Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 23.03.1988) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. März 1988 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob die Beklagte zu Recht die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 2. April 1984 bis zum 6. August 1984 aufgehoben hat und die Erstattung der in dieser Zeit erbrachten Leistungen in Höhe von 2.735,90 DM verlangen kann.
Durch Bescheid vom 9. Januar 1984 bewilligte das Arbeitsamt dem Kläger Alhi für die Zeit ab 2. Januar 1984 in Höhe von 25,10 DM wochentäglich, die bis 6. August 1984 gezahlt wurde. Mit Bescheid vom 10. August 1984 hob die Beklagte die Bewilligung ab 7. August 1984 auf, da dem Kläger von diesem Zeitpunkt an bei der Gemeinde S … ein von der Beklagten geförderter Arbeitsplatz zugewiesen worden war. Der Bescheid konnte dem Kläger an die im Leistungsantrag angegebene Adresse – I. W., S – nicht zugestellt werden, da der Kläger am 1. April 1984 nach S, A F –, verzogen war. Er hatte am 4. April 1984 einen postalischen Nachsendeantrag – gültig ab 7. April 1984 – gestellt. Der zuständigen Vermittlungsstelle war der Umzug des Klägers nicht bekannt. Dieser war jedoch mit ihr in Verbindung geblieben; so hatte er sich bei ihr unaufgefordert am 4. April und 13. Juni 1984 fernmündlich gemeldet. Außer dem Arbeitsangebot bei der Gemeinde S … vom 3. August 1984 waren ihm in der betreffenden Zeit keine weiteren Mitteilungen von der Beklagten zugesandt worden.
Nach Anhörung des Klägers hob das Arbeitsamt mit Bescheid vom 22. Januar 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. März 1985 die Alhi-Bewilligung für die Zeit vom 2. April bis 6. August 1984 auf, weil der Kläger seiner Pflicht zur unverzüglichen Anzeige von wesentlichen Änderungen nicht nachgekommen sei und deshalb in dieser Zeit der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden habe. Außerdem wurde von ihm die Erstattung der in dieser Zeit erbrachten Leistungen in Höhe von 2.735,90 DM unter Einräumung monatlicher Ratenzahlungen von jeweils 100,– DM verlangt.
Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 12. Mai 1986 den Bescheid vom 22. Januar 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. März 1985 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, trotz der fehlenden objektiven Verfügbarkeit des Klägers vom Zeitpunkt des Umzugs an seien die angefochtenen Bescheide rechtswidrig. Es handele sich hier um einen atypischen Fall, bei dem Ermessensausübung erforderlich sei. Dies habe die Beklagte unterlassen.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 23. März 1988 das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Seine Entscheidung hat es im wesentlichen wie folgt begründet:
Nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 des Sozialgesetzbuches – Verwaltungsverfahren – (SGB X) solle der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen sei. Diese Voraussetzungen seien im Falle des Klägers erfüllt. Eine wesentliche Änderung der maßgebenden Verhältnisse sei bei ihm dadurch eingetreten, daß er am 1. April 1984 innerhalb seines bisherigen Wohnortes S … einen Wohnungswechsel vorgenommen habe, ohne dies dem Arbeitsamt mitzuteilen. Aus diesem Grunde hätten bei ihm ab 2. April 1984 die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Alhi nicht mehr vorgelegen. Nach § 134 Abs 1 Nr 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) habe nur Anspruch auf Alhi, wer ua der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehe. Objektiv verfügbar sei nur, wer das Arbeitsamt täglich aufsuchen könne und für das Arbeitsamt erreichbar sei. Diese Bedingungen erfülle nur derjenige Arbeitslose, der für das Arbeitsamt während der üblichen Zeit des Eingangs der Briefpost unter der von ihm benannten, für die Zuständigkeit des Arbeitsamts maßgeblichen Anschrift erreichbar sei. Hierbei komme es nicht darauf an, ob das Arbeitsamt in der Zeit, in der der Arbeitslose diese Bedingungen nicht erfüllte, tatsächlich Vermittlungsbemühungen angestellt oder diese mangels entsprechender Angebote von Arbeitgeberseite unterlassen habe. Im Falle des Klägers sei es also in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung, daß ihm während des Zeitraums vom 2. April bis 6. August 1984 nur ein Arbeitsangebot unterbreitet worden sei. Für die Frage der Verfügbarkeit spiele es schließlich keine Rolle, ob der Kläger postalisch mit Hilfe eines Nachsendeantrags erreichbar gewesen sei. Die tägliche Erreichbarkeit iS des § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFG sei dadurch nicht in gleicher Weise gewährleistet wie durch eine an die richtige Adresse gerichtete Postsendung. Das gelte auch, wenn der Wohnungswechsel innerhalb des bisherigen Wohnortes vorgenommen worden sei.
