Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 14.10.1994) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 14. Oktober 1994 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Anrechnung einer Ersatzzeit über das 65. Lebensjahr hinaus (30. Oktober 1986 bis 30. Oktober 1989) und ein entsprechend höheres Altersruhegeld.
Die Klägerin ist am 30. Oktober 1921 in New-York bei Alexanderpol/Ukraine in der ehemaligen UdSSR geboren. Von 1936 bis 1940 war sie als Kolchosarbeiterin tätig und begann danach eine Ausbildung zur Friseuse. Später wurde sie zu Erdarbeiten herangezogen. Am 1. Dezember 1942 wurde sie zwangsumgesiedelt und kam in ein Arbeitslager in Krasnojarsk/Sibirien. Dort arbeitete sie später auch als Friseuse. Seit dem 9. November 1976 erhielt sie Altersrente. Am 8. November 1989 reiste sie ins Bundesgebiet ein. Die Klägerin ist anerkannte Heimkehrerin im Sinne des Heimkehrergesetzes. Als Zeit der Internierung ist anerkannt Dezember 1941 bis Mai 1956. Sie ist im Besitz des Vertriebenenausweises A.
Auf ihren Antrag vom 12. Januar 1990 bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 13. November 1990 Altersruhegeld ab 8. November 1989. Sie erkannte ihr neben Beiträgen nach dem Fremdrentengesetz auch Zeiten der Internierung, Kindererziehung sowie Rückkehrverhinderung an, beendete die Anrechnung von Ersatzzeiten jedoch mit vollendetem 65. Lebensjahr der Klägerin am 29. Oktober 1986.
Am 31. Dezember 1991 beantragte die Klägerin die Neuberechnung ihres Altersruhegeldes und begehrte, die Zeit vom 30. Oktober 1986 bis zum 30. Oktober 1989 als Ersatzzeit anzuerkennen und bestimmte den Versicherungsfall auf den 30. Oktober 1989. Mit Bescheid vom 3. November 1992 gab die Beklagte dem Antrag auf Neuberechnung der Rente zum Teil bezüglich hier nicht streitiger Punkte statt. Durch Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 1993 wurde der Widerspruch, mit dem die Klägerin allein noch die Anrechnung der Zeit nach Vollendung des 65. Lebensjahres bis zur Ausreise aus der UdSSR als Ersatzzeit begehrte, zurückgewiesen.
Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 11. November 1993). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 14. Oktober 1994). Eine Berücksichtigung von Ersatzzeiten nach vollendetem 65. Lebensjahr komme nicht in Betracht, weil dies mit Sinn und Zweck der Ersatzzeitenregelung nicht in Einklang zu bringen sei. Mit vollendetem 65. Lebensjahr sei das Versicherungsleben in aller Regel abgeschlossen.
Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Den Grundsatz, daß nach dem 65. Lebensjahr keine Ersatzzeiten mehr erworben werden könnten, gebe es nicht. Die Anrechnung einer längeren Ersatzzeit wiege in keiner Weise den materiellen Schaden auf, der ihr dadurch entstanden sei, daß sie nicht das deutsche Altersruhegeld habe beziehen können.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 14. Oktober 1994 sowie das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 11. November 1993 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 3. November 1992 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 1993 zu verurteilen, der Klägerin für die Zeit ab dem 1. November 1989 höheres Altersruhegeld unter Berücksichtigung einer weiteren Ersatzzeit vom 30. Oktober 1986 bis 30. Oktober 1989 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, daß ihr eine Rentennachzahlung geleistet wird, die darauf beruht, daß ihr für die Zeit nach Vollendung ihres 65. Lebensjahres eine weitere Ersatzzeit anerkannt wird.
Die Klägerin stellte am 31. Dezember 1991 den Antrag, ihre Rente auch für die zurückliegende Zeit zu berechnen und bestimmte zu diesem Zweck den Eintritt des Versicherungsfalles auf den 30. Oktober 1989. Da sie ihren Antrag vor Ablauf von drei Monaten nach Inkrafttreten des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) gestellt hat und sich dieser Antrag auf einen „bis dahin bestehenden Anspruch” bezieht, ist auf den vorliegenden Fall noch altes Recht, also die Reichsversicherungsordnung (RVO), anzuwenden (§ 300 Abs 2 SGB VI).
