Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässigkeit der Auflösung eines Berufsausbildungsverhältnisses durch Urteil
Leitsatz (redaktionell)
Die Vorschrift des § 13 Abs 1 Satz 3 KSchG über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitnehmers nach unwirksamer fristloser Arbeitgeberkündigung ist auf das Berufsausbildungsverhältnis nicht anwendbar.
Normenkette
BBiG §§ 15, 3 Abs. 2; KSchG § 9 Fassung 1969-08-25, § 13 Fassung 1969-08-25
Verfahrensgang
LAG Saarland (Entscheidung vom 13.04.1983; Aktenzeichen 1 Sa 152/82) |
ArbG Saarlouis (Entscheidung vom 30.09.1982; Aktenzeichen 2 Ca 270/82) |
Tatbestand
Der am 27. Oktober 1962 geborene Kläger befand sich seit dem 1. August 1980 bei dem Beklagten in einem bis zum 31. Januar 1984 befristeten Ausbildungsverhältnis als Auszubildender für das Handwerk des Elektroinstallateurs. Der Ausbildungsvertrag wurde für den Kläger von seinen Eltern als den damaligen gesetzlichen Vertretern am 20. Juli 1980 geschlossen und schriftlich niedergelegt. Die Ausbildungsvergütung sollte nach Buchstabe E des Vertrages im zweiten Ausbildungsjahr 321,-- DM brutto betragen. Nach einem Arbeitsunfall am 2. Februar 1982 war der Kläger bis zum 29. März 1982 krank und ausbildungsunfähig. Am 22. März 1982 suchte der Kläger den Beklagten auf, weil dieser in den letzten drei Monaten zuvor die Ausbildungsvergütung nicht gezahlt hatte. Nach der Unterredung kündigte der Beklagte das Ausbildungsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 24. März 1982 "..... wegen ungehörigem Betragen und ständigen Beleidigungen mir gegenüber ....." fristlos. Dieses Schreiben ging dem Kläger am 26. März 1982 zu.
Gegen diese Kündigung hat sich der Kläger mit der am 16. April 1982 beim Arbeitsgericht eingegangenen Feststellungsklage gewandt.
Der Kläger hat vorgetragen:
Die Kündigung sei unwirksam, weil das Kündigungsschreiben keine ausreichende schriftliche Begründung enthalte. Dem Formerfordernis des § 15 Abs. 3 BBiG sei auch nicht dadurch Genüge getan, daß der Beklagte im Termin vom 30. September 1982 die angeblichen Kündigungsgründe präzisiert habe. Die Kündigung sei auch materiell nicht begründet, weil er den Beklagten bei der Unterredung im März 1982 nicht beleidigt habe. Sie sei offenbar lediglich wegen seiner Krankheit erfolgt. Die Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses sei ihm unzumutbar. Er habe keine ordnungsgemäße Ausbildung erfahren. Rückfragen habe der Beklagte mit Beschimpfungen beantwortet. Der Beklagte habe oftmals von ihm verlangt, samstags zu arbeiten bzw. Überstunden zu leisten, und für den Fall, daß er dieser Aufforderung nicht nachkommen würde, mit Entlassung gedroht. Bei einem zufälligen Treffen in einer Gaststätte nach Ausspruch der Kündigung habe ihn der Beklagte in Gegenwart von Gästen lauthals beleidigt und schriftlich wahrheitswidrig behauptet, mit seiner (des Klägers) Mutter ein intimes Verhältnis zu haben.
Der Kläger hat beantragt,
1. festzustellen, daß das zwischen den Parteien
geschlossene Berufsausbildungsverhältnis durch
die Kündigung des Beklagten vom 24. März 1982
nicht aufgelöst worden ist,
2. das Ausbildungsverhältnis gegen Zahlung einer
Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des
Gerichtes gestellt wird, jedoch 3.000,-- DM
nicht unterschreiten sollte, aufzulösen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Er hat vorgetragen, der Kläger sei bei ihm ordnungsgemäß angeleitet worden, habe keine Überstunden verrichten müssen und sei auch nicht beschimpft worden. Allerdings hätten sich mehrere Kunden bei ihm über das Verhalten des Klägers beschwert und angekündigt, keine weiteren Aufträge zu erteilen, falls der Kläger bei ihnen eingesetzt werde. Als man sich bei der Unterredung im März 1982 nicht habe einigen können, habe ihn der Kläger mit groben Ausdrücken beleidigt. Während der Krankheit des Klägers habe er ihn mehrere Male besuchen wollen, aber nicht angetroffen. Der Kläger habe mehrfach die Arbeit verweigert, die Mittagspause weit überzogen und die Schule nicht regelmäßig besucht. Den Vorfall in der Gaststätte habe der Kläger unrichtig dargestellt.
Das Kündigungsschreiben sei nicht formunwirksam. Die in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit den im Kündigungsschreiben erwähnten Beleidigungen ausgesprochene Kündigung habe sich nur auf diese beziehen können, zumal er anläßlich des Vorfalls am 22. März 1982 die fristlose Entlassung bereits angekündigt habe. Er habe die Beleidigungen zudem im Termin vom 30. September 1982 präzisiert. Der Auflösungsantrag sei bereits deshalb unbegründet, weil die Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes über die Auflösung von Arbeitsverhältnissen auf Berufsausbildungsverhältnisse nicht anzuwenden seien. Dem Kläger wäre die Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses auch nicht unzumutbar gewesen.
Das Arbeitsgericht hat das Berufsausbildungsverhältnis der Parteien mit Wirkung zum 26. März 1982 gegen Zahlung einer Abfindung von 2.000,-- DM aufgelöst. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht dieses Urteil teilweise abgeändert. Es hat festgestellt, daß das Berufsausbildungsverhältnis durch die fristlose Kündigung des Beklagten vom 24. März 1982 nicht aufgelöst worden ist, und den Auflösungsantrag des Klägers abgewiesen. Die Kosten hat es zu einem Viertel dem Kläger und zu drei Viertel dem Beklagten auferlegt.
Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Auflösungsantrag weiter, während der Beklagte mit der unselbständigen Anschlußrevision die vollständige Abweisung der Klage begehrt.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen der Parteien sind unbegründet.
I. Die zulässige Anschlußrevision des Beklagten bleibt ohne Erfolg. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, daß die fristlose Kündigung des Beklagten formnichtig ist.
1. Die Anschlußrevision rügt, das Berufungsgericht habe zu Unrecht über den Feststellungsantrag des Klägers entschieden, weil dieser nicht mehr Gegenstand des Berufungsverfahrens gewesen sei. Das Urteil des Arbeitsgerichts enthalte nur einen Ausspruch über die Auflösung des Berufsausbildungsverhältnisses. Da das Arbeitsgericht aber eine abschließende Entscheidung getroffen habe, habe es damit den Feststellungsantrag übergangen. Nachdem der Kläger keine Ergänzung des Urteils beantragt habe, sei die Rechtshängigkeit des Feststellungsantrages erloschen.
Diese Rüge, mit der sachlich eine Verletzung des § 308 Abs. 1 ZPO geltend gemacht wird, ist unbegründet. Die Anschlußrevision verkennt die inhaltliche Tragweite des Tenors des arbeitsgerichtlichen Urteils. Das Arbeitsgericht hat mit dem Ausspruch über die Auflösung des Berufsausbildungsverhältnisses gleichzeitig über den Feststellungsantrag entschieden und die Unwirksamkeit der Kündigung des Beklagten festgestellt. Wird ein Arbeitsverhältnis durch Urteil aufgelöst, so ist es nicht erforderlich, daß die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung im Urteilstenor zum Ausdruck kommt. Es genügt vielmehr, wenn das Gericht hierzu in den Entscheidungsgründen Stellung nimmt und im Urteilstenor lediglich die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung ausspricht (BAG Urteil vom 9. Dezember 1955 - 1 AZR 531/54 - AP Nr. 2 zu § 7 KSchG; KR-Becker, 2. Aufl., § 9 KSchG Rz 84; Hueck, KSchG, 10. Aufl., § 9 Rz 26; Herschel/Löwisch, KSchG, 6. Aufl., § 9 Rz 49). Somit war die in dem Urteil des Arbeitsgerichts enthaltene Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung auch Streitgegenstand des Berufungsverfahrens, nachdem der Beklagte eine unbeschränkte Berufung eingelegt hatte. Hielt das Berufungsgericht nur den Auflösungsantrag für unbegründet, mußte es, wie geschehen, im Tenor gesondert feststellen, daß das Berufsausbildungsverhältnis durch die fristlose Kündigung nicht aufgelöst ist, und den Auflösungsantrag abweisen, um die teilweise Abänderung des erstinstanzlichen Urteils deutlich werden zu lassen (vgl. KR-Becker, aaO, Rz 82; Hueck, aaO, § 9 Rz 24; Herschel/Löwisch, aaO, § 9 Rz 47).
2. Das Berufungsgericht hat auch sachlich zu Recht dem Feststellungsantrag stattgegeben.
a) Das Berufungsgericht hat angenommen, die Kündigung sei unwirksam, weil das Kündigungsschreiben vom 24. März 1982 dem Formerfordernis des § 15 Abs. 3 BBiG nicht genüge. Die Angabe der für die Kündigung maßgeblichen Tatsachen im Kündigungsschreiben sei danach Wirksamkeitsvoraussetzung für die außerordentliche Kündigung eines Berufsausbildungsverhältnisses. Die Kündigungsgründe müßten so bezeichnet werden, daß der Kündigungsempfänger eindeutig erkennen könne, um welche Vorfälle es sich handele. Diesen Anforderungen genüge das Kündigungsschreiben des Beklagten nicht, da es nur pauschale Werturteile enthalte. Auch wenn sich diese Vorwürfe auf das Verhalten des Klägers zwei Tage vor Ausspruch der Kündigung bezögen und damals bereits die fristlose Entlassung angekündigt worden sei, habe der Kläger dem Schreiben nicht eindeutig entnehmen können, auf welche Gründe der Beklagte die fristlose Kündigung letztlich gestützt habe. Der Beklagte habe sich nämlich im Kündigungsschreiben auf s t ä nd i g e Beleidigungen des Klägers berufen und im Laufe des Rechtsstreits für die Kündigung noch zusätzliche Gründe angeführt. Daß der Beklagte in der Güteverhandlung die im Kündigungsschreiben genannten Gründe teilweise präzisiert habe, sei schon deshalb unerheblich, weil das Nachholen einer mangelnden Begründung nicht zulässig sei.
b) Diese Würdigung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
aa) Nach § 15 Abs. 3 BBiG muß die fristlose Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses aus wichtigem Grund schriftlich unter Angabe der Kündigungsgründe erfolgen. Das Berufungsgericht ist für die Auslegung dieser Vorschrift von der Rechtsprechung des Senats ausgegangen (BAG 24, 133 = AP Nr. 1 zu § 15 BBiG; Urteil vom 25. November 1976 - 2 AZR 751/75 - AP Nr. 4 zu § 15 BBiG, zu III 1 der Gründe). Danach müssen die Kündigungsgründe im Kündigungsschreiben angegeben werden. Dies entspricht dem Sinn und Zweck des Begründungszwangs, dem Gekündigten die Prüfung zu ermöglichen, ob er die vorgetragene Begründung anerkennen könne oder nicht und ob es aussichtsreich sei, sich gegen die Kündigung zu wenden. Zwar ist keine volle Substantiierung wie im Prozeß zu verlangen. Die Kündigungsgründe müssen jedoch so genau bezeichnet werden, daß der Kündigungsempfänger erkennen kann, um welche konkreten Vorfälle es sich dabei handelt. Der Kündigende muß die Tatsachen mitteilen, die für die Kündigung maßgebend sind; Werturteile reichen nicht aus. Die mangelnde Begründung kann nicht nachgeholt werden. Die Kündigung ist gemäß § 125 BGB wegen Formmangels nichtig, wenn die schriftliche Begründung fehlt oder nicht ausreicht. Diese Auslegung hat jedenfalls insoweit, als sie die Kündigung durch den Ausbildenden betrifft, im Schrifttum einhellige Zustimmung gefunden (Frey, AuR 1973, 92, 96; Gedon/Spiertz, Berufsbildungsrecht, Stand 1983, § 15 Anm. 4; Herkert, BBiG, § 15 Rz 7 bis 8; Knigge, AR-Blattei, Berufsausbildung II, D IV 1 c; Knopp/Kraegeloh, BBiG, 2. Aufl., § 15 Rz 4; Monjau, SAE 1973, 108, 111; Natzel, Berufsbildungsrecht, 3. Aufl., Teil B Kapitel 7 II 4, S. 290, 291; Schiekel/Oestreicher, Berufsbildungsgesetz, Stand 1984, § 15 Anm. 5; Söllner, Anm. zu AP Nr. 1 zu § 15 BBiG, unter 1 und 3; Stahlhacke, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 4. Aufl., Rz 55; Weber, Berufsbildungsgesetz, Stand 1984, § 15 Anm. 3; KR-Weigand, 2. Aufl., §§ 14, 15 BBiG, Rz 94, 95).
bb) Das Berufungsgericht hat diese Grundsätze auch zutreffend auf den vorliegenden Fall angewendet.
Das Kündigungsschreiben selbst enthält lediglich pauschale Werturteile. Auch wenn man dies genügen ließe, sofern der Kündigungsempfänger kurz vor Ausspruch der Kündigung eingehend auf die Kündigungsgründe hingewiesen worden wäre (offen gelassen in BAG 24, 133, zu 2 b der Gründe), könnte im vorliegenden Fall die schriftliche Begründung nicht als ausreichend angesehen werden. Das Berufungsgericht hat in diesem Zusammenhang die Behauptung des Beklagten, er habe anläßlich der Auseinandersetzung am 22. März 1982 die fristlose Entlassung angekündigt, zu Recht für unerheblich angesehen. Der Beklagte hat in dem Kündigungsschreiben von "ständigen" Beleidigungen des Klägers ihm gegenüber gesprochen. Diese Formulierung deutet auf mehrfache Vorfälle dieser Art hin und stellt deshalb keine eindeutige Bezugnahme auf ein bestimmtes Ereignis, nämlich die Auseinandersetzung vom 22. März 1982 dar. Das Berufungsgericht hat somit zutreffend angenommen, daß der Kläger dem Kündigungsschreiben nicht entnehmen konnte, auf welche tatsächlichen Vorgänge die Kündigung gestützt werde. Der Beklagte hat zudem später auch noch andersartige Gründe angeführt, die in dem Kündigungsschreiben nicht einmal mehr andeutungsweise angesprochen sind. Mit seinem Vortrag im Termin vom 30. September 1982 hat der Beklagte die im Kündigungsschreiben angedeuteten Kündigungsgründe somit nicht lediglich konkretisiert, sondern die nach § 15 Abs. 3 BBiG erforderliche Begründung nachgeholt. Damit konnte er die unzureichende Begründung im Kündigungsschreiben jedoch nicht ersetzen.
Ohne Erfolg verweist die Anschlußrevision darauf, durch den Begründungszwang solle nicht erreicht werden, daß sich ein mit der Sache vorher nicht befaßter Dritter ein Bild über die Berechtigung der Kündigung machen könne. Denn das Berufungsgericht hat zutreffend darauf abgestellt, wie der Kläger als der Kündigungsempfänger das Schreiben auffassen konnte. Entgegen der Meinung der Anschlußrevision stellt die vom Senat vertretene Auslegung des § 15 Abs. 3 BBiG auch keine unerfüllbaren Anforderungen an den Ausbildenden. Um die kündigungsbegründenden Tatsachen dem Auszubildenden verständlich und nachprüfbar schriftlich mitzuteilen, sind keine Fähigkeiten im schriftlichen Ausdruck erforderlich, die die Anforderungen übersteigen, denen der Ausbildende zur Bewältigung des sonst in seinem Betrieb anfallenden Schriftverkehrs genügen muß.
II. Die Revision des Klägers ist ebenfalls unbegründet.
1. Das Berufungsgericht hat die Abweisung des Auflösungsantrages des Klägers tragend darauf gestützt, bei Berufsausbildungsverhältnissen komme eine Auflösung durch das Gericht gegen Zahlung einer Abfindung nicht in Betracht. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, § 13 Abs. 1 Satz 3 KSchG sei mit Wesen und Zweck des Berufsausbildungsverhältnisses unvereinbar. Zweck des Berufsausbildungsverhältnisses sei es, dem Auszubildenden eine ordnungsgemäße Berufsausbildung zuteil werden zu lassen und dieses Ziel nach Möglichkeit zu erreichen. Das komme unter anderem darin zum Ausdruck, daß das Berufsausbildungsverhältnis nach Ablauf der Probezeit nur aus wichtigem Grund gekündigt werden könne und damit die ordentliche Kündigung ohne Rücksicht auf § 1 KSchG stets unzulässig sei. Diese Grundtendenz dürfe durch die Anwendung des § 13 KSchG nicht in ihr Gegenteil verkehrt werden. Die Möglichkeit der Auflösung würde den Auszubildenden zudem gegenüber einer Schadenersatzforderung nach eigener Kündigung gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 BBiG benachteiligen, der sich meist aus der Differenz der Ausbildungsvergütung und der Vergütung für eine Fachkraft berechne und regelmäßig höher sei als eine Abfindung.
2. Dieser Würdigung stimmt der Senat im Ergebnis und im wesentlichen auch in der Begründung zu.
a) Der Kläger stützt seinen Auflösungsantrag auf § 13 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit §§ 9, 10 KSchG. Danach kann der Arbeitnehmer im Falle einer unwirksamen fristlosen Arbeitgeberkündigung die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Abfindung beantragen. Das Kündigungsschutzgesetz enthält keine ausdrückliche Regelung der Frage, ob Auszubildende als Arbeitnehmer und Berufsausbildungsverhältnisse als Arbeitsverhältnisse anzusehen sind und das Gesetz deshalb grundsätzlich auch auf Ausbildungsverhältnisse anzuwenden ist. Andererseits bestimmt § 3 Abs. 2 BBiG, daß auf den Berufsausbildungsvertrag, soweit sich aus seinem Wesen und Zweck und aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, die für den Arbeitsvertrag geltenden Rechtsvorschriften und Rechtsgrundsätze anzuwenden sind. Im schriftlichen Bericht des Bundestagsausschusses für Arbeit zum Berufsbildungsgesetz (BT-Drucks. V/4260) ist zu dieser Vorschrift ausgeführt worden, soweit arbeitsrechtliche Rechtsvorschriften bestünden, die das Berufsausbildungsverhältnis nicht ausdrücklich einbezögen, z. B. das Kündigungsschutzgesetz, solle deren Anwendung sichergestellt sein. Ob das Kündigungsschutzgesetz danach allgemein auf Berufsausbildungsverhältnisse anzuwenden ist, soweit das Berufsbildungsgesetz selbst nicht abweichende Vorschriften enthält (z. B. über den grundsätzlichen Ausschluß der ordentlichen Kündigung nach Ablauf der Probezeit und die Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses durch Fristablauf (§§ 14, 15 BBiG), ist im Schrifttum umstritten. Für die grundsätzliche Anwendung haben sich ausgesprochen: Gedon/Spiertz, aaO, § 3 Anm. 2; Herbst/Weber, BBiG, § 3 Erl. zu Abs. 2; Herschel/Löwisch, aaO, § 1 Rz 15, § 13 Rz 5; Hueck, aaO, § 1 Rz 16, § 13 Rz 23; Knopp/Kraegeloh, aaO, § 3 Rz 3, § 15 Rz 4; Natzel, aaO, Teil B Kapitel 7 III 1, S. 295; Weber, aaO, § 3 Anm. 2; Stahlhacke, aaO, Rz 449. Dagegen wird die Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes grundsätzlich abgelehnt von KR-Becker, 2. Aufl., § 1 KSchG Rz 36; Hurlebaus, BB 1975, 1533, 1535; Rohlfing/Rewolle/Bader, KSchG, Stand 1984, § 1 Anm. 8 c, § 13 Anm. 2; Wenzel, BB 1969, 1402, 1404; KR- Weigand, aaO, Rz 123.
b) Die Anwendung des KSchG ist vorwiegend im Hinblick darauf erörtert worden, ob der Auszubildende gegenüber einer fristlosen Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses durch den Ausbildenden die Klagefrist des § 13 Abs. 1 Satz 2, § 4 Satz 1 KSchG einzuhalten hat. Der Senat hat diese Frage bisher offen gelassen (BAG 27, 279, zu II 1 der Gründe). Sie braucht auch für die Entscheidung des vorliegenden Falles nicht beantwortet zu werden. Jedenfalls die Auflösung des Berufsausbildungsverhältnisses durch Gerichtsurteil nach fristloser Kündigung durch den Ausbildenden auf Antrag des Auszubildenden ist mit Wesen und Zweck des Berufsausbildungsvertrages nicht zu vereinbaren und deshalb nach § 3 Abs. 2 BBiG ausgeschlossen.
Wie sich aus § 1 Abs. 2, § 6 Abs. 1 Nr. 1, § 9 Nr. 1 bis 3 BBiG ergibt, ist es Zweck des Berufsausbildungsverhältnisses, dem Auszubildenden eine breit angelegte berufliche Grundausbildung und die für die Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit notwendigen fachlichen Fähigkeiten und Kenntnisse zu vermitteln. Anders als ein Arbeitsverhältnis erschöpft sich das Berufsausbildungsverhältnis nicht in dem Austausch von geschuldeter Arbeitsleistung und der vertraglichen oder normierten Gegenleistung sowie der Erfüllung damit zusammenhängender Nebenpflichten. Vielmehr sind die dem Auszubildenden im Rahmen seiner Berufsausbildung aufgetragenen Verrichtungen und erteilten Weisungen auf das genannte Ziel und damit auf einen dafür notwendigen länger dauernden Bestand ausgerichtet. Entsprechend endet das Berufsausbildungsverhältnis nach Ablauf der Probezeit vor Fristablauf auch, von Sonderfällen abgesehen, nur mit Bestehen der Prüfung (§ 14 Abs. 2 BBiG). Es besteht ein dem Arbeitsverhältnis gemäß § 620 BGB fremder Anspruch des Auszubildenden auf Verlängerung des befristeten Berufsausbildungsverhältnisses bis zur nächsten Wiederholungsprüfung, höchstens um ein Jahr. Außerdem ist die Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses nach Ablauf der Probezeit durch Kündigung erschwert. Entgegen den für Arbeitsverhältnisse geltenden Regelungen ist die dann für beide Seiten einzige Lösungsmöglichkeit durch einseitiges Rechtsgeschäft gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 BBiG auf das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund beschränkt. Daneben kann der Auszubildende lediglich bei Aufgabe der Berufsausbildung oder Wechsel der mit der Ausbildung erstrebten Berufstätigkeit gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 2 BBiG mit vierwöchiger Frist kündigen. In beiden Fällen bedarf auch die Kündigung durch den Auszubildenden nicht nur der Schriftform, sondern auch der schriftlichen Begründung (§ 15 Abs. 3 BBiG). Dabei handelt es sich um Erschwerungen auch für die Kündigung durch den Auszubildenden, die es für eine Arbeitnehmerkündigung auch dann nicht gibt, wenn das Kündigungsrecht des Arbeitgebers durch verlängerte Kündigungsfristen (§ 622 Abs. 2 Satz 2 BGB, § 2 AngKSchG), durch das Erfordernis des Vorliegens eines wichtigen Grundes (z. B. § 15 Abs. 2 KSchG) oder der Zustimmung einer Behörde (z. B. § 12 SchwbG, § 9 MuSchG) eingeschränkt ist. Bei Streitigkeiten über die Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses ist gemäß § 111 Abs. 2 ArbGG der Schlichtungsausschuß für Ausbildungsangelegenheiten, sofern er bei den Handwerksinnungen oder der jeweils zuständigen Stelle gebildet ist, vor Anrufung des Arbeitsgerichts einzuschalten. Auch diese Vorschrift hat bestandserhaltende Wirkung. Sie soll verhindern, daß sich die Parteien des Berufsausbildungsverhältnisses sogleich streitend vor Gericht gegenüberstehen, obwohl Ungewißheit über die rechtswirksame Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses besteht (BAG 27, 279, zu I 2 b der Gründe).
