Entscheidungsstichwort (Thema)
Schülerunfallversicherung. Schulweg. Schüler, aufsichtsbedürftig. Obhut. fremde. Mutter, berufstätig, alleinerziehend. Abweg. Unterbrechung. Zumutbarkeit. Weg, direkter. Wahlmöglichkeit, einzige
Leitsatz (amtlich)
Zum Unfallversicherungsschutz eines Schülers während eines Abweges von dem Weg zur Schule.
Normenkette
RVO § 539 Abs. 1 Nr. 14 Buchst. b, § 550 Abs. 1, 2 Nrn. 1-2
Verfahrensgang
SG Köln (Urteil vom 16.04.1993; Aktenzeichen S 18 U 108/92) |
LSG Nordrhein-Westfalen |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 16. April 1993 aufgehoben.
Die Sache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um Entschädigung aus der gesetzlichen Schülerunfallversicherung.
Der damals siebenjährige Kläger besuchte die Grundschule seines Heimatortes. Sein Schulunterricht pflegte regelmäßig um 8.15 Uhr zu beginnen. Seine – alleinerziehende – Mutter, in deren Haushalt er lebte, übte in einem Nachbarort eine Berufstätigkeit aus, die regelmäßig um 8.00 Uhr begann. Aus diesem Grunde legte die Mutter für den Kläger einen besonderen Weg fest, der ihn zur Schule führte. Sie nahm ihn regelmäßig mit, wenn sie zur Arbeit aufbrach. Dabei fuhr sie ihn mit dem Pkw zunächst zur Wohnung eines mit ihr befreundeten Herrn K.… (K.…), damit der Kläger dort unter Aufsicht ausschließlich darauf wartete, daß der Vater des Herrn K.… eintraf und ihn zu Fuß zur Schule begleitete. Der Weg, den die Mutter deswegen zurücklegte, führte zunächst in die Richtung der Schule und dem Ort ihrer Tätigkeit, nach der Hälfte der Gesamtstrecke von ihrer Wohnung bis zu der des Herrn K.… dann aber an der Querstraße vorbei, in der die Schule lag, um schließlich, nachdem sie die zweite Streckenhälfte in einer der Schule entgegengesetzten Richtung zurückgelegt hatte und auch von dem Weg zu ihrem Arbeitsort abgewichen war, an der Wohnung K.… zu enden. Dort hielt sich der Kläger regelmäßig nicht länger als zehn Minuten auf. Dann begleitete ihn der Vater des Herrn K.… zur Schule.
Am 22. November 1990 hatte der Kläger mit seiner Mutter gegen 7.40 Uhr gerade das Haus erreicht, in dem die Wohnung K.… lag. Nachdem beide Personen den Pkw verlassen hatten, wurden sie von zwei Hunden der Rasse Rottweiler angefallen, zunächst der Kläger und dann seine ihm zur Hilfe eilende Mutter. Dabei wurden beide erheblich verletzt. Der Kläger erlitt ausgedehnte Biß- und Rißwunden im Gesicht, am linken Oberarm, am rechten Unterarm, an der linken Leiste, im Skrotalbereich und besonders am linken Unterschenkel mit massivem Weichteilverlust und einem 2 cm großen kompletten Knochendefekt im Bereich des Schienbeins sowie einen Bruch des Wadenbeins. Wegen der Verletzungsfolgen mußte er über 2 Monate stationär behandelt werden.
Der Beklagte lehnte es ab, dem Kläger Entschädigung aus der Schülerunfallversicherung zu gewähren. Dieser habe keinen Arbeitsunfall (Schulwegeunfall) erlitten, weil sich der Unfall nicht auf dem Weg zur Schule, sondern auf einem Weg in fremde Obhut ereignet habe (Ablehnungsbescheid vom 25. Februar 1991, Widerspruchsbescheid vom 20. Mai 1992).
Dagegen hat das Sozialgericht (SG) Köln den Beklagten verurteilt, den Unfall des Klägers vom 22. November 1990 als Arbeitsunfall zu entschädigen (Urteil vom 16. April 1993). Der Kläger habe sich auf einem einheitlichen Gesamtweg zur Schule befunden, der allerdings durch den Zwischenweg zur Wohnung K.… erheblich unterbrochen worden sei. Auf der Wegstrecke bis zur Wohnung K.… habe er jedoch zusammen mit seiner Mutter eine Fahrgemeinschaft gebildet mit der Folge, daß auch auf diesem Weg gemäß § 550 Abs 2 Nr 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) für ihn Unfallversicherungsschutz bestanden habe. Da der Zwischenaufenthalt in der Wohnung K.… stets nur sehr kurz gewesen und ausschließlich dazu gedient habe, darauf zu warten, daß er seinen Weg zur Schule unter Aufsicht fortsetzen könne, habe der Kläger auch zum Zeitpunkt des Unfalls unter Versicherungsschutz gestanden. Daran hätte sich auch nichts geändert, wenn die Schule des Klägers Vorsorge getroffen hätte, daß Schüler sich schon vor Unterrichtsbeginn unter Aufsicht in der Schule aufhalten könnten. Jedenfalls sei bei dem Alter des Klägers die Entscheidung der Mutter, ihn bis zum Unterrichtsbeginn soweit wie möglich unter ihrer Aufsicht oder der des Herrn K.… zu stellen, in jeder Hinsicht und auch ohne Nachteil für den Versicherungsschutz des Klägers zu respektieren.
Mit der – vom SG durch Beschluß zugelassenen – Sprungrevision rügt der Beklagte die Verletzung des § 550 Abs 2 Nr 2 RVO. Der Kläger habe sich nicht auf dem Weg zur Schule, sondern auf einem Weg zur fremden Obhut befunden, als er verunglückt sei. Dabei habe er in keiner Hinsicht unter dem Schutz der Schülerunfallversicherung gestanden.
Der Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Das folge auch aus § 550 Abs 2 Nr 1 RVO. Die darin zum Ausdruck kommende Privilegierung des berufstätigen Erwachsenen bliebe nur unvollkommen, wenn gleichzeitig das Kind auf seinem Weg zur Schule oder in den Kindergarten insofern ungeschützt wäre, als der privilegierte Grund, das Kind zwischenzeitlich in fremde Obhut zu geben, ein Abweichen vom direkten Weg nötig mache. Damit liege eine Regelungslücke vor, die durch Analogie zu schließen sei. Ein sachlicher Grund, die Kinder in dieser Hinsicht anders zu behandeln als die Erwachsenen, sei nicht erkennbar, vielmehr sei ein Wertungswiderspruch offensichtlich.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist in dem Sinne begründet, daß das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen zurückzuverweisen war. Es fehlen tatsächliche Feststellungen darüber, ob es generell und insbesondere am Tag des Unfalls für den Kläger eine andere, zumutbare, vorhandene oder in zumutbarer Weise einzurichtende Möglichkeit gab, auf einem direkteren Weg ohne Unterbrechung zur Schule zu gelangen, um an seinem Unterricht teilzunehmen. Nur wenn das auszuschließen ist, hat der Kläger auch zum Zeitpunkt des Unfalls unter Unfallversicherungsschutz gestanden.
Als Schüler einer allgemeinbildenden Schule war der Kläger während des Besuchs dieser Schule nach § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst b RVO gegen Arbeitsunfall (Schulunfall) versichert. Als Arbeitsunfall gilt nach § 550 Abs 1 RVO auch ein Unfall auf einem mit dem Besuch der Schule zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der schulischen Veranstaltung. Diese Vorschrift über den Wegeunfallversicherungsschutz setzt nicht nur einen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Schulbesuch voraus, sondern vielmehr einen inneren Zusammenhang zwischen dem Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit, dh hier dem Schulbesuch (BSGE 43, 113, 114). Voraussetzung ist, daß das Verhalten, bei dem sich der Unfall ereignet, in einem sachlichen (inneren) Zusammenhang mit dem Schulbesuch steht, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Der Weg, den der Versicherte zurücklegt, muß, wenn er ein Weg zur Schule iS von § 550 Abs 1 RVO ist, wesentlich dazu dienen, die Schule zur Teilnahme am Schulunterricht zu erreichen.