Die Klägerin wurde am 30. Oktober 1986 65 Jahre alt. Ersatzzeiten werden begehrt für die Zeit vom 30. Oktober 1986 bis 30. Oktober 1989, also bis zu ihrem 68. Lebensjahr. Die Klägerin hat indessen über ihr 65. Lebensjahr hinaus, bis zu welchem ihr Ersatzzeiten auch anerkannt worden sind, keine Ersatzzeiten erworben.
Nach § 1251 Abs 1 Nr 3 RVO sind Ersatzzeiten auch Zeiten, in denen der Versicherte während oder nach Beendigung eines Krieges, ohne Kriegsteilnehmer zu sein, durch feindliche Maßnahmen an der Rückkehr aus dem Ausland verhindert gewesen oder dort festgehalten worden ist. Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin bis zu ihrer Übersiedlung in die Bundesrepublik zwar vor, wie das LSG in tatsächlicher Hinsicht festgestellt hat. § 1251 Abs 1 Nr 3 RVO sieht auch nicht ausdrücklich eine Begrenzung des Alters vor, bis zu welchem höchstens eine derartige Ersatzzeit erworben werden kann. Aus Sinn und Zweck der Regelung ist aber zu erkennen, daß Ersatzzeiten dieser Art unter der Geltung der RVO nur bis zum 65. Lebensjahr erlangt werden konnten.
Wie die Ausfallzeiten bezwecken die Ersatzzeiten einen rentenrechtlichen Ausgleich dafür, daß der Versicherte infolge bestimmter, im Gesetz jeweils beschriebener Umstände, hier des Festhaltens im Ausland, ohne Verschulden gehindert war, einer rentenversicherungspflichtigen Tätigkeit nachzugehen und so Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung zu leisten (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl BSG SozR 2200 § 1259 Nr 23 mwN; § 1251 Nr 101 S 276, § 1251 Nr 102 S 282). Die Unterstellung des ursächlichen Zusammenhanges zwischen Ersatzzeittatbestand und Beitragsausfall hat das Bundessozialgericht (BSG) – außer bei Altersgrenzen – nur dann als widerlegt angesehen, wenn dem Versicherten in der Zeit des Beitragsausfalles jede rechtliche Möglichkeit fehlte, wirksam Beiträge zu entrichten (BSG SozR 2200 § 1251 Nrn 101, 102; § 1251 Nrn 2, 6, jeweils mwN). Auch diese Einschränkung ergibt sich nicht aus dem Gesetz, sondern folgt aus dem Wesen der Ersatzzeit. Was rechtlich nicht als Beitragszeit in Betracht kommt, kann nicht durch eine Ersatzzeit ausgeglichen werden. Der rechtlich bedingte Beitragsausfall wäre auch ohne den Ersatzzeittatbestand eingetreten. Das BSG hat es andererseits abgelehnt, konkrete Situationen – die sich anders als das Lebensalter einer typisierenden Betrachtung entziehen – darauf zu überprüfen, ob sie nach allgemeiner Lebenserfahrung eine Berufstätigkeit zugelassen hätten. So wurde zB auch die Erwerbstätigkeit einer Hausfrau und Mutter nicht als ausgeschlossen angesehen (BSG SozR § 1251 Nr 101). Anders bei einer Altersgrenze: Beitragszeiten vollziehen sich normalerweise innerhalb eines durch natürliche Altersgrenzen abgesteckten Versicherungslebens. So können deshalb auch Ersatzzeiten nur erworben werden, wenn der durch das Gesetz privilegierte, die Beitragszeit verhindernde Tatbestand innerhalb der Grenzen des normalen Versicherungslebens liegt. Zu Recht sind deshalb Zeiten vor Vollendung des 14. Lebensjahres nicht als Ersatzzeiten angerechnet worden (BSG SozR 2200 § 1251 Nr 83). Typischerweise erfüllen Kinder in diesem Alter ihre Schulpflicht. Zu Recht ist ausgeführt worden, daß die gesetzliche Rentenversicherung auf typische Lebensverhältnisse abstellen muß. So kann auch nach dem 65. Lebensjahr eine Ersatzzeit nicht erworben werden. Es ist nicht der Sinn der Ersatzzeitenregelung, einen Ausgleich dort zu gewähren, wo ein Schaden allenfalls denkmöglich, aber äußerst unwahrscheinlich ist (BSG SozR 2200 § 1251 Nr 83 S 223 mwN).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen