen Arbeitgeber vorformulierten Vertrag ist typischerweise eine Gleichstellungsabrede.
Orientierungssatz
1. Eine Bezugnahme auf einen Tarifvertrag ist im Zweifel als dynamische Verweisung auszulegen.
2. Eine dynamische Bezugnahme auf die einschlägigen Tarifverträge in einem vom tarifgebundenen Arbeitgeber vorformulierten Vertrag ist typischerweise eine Gleichstellungsabrede.
3. Eine Gleichstellungsabrede hat zur Folge, daß der Arbeitnehmer unabhängig von seiner Tarifgebundenheit an der Tarifentwicklung des in Bezug genommenen Tarifvertrages teilnimmt, wie wenn er tarifgebunden wäre.
4. Der Arbeitnehmer mit einer Gleichstellungsabrede nimmt nach dem Verbandsaustritt des Arbeitgebers ebenso wie ein tarifgebundener Arbeitnehmer nicht mehr an der Tarifentwicklung teil.
Normenkette
BGB §§ 133, 157; TVG § 3 Abs. 3, § 4 Abs. 5; ZPO § 256 Abs. 1, § 253 Abs. 2 Ziff. 2; BetrVG § 77 Abs. 3, 6
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 16. Juni 2000 – 19 Sa 721/00 – aufgehoben.
2. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 26. Januar 2000 – 48 Ca 27062/99 – abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
3. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die im Vergütungstarifvertrag für die Beschäftigten in der Wohnungswirtschaft vom 14. Juni 1999 (VTV 1999) vereinbarte Tariferhöhung zu zahlen.
Die nicht tarifgebundene Klägerin ist beim Beklagten seit dem 1. Januar 1985 als Angestellte beschäftigt. Der Beklagte ist ein Verband von Wohnungsunternehmen in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins, der überwiegend Prüfungs- und Beratungsleistungen für seine Mitglieder erbringt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist das an die Klägerin gerichtete Schreiben des Beklagten vom 22. Oktober 1985, welches von beiden Parteien unterschrieben worden ist. Darin heißt es ua.:
„…
Wir zahlen Ihnen ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von DM 3.117,– (dreitausendeinhundertsiebzehn) gemäß Vergütungstarifvertrag für die Arbeitnehmer in der Wohnungswirtschaft in Verbindung mit § 3 des Manteltarifvertrages für die Angestellten und gewerblichen Arbeitnehmer in der Wohnungswirtschaft, Gruppe IIIa, 10. Berufsjahr.
…
Soweit nicht abweichend geregelt, gelten im übrigen die tarifvertraglichen Bestimmungen für die Angestellten in der Wohnungswirtschaft sowie die Bestimmungen der Betriebsvereinbarung in der jeweils geltenden Fassung, die im Personalbüro eingesehen werden können.
…”
In der Betriebsvereinbarung vom März 1983, die von dem Beklagten zum 31. Dezember 1998 gekündigt wurde, war ua. bestimmt:
„Die im Gehaltstarifvertrag für die Angestellten der Wohnungswirtschaft vereinbarten prozentualen Gehaltserhöhungen werden auch den Angestellten gewährt, die nicht diesem Gehaltstarifvertrag unterliegen.”
Der Beklagte war zum Zeitpunkt des Arbeitsvertragsschlusses Mitglied im Arbeitgeberverband der Wohnungswirtschaft eV. Mit Schreiben vom 1. Juni 1998 kündigte er seine Mitgliedschaft mit Wirkung zum 31. Dezember 1998. Bis zu diesem Austrittszeitpunkt gab der Beklagte die von dem Arbeitgeberverband der Wohnungswirtschaft eV vereinbarten tariflichen Gehaltserhöhungen an die Klägerin weiter. Die im VTV 1999 vereinbarte Entgelterhöhung ab dem 1. Juli 1999 zahlte der Beklagte der Klägerin nicht.
Mit Schreiben vom 1. August 1999 und 27. August 1999 machte die Klägerin gegenüber dem Beklagten diese Tariferhöhung geltend, die für sie einen Betrag von 32,25 DM brutto monatlich ausmacht. Dieses Begehren verfolgt sie mit ihrer Klage weiter. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr stehe auf Grund der vertraglichen Bezugnahmeklausel ab dem 1. Juli 1999 die Tariferhöhung nach dem VTV 1999 zu. Die Verweisung im Schreiben vom 22. Oktober 1985 auf den Vergütungstarifvertrag für die Arbeitnehmer in der Wohnungswirtschaft iVm. § 3 des Manteltarifvertrages für die Angestellten und gewerblichen Arbeitnehmer in der Wohnungswirtschaft sei als dynamische und konstitutive Verweisung zu verstehen. Durch den Austritt aus dem Arbeitgeberverband könne sich der Beklagte nicht einseitig den vertraglichen Bindungen entziehen. Eine korrigierende oder ergänzende Auslegung der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel sei nicht zulässig.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt
festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Vergütung nach Maßgabe der Tarifgruppe IV a des Vergütungstarifvertrages für die Beschäftigten in der Wohnungswirtschaft vom 14. Juni 1999 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Meinung vertreten, aus der Vergütungsvereinbarung ergebe sich keine dynamische Verweisung auf den jeweils geltenden Vergütungstarifvertrag. Jedenfalls sei die Bezugnahme als eine Gleichstellungsabrede zu verstehen. Da für die tarifgebundenen Arbeitnehmer die Tarifentgelterhöhungen nach der Beendigung seiner Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband nicht mehr gelten würden, könne für die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer nichts anderes gelten. Ansonsten würden letztere entgegen dem Sinn und Zweck arbeitsvertraglicher Gleichstellungsabreden besser gestellt als die tarifgebundenen Arbeitnehmer.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit seiner Revision erstrebt der Beklagte die Abweisung der Klage. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist begründet. Der Klägerin steht die Tariferhöhung gem. dem VTV 1999 nicht zu.
I. Die Feststellungsklage ist zulässig.
1. Das gem. § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben. Es ist anerkannt, daß die Anwendbarkeit eines bestimmten Tarifvertrages oder Tarifwerkes auf ein Arbeitsverhältnis Gegenstand einer Feststellungsklage sein kann, obwohl es sich dabei nicht um das Rechtsverhältnis der Parteien insgesamt, sondern nur um einen Teil dieses Rechtsverhältnisses handelt (BAG 27. Juli 1956 – 1 AZR 430/54 – BAGE 3, 303, 305; 20. März 1991 – 4 AZR 455/90 – BAGE 67, 330, 332; 28. März 1996 – 6 AZR 501/95 – BAGE 82, 344, 346). Vorliegend geht es der Klägerin darum festzustellen, daß sich ihre Vergütung nach dem VTV 1999 richtet.
2. Der Feststellungsantrag ist auch iSv. § 253 Abs. 2 Ziff. 2 ZPO hinreichend bestimmt.
Zwar hat die Klägerin in ihrem Klageantrag den Zeitpunkt nicht ausdrücklich genannt, ab dem sie die höhere Vergütung nach dem VTV 1999 begehrt. Daß es der Klägerin um die Tariferhöhung ab dem 1. Juli 1999 geht, ergibt sich aber aus der Begründung der Klage. Der hinreichenden Bestimmtheit des Klageantrags steht auch nicht entgegen, daß es in dem VTV 1999 die von der Klägerin in ihrem Antrag benannte Tarifgruppe IV a nicht gibt, sondern nur die Tarifgruppen I, II, III, IV usw. Wie sich aus der Klagebegründung ergibt, ist mit dem Zusatz „a” der Zuschlag gem. § 2 VTV 1999 gemeint. Danach erhalten Beschäftigte, die sich durch ihre Tätigkeit teilweise aus ihrer Gehalts-/Lohngruppe herausheben, ohne überwiegend die Merkmale der nächsthöheren Gruppe zu erfüllen, zusätzlich 50 % des Unterschiedsbetrages, der sich aus den Vergütungen der beiden Gruppen ergibt. Von dieser Auslegung des Antrags sind offensichtlich die Parteien und die Vorinstanzen übereinstimmend ausgegangen.
II. Die Klage ist nicht begründet. Der VTV 1999 findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien keine Anwendung. Mangels Tarifgebundenheit der Parteien gilt der VTV 1999 für das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht gem. § 4 Abs. 1 TVG unmittelbar und zwingend. Die Anwendbarkeit des VTV 1999 ergibt sich auch nicht aus der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel oder aus der Betriebsvereinbarung vom März 1983.
1. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts führt die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf die tarifvertraglichen Bestimmungen für die Angestellten in der Wohnungswirtschaft nicht dazu, daß der VTV 1999, der nach dem Verbandsaustritt des Beklagten abgeschlossen worden ist, auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbar ist. Die Bezugnahmeklausel in der arbeitsvertraglichen Vereinbarung enthält zwar eine dynamische Verweisung auf den VTV in seiner jeweils gültigen Fassung. Diese ist aber als Gleichstellungsabrede auszulegen, nach der der Arbeitnehmer nur während der Dauer der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers an der Tarifentwicklung der in Bezug genommenen Tarifregelung teilnimmt.
a) Nach §§ 133, 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie sie die Parteien nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mußten. Dabei ist zwar von dem Wortlaut auszugehen, aber zur Ermittlung des wirklichen Willens der Parteien sind auch die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände bei der Auslegung einzubeziehen, soweit sie einen Schluß auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen.
b) Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, daß die Bezugnahmeklausel zeitlich als dynamisch und nicht als statisch zu verstehen sei. Zwar sei – so das Landesarbeitsgericht – die Höhe der Vergütung arbeitsvertraglich konkret beziffert worden, und hinsichtlich des in Bezug genommenen Vergütungstarifvertrages fehle eine Jeweiligkeitsklausel. Im Zweifel sei aber auch dann davon auszugehen, daß die Bezugnahmeklausel dynamisch sei. Im übrigen seien die Tariferhöhungen bis zum Verbandsaustritt jeweils an die Klägerin weitergegeben worden.
Dem ist im Ergebnis zu folgen. Richtig ist, daß im Zweifel eine Bezugnahmeklausel auch ohne diesbezügliche ausdrückliche Regelung als dynamische Verweisung auszulegen ist (ua. BAG 20. März 1991 – 4 AZR 455/90 – BAGE 67, 330, 335; 28. Mai 1997 – 4 AZR 663/95 – AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 6 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 8). Darauf kommt es vorliegend aber nicht an, weil sich aus der Vereinbarung der Parteien ergibt, daß der Vergütungstarifvertrag in seiner jeweiligen Fassung Anwendung finden soll. Denn die Jeweiligkeitsklausel in dem Schreiben vom 22. Oktober 1985 bezieht sich generell auf die „tarifvertraglichen Bestimmungen für die Angestellten in der Wohnungswirtschaft”, also auch auf den vorher in dem Schreiben konkret benannten Vergütungstarifvertrag, den Manteltarifvertrag und den Tarifvertrag über die Gewährung vermögenswirksamer Leistungen. Entscheidend ist demnach, ob die bezifferte Nennung des Gehalts eine abweichende Regelung im Sinne der Einschränkung der Bezugnahmeklausel „soweit nicht abweichend geregelt” beinhalten soll. Dafür gibt es keine Anhaltspunkte. Das Schreiben weist insoweit lediglich aus, wie hoch das Tarifgehalt zur Zeit des Vertragsabschlusses war. Das ergibt sich auch daraus, daß im Arbeitsvertrag konkret dargelegt wird, welche tarifliche Eingruppierung zur Zeit der Vereinbarung dem ausgewiesenen Gehalt zugrunde liegt, dh. die „Gruppe IIIa, 10. Berufsjahr”. Im übrigen erkennt auch der Beklagte an, daß die Weitergabe der Tariferhöhungen durch ihn bis zu seinem Verbandsaustritt für einen entsprechenden Bindungswillen schon bei Abschluß des Vertrages spreche.
c) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts führt die vom zur Zeit des Vertragsschlusses tarifgebundenen Beklagten vereinbarte dynamische Bezugnahme auf den für den Betrieb einschlägigen Vergütungstarifvertrag nicht zur Anwendung des nach dem Verbandsaustritt des Beklagten abgeschlossenen VTV 1999. Denn es handelt sich um eine Gleichstellungsabrede. Sie hat zur Folge, daß der Arbeitnehmer unabhängig von seiner Tarifgebundenheit an der Tarifentwicklung des in Bezug genommenen Tarifvertrages teilnimmt, wie wenn er tarifgebunden wäre. Die Gleichstellungsabrede ersetzt nur die durch die Mitgliedschaft in der zuständigen Gewerkschaft begründete Tarifgebundenheit. Deshalb nimmt der Arbeitnehmer mit einer Gleichstellungsabrede nur solange an der Tarifentwicklung teil wie ein tarifgebundener Arbeitnehmer. Da der VTV erst 1999 abgeschlossen worden ist, nachdem die Beklagte aus dem Tarifträgerverband ausgeschieden war, gilt er mangels Tarifgebundenheit der Beklagten nicht nach § 4 Abs. 1 TVG für die Arbeitsverhältnisse mit den tarifgebundenen Arbeitnehmern. Demgemäß findet er auf Grund der Gleichstellungsabrede auch nicht auf das Arbeitsverhältnis der nichttarifgebundenen Klägerin Anwendung.
aa) Eine dynamische Bezugnahmeklausel auf die einschlägigen Tarifverträge in einem vom tarifgebundenen Arbeitgeber vorformulierten Vertrag ist typischerweise als Gleichstellungsabrede zu verstehen. Eine abweichende Auslegung der Klausel als „feste” Bezugnahme in dem Sinne, daß die Anwendbarkeit der Tarifverträge in der jeweiligen Fassung unabhängig von für deren normative Geltung relevanten Veränderungen erfolgen soll, ist nur gerechtfertigt, wenn das in der Vereinbarung seinen Ausdruck gefunden hat oder sonstige Umstände dafür sprechen.
Diese nicht primär auf den Wortlaut abstellende Auslegung rechtfertigt sich daraus, daß der Arbeitgeber bei Vertragsschluß die durch die Mitgliedschaft in der zuständigen Gewerkschaft begründete Tarifgebundenheit des Arbeitnehmers nicht kennt und auch nicht erfragen darf. Er weiß von Rechts wegen nicht, ob die tariflichen Regelungen auf Grund der Tarifgebundenheit des Arbeitnehmers unmittelbar und zwingend gem. § 4 Abs. 1 TVG gelten oder ob er die Anwendbarkeit durch eine arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel begründen muß. Der gezielten vertraglichen Regelung, differenziert nach tarifgebundenen und nichttarifgebundenen Arbeitnehmern, sind deshalb rechtlich bedingte tatsächliche Grenzen gesetzt. Die rechtliche Unzulässigkeit für den Arbeitgeber, vorab die Gewerkschaftszugehörigkeit des einzustellenden Arbeitnehmers zu klären, hat zur Folge, daß der Arbeitgeber, um eine von ihm erstrebte Gleichstellung von tarifgebundenen und nichttarifgebundenen Arbeitnehmern zu erreichen, in alle Arbeitsverträge die Bezugnahmeklausel aufnehmen muß.
Diese arbeitsrechtlich vorstrukturierten Bedingungen bei Vertragsschluß rechtfertigen es, bei der Auslegung der Bezugnahmeklausel im Sinne einer Gleichstellungsabrede entscheidend auf die typischerweise vorliegende Zweckbestimmung der Bezugnahme und auf die üblicherweise gegebenen Interessen und Vorverständnisse abzustellen, soweit sich nicht aus der vertraglichen Vereinbarung selbst oder aus den Umständen bei Vertragsschluß etwas anderes ergibt.
(1) Der Zweck der vertraglichen Bezugnahme in einem vom tarifgebundenen Arbeitgeber vorformulierten Arbeitsvertrag auf die einschlägigen Tarifverträge besteht regelmäßig in der Anwendung derjenigen Arbeitsbedingungen, die für die tarifgebundenen Arbeitnehmer nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG unmittelbar und zwingend gelten (zB BAG 6. April 1955 – 1 AZR 365/54 – BAGE 1, 348; 22. August 1979 – 5 AZR 1066/77 – AP BGB § 611 Deputat Nr. 3; 20. März 1991 – 4 AZR 455/90 – BAGE 67, 330; 4. September 1996 – 4 AZR 135/95 – BAGE 84, 97; 4. August 1999 – 5 AZR 642/98 – BAGE 92, 171). Diese Auffassung wird überwiegend auch von der Literatur geteilt (zB ErfK/Preis 2. Aufl. § 613 a BGB Rn. 109; Kempen/Zachert TVG 3. Aufl. § 3 Rn. 62; Löwisch/Rieble TVG 1992 § 3 Rn. 99; Oetker in: Wiedemann TVG 6. Aufl. § 3 Rn. 210). Voraussetzung ist somit, daß Tarifgebundenheit des Arbeitgebers an die in Bezug genommenen Tarifverträge besteht (Senat 30. August 2000 – 4 AZR 581/99 – BAGE 95, 296). Andernfalls liegt eine Gleichstellung nicht vor, weil die tarifliche Regelung für die organisierten Beschäftigten wegen fehlender beiderseitiger Tarifgebundenheit nicht gilt.
Wenn in einem Arbeitsvertrag mit einem tarifgebundenen Arbeitgeber eine dynamische Bezugnahme auf die einschlägigen tarifvertraglichen Regelungen enthalten ist, soll damit typischerweise für die nichttarifgebundenen Arbeitnehmer der Anlaß genommen werden, die – normative – Geltung der Tarifregelungen durch einen Gewerkschaftsbeitritt herbeizuführen. Daraus ergibt sich, daß der Zweck der Bezugnahme sich typischerweise darauf beschränkt, die – möglicherweise – fehlende Tarifgebundenheit des Arbeitnehmers zu ersetzen, dh. ihn einem tarifgebundenen Arbeitnehmer gleichzustellen, nicht aber dem nichttarifgebundenen Arbeitnehmer unabhängig von der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers eine dauernde Teilhabe an der Tarifentwicklung zu gewährleisten. Es ist fernliegend anzunehmen, daß ein Arbeitgeber, der die Bezugnahmeklausel mit dem Ziel der Gleichstellung vereinbart, damit gegenüber den Nichttarifgebundenen eine Anwendung von Tarifverträgen begründen will, die über deren normative Geltung auf Grund der beiderseitigen Tarifgebundenheit für die Arbeitsverhältnisse mit tarifgebundenen Arbeitnehmern hinausreicht.
(2) Die Berücksichtigung der anzuerkennenden typischen Interessen des Arbeitnehmers steht dieser Auslegung nicht entgegen. Regelmäßig wird eine Bezugnahmeklausel nicht auf Grund einer entsprechenden Verhandlungsforderung des Arbeitnehmers in den Vertrag aufgenommen, sondern ist aus den genannten Gründen in dem vom Arbeitgeber vorformulierten Arbeitsvertrag enthalten. Bei dieser Ausgangslage ist sie daher nicht Ausdruck eines erkennbaren Regelungswillens des Arbeitnehmers, eine „feste” dynamische Bezugnahme der tariflichen Regelung zu erreichen. Vielmehr gibt es in der Regel keine Anhaltspunkte dafür, daß der Arbeitnehmer die Vereinbarung erstrebt, über die Gleichstellung mit den tarifgebundenen Arbeitnehmern hinaus eine dauernde Teilhabe an der Tarifentwicklung gesichert zu bekommen. Soweit der Arbeitnehmer im Sinne einer solchen „festen” Bezugnahme auf Dauer an der Tarifentwicklung teilhaben soll, bedarf es entsprechender Klarstellungen oder Anhaltspunkte.
bb) Die gegen diese Auslegung einer bei Verbandszugehörigkeit des Arbeitgebers vereinbarten dynamischen Bezugnahme als Gleichstellungsabrede – auch – vom Landesarbeitsgericht vorgebrachten Bedenken überzeugen nicht.
(1) Der hier vertretenen Auslegung wird insbesondere entgegengehalten, daß der Wortlaut der Bezugnahme eindeutig und die Beschränkung der Anwendung der Tarifregelung im Sinne der Gleichstellung mit den organisierten Arbeitnehmern für den Arbeitnehmer nicht erkennbar seien. Im übrigen könne ein dem Arbeitnehmer unbekannter Umstand, dh. die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers, nicht maßgeblich sein für die Auslegung der Bezugnahmeklausel in dem Sinne, daß die eine wortlautgleiche Bezugnahmeklausel bei Tarifgebundenheit des Arbeitgebers als Gleichstellungsabrede, bei fehlender Tarifgebundenheit des Arbeitgebers als „feste” Bezugnahme ausgelegt werde.
Diese Bedenken berücksichtigen nicht hinreichend die dargestellten besonderen arbeitsrechtlich vorstrukturierten Bedingungen bei Vertragsschluß, die bei der Auslegung der Bezugnahmeklausel zu beachten sind. Der Arbeitgeber darf bei Vertragsschluß nicht erfragen, ob der Arbeitnehmer tarifgebunden ist oder nicht. Wenn ein Arbeitgeber von sich aus die Anwendbarkeit der einschlägigen Tarifverträge anbietet, erfolgt das typischerweise deshalb, weil er an die in Bezug genommenen Tarifverträge gebunden ist und mit der Bezugnahme eine Gleichstellung der tarifgebundenen und der nichttarifgebundenen Arbeitnehmer erreichen will. Diese objektiven, durch das arbeitsrechtliche Frageverbot nach der Gewerkschaftszugehörigkeit des Arbeitnehmers bedingten Umstände sind von dem Empfängerhorizont des verständigen Arbeitnehmers her erkennbar. Wenn keine entgegenstehenden Anhaltspunkte vorliegen, muß der Arbeitnehmer davon ausgehen, daß eine Bezugnahmeklausel, die von der Arbeitgeberseite angeboten wird, als Gleichstellungsabrede gemeint ist.
Es ist somit nicht Voraussetzung für die Auslegung der Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede, daß der Arbeitgeber seine Tarifgebundenheit offenlegt oder den Gleichstellungszweck der Bezugnahme anders zum Ausdruck bringt. Im Sinne einer typisierenden Betrachtung ist angesichts der arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen bei verständiger Würdigung davon auszugehen, daß eine Bezugnahmeklausel vom Arbeitgeber bei eigener Tarifgebundenheit an die in Bezug genommenen Tarifverträge und somit mit der Zielsetzung der Gleichstellung von Tarifgebundenen und Nichttarifgebundenen angeboten wird. Dem Arbeitnehmer steht es anders als dem Arbeitgeber frei, durch die zulässige und von dem Arbeitgeber zu beantwortende Frage nach der Mitgliedschaft des Arbeitgebers in dem zuständigen Arbeitgeberverband eine Klärung der Bedeutung der Bezugnahmeklausel herbeizuführen (vgl. dazu Gaumann/Schafft NZA 2001, 1125) und auf einer „arbeitgeberverbandsaustrittsfesten” Bezugnahmeklausel zu bestehen.
(2) Gegen die Auslegung als Gleichstellungsabrede spricht des weiteren nicht, daß die Bezugnahmeklausel nicht nur die Gleichstellung mit den organisierten Beschäftigten bezweckt, sondern auch die Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen und die Vereinfachung der Vertragsgestaltung. Diese Zwecke sind bei der Auslegung der Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede ebenfalls erfüllt. Auch bei einer Gleichstellungsabrede müssen die einzelnen tariflich geregelten Arbeitsbedingungen nicht in den Arbeitsvertrag aufgenommen bzw. bei Tarifänderungen geändert werden. Ebenso wird die Einheitlichkeit der Arbeitsbedingungen im Betrieb gewahrt. Das gilt nicht nur für die Dauer der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers, sondern auch für die Zeit nach deren Beendigung. Dann finden für die Nichttarifgebundenen die Tarifverträge ebenso Anwendung, wie sie normativ für die Tarifgebundenen auf Grund der „Nachbindung” des Arbeitgebers gem. § 3 Abs. 3 TVG bzw. der Nachwirkung gem. § 4 Abs. 5 TVG gelten, also statisch.
(3) Das Landesarbeitsgericht hat seine abweichende Auffassung schließlich darauf gestützt, daß die Gleichstellung von tarifgebundenen und nichttarifgebundenen Arbeitnehmern auch ohne die Auslegung der Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede erreicht werde. Die Bezugnahmeklausel habe in den Arbeitsverträgen mit tarifgebundenen Arbeitnehmern ebenfalls konstitutive Bedeutung. Deshalb würde die tarifliche Regelung bei einem Verbandsaustritt des Arbeitgebers für die Organisierten über die Bezugnahmeklausel ebenfalls weiterhin dynamisch zur Anwendung kommen.
Dies trifft bei der Gleichstellungsabrede im Sinne der Rechtsprechung des Senats, nach der der Arbeitnehmer so gestellt werden soll, als wäre er tarifgebunden, nicht zu. Bei diesem Verständnis der Gleichstellungsabrede kommt es nicht darauf an, ob sie bei Tarifgebundenheit des Arbeitnehmers deklaratorisch oder konstitutiv wirkt (Oetker Anm. zu Senat 24. November 1999 – 4 AZR 666/98 – SAE 2000, 324, 327, 328). Solange der Arbeitgeber tarifgebunden ist, gilt der einschlägige Tarifvertrag kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Arbeitsvertragsparteien für diese unmittelbar und zwingend. Daß der Arbeitnehmer sich zugleich auf eine konstitutiv wirkende dynamische Verweisung berufen kann, ist zwar zutreffend, aber nicht von praktischer Bedeutung. Nach Beendigung der Mitgliedschaft des Arbeitgebers im Arbeitgeberverband und seiner Nachbindung nach § 3 Abs. 3 TVG wirken die vormals unmittelbar und zwingend für das Arbeitsverhältnis geltenden Tarifverträge nach § 4 Abs. 5 TVG nach. Sie haben für dieses aber keine zwingende Wirkung mehr. Die nach wie vor geltende arbeitsvertragliche Vereinbarung, der Arbeitnehmer werde so gestellt, als wäre er tarifgebunden, führt auch bei konstitutiver Wirkung derselben nicht zur Teilnahme des Arbeitnehmers an den nach Verbandsaustritt des Arbeitgebers vereinbarten und in Kraft getretenen Tarifänderungen. Denn mangels der Mitgliedschaft des Arbeitgebers im tarifschließenden Verband fehlt die Voraussetzung der beiderseitigen Tarifgebundenheit. Diesbezüglich trifft die Gleichstellungsabrede keine ersetzende Regelung.
cc) Nach diesen Grundsätzen für die Auslegung einer Bezugnahmeklausel ist die vorliegende Absprache als Gleichstellungsabrede zu verstehen. Der Beklagte war zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 22. Oktober 1985 kraft Mitgliedschaft in dem zuständigen Arbeitgeberverband an die in Bezug genommenen einschlägigen Tarifverträge gebunden. Aus dem Wortlaut der Bezugnahmeregelung ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine „feste” Bezugnahmeregelung. Sonstige für eine solche vom Regelfall abweichende Auslegung sprechende konkrete Umstände hat die Klägerin nicht vorgetragen und das Landesarbeitsgericht demzufolge nicht festgestellt. Deshalb ist im Sinne einer an der typischen Interessenlage orientierten Auslegung im Streitfall von einer Gleichstellungsabrede auszugehen.
d) Als Gleichstellungsabrede führt die arbeitsvertragliche Bezugnahme hier nicht zur Anwendbarkeit des VTV 1999.
Die Gleichstellungsabrede stellt die nichttarifgebundene Klägerin so, wie wenn sie tarifgebunden wäre. Wenn für die tarifgebundenen Arbeitnehmer tarifrechtlich eine Änderung eintritt, gilt das für die Klägerin auf Grund der Gleichstellungsabrede entsprechend. Nach § 3 Abs. 3 TVG fällt mit dem Verbandsaustritt des Beklagten zum 31. Dezember 1998 die Tarifgebundenheit nicht weg, sondern erst mit der Beendigung des Tarifvertrages. Dem schließt sich die Nachwirkung entsprechend § 4 Abs. 5 TVG an. Für die tarifgebundenen Arbeitnehmer gilt demnach der alte Vergütungstarifvertrag zunächst nach § 3 Abs. 3 TVG und mit Abschluß des VTV 1999 nach § 4 Abs. 5 TVG statisch weiter. Die Grundlage für die tarifrechtliche Geltung des VTV 1999 ist mit dem Verbandsaustritt des Beklagten entfallen. Folglich gilt dieser auch nicht für die insoweit vertraglich gleichgestellte nichttarifgebundene Klägerin. Diese hat, wie die tarifgebundenen Arbeitnehmer kraft Nachwirkung, Anspruch auf Vergütung nach dem durch den VTV 1999 abgelösten Vergütungstarifvertrag. Diese hat sie erhalten.
2. Der Anspruch der Klägerin auf die Vergütung nach dem VTV 1999 ergibt sich auch nicht aus der Betriebsvereinbarung vom März 1983. Das Landesarbeitsgericht hat – wegen der von ihm angenommenen vertraglichen Anspruchsgrundlage – diese Anspruchsgrundlage nicht mehr geprüft. Die Betriebsvereinbarung bestimmt, daß tariflich vereinbarte prozentuale Gehaltserhöhungen auch den Angestellten gewährt werden, die nicht dem Tarifvertrag unterliegen.
Diese Regelung wirkt nicht zugunsten der Klägerin. Denn diese Vereinbarung ist von dem Beklagten zum 31. Dezember 1998 gekündigt worden. Sie entfaltet keine Nachwirkung. Sie ist jedenfalls keine sog. erzwingbare Betriebsvereinbarung iSd. § 77 Abs. 6 BetrVG. Daher bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob nach § 77 Abs. 3 BetrVG die betriebliche Regelung über die Weitergabe von Tariferhöhungen an die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer zulässig und somit als Betriebsvereinbarung wirksam war (vgl. Schaub Arbeitsrechts-Handbuch 9. Aufl. § 231 Rn. 26 aE).
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Unterschriften
Bott, Friedrich, Wolter, E. Wehner, von Dassel
Fundstellen
Haufe-Index 738249 |
BAGE, 120 |
BB 2002, 1264 |
DB 2002, 1005 |
BuW 2002, 700 |
ARST 2001, 287 |
EWiR 2002, 967 |
FA 2001, 378 |
FA 2002, 207 |
FA 2002, 255 |
NZA 2002, 634 |
SAE 2002, 204 |
ZIP 2002, 999 |
AP, 0 |
AuA 2001, 516 |
EzA-SD 2002, 13 |
EzA |
NJ 2002, 446 |
AUR 2002, 237 |
AUR 2002, 390 |
RdW 2002, 405 |