Beteiligte
Klägerin und Revisionsklägerin |
Beklagter und Revisionsbeklagter |
Tatbestand
I.
Die Klägerin begehrt die Witwenbeihilfe in gleicher Höhe wie die Witwenrente (§ 48 Bundesversorgungsgesetz -BVG-). Ihrem Ehemann, der u.a. wegen Verlustes des linken Beines eine Beschädigtenrente bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 80 vH bezog, wurde 1972 wegen schädigungsunabhängiger Durchblutungsstörungen das rechte Bein amputiert. Im März 1974 beantragte er bei der städtischen Fürsorgestelle für Kriegsopfer eine "Pflegezulage". Die Bewilligung dieser Leistung im Rahmen der Sozialhilfe für Kriegsopfer wurde dem Versorgungsamt im April 1974 wegen eines Ersatzanspruches mitgeteilt. Im August 1974 verstarb der Beschädigte. Das Versorgungsamt lehnte die Gewährung einer Witwenrente ab (Bescheid vom 17. April 1975), bewilligte aber der Klägerin eine Witwenbeihilfe in Höhe von zwei Dritteln der Rente (Bescheid vom 17. April 1975). Es versagte ihr die Erhöhung auf den unverminderten Rentenbetrag (Bescheid vom 12. November 1976, Widerspruchsbescheid vom 21. Oktober 1977). Die Klage wegen der vollen Witwenbeihilfe, die mit der anderen verbunden wurde, und die Berufung hatten keinen Erfolg (Urteil des Landessozialgerichts -LSG- vom 23. September 1980). Das LSG hat die Ablehnung eines Zugunstenbescheides über die Beihilfe in Höhe der Rente als rechtmäßig bestätigt. Zwar sei, so das Gericht, der Ehemann der Klägerin hilflos i.S. des § 35 BVG gewesen, die Kriegsbeschädigung habe diesen Zustand auch wesentlich mit verursacht. Aber ein Anspruch auf Pflegezulage (§ 35 BVG), der für eine ungeschmälerte Witwenbeihilfe vorausgesetzt wird, habe im Zeitpunkt des Todes nicht bestanden; denn ein auf diese Leistung gerichteter Antrag sei vom Beschädigten nicht gestellt worden. Der beim Sozialamt angebrachte Antrag habe eine andere Leistung betroffen. Es könne nicht angenommen werden, daß mit ihm zugleich die Pflegezulage nach dem BVG begehrt worden sei.
Die Klägerin, die Revision eingelegt hat, sieht den an die städtische Fürsorgestelle gerichteten Antrag zugleich als einen solchen an, der auch für die Pflegezulage gemäß § 35 BVG wirksam geworden sei. Ihr Ehemann hätte erwarten können, daß dieses Begehren an das zuständige Versorgungsamt weiterzuleiten gewesen sei. Aber selbst wenn dies verneint werden müsse, sei die Witwenbeihilfe ohne Einschränkung zu gewähren; denn alle anderen Voraussetzungen für die Pflegezulage seien vorhanden gewesen, und das Versorgungsamt hätte nach der Unterrichtung über den an das Fürsorgeamt gerichteten Antrag den Beschädigten veranlassen müssen, auch die Pflegezulage nach dem BVG ordnungsmäßig zu verlangen. Die Witwenbeihilfe müsse ihr, der Klägerin, nichtreduziert mindestens nach § 89 BVG gewährt werden.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der angefochtenen Urteile und Bescheide den Beklagten zu verpflichten, ihr Witwenbeihilfe in voller Höhe der Witwenrente durch Erteilung eines Zugunstenbescheides zu gewähren.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er tritt der Auffassung des LSG bei, daß es an einem Antrag für eine Pflegezulage gemäß § 35 BVG fehle.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Klägerin hat Erfolg.
Das LSG hat zu Unrecht den Klageanspruch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt eines Zugunstenbescheides nach § 40 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) geprüft. Die erste Klage betraf nicht allein einen Anspruch auf Witwenrente nach § 38 BVG mit der Folge, daß der die Witwenbeihilfe nach § 48 BVG in Höhe von zwei Dritteln gewährende Bescheid vom 17. April 1975 rechtsverbindlich geworden wäre (§ 77 Sozialgerichtsgesetz -SGG- , § 24 KOVVfG) und nur nach § 40 KOVVfG hätte berichtigt werden können. Vielmehr wurde die Klage sogleich gegen die beiden am selben Tag ergangenen Verwaltungsakte und damit sowohl auf die Witwenrente als auf die volle Beihilfe gerichtet. Zwar erwähnte die Klägerin in der ersten Klageschrift ausdrücklich allein den die Witwenrente betreffenden Bescheid vom 17. April 1975. Sie kündigte aber Antrag und Begründung (§§ 92, 123 SGG) erst an, ließ also anfangs noch offen, was sie im einzelnen anstrebte, und stellte im folgenden Schriftsatz klar, daß sie die Witwenrente "bzw." die Witwenbeihilfe in voller Höhe begehrte. Dementsprechend formulierte sie ihren Klageanspruch in der Verhandlung vor dem Sozialgerichte Diese Auslegung ihres Klageantrages ist einzig sinnvoll. Falls die Voraussetzungen für die Witwenrente nicht als erwiesen angesehen würden, wollte die Klägerin naturgemäß von vornherein die Witwenbeihilfe in Höhe der Rente erhalten.
Diese Leistung steht der Klägerin entgegen der Ansicht der Vorinstanzen zu. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 und 2 BVG (in den hier maßgebenden, seit dem 5. Anpassungsgesetz-KOV vom 18. Dezember 1973 - BGBl. I 1973 - geltenden Fassungen) erhält die Witwe, deren Ehemann nicht an den Folgen einer Schädigung (§ 1 Abs. 1-3 Satz 1, Abs. 5, § 38 BVG) gestorben ist, Witwenbeihilfe in Höhe der entsprechenden Witwenrente u.a. dann, wenn der Beschädigte im Zeitpunkt seines Todes "Anspruch auf Pflegezulage" wegen nicht nur vorübergehender Hilflosigkeit hatte. Ein solcher "Anspruch" braucht nicht zuerkannt gewesen zu sein; er muß nur aufgrund aller gesetzlichen Voraussetzungen nach § 35 Abs. 1 Satz 1 BVG bestanden haben (ebenso für die andere Witwenbeihilfenvoraussetzung, einen fünfjährigen Anspruch auf Berufsschadensausgleich: BSG SozR 3100 § 48 Nr. 6). Das war beim Ehemann der Klägerin der Fall. Er war nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) hilflos im Sinne der genannten Vorschrift. Die Schädigungsfolge bildete auch eine wesentliche Mitbedingung dieses Zustandes, was in rechtlicher Hinsicht für einen Anspruch auf Pflegezulage genügte (BSGE 41, 80, 82 ff., insbesondere 83 f. = SozR 3100 § 35 Nr. 2).
Der Anspruch auf Pflegezulage scheiterte nicht daran, daß es am erforderlichen Antrag gefehlt hätte. Ob ein Versorgungsantrag (§ 1 Abs. 1 BVG), von dem in der Regel auch der Leistungsbeginn abhängt (§ 60 BVG), so zu verstehen ist, daß jede einzelne Versorgungsleistung gesondert beantragt werden muß, kann dahinstehen (dazu: BSG SozR 3100 § 35 Nr. 1 S. 3 f.; Urteil des erkennenden Senats vom 29. Mai 1980 - 9 RV 18/79 -). Auch wenn man dies anzunehmen hätte, ist im gegenwärtigen Fall ein Antrag vorhanden, der auf eine Pflegezulage nach § 35 BVG gerichtet war. Ihn hatte der Ehemann der Klägerin im März 1974 bei der städtischen Fürsorgestelle für Kriegsopfer, einer Behörde der Sozialhilfe (§ 96 Abs. 1 Satz 1 Bundessozialhilfegesetz -BSHG- vom 18. September 1969 - BGBl. I 1688 -), gestellt (ebenso für den umgekehrten Fall BVerwGE 36, 260, 261).
Nach § 6 Abs. 1 KOVVfG (in der damals geltenden Fassung des 3. Anpassungsgesetzes - KOV vom 16. Dezember 1971 - BGBl. I 1985 und des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch vom 2. März 1974 - BGBl. I 469 -) war der Antrag in einer Versorgungsangelegenheit schriftlich oder mündlich bei dem für die Entscheidung zuständigen Versorgungsamt zu stellen (vgl. auch §§ 2 und 3 KOVVfG). Darüber hinaus war nach § 6 Abs. 2 Satz 1 der bei einer Gemeindeverwaltung, also einer "amtlichen Stelle" angebrachte Antrag rechtswirksam (ab 1. Januar 1970 § 16 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 Sozialgesetzbuch- Allgemeiner Teil -SGB 1-). Diese Behörde hätte ihn als Antrag auf Pflegezulage nach § 35 BVG erkennen müssen und gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 KOVVfG unverzüglich an die zuständige Verwaltungsbehörde der Kriegsopferversorgung abgeben müssen (neuerdings: § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB 1). Das oblag ihr außerdem speziell als für die Kriegsopferfürsorge zuständiger Verwaltungsstelle. In dieser Eigenschaft ist ihr eine besondere Beratungs- und Betreuungspflicht gegenüber dem Beschädigten auferlegt (§ 25 Abs. 1 Halbsatz 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 und § 25a Abs. 2 Satz 1 und 2 BVG; BSGE 42, 224, 226 f. = SozR 2200 § 1324 Nr. 3; ab 1. Januar 1976: § 14 SGB 1 ; vgl. dazu Grüner, Sozialgesetzbuch, SGB I/3 § 14, Anm. II und IV). Naturgemäß setzt dies einen Antrag voraus, der auf eine Leistung der Kriegsopferversorgung im engeren Sinn (§ 9 Nr. 1, 3-6 BVG), also ohne Kriegsopferfürsorge (§ 9 Nr. 2, §§ 25 - 27i BVG) gerichtet ist. Das traf hier zu. Das Antragsprinzip ist sinnvoll zu handhaben (BSG SozR 3100 § 35 Nr. 1; Urteil vom 29. Mai 1980). Maßgebend für die Auslegung eines derartigen Begehrens ist der unter Berücksichtigung aller Umstände erkennbare wirkliche Wille des Antragstellers (BSGE 35, 220, 221 = SozR Nr. 2 zu § 173a RVO). Der Antrag ist grundsätzlich als auf alle Leistungen gerichtet anzusehen, die nach Lage des Falles in Betracht kommen (Urteil vom 29. Mai 1980; BSG, USK 80/53). Im Recht der Kriegsopferversorgung "soll" er bloß die begehrten Leistungen benennen (§ 7 Abs. 1 Satz 1 KOVVfG). Der Ehemann der Klägerin machte aber auch gegenüber der Fürsorgestelle u.a. ausdrücklich eine "Pflegezulage" geltend. Damit bezeichnete er zutreffend die ihm nach § 35 BVG wegen Hilflosigkeit zustehende Versorgungsleistung; hingegen heißt die entsprechende im Rahmen der Kriegsopferfürsorge zuständige Sozialhilfeleistung "Pflegegeld" (§ 25a Abs. 2 Satz 1, § 27b Abs. 1Satz 1 BVG i.V.m. § 68 Abs. 1 und § 69 Abs. 3 BSHG). Die Fürsorgestelle hätte dieses klare Begehren angesichts der ihr bekanntgewordenen Hilflosigkeit als auf eine Pflegezulage i.S. des § 35BVG gerichtet deuten sowie in der gebotenen Weise an das Versorgungsamt weitergeben müssen. Dafür war sie als die Behörde, der speziell die Kriegsopferfürsorge als Teil der Kriegsopferversorgung im weiteren Sinn (§ 9 BVG) obliegt, hinreichend sachkundig; sie mußte auch über die gleichen Voraussetzungen der parallelen Leistung der Kriegsopferversorgung im engeren Sinn (§ 35 BVG) unterrichtet sein. Die Auslegung und Behandlung des Antrages als eines solchen auf eine Pflegezulage mußte sich ihr um so eher aufdrängen, als die Kriegsopferfürsorge subsidiär, das heißt nachrangig nach der Versorgung im engeren Sinne (§§ 30 ff. BVG) zu gewähren ist (§ 25a Abs. 1, § 27b Abs. 1 Satz 1 BVG i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 3 BSHG).
Eine Wechselwirkung zwischen Anträgen, mit denen von verschiedenen Leistungsträgern unterschiedliche Leistungen begehrt werden, braucht für Fälle wie den gegenwärtigen nicht kraft einer gesetzlichen Bestimmung als stets eingetreten vorgeschrieben zu sein, wie z.B. im Verhältnis zwischen Krankenversicherung und Kriegsopferversorgung (§ 18a Abs. 1 Satz 3 BVG; vgl. dazu BSG SozR 3100 § 18a Nr. 2 und § 19 Nr. 9). Hier genügt vielmehr, daß ein Antrag von einer nicht direkt zuständigen Behörde der Leistungsverwaltung zutreffend ausgelegt und behandelt werden mußte.
Die Fürsorgestelle hätte also vom mutmaßlichen Willen des Antragstellers ausgehen müssen. Unter dieser Voraussetzung greift § 28 des 10. Buches des Sozialgesetzbuches vom 18. August 1980 (Buch I 14 69) nicht Platz. In dieser Vorschrift ist der Fall behandelt, daß jemand davon absah, die von einer anderen als der angegangenen Behörde zu gewährende Leistung zu beantragen. Wird dieser Antrag später nachgeholt, dann wirkt er unter bestimmten Voraussetzungen bis zu einem Jahr zurück. Diese Vorschrift soll nur dann dem Bürger zu einer ihm zustehenden Leistung mit abgebauter formeller Schranke verhelfen. Sie betrifft aber nur den Fall, daß der notwendige Antrag, der nach § 16 SGB 1 wirksam auch bei einer unzuständigen Behörde angebracht werden kann, überhaupt nicht vorliegt (vgl. Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf des SGB 10, BT-Drucks 8/2034, S. 48, zu Artikel I §§ 25, 26; Beschlüsse des 11. Ausschusses des BT, BT-Drucks 8/4022, S. 20 mit Bericht des Abg. Gansel, S. 81 f., nach § 26a). So ist es jedoch hier - wie dargelegt -gerade nicht.
Nach alledem ist die Revision wegen des Anspruchs auf die volle Witwenbeihilfe begründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen