Entscheidungsstichwort (Thema)
Zusammentreffen von Arbeitsbefreiung und Freizeitausgleich
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung an einem sogenannten Vorfeiertag (§ 16 Abs 2 Satz 1 BAT) steht dem Angestellten auch dann zu, wenn er im Schichtdienst arbeitet und der Vorfeiertag ein Sonntag ist.
2. Kann die Arbeitsbefreiung aus dienstlichen oder betrieblichen Gründen nicht erteilt werden, steht dem Angestellten ein Anspruch auf entsprechende Freizeit an einem anderen Arbeitstag zu (§ 16 Abs 2 Satz 2 BAT). Ein Ausgleichszeitraum ist tariflich nicht geregelt.
3. Daneben besteht der Anspruch des Angestellten auf Ausgleich der dienstplanmäßigen Sonntagsarbeit durch entsprechende Freizeit an einem Werktag (§ 15 Abs 6 BAT).
4. Auf diesen (unbezahlten) Freizeitausgleich kann der Angestellte zur Erfüllung seines Anspruchs aus § 16 Abs 2 Satz 2 BAT nicht verwiesen werden.
Normenkette
BAT §§ 70, 15 Abs. 6, § 16 Abs. 2, § 35 Abs. 1 S. 2 Buchst. d
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 08.05.1991; Aktenzeichen 3 Sa 18/91) |
ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 15.01.1991; Aktenzeichen 1 Ca 4598/90) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin nach § 16 Abs. 2 BAT Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung der Vergütung zu erteilen ist.
Die Klägerin ist beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg als Datenerfasserin im Schichtdienst beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung. In §§ 15 und 16 BAT in der hier maßgeblichen Fassung heißt es:
"§ 15
...
(6) In Verwaltungen und Betrieben, deren Aufgaben
Sonntags- und Feiertagsarbeit erfordern, muß an
Sonntagen und an Wochenfeiertagen dienstplanmäßig
bzw. betriebsüblich gearbeitet werden ... Die
dienstplanmäßige bzw. betriebsübliche Arbeitszeit
an einem Sonntag ist durch eine entsprechende zu-
sammenhängende Freizeit an einem Werktag oder
ausnahmsweise an einem Wochenfeiertag der laufen-
den oder der folgenden Woche auszugleichen. ...
§ 16
(2) An dem Tage vor Neujahr, vor Ostersonntag,
vor Pfingstsonntag oder vor dem ersten Weih-
nachtsfeiertag wird, soweit die dienstlichen oder
betrieblichen Verhältnisse es zulassen, ab 12 Uhr
Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung der Vergütung
(§ 26) und der in Monatsbeträgen festgelegten Zu-
lagen erteilt. Dem Angestellten, dem diese Ar-
beitsbefreiung aus dienstlichen oder betriebli-
chen Gründen nicht erteilt werden kann, wird an
einem anderen Tage entsprechende Freizeit unter
Fortzahlung der Vergütung (§ 26) und der in Mo-
natsbeträgen festgelegten Zulagen erteilt. Kann
auch diese Freizeit nicht erteilt werden, wird
für die Arbeitszeit, die zwischen 12 Uhr und
6 Uhr des darauffolgenden Tages... liegt, der
Zeitzuschlag nach § 35 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe d
gezahlt.
Die Tätigkeit der Klägerin richtete sich nach einem Schichtplan, der auch regelmäßig Sonntagsarbeit vorsah. Dementsprechend war die Klägerin am 24. Dezember 1989, einem Sonntag in der Zeit von 13.30 Uhr bis 20.30 Uhr zur Arbeit eingeteilt. Hierfür erhielt sie an einem Werktag einen schichtplanmäßigen Freizeitausgleich. Mit Schreiben von 30. Januar 1990 verlangte die Klägerin außerdem für die am 24. Dezember 1989 geleisteten sieben Arbeitsstunden Freizeit unter Fortzahlung der Vergütung. Das beklagte Land lehnte dies mit dem Hinweis darauf ab, daß die Klägerin den schichtplanmäßigen Freizeitausgleich und außerdem die für die Sonntagsarbeit tariflich vorgesehene Zulage erhalten habe.
Die Klägerin hat gemeint, ihr stehe neben dem Freizeitausgleich nach § 15 Abs. 6 BAT entsprechende Freizeit unter Fortzahlung der Vergütung nach § 16 Abs. 2 Satz 2 BAT zu.
Die Klägerin hat beantragt festzustellen, daß das beklagte Land zu verpflichten ist, ihr sieben Stunden Freizeit unter Fortzahlung der laufenden Vergütung zu gewähren.
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Auffassung vertreten, neben dem Freizeitausgleich nach § 15 Abs. 6 BAT könne ein zusätzlicher Freizeitanspruch nach § 16 Abs. 2 BAT nicht entstehen. Falle der Tag vor dem ersten Weihnachtsfeiertag auf einen Sonntag, verbleibe es, auch wenn der Angestellte dienstplanmäßig zur Arbeit eingeteilt sei, bei dem Anspruch nach § 15 Abs. 6 BAT.
Die Vorinstanzen haben die Klage als unbegründet abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter, wobei sie jetzt statt um Feststellung um Leistung bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Die Klage ist begründet. I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Klägerin stehe der geltendgemachte Freizeitanspruch gemäß § 16 Abs. 2 BAT für den Tag vor dem ersten Weihnachtsfeiertag zu, obwohl dieser Tag ein Sonntag gewesen sei und sie dafür gemäß § 15 Abs. 6 BAT Freizeitausgleich erhalten habe. Der Freizeitausgleichsanspruch gemäß § 16 Abs. 2 BAT sei neben dem Anspruch auf Freizeitausgleich gemäß § 15 Abs. 6 BAT entstanden, weil beide Anspruchsgrundlagen unterschiedliche Regelungsinhalte aufwiesen. § 15 Abs. 6 BAT regele die Verteilung der regelmäßigen Arbeitszeit auf die einzelnen Tage einer jeden Woche, während § 16 Abs 2 BAT eine Befreiung von der Arbeitspflicht unter Fortzahlung der Vergütung und damit eine Verkürzung des zeitlichen Umfangs der Arbeitspflicht beinhalte. Dieser Anspruch auf Freizeitausgleich sei jedoch zeitlich so eng mit dem ersten Weihnachtsfeiertag verbunden, daß er nur in zeitlich nahem Zusammenhang mit diesem Feiertag zu gewähren sei. Daher könne die Befreiung von der Arbeitspflicht für den Tag vor dem ersten Weihnachtsfeiertag 1989 jetzt (Mai 1991) nicht mehr durch Freizeit ausgeglichen werden.
Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts sind, soweit sie den Verfall des Klageanspruchs betreffen, rechtsfehlerhaft.
II. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Klägerin gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 BAT ein Anspruch auf Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung der Vergütung zustand.
1. Nach dieser Bestimmung wird am Tag vor dem ersten Weihnachtsfeiertag, soweit die dienstlichen oder betrieblichen Verhältnisse es zulassen, ab 12.00 Uhr Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung der Vergütung (§ 26) und der in Monatsbeiträgen festgelegten Zulagen erteilt. Dem Angestellten, dem diese Arbeitsbefreiung aus dienstlichen oder betrieblichen Gründen nicht erteilt werden kann, wird nach § 16 Abs. 2 Satz 2 BAT an einem anderen Tag entsprechende Freizeit unter Fortzahlung der genannten Leistungen erteilt. Diese Voraussetzungen waren am 24. Dezember 1989 bei der Klägerin gegeben. Die Klägerin mußte an diesem Tag schichtplangemäß bis 20.30 Uhr arbeiten.
2. Diesem Anspruch nach § 16 Abs. 2 BAT stand nicht entgegen, daß der Tag vor dem ersten Weihnachtsfeiertag im Jahr 1989 ein Sonntag war und die Klägerin deshalb schichtplanmäßig für diesen Tag Freizeit gemäß § 15 Abs. 6 BAT beanspruchen konnte und unstreitig erhalten hat. Beide Vorschriften haben unterschiedliche Regelungsinhalte.
Gemäß § 15 Abs. 6 Unterabs. 1 Satz 3 BAT ist die dienstplanmäßige Arbeitszeit an einem Sonntag durch eine entsprechende zusammenhängende Freizeit grundsätzlich an einem Werktag auszugleichen. Dieser Freizeitausgleich ist in den Schichtplänen bei Verwaltungen und Betrieben, deren Aufgaben Sonntags- und Feiertagsarbeit erfordern, stets vorzusehen (vgl. BAG Urteile vom 9. Oktober 1991 - 6 AZR 370/89 - und vom 11. Juni 1992 - 6 AZR 122/91 - zur Veröffentlichung bestimmt). Diese Vorschrift regelt die Verteilung der regelmäßigen Arbeitszeit auf die einzelnen Tage einer jeden Woche und gewährleistet damit, daß auch der Schichtarbeiter, der an einem Sonntag arbeiten muß, zeitlich nicht mehr arbeitet als die regelmäßige durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit. Die Freizeit, die zu diesem Zweck gewährt werden muß, ist unbezahlte Freizeit und führt demgemäß nicht zu einer Verkürzung der regelmäßigen durchschnittlichen Wochenarbeitszeit. Demgegenüber regelt § 16 Abs. 2 BAT Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung der Vergütung. Diese Bestimmung bezweckt damit eine Freistellung von der Arbeitspflicht, die sich bei im Schichtdienst eingeteilten Angestellten aus dem Schichtplan ergibt, und führt so zur Verkürzung der regelmäßigen durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit, wobei der Lohnanspruch für die Zeit der Arbeitsbefreiung bestehen bleibt.
Aus diesen unterschiedlichen Regelungszwecken folgt, daß die Beklagte nicht durch die Gewährung der schichtplanmäßigen unbezahlten Freizeit nach § 15 Abs. 6 BAT der Klägerin zugleich die bezahlte Arbeitsbefreiung nach § 16 Abs. 2 BAT erteilt hat. Neben den Freizeitausgleich nach § 15 Abs. 6 BAT tritt somit die Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung der Vergütung im Sinne des § 16 Abs. 2 BAT, wenn die dort geregelten Voraussetzungen vorliegen.
3. Der Anspruch auf entsprechende Freizeit nach § 16 Abs. 2 Satz 2 BAT ist auch nicht in einen Zahlungsanspruch nach § 16 Abs. 2 Satz 3 BAT übergegangen. Danach wird ein Zeitzuschlag gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe d BAT gezahlt, wenn die entsprechende Freizeit nicht erteilt werden kann. Die Beklagte hat nicht geltend gemacht, daß sie die Freizeit nicht erteilen konnte, sondern hat sich vielmehr darauf berufen, daß sie dazu rechtlich nicht verpflichtet sei.
4. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts ist der Anspruch auf Freizeit gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 BAT nicht deshalb untergegangen, weil er nur in zeitlichem Zusammenhang mit dem ersten Weihnachtsfeiertag gewährt werden kann. Die Tarifvertragsparteien haben in § 16 Abs. 2 Satz 2 BAT für den Anspruch auf entsprechende Freizeit keinen Ausgleichszeitraum bestimmt. Deshalb kann nicht davon ausgegangen werden, daß sie einen zeitlichen Zusammenhang zwischen den Vorfesttagen und der zu erteilenden entsprechenden Freizeit gewollt haben. § 16 Abs. 2 Satz 2 BAT bestimmt lediglich, daß die entsprechende Freizeit an einem anderen Tage zu gewähren ist. Sinn und Zweck diese Regelung ist es, dem Arbeitgeber die Möglichkeit einzuräumen unter Beachtung dienstlicher und betrieblicher Gründe den Tag zu bestimmen, an dem er während der regelmäßigen Arbeitszeit die Freizeit gewährt. Ein zeitlicher Rahmen für die Freizeitgewährung ist damit nicht bestimmt. Nur wenn aus dienstlichen und betrieblichen Gründen auch entsprechende Freizeit nicht gewährt werden kann, wandelt sich der Freizeitanspruch nach § 16 Abs. 2 Satz 3 BAT in einen Zahlungsanspruch um (vgl. II 3). Fehlt aber ein Ausgleichszeitraum für den Anspruch nach § 16 Abs. 2 Satz 2 BAT und berücksichtigt man weiter, daß die Tarifvertragsparteien des BAT sonst Ausgleichszeiträume vorsehen (vgl. z.B. § 15 Abs. 6 BAT), so kann nicht davon ausgegangen werden, daß der Anspruch, wenn er, wie hier, innerhalb der Ausschlußfrist des § 70 BAT geltend gemacht ist, verfällt oder sich in entsprechender Anwendung von § 16 Abs. 2 Satz 3 BAT in einen Zahlungsanspruch umwandelt, nachdem der Arbeitgeber rechtsirrtümlich seine Erfüllung verweigert hat.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZP0.
Dr. Peifer Prof. Dr. Jobs Dr. Armbrüster
Ostkamp Stenzel
Fundstellen
Haufe-Index 440690 |
ARST 1993, 49-50 (LT1-2) |
NZA 1993, 372 |
NZA 1993, 372-373 (LT1-4) |
RdA 1992, 406 |
USK, 9249 (ST1-3) |
WzS 1994, 54 (L) |
ZTR 1993, 27-28 (LT1-4) |
AP § 16 BAT (LT1-4), Nr 1 |
AuA 1993, 283-284 (LT1-4) |
EzBAT § 16 BAT, Nr 2 (LT1-4) |
PersV 1993, 413 (L) |