Bereits mit dem in diesen Vorschriften zum Ausdruck gekommenen, am Zweck des Berufsausbildungsverhältnisses ausgerichteten Interesse des Gesetzgebers an dem Fortbestand von Berufsausbildungsverhältnissen ist es unvereinbar, dem Auszubildenden bei unwirksamer Kündigung des Ausbildenden die erleichterte Auflösungsmöglichkeit nach § 13 Abs. 1 Satz 3, §§ 9, 10 KSchG zu eröffnen. Es kann deshalb offen bleiben, ob für diese Ansicht weiter angeführt werden könnte, daß die Möglichkeit der Auflösung den Auszubildenden auch gegenüber einer Schadenersatzforderung nach eigener fristloser Kündigung gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 BBiG benachteiligen würde. Der Senat befindet sich mit dieser Auffassung mit dem überwiegenden Teil des Schrifttums in Übereinstimmung, soweit die Anwendung des § 13 Abs. 1 Satz 3 KSchG gesondert erörtert wird (vgl. Herkert, aaO, § 15 Rz 27 c; Hurlebaus, aaO; Natzel, aaO, S. 296, der sich allerdings zu Unrecht auf das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin AP Nr. 2 zu § 15 BBiG beruft, das einen Auflösungsantrag des Arbeitgebers zum Gegenstand hatte, der auch bei grundsätzlicher Anwendung des § 13 Abs. 1 Satz 3 KSchG ausgeschlossen wäre; a. M. Hueck, aaO, § 13 Rz 23).
III.Entgegen der Ansicht der Anschlußrevision ist auch die Kostenentscheidung des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden. Im Kündigungsrechtsstreit liegt das Schwergewicht der Entscheidung regelmäßig auf der Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung. Unterliegt der Arbeitnehmer lediglich zum Auflösungsantrag, sind dementsprechend die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 92 Abs. 1 ZPO zu teilen. Es ist deshalb regelmäßig angemessen, der zum Feststellungsantrag unterliegenden Partei drei Viertel und der Gegenpartei ein Viertel der Verfahrenskosten aufzuerlegen (vgl. Senatsurteil vom 28. Januar 1961 - 2 AZR 482/59 - BAG 10, 340 = AP Nr. 8 zu § 7 KSchG, zu III der Gründe). Entsprechendes gilt gemäß § 92 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO für die Kosten des Revisionsverfahrens.
Hillebrecht Triebfürst Dr. Weller
Sickert Dr. Kirchner
Fundstellen
Haufe-Index 437812 |
DB 1985, 2515-2516 (LT1) |
AuB 1986, 128-128 (T) |
EzB ArbGG § 111, Nr 20 (L1) |
EzB BBiG § 1 Abs 2, Nr 20 (L1) |
EzB BBiG § 15 Abs 3, Nr 20 (L1) |
EzB BBiG § 16, Nr 11 (L1) |
EzB KSchG § 13, Nr 6 (LT1) |
ARST 1986, 18-20 (LT1) |
BlStSozArbR 1985, 342-343 (T) |
NZA 1986, 230-231 (LT1) |
AP § 13 KSchG 1969 (LT1), Nr 6 |
AR-Blattei, Berufsausbildung Entsch 45 (LT1) |
AR-Blattei, ES 400 Nr 45 (LT1) |
EzA § 9 nF KschG, Nr 19 (LT1) |