Den Kläger treffe der Vorwurf einer zumindest grob fahrlässigen, dh besonders schweren Verletzung der ihm nach § 60 Abs 1 Nr 2 des Sozialgesetzbuches – Allgemeiner Teil – (SGB I) obliegenden Pflicht zur Mitteilung leistungserheblicher Änderungen in seinen Verhältnissen. Abgesehen davon, daß er bei seiner Antragstellung am 13. Dezember 1982 versichert habe, ihm sei bekannt, daß er dem Arbeitsamt sofort alle Veränderungen gegenüber den im Antrag angegebenen Verhältnissen anzuzeigen habe, ergebe sich der Inhalt dieser Mitteilungspflichten im einzelnen aus dem Merkblatt für Arbeitslose, dessen Erhalt und inhaltliche Kenntnisnahme der Kläger mit seiner Unterschrift auf dem Leistungsantrag ebenfalls bestätigt habe. Dort sei die Pflicht zur unverzüglichen Mitteilung an das Arbeitsamt bei einer Änderung der Anschrift ausdrücklich aufgeführt. Anhaltspunkte dafür, daß er anläßlich zweier fernmündlicher Unterredungen mit der für ihn zuständigen Vermittlerin den Wohnungswechsel gesprächsweise erwähnt habe, seien nicht ersichtlich. Die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für eine Aufhebung der Bewilligung von Alhi ab 2. April 1984 hätten somit vorgelegen.
Entgegen der Auffassung des SG seien in diesem Fall keine besonderen Ermessenserwägungen erforderlich gewesen. Das müsse nur in atypischen Fällen geschehen. Ein solcher Fall liege hier nicht vor. Der Wegfall der Verfügbarkeit sei ausschließlich auf ein schuldhaftes Verhalten des Klägers zurückzuführen. Ein mitwirkendes Verschulden der Beklagten bestehe nicht. Insoweit seien keine Gesichtspunkte für eine atypische Fallgestaltung ersichtlich. Das gelte auch für den Umstand, daß der Versichertengemeinschaft durch die unterlassene Mitteilung des Umzugs kein Schaden entstanden sei. Die schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse, die beim Kläger bestünden, begründeten keine Verpflichtung der Beklagten zur Ermessensausübung. Schlechte wirtschaftliche Verhältnisse seien bei einer Vielzahl von Alhi-Empfängern die Regel.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 134 Abs 1 Nr 1, Abs 4 Satz 1 AFG iVm § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFG. Er ist der Auffassung, er sei ab 7. April 1984 für die Beklagte erreichbar gewesen und habe somit der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden. Die Beklagte habe ihm sogar in dieser Zeit eine vorübergehende Arbeitsstelle bei der Gemeinde S … vermitteln können. Sie habe ihn also erreicht und vermittelt. Die tägliche Erreichbarkeit iS des § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFG sei nämlich im Gegensatz zur Auffassung des Berufungsgerichts auch dann gewährleistet, wenn ein Nachsendeantrag gestellt sei. Der Kläger habe auch in dem streitbefangenen Zeitraum mehrfach telefonisch und persönlich mit dem zuständigen Arbeitsamt in Ü … Kontakt gehabt und seinen Umzug bekanntgegeben. Wenn davon keine Notiz genommen worden sei, weil die Bekanntgabe der neuen Anschrift nicht schriftlich erfolgt sei, könne dies dem Kläger nicht als grob fahrlässige Verletzung seiner ihm obliegenden Pflicht nach § 60 Abs 1 Nr 2 SGB I ausgelegt werden.
