Verfahrensgang
Hessisches LSG (Beschluss vom 27.01.1994) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluß des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. Januar 1994 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde entspricht nicht der in § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) festgelegten gesetzlichen Form. Sie war deshalb entsprechend §§ 169, 193 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (vgl BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 30).
Der Kläger weist zwar auf einen Zulassungsgrund hin, der in § 160 Abs 2 SGG aufgeführt ist. Er behauptet, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG. Damit ist dieser Zulassungsgrund aber nicht so dargelegt und bezeichnet, wie dies § 160a Abs 2 Satz 3 SGG verlangt. Nach der ständigen Rechtsprechung fordert diese Vorschrift, daß die Zulassungsgründe schlüssig dargetan werden. Zur Begründung der Grundsätzlichkeit einer Rechtssache muß erläutert werden, daß und warum in dem angestrebten Revisionsverfahren eine Rechtsfrage erheblich sein würde, die über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung hat (vgl BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 44; BSG SozR 1500 § 160a Nr 39).
Die Beschwerde ist in diesem Sinne nicht formgerecht begründet, denn der Kläger hat nicht hinreichend dargelegt, daß die von ihm für grundsätzlich gehaltene Rechtsfrage klärungsfähig und klärungsbedürftig ist. Er erwartet in dem angestrebten Revisionsverfahren eine Antwort auf die Frage, ob Art 6 Abs 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention ≪EMRK≫) vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II 685, 953) dem Berufungsgericht einen Beschluß nach § 153 Abs 4 SGG verbietet, wenn die erstinstanzliche Entscheidung mit Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs 2 SGG ohne mündliche Verhandlung ergangen ist. Diese Frage könnte nur dann klärungsfähig sein, wenn Art 6 Abs 1 EMRK anzuwenden wäre. Das ist nicht der Fall. Diese Vorschrift garantiert nach ihrem Wortlaut zwar eine öffentliche Verhandlung bei gerichtlichen Verfahren, bezieht sich aber nur auf „zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen”. Darunter ist nicht nur das Zivilrecht im klassischen Sinne zu verstehen. Auch sozialversicherungsrechtliche Streitigkeiten können darunter fallen. Nicht anwendbar ist Art 6 Abs 1 EMRK jedoch auf Streitigkeiten der Kriegsopferversorgung und nach dem Schwerbehindertengesetz (vgl Meyer-Ladewig, SGB 1990, 257, 260); also im vorliegenden Fall, in dem der Kläger Versorgungsansprüche nach dem Bundesversorgungsgesetz geltend macht.
Im übrigen hätte das LSG Art 6 Abs 1 EMRK für den Fall jener Anwendbarkeit auch in Streitigkeiten aus dem Recht der Kriegsopferversorgung im vorliegenden Verfahren nicht verletzt. Die Garantie einer öffentlichen Anhörung im Laufe eines mehrinstanzlichen Verfahrens in Art 6 Abs 1 EMRK schützt lediglich gegen Vorenthaltung durch das Gericht, nicht gegen den Verzicht auf mündliche Verhandlung durch die Beteiligten, wie er hier in erster Instanz erklärt worden ist.
Die vom Kläger aufgeworfene Frage ist nach dem SGG auch nicht klärungsbedürftig, weil sich die Antwort aus dem Gesetz ergibt. Für das SGG ist die mündliche Verhandlung zwar Kernstück des gerichtlichen Verfahrens. Sie ist aber nicht unverzichtbar. Verzichtet ein Beteiligter auf mündliche Verhandlung im erstinstanzlichen Verfahren, so erwirbt er deshalb keinen Anspruch auf eine mündliche Verhandlung jedenfalls im anschließenden Berufungsverfahren. Die verfahrensrechtlichen Möglichkeiten des Berufungsgerichts zur Entscheidung durch Beschluß ohne mündliche Verhandlung sind in § 153 Abs 4 SGG nur dann eingeschränkt, wenn in erster Instanz – ohne oder sogar gegen den Willen der Beteiligten – ein Gerichtsbescheid ergangen ist.
Fundstellen