Nach den tatsächlichen und daher den Senat bindenden Feststellungen des SG (§ 163 SGG) befand sich der Kläger im Unfallzeitpunkt nicht auf dem direkten Weg von seiner Wohnung zur Schule, die das SG zutreffend als Endziel des mit dem Verlassen der Wohnung begonnenen Weges zur Teilnahme am Schulunterricht angesehen hat. Insbesondere ist die Wohnung des Herrn K.… kein Endziel gewesen, das den ersten Wegabschnitt von der Wohnung des Klägers bis dorthin zu einem rechtlich selbständigen Weg qualifizieren könnte. Nach den Feststellungen des SG hat der Aufenthalt des Klägers in der Wohnung des Herrn K.… in der Regel kaum mehr als zehn Minuten gedauert und der Kläger hatte dort niemals eine selbständige, eigenwirtschaftliche Tätigkeit verrichtet. Sein kurzer Aufenthalt hatte stets nur den einzigen Zweck, so lange zu warten, bis er mit dem Vater des Herrn K.… den Weg zur Schule fortsetzen konnte. Davon muß auch zum Zeitpunkt des Unfalls ausgegangen werden.
Deshalb kann dieser Weg von der Wohnung K.… zur Schule rechtlich nicht als Weg vom sogenannten dritten Ort gewertet werden, von dem aus der Wegeunfallversicherungsschutz erst beginnt (BSGE 1, 171, 172; BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 5; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 485r). Damit ist es ausgeschlossen, unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt den Versicherungsschutz des Klägers auf dem vorangegangenen Weg von seiner Wohnung zu derjenigen des Herrn K.… zu verneinen.
Der Kläger ist vielmehr von dem direkten Weg von seiner Wohnung zur Schule abgewichen, indem seine Mutter an der Straße, in der die Schule liegt, vorbeifuhr und in einer der Schule entgegengesetzten Richtung die Wohnung K.… ansteuerte. Nach den Feststellungen des SG machte die dadurch bedingte Verlängerung des kürzesten Schulweges annähernd eine Streckenverdoppelung aus und brachte in der Regel auch einen kurzen Aufenthalt in der Wohnung des Herrn K.… mit sich. Damit könnte der Schulweg erheblich unterbrochen worden sein (s das Urteil des Senats vom 23. April 1987 – 2 RU 19/85 – mwN in BAGUV RdSchr Nr 60/87 = USK 8734) und damit auch der Unfallversicherungsschutz des Klägers gegen Schulunfälle. Die tatsächlichen Feststellungen des SG reichen aber nicht aus, um das abschließend zu entscheiden.
Der Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit wird unterbrochen, wenn er dadurch verlängert wird, daß während des Weges ein anderer Weg eingeschoben wird oder der Versicherte sich nicht mehr in Richtung des Grenzpunktes fortbewegt (BSGE 43, 113, 114). Hinsichtlich des Versicherungsschutzes während der Unterbrechung ist zu unterscheiden, ob die Unterbrechung einer Verrichtung dient, die im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht, oder ob sie wesentlich allein aus privaten Gründen erfolgt. Im ersteren Falle besteht Versicherungsschutz auch während der Unterbrechung (BSGE 43, 113, 114 f mwN).
Der innere Zusammenhang einer Handlung mit der versicherten Tätigkeit richtet sich nach der Handlungstendenz des Versicherten in dem Umfang, wie sie insbesondere durch die objektiven Umstände des Einzelfalles bestätigt wird (BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 4). Zweck der Unterbrechung des Schulweges dadurch, daß der Kläger zunächst zur Wohnung K.… gefahren wurde, war nach den Feststellungen des SG vor allem, dem Kläger die Teilnahme am Schulunterricht zu ermöglichen. Der siebenjährige Kläger bedurfte dazu nach der Entscheidung seiner Mutter der Aufsicht auf dem Wege zur Schule und, was bisher nicht gesondert festgestellt worden ist, wohl auch während des Aufenthaltes in dem Schulgebäude. Diesem Komplex gleichwertig war aber auch der andere Zweck der Fahrt, es der Mutter des Klägers auf diese Weise zu ermöglichen, die Obhut über den Kläger derart sicherzustellen, daß sie von ihrer Obhutspflicht entbunden und in die Lage versetzt wird, ihre eigene Arbeit in dem Nachbarort pünktlich aufzunehmen. Letzteres ist von dem Schulbesuch des Klägers unabhängig und damit auch aus der Sicht des Klägers privat (s das Urteil des Senats vom 17. Oktober 1990 – 2 RU 1/90 – in BAGUV RdSchr Nr 4/91 = USK 90175). Er muß sich diese Handlungstendenz seiner Mutter, die allein die elterliche Sorge ausübte, zurechnen lassen (s das Urteil des Senats vom 23. April 1987 aaO).
Es ist eine Sache der Wertung, wie weit die Grenzen der Schülerunfallversicherung, speziell des Wegeunfallversicherungsschutzes reichen, wenn man beide Zweckkomplexe in ihrer Bedeutung für den konkret eingeschlagenen Abweg gegeneinander abwägt.
Dabei ist für den Wegeunfallversicherungsschutz nicht auf einen theoretisch möglichen Schulweg abzustellen, sondern auf den praktisch im konkreten Fall geeigneten. Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß der Versicherte in der Wahl des Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit ebenso wie in der Wahl des Verkehrsmittels, mit dem er diesen Weg zurücklegt, grundsätzlich frei ist. Die Wahl eines weiteren Weges stellt den Versicherungsschutz auf dem Wege nach oder von dem Ort der Tätigkeit nur in Frage, wenn für diese Wahl andere Gründe maßgebend sind ais die Absicht, den Ort der Tätigkeit zu erreichen (s das Urteil des Senats vom 23. April 1987 mwN aaO). Selbst wenn es indessen neben der bereits festgestellten schulbezogenen Absicht auch private Gründe für den weiteren Weg oder die Unterbrechung des Weges gibt, kann diesen privaten Gründen keine maßgebende, also auch keine allein wesentliche Bedeutung zugerechnet werden, sofern der Versicherte keine Wahl hat, einen direkteren Weg zur Schule zu nehmen. Wenn es nach den gesamten Umständen des Einzelfalles praktisch für den Kläger keinen geeigneten und zumutbar direkteren Weg zur Schule gegeben hat, als den über die Unterbrechung in der Wohnung K.…, dann hat auch diese Unterbrechung im inneren Zusammenhang mit dem Schulbesuch gestanden.
Der Senat hat allerdings bereits entschieden, daß allein eine langjährige Übung, den Schulweg wesentlich allein aus eigenwirtschaftlichen Gründen zu unterbrechen, nicht den erforderlichen inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit zu begründen vermag (Urteil des Senats vom 17. Oktober 1990 aaO mwN). Indessen ist bisher nicht festgestellt, ob es für den Kläger überhaupt zumutbare Alternativen gab, die Schule auf einem direkteren Weg zu erreichen und an dem Schulunterricht teilzunehmen. Grundsätzlich ist der Maßstab für solche Alternativen sehr weit zu ziehen. Der Senat hält an den in ständiger Rechtsprechung und unter nahezu einhelliger Zustimmung des Schrifttums zum Versicherungsschutz auf dem Wege nach und von dem Ort der Tätigkeit entwickelten Grundsätzen fest, nach denen während einer der privaten Verrichtung dienenden erheblichen Unterbrechung dieses Weges kein Versicherungsschutz besteht. Es gibt zahlreiche Gründe für einen Umweg oder eine Unterbrechung des Weges nach oder von dem Ort der Tätigkeit, denen sich ein Versicherter, sei es ein Erwachsener oder ein Kind, nicht entziehen kann, ohne daß deshalb ein innerer Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Unterbrechung des Weges bestehen würde (s das Urteil des Senats vom 23. April 1987 mwN aaO). Lediglich der Wunsch des Klägers oder seiner Mutter, den Schulweg so zu gestalten, daß er in der Wohnung K.… unterbrochen werden kann, reicht danach nicht aus; er bildete einen privaten Grund. Ebenso privat würde sich der Verzicht der Mutter darstellen, ein geeignetes Angebot der Schule wahrzunehmen, den Kläger schon früher direkt zur geöffneten Schule zu bringen und ihn dort unter Aufsicht bis zum Unterrichtsbeginn warten zu lassen. Wer abgesehen davon geltend macht, die von ihm aus eigener Initiative vorgenommene Unterbrechung des Schulweges sei nicht privat, weil es sich praktisch um die einzige ihm zumutbare Möglichkeit handelt, zur Schule zu gelangen, muß sich unter Umständen sogar zuvor bemüht haben, diese Unterbrechung zu vermeiden. Es ist insoweit zu fordern, daß der Kläger bzw seine für ihn sorgende Mutter alles praktisch Zumutbare unternommen hat, um eine Möglichkeit zu finden, den Kläger auf einem direkteren Weg zur Schule zu bringen oder zu begleiten, dh einen Weg, der nicht eine von der Berufstätigkeit der Mutter mitbedingte private Unterbrechung erfordert. Auf die Schulleitungen dahin einzuwirken, daß Schulen vorzeitig öffnen und für ausreichende Aufsicht über Schüler erwerbstätiger Eltern sorgen, hilft Schulunfälle zu verhüten. Dies ist auch ein Anliegen des zuständigen Unfallversicherungsträgers. Ihm obliegt es, geeignete Maßnahmen zu unternehmen, durch die Schulunfälle während der besonders unfallträchtigen Wartezeiten außerhalb der Schule vermieden werden können.
Wenn aber alle diese Möglichkeiten praktisch auszuschließen sind oder keinen Erfolg gehabt haben, dann bleiben allein zwei Gründe übrig, die die Unterbrechung des Schulweges in der Wohnung K.… erforderlich gemacht haben. Es ist dies zum ersten die Entscheidung der Mutter, daß der Kläger auf seinem Wege zur Schule der Aufsicht einer Begleitperson bedarf. Diese Entscheidung liegt voll in ihrem Ermessen, weil sie die Personensorge über das minderjährige Kind hat. Die Aufsichtsbedürftigkeit des Klägers ist insoweit als seine persönliche Eigenschaft zu beurteilen. Das allein kann rechtlich nicht als gesonderter privater Grund für die Unterbrechung des Schulweges gewertet werden. Der zweite Grund ist die Entscheidung der Mutter, erwerbstätig zu sein mit der Folge, deswegen den Kläger in der geeigneteren Zeit für den Schulweg nicht begleiten zu können. Diese Entscheidung betrifft zumindest bei einem alleinerziehenden, berufstätigen Elternteil die wirtschaftliche Existenz sowohl der Mutter als auch des Schülers während des gesamten Schulbesuchs. Nach Auffassung des Senats ist es dem Kläger unter keinem Gesichtspunkt zuzumuten, von seiner Mutter die Aufgabe ihrer Erwerbstätigkeit zu verlangen, nur damit er auf dem direkten Weg zur Schule in den Genuß des gesetzlich vorgesehenen Unfallversicherungsschutzes komme.
Dafür spricht auch die in § 550 Abs 2 Nr 1 RVO für erwerbstätige Eltern vorgesehene Erweiterung des Versicherungsschutzes. Danach ist eine – bereits begründete – Versicherung nicht ausgeschlossen, wenn der Versicherte von dem unmittelbaren Weg zwischen der Wohnung und dem Ort der Tätigkeit abweicht, weil sein Kind, das mit ihm in seinem Haushalt lebt, wegen seiner oder seines Ehegatten beruflicher Tätigkeit fremder Obhut anvertraut wird. Der Senat hat zwar bereits darauf hingewiesen, daß diese Vorschrift ausdrücklich nicht den Versicherungsschutz des in fremde Obhut zu bringenden oder aus fremder Obhut zu holenden Kindes, sondern den der es dorthin bringenden Person betrifft (Urteil des Senats vom 23. April 1987 aaO). Diese klare, bewußt eingeschränkte Gesetzesregelung schließt es entgegen der Auffassung des Klägers aus, durch eine analoge Anwendung des § 550 Abs 2 Nr 1 RVO den Versicherungsschutz auch auf das Kind zu erstrecken, das fremder Obhut anvertraut werden soll oder war. Aber in Fällen wie dem vorliegenden, in denen auch für das in Obhut zu bringende Kind bereits ein Versicherungsschutz (Schülerunfallversicherung) begründet ist, läßt sich der Vorschrift des § 550 Abs 2 Nr 1 RVO ein in der anstehenden Rechtsfrage weiterführender Grundgedanke für den hier auch insoweit von zusätzlichen Voraussetzungen abhängigen Versicherungsschutz nach § 550 Abs 1 RVO entnehmen. Die Notwendigkeit, ein Kind wegen der Berufstätigkeit seiner Eltern in fremde Obhut zu bringen, wird von dem Gesetz nicht als ausnahmslos privater Grund, sondern im Rahmen eines bereits begründeten Versicherungsverhältnisses unter bestimmten Voraussetzungen als ein Grund gewertet, der den inneren Zusammenhang der Wegabweichung mit dem versicherten direkten Weg zum Ort der Tätigkeit aufrechtzuerhalten vermag.
Das rechtfertigt im vorliegenden Fall die folgende Wertung. Wenn nach den gesamten Umständen des Einzelfalls die Erwerbstätigkeit der Mutter der einzige Grund für die Unterbrechung des Schulweges gewesen ist und es sich – wie im vorliegenden Fall – rechtlich um einen Gesamtweg zur Schule gehandelt hat, ist auch während der Unterbrechung des Weges die Absicht, die Schule zu erreichen, für diesen Zweck derart maßgeblich und wesentlich, daß dem privaten Unterbrechungsgrund nicht wesentlich allein Bedeutung beigemessen werden kann. Die Unterbrechung war dann stets davon geprägt, den Weg zur Schule fortsetzen zu können. Insoweit stand sie wegen des stets aufrechterhaltenden Endzwecks des Gesamtweges im inneren Zusammenhang mit dem Schulbesuch und der Kläger zum Unfallzeitpunkt unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.
Wenn die danach noch notwendigen Feststellungen dagegen ergeben, daß die Unterbrechung des Schulweges nicht im inneren Zusammenhang mit dem Schulbesuch gestanden hat, läßt sich entgegen der Meinung des SG der Versicherungsschutz des Klägers zum Unfallzeitpunkt auch nicht aus § 550 Abs 2 Nr 2 RVO herleiten. Der Senat hat bereits entschieden, daß diese Vorschrift nur solche Fälle erfaßt, in denen die Unterbrechung durch eine sogenannte Fahrgemeinschaft bestimmt ist. Die kann dann hier nicht vorgelegen haben (s das Urteil des Senats vom 23. April 1987 aaO).
Das LSG wird die erforderlichen Feststellungen zu treffen und auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 913309 |
BSGE, 159 |
NJW 1995, 214 |
Breith. 1995, 328 |