Der Kläger beantragt nach seinem Vorbringen,
das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie verweist auf die ihrer Ansicht nach zutreffenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 22. Januar 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. März 1985. Der Kläger begehrt dessen Aufhebung. Infolgedessen wird von seinem rechtlichen Inhalt der Umfang des Anspruchs bestimmt, über den das Gericht zu entscheiden hat (§ 123 SGG). Die Beklagte hatte dem Kläger durch Bescheid vom 9. Januar 1984 Alhi für die Zeit ab 2. Januar 1984 bewilligt. In den Bestand dieses Verwaltungsaktes greifen die angefochtenen Bescheide ein, indem sie die Bewilligung für die Zeit vom 2. April bis 6. August 1984 aufheben.
Zur Wahrnehmung seines Anspruchs hat sich der Kläger zulässig auf die reine Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs 1 SGG beschränkt. Die begehrte Aufhebung der angefochtenen Bescheide hätte ohne weiteres zur Folge, daß der ursprüngliche Bewilligungsbescheid vom 9. Januar 1984 in seinem alten Umfang wiederhergestellt wird und die Beklagte daraus bei seiner Weitergeltung zur Zahlung der bewilligten Alhi auch für die Zeit vom 2. April bis 6. August 1984 verpflichtet war. Für eine Leistungsklage nach § 54 Abs 4 SGG bestand folglich kein Raum (BSGE 48, 33, 34 = SozR 4100 § 44 Nr 19).
Die Anfechtungsklage ist jedoch nicht begründet. Das LSG hat die angefochtenen Bescheide zutreffend für rechtmäßig erachtet. Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Leistungsbewilligung ist im vorliegenden Fall § 48 Abs 1 Satz 1 sowie Satz 2 Nr 2 SGB X. Danach soll, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlaß eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher, für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Diese Voraussetzungen liegen hier, wie das LSG zutreffend erkannt hat, vor. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse, wie sie bei Erlaß des Alhi-Bewilligungsbescheides vorlagen, ist ab 2. April 1984 insofern eingetreten, als der Kläger von diesem Zeitpunkt an seine bisherige Wohnung in S. … aufgegeben hat, ohne das Arbeitsamt hiervon zu unterrichten. Das hat zur Folge, daß er von da ab keinen Anspruch auf Alhi mehr hatte.
Anspruch auf Alhi hat ua nur, wer der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht (§ 134 Abs 1 Satz 1 Nr 1 und Abs 4; § 103 AFG). Nach § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFG, der durch Art 1 Nr 31 des 5. AFG-Änderungsgesetzes vom 23. Juli 1979 – 5. AFG-ÄndG – (BGBl I 1181) eingefügt worden ist, ist Voraussetzung für die Verfügbarkeit ua, daß der Arbeitslose das Arbeitsamt täglich aufsuchen kann und für das Arbeitsamt erreichbar ist. Hierzu bestimmt § 1 Satz 1 der Aufenthaltsanordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit vom 3. Oktober 1979 (ANBA S 1388), die auf § 103 Abs 2 idF des 5. AFG-ÄndG fußt, daß das Arbeitsamt den Arbeitslosen während der üblichen Zeit des Eingangs der Briefpost unter der von ihm benannten, für die Zuständigkeit des Arbeitsamtes maßgeblichen Anschrift erreichen können muß. Dies war bei dem Kläger ab 2. April 1984 deshalb nicht mehr der Fall, weil er seine Wohnung in S. …, I W- …, aufgegeben hatte und nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, in bezug auf die er zulässige und begründete Revisionsgründe nicht vorgebracht hat (§ 163 SGG), vom Umzug an unter dieser im Antragsformular angegebenen Anschrift nicht mehr täglich während der üblichen Zeit des Eingangs der Briefpost erreichbar war; denn er hielt sich nunmehr nicht mehr in der Wohnung auf, deren Anschrift er dem Arbeitsamt angegebenen hatte. Dies hat zum Wegfall des Begriffsmerkmals der „Erreichbarkeit” geführt, wie es in § 1 der Aufenthalts-Anordnung umschrieben wird. Nach dem Zweck dieser Bestimmung, der dahin geht, im Interesse der Versichertengemeinschaft eine sofortige Vermittelbarkeit des Arbeitslosen sicherzustellen, ist die Erreichbarkeit nicht bereits dann zu bejahen, wenn der Arbeitslose für das Arbeitsamt überhaupt postalisch erreichbar ist. Vielmehr ist dies, wie der Senat in seinem Urteil vom 29. November 1989 – 7 RAr 138/88 (zur Veröffentlichung vorgesehen) – entschieden hat, nur dann der Fall, wenn der Arbeitslose unter der Wohnanschrift, die er im Leistungsantrag der Beklagten bekannt gegeben hat, von ihren Bediensteten täglich zumindest während der üblichen Zeit des Eingangs der Briefpost auch tatsächlich dort angetroffen werden kann (aA SG Mannheim, info also 1986, 131, 132; Steinmeyer in Gagel, Komm zum AFG, Stand Februar 1989, § 103 RdNrn 203 f, 207). Unerheblich ist deshalb, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, daß der Kläger der Bundespost einen Nachsendeauftrag erteilt oder auf sonstige Weise dafür gesorgt hatte, daß ihn die an die bisherige Anschrift gerichtete Post erreichte. Es kommt nicht darauf an, daß der Arbeitslose überhaupt irgendwie erreichbar ist, sondern er muß – so verlangt es § 1 Satz 1 der Aufenthaltsanordnung – vom zuständigen Arbeitsamt unter der diesem bekannten Anschrift täglich zur üblichen Zeit des Eingangs der Briefpost erreichbar sein (BSG Urteil vom 21. Juli 1988 – 7 RAr 21/86 = AuB 1989, 161; Urteil des Senats vom 29. November 1989 – 7 RAr 138/88). Dies ist, wie das LSG unangegriffen festgestellt hat, nicht der Fall gewesen.
An dieser Rechtslage ändert es nichts, daß ein Vermittlungsvorschlag der Beklagten den Kläger nach dem 1. April 1984 erreicht hat. Das allein ist, wie der Senat bereits entschieden hat, für die Frage, ob der Kläger der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stand, nicht maßgeblich. Die Berechtigung zum Leistungsbezug wegen Arbeitslosigkeit folgt nicht schon aus den Chancen von Vermittlungsbemühungen, sondern entscheidend aus der Fähigkeit des Arbeitslosen, solchen Bemühungen, falls sie erfolgen, zeitlich und örtlich sachgerecht entsprechen zu können (BSGE 44, 188, 190 = SozR 4100 § 103 Nr 8; BSGE 58, 104, 106 = SozR 4100 § 103 Nr 36). Eine solche Sachlage ist aber nicht gewährleistet, wenn dem Arbeitsamt die aktuelle Anschrift des Arbeitslosen nicht bekannt ist. Das zeigt gerade der vorliegende Fall, wie das LSG zu Recht hervorgehoben hat. Von zwei an den Kläger gerichteten Postsendungen des Arbeitsamts hat ihn nach seinem Umzug nur eine erreicht, während die andere trotz Erteilung eines Nachsendeantrages als unzustellbar an das Arbeitsamt zurückging.
Muß daher die Erreichbarkeit des Arbeitslosen im obigen Sinne grundsätzlich unter der von ihm dem Arbeitsamt bekanntgegebenen Wohnanschrift gewährleistet sein, so begründet dies im Falle eines Wohnsitzwechsels in der Regel eine eigenständige Pflicht des Arbeitslosen, die Tatsache des Umzugs und seine neue Wohnanschrift dem Arbeitsamt unmittelbar mitzuteilen, um die nach erfolgter Aufgabe der alten Wohnung nicht mehr gegebene Erreichbarkeit im Sinne des § 1 der Aufenthalts-Anordnung wiederherzustellen. Dabei ist es rechtlich unerheblich, ob der Arbeitslose einen echten Wohnsitzwechsel vorgenommen hat, dh in einen anderen Ort innerhalb oder außerhalb des bisher für ihn zuständigen Arbeitsamtsbezirks verzogen ist, oder nur innerhalb des bisherigen Wohnortes die Wohnung gewechselt hat und in ein anderes Haus oder in eine andere Straße umgezogen ist; denn immer wenn mit einem Umzug des Arbeitslosen eine Änderung seiner Wohnanschrift verbunden ist, hat der Arbeitslose, um für das Arbeitsamt verfügbar zu bleiben, dies dem Arbeitsamt selbst unmittelbar zur Kenntnis zu bringen. Nur dadurch stellt er sicher, daß er für das Arbeitsamt jederzeit unter der neuen Wohnanschrift erreichbar ist. Das für den Anspruch auf Leistungen wegen Arbeitslosigkeit in § 103 AFG näher umschriebene Merkmal der Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung verlangt nach seinem Bedeutungsgehalt von dem Arbeitslosen grundsätzlich ein aktives Verhalten. Zwar genügt es bei Geltendmachung eines Leistungsanspruchs in der Regel zunächst, daß der Arbeitslose glaubhaft darlegt, bereit und in der Lage zu sein, zumutbare Beschäftigungsmöglichkeiten oder Maßnahmen der beruflichen Bildung wahrzunehmen, ferner, daß er das Arbeitsamt täglich aufsuchen kann und auf welche Weise er für das Arbeitsamt täglich erreichbar ist (vgl § 103 Abs 1 Satz 1 AFG); insoweit sind seine tatsächlichen Adreßangaben maßgebend. Jedoch hat er schon in Zweifelsfällen das Vorliegen dieser anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale des § 103 AFG nachzuweisen.
Erst recht verpflichtet das Wesen der Verfügbarkeit iS des § 103 AFG den Arbeitslosen, Änderungen in diesen tatsächlichen Verhältnissen durch eigenes Handeln dem Arbeitsamt bekannt zu geben, wie der Senat bereits in seinem oa Urteil vom 29. November 1989 entschieden hat. Da Verfügbarkeit im dargestellten Sinne weitestgehend vom eigenen tatsächlichen Verhalten des Arbeitslosen her bestimmt wird, obliegt es auch grundsätzlich seinem Verantwortungsbereich, eine Veränderung einmal von ihm geschaffener und dem Arbeitsamt bekanntgegebener Verhältnisse unverzüglich mitzuteilen. Allgemeiner Ausdruck dessen ist die Regelung des § 60 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB I, wonach derjenige, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, ua Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistungen erheblich sind, unverzüglich mitzuteilen hat. Für den Bereich des § 103 AFG bestimmt deshalb dies konkretisierend § 2 Satz 1 der Aufenthalts-Anordnung, daß der Arbeitslose sich zwar an jedem anderen Ort (als dem dem Arbeitsamt bekannten) im Nahbereich des zuständigen Arbeitsamtes aufhalten kann, dann jedoch dem Arbeitsamt rechtzeitig seine Anschrift für die Dauer der Abwesenheit mitzuteilen hat.
Hiernach ergibt sich, daß der Kläger einer ihm durch Rechtsvorschrift auferlegten Pflicht zur Mitteilung wesentlicher Änderung der Verhältnisse nicht nachgekommen ist, indem er das Arbeitsamt nicht unmittelbar selbst von seinem Umzug in Kenntnis gesetzt hat. Seiner Behauptung, er habe in dem streitbefangenen Zeitraum mehrfach telefonisch und persönlich mit dem zuständigen Arbeitsamt in Ü. … Kontakt gehabt und seinen Umzug bekannt gegeben, stehen die tatsächlichen Feststellungen des LSG entgegen. Hiernach bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger den Wohnungswechsel einem Bediensteten des Arbeitsamtes mitgeteilt hat. An diese Feststellungen ist der Senat gemäß § 163 SGG gebunden, da in bezug auf sie zulässige und begründete Revisionsgründe nicht vorgebracht worden sind. Als Folge seiner Unterlassung stand der Kläger daher vom Zeitpunkt des Umzugs an nicht mehr der Arbeitsvermittlung iS von § 103 AFG zur Verfügung; damit war eine Voraussetzung für den Anspruch auf Alhi entfallen. Auf Unkenntnis über seine Mitteilungspflicht kann sich der Kläger nicht berufen, nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG war er durch die Beklagte unmißverständlich über seine Pflicht unterrichtet worden, jede Änderung der im Leistungsantrag angegebenen Verhältnisse sofort selbst anzuzeigen.
Damit liegen die Rechtsvoraussetzungen für die rückwirkende Aufhebung des Alhi-Bewilligungsbescheides vom 9. Januar 1984 ab 2. April 1984 vor. Entgegen der Ansicht des Klägers waren im vorliegenden Fall keine Ermessenserwägungen erforderlich. Nach § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, wenn einer der Tatbestände vorliegt, die in den Nrn 1 bis 4 beschrieben sind. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG- (BSGE 59, 111, 115 = SozR 1300 § 48 Nr 19; SozR 1300 § 49 Nrn 21, 22, 24, 26, 30; BSGE 60, 180, 185 = SozR 1300 § 48 Nr 25; Urteil des Senats vom 11. Februar 1988 – 7 RAr 55/86 –) und des Bundesverwaltungsgerichts -BVerwG- (BVerwG Buchholz, 436.36 § 53 BAföG Nr 5) bedeutet „soll”, daß der Leistungsträger in der Regel den Verwaltungsakt rückwirkend aufhebt, daß er jedoch in atypischen Fällen nach seinem Ermessen hiervon abweichen kann. Hierzu ist inzwischen klargestellt, daß die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt, nicht im Wege der Ermessensausübung zu klären ist, sondern vielmehr als Rechtsvoraussetzung im Rechtsstreit von den Gericht zu überprüfen und zu entscheiden ist.
Nach der vorstehend aufgeführten Rechtsprechung ist die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt, nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Hierbei ist auf den Zweck der Regelungen der jeweiligen Bestimmung des § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X abzustellen. Zu berücksichtigen ist insbesondere auch, ob die mit der rückwirkenden Aufhebung des Verwaltungsakts verbundenen Nachteile, insbesondere im Hinblick auf die aus § 50 Abs 1 SGB X folgende Pflicht zur Erstattung der erbrachten Leistungen, vom Normalfall derart abweichen, daß der betreffende Leistungsempfänger in besondere Bedrängnis gerät. Dabei ist allerdings nicht die mit jeder Rückforderung verbundene Härte gemeint. Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, daß der Kläger durch die Pflicht zur Erstattung der zu Unrecht erhaltenen Leistungen stärker betroffen wird als andere Alhi-Empfänger.
Der Wegfall der Verfügbarkeit ist ausschließlich auf das Verhalten des Klägers zurückzuführen. Ein Fehlverhalten der Beklagten, das ggf bei der Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt, zu berücksichtigen wäre (vgl BSG SozR 1300 § 48 Nrn 24 und 25), hat hierbei keine Rolle gespielt.
Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, daß das ihm unterbreitete Arbeitsangebot ihn tatsächlich erreicht und wenigstens zu einer vorübergehenden Beschäftigung geführt hat. Maßgebend ist das den Aufhebungsgrund bestimmende Verhalten, hier also das Unterlassen der Mitteilung über die Änderung der bisherigen Anschrift. Insoweit liegt keine Atypik vor, die eine Ermessensentscheidung notwendig macht. Der Zweck des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X verbietet es gerade, daß ein Verwaltungsakt weiterhin als Rechtsgrund, auf dem eine Leistung beruht, bestehen bleibt, obwohl der einzelne seiner Anzeigepflicht hinsichtlich der geänderten Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (vgl Begründung zum Entwurf eines Sozialgesetzbuches – Verwaltungsverfahren – BT-Drucks 8/2034 S 35 zu § 46). Entscheidend für den Verlust des Anspruchs auf Alhi ist allein, daß der Kläger die ihm auferlegte Mitteilungspflicht nicht befolgt hat. Aus diesem Grunde liegt eine Atypik auch nicht deshalb vor, weil der Kläger aus seiner Sicht möglicherweise meinte, durch einen Nachsendeantrag und auch auf andere Art seinerseits das Erforderliche getan zu haben, um täglich vermittelt zu werden.
Da auch die Fristerfordernisse (§ 48 Abs 4 Satz 1, § 45 Abs 3 Satz 3 und Abs 4 SGB X) gewahrt sind, liegen die Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung der Bewilligung der Alhi vor. Dies hat ohne weiteres zur Folge, daß der Kläger verpflichtet ist, die für die Zeit vom 2. April bis 6. August 1984 gezahlte Alhi, die nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG 2.735,90 DM beträgt, zurückzuzahlen. Nach § 50 Abs 1 SGB X sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit, wie hier, ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist.
Zu Recht hat hiernach das LSG auf die Berufung der Beklagten das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Revision kann somit keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen